Dr. Angelica Ensel, Hebamme, Dozentin und langjährige Redakteurin der DHZ: »Gelungene Kommunikation ist ein Indikator für die Qualität der Versorgung.«

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»An einem Tag im September« – ein Film über den Beginn der deutsch-­französischen Freundschaft, der mich tief beeindruckt hat. Am 14. September 1958 treffen sich Bundeskanzler Konrad Adenauer und General Charles de Gaulle, der spätere französische Staatspräsident, im Landhaus der Familie de Gaulle zum Gespräch über die Zukunft ihrer Nationen. Hinter ihnen liegen 250 Jahre »Erbfeindschaft« und drei große Kriege mit Millionen von Opfern.

Im Verlauf des Gesprächs werden die Differenzen immer deutlicher, insbesondere die tiefen Verletzungen auf französischer Seite. Als ein Scheitern der Annäherung droht, schaltet sich de Gaulles Frau Yvonne ein, die im Nebenzimmer den Dialog der beiden Staatsmänner verfolgt. Sie bittet die Männer zum Tee und eröffnet ein Gespräch über etwas zutiefst Persönliches – den großen Schmerz über den Verlust ihrer jüngsten Tochter Anne, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Sie wurde nicht, wie es damals üblich war, vor der Öffentlichkeit versteckt, sondern war ein geliebter Teil der Familie. Bewegt von dieser Mitteilung erzählt Adenauer von seinem eigenen Schmerz über das Schicksal seiner Frau. Um die Familie zu retten, verriet sie unter großem Druck der SA das Versteck ihres Mannes. Aus Verzweiflung über diesen Verrat unter­nahm sie einen Suizidversuch, dessen Folgen Jahre später zum Tod führten.

Indem Yvonne de Gaulle mit großem Gespür eine sehr persönliche Erfahrung teilt, eröffnet sie eine neue Ebene im Dialog der beiden Männer – die des Herzens. Das Gespräch wird unmittelbar, wahrhaftig und authentisch. Die Wendung zum Persönlichen ist ein Wagnis, sie macht uns ungeschützt und verletzlich. Gleichzeitig birgt dieser Vertrauensvorschuss eine große Chance. Wenn wir uns dem Schmerz des anderen öffnen, entsteht Empathie. Wir erkennen uns im Gegenüber – weil wir Menschen sind. In der geteilten Erfahrung von Verlust und Trauer entsteht eine emotionale Verbindung, die den Weg für eine neue Dimension der Beziehung öffnet. Das Treffen zwischen Adenauer und de Gaulle legte den Grundstein für weitreichende positive Entwicklungen in den Beziehungen der beiden Nationen. Es gilt als Geburts­stunde der deutsch-französischen Freundschaft. Sie wurde ein Erfolgsmodell.

Kommunikation ist eine Schlüsselkompetenz im Hebammenberuf. Gelungene Kommunikation ist ein Indikator für die Qualität der Versorgung. Immer wieder, insbesondere in schwierigen Situationen – wenn Ärger, Verletzungen, Fehler, Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte die Arbeitsatmosphäre belasten und die Sicherheit der zu Versorgenden beeinträchtigen – geht es darum, eine Basis zu finden, um miteinander zu sprechen. Das gelingt am besten, wenn wir authentisch sind und uns auf das Verbindende beziehen. Wenn wir einander als Menschen begegnen, schaffen wir die Grundlage für einen respektvollen Umgang, gegenseitige Anerkennung und eine Kommunikation, die trägt – jenseits aller Unterschiede.

Zitiervorlage
Ensel, A. (2025). Kommunikation, die trägt. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 77 (11), 1.