Eine Frau erzählte mir einmal, wie sie hochschwanger im Zug unterwegs war: Gegenüber eine Mutter mit ihrem Kind – sie schälte einen Apfel, das Kind hatte ein Down-Syndrom. Still beobachtend freute sich die Schwangere über diese liebevolle Einheit. Als bald darauf ihr eigenes Kind zur Welt kam und ihr schonend beigebracht wurde, dass es mit Down-Syndrom geboren worden war, hatte sie gleich die Mutter und ihr Kind aus dem Zug vor Augen und die Eltern nahmen zur Überraschung des geburtshilflichen Personals die Nachricht völlig unbefangen und unerschrocken auf.
Es ist lange her, dass ich bei der Hausgeburt eines kleinen Mädchens half – selbst schwanger, wenige Wochen vor der Geburt meiner Tochter. Eine leichte und glückliche Geburt und ein unkomplizierter Stillbeginn. Dass die Kleine ein Down-Syndrom hatte, übersah ich zunächst und auch der Kinderarzt, der zur U2 kam. Erst ein Atemwegsinfekt brachte drei Wochen später in der Klinik die Diagnose Trisomie 21. „Wie gut, dass unsere Tochter zu uns gekommen ist!“, sagte die Mutter spontan. Kurz zuvor war durch die Medien gegangen, wie ein offenbar verzweifelter Vater seinem behindert geborenen Kind im Krankenhaus das Leben genommen hatte.
In den nächsten Monaten hatten wir öfter Kontakt. Die Kleine entwickelte sich gut. Sehr beeindruckt war ich, wie genau die Mutter wusste, welcher Entwicklungsschritt anstand und wie intensiv sie mit ihrer Kleinen daran arbeitete, diesen Schritt gezielt „hervorzulocken“, während meine kleine Tochter sich einfach „von selbst“ entwickelte. Später ging sie zur Schule und hatte ihre Aufgaben im Haushalt, wie alle anderen Familienmitglieder. Sie sei eigentlich das gesündeste Kind in ihrer Klasse einer anthroposophischen Förderschule, so die Mutter. Die anderen Kinder, zwar nicht geistig behindert, hätten entweder schwere seelische oder soziale Behinderungen. Dieses Mädchen mit seiner hohen sozialen Kompetenz war für die Klasse ein ruhender Pol. Als sie in der Pubertät war, so wie auch meine Tochter, die mehr und mehr ihrer eigenen Wege ging, erzählte die Mutter, wie schwierig es sei, ihr die notwendige Ablösung zuzugestehen. Ihre Tochter käme mit ihrem Alltag bestens zurecht, aber sie als Mutter fürchte sich trotzdem, sie allein losgehen zu lassen, aus Angst, jemand könnte ihre Offenherzigkeit ausnutzen und ihr etwas antun.
Zwei Beispiele, wo die Diagnose Down-Syndrom der Verbundenheit von Eltern und ihrem neugeborenen Kind nicht im Weg gestanden hatte. Wenn ich Menschen mit Down-Syndrom in der Öffentlichkeit im Alltag erlebe – was viel zu selten vorkommt – weht es mich schmerzlich an, dass ihr Dasein heute so unselbstverständlich geworden ist. Unkenntnis, Ängste und abgründige Fantasien bestimmen ein diffuses Vorurteil – auch von Professionellen – das von der Wirklichkeit oft weit entfernt ist. Ich wünsche mir, dass wir alle öfter ähnliche Situationen vor Augen haben, wie die Schwangere mit der Apfel schälenden Mutter und ihrem Kind im Zug.