Foto: privat

5. Mai – wieder ein Internationaler Hebammentag. Dieser Tag wird leider immer weniger (berufs-)politisch genutzt. Provokativ möchte ich sagen: Wozu auch? Haben wir Hebammen nach den Aktionen vergangener Jahre unsere Glaubwürdigkeit nicht weitgehend verloren? Fehlt nicht trotz erfolgreicher Petitionen und Dauerpräsenz in allen Medien letztlich der Biss zu mutigerem politischem Handeln? Da wurden Demos und fantasievolle lokale Aktionen organisiert und immer wieder die hinter den Kulissen laufenden sogenannten Vergütungsverhandlungen publik gemacht. Aber weder die wirtschaftliche Lage noch die beruflichen Rahmenbedingungen haben sich verbessert – im Gegenteil.

Trotz endloser Verhandlungen mit Klinikträgern für angestellte Hebammen und zehnjähriger „Tarifautonomie” für die Freiberuflichen ist die Lage prekär und die Arbeitsbelastung in vielen Kreißsälen nahezu ausbeuterisch. Der jahrzehntealte Modus der freiberuflichen Vergütungsverhandlungen hat sich de facto kaum geändert: In jeder wesentlichen Vergütungsrunde wird die Schiedsstelle angerufen. So befinden nach wie vor fachfremde EntscheiderInnen über die Honorare. Früher hatten Ministerialbeamte das letzte Wort, heute senken JuristInnen und Verwaltungsleute den Daumen über die Hebammen. Das hat zu keiner angemessenen Bezahlung geführt – die Arbeitsbedingungen haben sich sogar verschärft. Das oft benutzte Wort „Wertschätzung” verkommt zur Karikatur.

Hebammen und ihre Vertreterinnen scheinen sich selbst darin zu beschneiden, ihren berechtigten Forderungen tatkräftig und konsequent Nachdruck zu verleihen. Ich wage, zu behaupten: Es ist eine diffuse Angst, gepaart mit mangelndem Selbstwertgefühl, die bislang flächendeckende Streiks verhindert hat.

Es gibt drei Hebammenberufsverbände, in denen sich manche Kolleginnen jahrelang engagieren. Doch Fakt ist: Berufsverbände sind „nur” Vereine – keine demokratisch legitimierten „Körperschaften des öffentlichen Rechts”, wie es nur eine überfällige Berufskammer sein kann. Was die Pflege vormacht, tut für das blanke Überleben des Hebammenberufes dringend Not. Nur die Institution Berufskammer kann das festgefahrene Ungleichgewicht zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und den weniger als 20.000 Hebammen schrittweise verringern.

Erschöpfte Resignation und/oder eine diffuse Angst haben das berufspolitische Engagement vieler gelähmt. Sie haben Angst vor echten Reformen und befürchten, „dass Hebammen die vorbehaltenen Tätigkeiten genommen” oder dass „die Hinzuziehungspflicht fallen” würden – wenn sie streiken, wenn sie auf konstruktive, zielgerichtete Weise bei ihren Forderungen bleiben würden, statt sich regelmäßig den Vorgaben anderer zu beugen.

Diese Angst zieht sich durch Hunderte von Gesprächen, die ich in 30 Jahren mit Kolleginnen geführt habe und wird noch befördert durch die Einführung des Qualitätsmanagements. Die eigene, fachlich fundierte Arbeit strukturiert darstellen zu müssen, scheint viele Kolleginnen mehr zu belasten, als sachlich gesehen zu befürchten steht. Sie sind verunsichert, obwohl die meisten nicht nur fachlich gute Arbeit machen, sondern weitaus wertvollere, als die dürre Vergütung glauben macht! Sie leisten obendrein psychosoziale und gesundheitserhaltende Basisarbeit.

Hebammen stellen noch immer ihr Licht unter den Scheffel. Sie fühlen sich zum Teil minderwertig. Ich vermute, die Unsicherheit, das geringe Selbstwertgefühl (zumindest, was den finanziellen Wert der erbrachten Leistungen angeht) und diffuse Ängste gründen in der noch immer mangelnden Selbstdefinition und Verortung des Berufes. Hebammen sind die Fachfrauen für einen physiologischen Schwangerschafts-, Geburts- und Wochenbettverlauf.

Unsere Gesellschaft braucht weniger Verunsicherung und Manipulation und vor allem weniger Angst. Mehr Mut, liebe Kolleginnen – in eurem Sinne und für die Familien!

Zitiervorlage
Ott-Gmelch J: Warum fehlt uns der Biss? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (6): 1

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