
Birgit Przyrembel, freiberufliche Hebamme: „Bedürftige Familien werden stigmatisiert, solange Hebamme und Familienhebamme getrennte Dienste anbieten.“ Foto: privat
Die Deutsche UNESCO-Kommission hat das Hebammenwesen kürzlich in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Ist das nicht ein Anachronismus, der zum Himmel schreit? Nun bekommen wir höchstamtlich bestätigt, welchen unschätzbaren Wert unsere Arbeit hat, und gleichzeitig wird in der Politik Däumchen drehend zugeschaut, wie der Versicherungskommerz uns regelrecht abwürgt. Allein, wenn man bedenkt, wie viele Kolleginnen sich aus der außerklinischen Geburtshilfe zurückziehen! Gleichzeitig erlahmt die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für unseren Berufsstand und seine originären Aufgaben in der Phase der Familiengründung.
Die Forderungen an die PolitikerInnen müssten mehr denn je dahin gehen, die wirtschaftliche Existenz der Hebammen zu sichern. Außerdem muss es darum gehen, die Arbeitszufriedenheit der Hebammen sicherzustellen. Nur so können auch die Frauenrechte auf Selbstbestimmtheit in Gesundheitsfragen abgesichert werden, bevor diejenigen Hebammen gänzlich von der Bildfläche verschwinden, die eine echte durchgehende Eins-zu-eins-Betreuung überhaupt noch anbieten.
Der Deutsche Hebammenverband möchte uns Kolleginnen motivieren, uns stärker in der Schwangerschaftsbegleitung zu engagieren. Warum fällt es den Kolleginnen so schwer, sich auf diesem Platz zu tummeln? Fordern die Frauen diese Hilfe zu wenig an wegen fehlender Informationen über die Rechte auf Hebammenbegleitung? Gibt es zu viel Widerstand von Seiten der GynäkologInnenverbände? Ist die Bezahlung der „angefangenen halben Stunde” zu schlecht – während die Pauschalbezahlung der Wochenbetthausbesuche die Qualität in der Wochenbettbetreuung abbröckeln lässt? Offenbar greifen viele Kolleginnen mit Ruck-Zuck-Nachsorgen relativ viel Geld ab. Die Folge ist, dass die Gesetzlichen Krankenversicherungen uns jetzt weismachen wollen, dass für „das bisschen Wochenbettbetreuung” das Wegegeld der aufsuchenden Hilfe eingespart werden könnte, indem man die Mütter mit ihren Neugeborenen in Wochenbettzentren an die Geburtskliniken gehen lässt. Dabei wissen wir doch, dass die Familien, die am meisten sozialpsychologische Beratung brauchen, nirgends hingehen und unversorgt bleiben. Und die Wochenbettruhe und -kultur wird noch mehr zerstört, wenn wir sogar im Frühwochenbett die Frauen zu Terminen außer Haus schicken. Übrigens ist das in den USA der Grund für massive postpartale Probleme mit einer hohen perinatalen Morbidität und Mortalität!
Immer noch werden bedürftige Familien stigmatisiert, solange Hebamme und Familienhebamme getrennte Dienste anbieten. Zu diesem Zweck sollte das bildungspolitische Ziel angestrebt werden, dass alle Hebammen ausgebildet werden, eine Entwicklungsbegleitung zu geben. Die Inhalte der Familienhebammenweiterbildung sollten integriert werden in die basale Hebammenausbildung. Und die rezeptfreie Hebammenhilfe sollte ausgedehnt werden auf das ganze erste Lebensjahr des jüngsten Familienmitglieds. Hebammen müssen genauso frei tätig werden können wie ÄrztInnen, eventuell mit Begründung in der Abrechnung – so entspricht es dem Hebammengesetz. Und die Krankenversicherungen müssten verpflichtet sein, diese ausgeweitete Hebammenhilfe ihrem Präventionsauftrag entsprechend zu bezahlen!
In den Köpfen der Bevölkerung muss als Normalstandard verankert werden, dass es zum „guten Ton” gehört, im ersten Jahr mit dem Baby von einer Hebamme begleitet zu werden. Und zwar von einer Hebamme der eigenen Wahl und nicht von einer durch Jugendämter oder deren Erfüllungsgehilfen zugeteilten Familienhebamme!
Bitte treten Sie auf den Plan, um konstruktive Forderungen an die Politik heranzutragen. Lesen Sie die change.org-Petition „5 Forderungen an die Politik” auf meiner Internetseite www.hebamme-bp.de. Auch das europäische Umland beobachtet, was mit unserem Beruf geschieht. Im Rahmen der europäischen Angleichung setzen die deutschen Hebammenstrukturen Maßstäbe!
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