
Jana Crämer leidet an der „Binge-Eating-Störung": Ihr bester Freund, der Musiker Batomae, hilft ihr mit seinen Songs, ihren Körper so anzunehmen, wie er ist. Foto: © Ben Wolf
Die vielen Risse und tiefen Furchen in meiner Haut kommen nicht von einer Schwangerschaft, wie man vermuten könnte, sondern durch meine Essstörung. Seit meiner Jugend leide ich am sogenannten „Binge Eating”. Binge bedeutet „Gelage”. Wer diese Krankheit hat, muss mit unkontrollierten Fressanfällen leben. Bei mir hat alles mit einer Diät angefangen. Mit einer harmlosen Diät, um ein paar Kilos loszuwerden. Aber Diäten sind der perfekte Einstieg in eine Essstörung. Und wenn ich mich heute unzureichend oder überfordert fühle, bestrafe ich mich mit Essen. Mit sehr viel Essen. Bis zu 10.000 Kilokalorien können es pro Fress-Flash schon mal werden. Mein ganzer Körper ist von dem vielen Ab- und Zunehmen grauenvoll gezeichnet.
Meine quälendsten Gedanken habe ich mir von der Seele geschrieben, um sie meinem besten Freund anzuvertrauen. Denn in den schlimmsten Phasen, wenn mein Hass auf mich grenzenlos zu sein scheint, bin ich unausstehlich und die Menschen, die ich am meisten liebe, bekommen es dann leider ungerechterweise am meisten ab. Ich wollte ihn durch meine Aufzeichnungen einen Blick in meine Seele werfen lassen, damit er versteht, warum ich bin, wie ich bin. Mein bester Freund ist Musiker und hat mir mit einer Sprache geantwortet, die mich wirklich erreicht, denn wo Worte enden, beginnt die Musik. Batomae hat mir einen Song geschrieben: „Unvergleichlich” heißt seine Hymne an die Fehler, an die kleinen und großen Makel, die wir wohl alle an unserem Körper finden, wenn wir nur lange genug nach ihnen suchen. Unser Musikvideo, in dem ich meinen entstellten Körper und meine Krankheit schonungslos ehrlich zeige, hat bei YouTube inzwischen eine Viertelmillion Menschen erreicht. Die meisten reagieren mit kullernden Tränen, weil sie den quälenden Drang, sich ständig vergleichen zu müssen, selbst nur allzu gut kennen.
Ich kann mir vorstellen, dass viele „Ihrer” werdenden Mütter Unsicherheit verspüren, wenn sie die Veränderungen ihres Körpers während der Schwangerschaft beobachten. „Bin ich fett geworden?” Oder: „Ich habe viel mehr zugenommen als meine Bekannte in ihrer Schwangerschaft”, sind vielleicht Gedanken, die Schwangere schon mit Ihnen geteilt haben.
Bitte bestärken Sie sie darin, dass sie wunderschön und unvergleichlich sind. Sie tragen ein ungeborenes Leben im Bauch, ist das nicht der wundervollste Grund, sich zu verändern? Batomae hat mich tief bewegt mit den Zeilen „Könntest du durch meine Augen seh’n, würdest du wie ich auch zu dir steh’n. Jeden deiner Fehler lieben. Jedes Detail an dir ist heilig, denn genauso wie du bist, bist du unvergleichlich”. Ich wünsche mir, dass sich Mütter mit allem auseinandersetzen, aber bitte, bitte nicht mit den vorübergehenden Makeln an ihrem Körper. Ich hoffe, dass sie sich Zeit geben, dass sie ihrem Körper Zeit geben und um Himmels Willen keine Crash-Diäten starten. Ihr Kind wird sie lieben und wird ihnen für jedes Lächeln und jede kuschlige Umarmung danken. Kinder brauchen Mütter, die ihnen vorleben, was es bedeutet, genussvoll zu essen und gutes Essen wirklich zu genießen, statt es als reine Nahrungsaufnahme, als Belohnung oder gar Strafe zu sehen.
Mit unseren Konzert-Lesungen über Musik, Freundschaft und das Ankommen bei sich selbst sind wir neben unserer Tour auch in Schulen in ganz Deutschland zu Gast. Ich bin tief schockiert, dass schon fast jedes fünfte Kind erste Symptome einer Essstörung zeigt. Bitte unterstützen Sie Ihre werdenden Mütter darin, ein gesundes und selbstbewusstes Vorbild zu sein. Die Gesellschaft und die von den Medien aufgezwungenen Ideale sind schon hart genug, da ist es doch wundervoll etwas „weicher” zu sein.
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