Ansprengungen von recht kaltem Wasser gegen den Unterleib der Gebärenden und die obere Gegend der Schenkel”, empfahl 1840 der Hebammenlehrer Dr. Wilhelm Plath aus Hamburg bei bedeutendem Blutabgang aus der Gebärmutter, die sich nach der Geburt der Plazenta „nicht kräftig zusammenzieht”. Und als äußerstes Mittel „Einführen der in kaltes Wasser oder Essig getauchten Hand in die Gebärmutter bis zum Muttergrunde”, wo die Fingerspitzen „gelinde” reiben sollten. Eine Behandlung ganz anderer Temperatur lernten Hebammen 90 Jahre später, 1928, bei Prof. Dr. G. Hammerschlag, damals Direktor der Landesfrauenklinik in Berlin-Neukölln: Sie sollten in diesem Fall eine Scheidenspülung mit einer 50 Grad heißen Desinfektionslösung durchführen.

Zwei Hebammen und zwei Klinikärzte berichten in diesem Heft, wie sie heute bei einer atonischen Blutung oder anderen Blutungen vorgehen. Wir haben außerdem Studien zusammengetragen und recherchiert, ob es inzwischen von offizieller Seite – von den Verbänden oder Fachgesellschaften – Leitlinien im Bereich „Blutungen” gibt, etwa zur Vorgehensweise bei einer Atonie oder vorzeitigen Lösung. Laut BDH ist es schwierig, eine Vorgehensweise festzulegen, weil sie jeweils abhängig sei von der Struktur der Geburtshilfe und der Blutungsursache. Die Hebamme und Ärztin Anna Rockel-Loenhoff resümiert ebenfalls, dass nicht jede Situation standardisiert werden kann. Axel Krause von der Gesellschaft für Risikoberatung beschreibt im Heft, wie er mit geburtshilflichen Teams interne Regelungen zur Qualitätssicherung erarbeitet. Er würde sich gern an Leitlinien einer Fachgesellschaft orientieren: „Die Behandlungsprozesse bei unklarer Blutung oder atonischer Nachblutung sollten standardisiert sein.” „Genau das funktioniert bisher in keinem Land, so weit mir bekannt ist”, sagt Prof. Dr. Klaus Vetter, Chefarzt der Klinik für Geburtsheilkunde vom Vivantes Klinikum Berlin-Neukölln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).

Der Rechtsanwalt Prof. Klaus Ulsenheimer, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Recht” der DGGG, hat sich ausgiebig mit dem Thema befasst. „Die negativen Aspekte einer Fixierung auf Leitlinien oder fachliche Standards überwiegen”. Nachteilig sei, dass sie zeitgebunden, ständigem Wandel unterworfen und immer wieder aktualisierungsbedürftig sind. Sie sind nicht etwas „Gegebenes, Erreichtes, Abgeschlossenes, sondern ein fortschreitender Prozess” – und bedeuten „eine Verlagerung der Entscheidung von der individuellen auf die kollektive Ebene”. Das würde die Eigenverantwortung bremsen und ein Handeln nach Schema fördern. Rockel-Loenhoff sieht das ähnlich. Sie spricht sich für ein profundes Verständnis und eine effiziente Handlungskompetenz bei Hebammen aus. Dr. Plath, dessen Lehre nun weit überholt ist, plädierte 1840 für etwas Ähnliches: Entschlossenheit und Geistesgegenwärtigkeit.