
Prof. Dr. Detlev Ganten ist Facharzt für Pharmakologie und Molekulare Medizin. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Foto: privat
In das deutsche Gesundheitssystem fließt viel Geld. 2015 wurden in Deutschland 11,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Leistungen und Güter des Gesundheitswesens aufgewendet – im OECD-Durchschnitt lag diese Quote bei 9 Prozent. Das deutsche System wird zwar zu Recht gelobt, aber die Qualität der Versorgung ist in anderen Ländern zum Teil trotz geringerer Aufwendungen sogar besser: Von 32 OECD-Ländern lag Deutschland zum Beispiel bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2013 auf Platz 25. Hinzu kommt, dass die Fallzahlen bei bestimmten Indikationen in Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch sind und weiter steigen.
Das waren die Ausgangspunkte für das Papier „Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem“, das im vergangenen Herbst in der Reihe „Leopoldina Diskussion“ erschienen ist (siehe Link). Die interdisziplinäre sechsköpfige Autorengruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle weist auf ein strukturelles Problem hin: Zu viele Krankenhäuser mit zu vielen Betten konkurrieren um PatientInnen und finanzielle Mittel. 2014 verfügte Deutschland über 58 Prozent mehr Betten für die akute Versorgung als der Durchschnitt der EU-15-Länder. Viele kleine Krankenhäuser können aber moderne, hochkomplizierte Interventionen nicht mit der nötigen Ausstattung und Erfahrung durchführen. Ein weiteres strukturelles Problem betrifft die Unterfinanzierung von Krankenhäusern im Bereich von Investitionen. Dies begünstigt die zweckentfremdete Nutzung von DRG-Erlösen zur Existenzsicherung einzelner Häuser. Ausgehend von diesen Befunden stellen die AutorInnen die folgenden Thesen zur Diskussion:
Ökonomisches Handeln im Gesundheitssystem ist geboten – aber ausschließlich zum Wohl des einzelnen Patienten und der Gesellschaft. Die finanziellen Ressourcen, die die Gesellschaft für das Gesundheitssystem einsetzen kann, sind begrenzt. Es ist daher ethisch geboten, das Gesundheitssystem wirtschaftlich, effektiv und effizient zu gestalten. Die Ökonomie hat dabei die Aufgabe, die Ziele der Medizin bei begrenzten Ressourcen zu erreichen. Damit dient die Ökonomie den Zielen der Medizin – nicht umgekehrt.
Mehr Geld macht ein System nicht automatisch leistungsfähiger. Wenn das eigentliche Problem ein strukturelles ist, würde das System durch mehr Geld nicht leistungsfähiger werden, eventuell würden sogar ineffiziente Strukturen subventioniert. Die zusätzlichen finanziellen Ressourcen müssten entweder zusätzlich erwirtschaftet werden oder sie würden in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen fehlen.
Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt. Eine entsprechende Reduktion der Krankenhäuser – vor allem in Ballungsräumen – und die Aufstockung des medizinischen Personals, aber auch eine verbesserte, effizientere Infrastruktur in den verbleibenden Häusern würden zu adäquateren Patienten-Pflegepersonal-Zahlen und mehr Qualität führen.
Wettbewerb hat Grenzen. Dies gilt insbesondere für ländliche und strukturschwache Regionen.
Die Gesundheitsversorgung braucht klare und verlässliche politische Rahmensetzungen, innerhalb derer ein Qualitätswettbewerb stattfinden kann. Politische Zurückhaltung bei der Gestaltung des Krankenhauswesens in Deutschland führt dazu, dass die Probleme über die DRG-basierte Finanzierung auf die praktische Arbeitsebene nach unten „durchgereicht“ werden mit den bekannten Folgen: Die Fallzahlen steigen, eventuell ohne medizinische Gründe, die Arbeit verdichtet sich, die MitarbeiterInnen sind unzufrieden, es mangelt an Personal, zu geringen Investitionen stehen gesamtwirtschaftlich hohe Kosten gegenüber, ohne dass ein entsprechender gesundheitlicher Nutzen generiert würde.
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