Dr. Ernst Girth mit Enkeltochter. Er ist Kardiologe und langjähriger leitender Arzt eines Herzkatheter- Labors in einer großen städtischen Klinik. 2014 erschien sein Buch „So schützen Sie Ihr Herz – Wege zu einer menschlichen Kardiologie“. Foto: privat

In meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich wenige, aber immer erfreuliche Begegnungen mit Hebammen. Zuletzt waren es die Erfahrungen meiner drei Töchter mit Hebammen. „Sehr hilfreich, empathisch, ruhig und souverän“, aber auch „27 angefragt und eine Zusage bekommen, ein halbes Jahr vor der Geburt“. Also ein schöner Beruf. Und ein Mangelberuf. Da sollte man meinen, umhegt und umsorgt von KlinikmanagerInnen und LokalpolitikerInnen. Eine repräsentative Umfrage des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) von 2015 zeigt aber ein ganz anderes, ein erschreckendes Bild: Unterbesetzung, fehlende Pausen, Überstunden und Mehrarbeit, extrem häufige Begleitung mehrerer Geburten gleichzeitig. Ein hoher Grad an Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation also, und – passend dazu – der Wunsch nach einer Verbesserung des Personalschlüssels, weit vor dem nach einer höheren Vergütung. Eine Situation vergleichbar derjenigen der Krankenschwestern, insbesondere auf den Intensivstationen.

Wie konnte es zu einer solchen Situation kommen und war das nicht voraussehbar für das Krankenhausmanagement und die Politik? Doch, das war es, aber die Prioritäten waren andere. Schon seit den 1970er Jahren wurde mit dem – wissenschaftlich unhaltbaren – Slogan von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen und zahlreichen Kosteneinsparungsgesetzen begonnen, die Kliniken krank zu schrumpfen. Selbst in städtischen Häusern und konfessionellen Kliniken wurden Verwaltungsdirektoren durch Manager ersetzt, die mit „modernen“ Wirtschaftsmethoden daran gingen, den Unterschied zwischen einer Wurstfabrik und einem Krankenhaus vergessen zu machen. Da wurden „teure“ Notarztwagen nicht mehr selbst vorgehalten, ohne bedacht zu haben, dass diese auch PatientInnen in die eigene Klinik bringen. Da wurden Schwesternschulen gestrichen, die dringend notwendig für den Nachwuchs an Pflegekräften waren. Da überbot man sich mit der Renovierung von Geburtsstationen mit viel Holz und warmen Farben, weil das billiger war als in qualifiziertes Personal zu investieren. Heute muss das Geld gemacht werden, morgen sehen wir weiter. Jetzt, wo der „Markt“ leergefegt ist von Hebammen und Krankenschwestern, versucht man mit Prämien und Zulagen die alten Fehler zu korrigieren. Und ich bin sicher, die dynamischen Manager, die ein Vielfaches von dem Gehalt ihrer beamteten Vorgänger verdienen, reiben sich die Augen, wenn sie lesen, dass die Hebammen viel lieber als Geld anständige sowie Mutter und Kind gerecht werdende Arbeitsbedingungen haben wollen.

Die gleichen Manager wären zwar sicher dabei, wenn man eine Geburt bei den DRGs besser vergüten würde, und zweifellos wäre das auch die richtige Entscheidung. Aber wer garantiert, dass dieses Geld in die richtigen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor Ort, vor allem in eine Anhebung des Personalschlüssels für Hebammen führt? Das können nur die Hebammen selbst tun. Aber wie?

Nur zwei Prozent der Klinik-Hebammen sind gewerkschaftlich organisiert. Über so viel freiwillige Zurückhaltung freut sich natürlich jeder Arbeitgeber. Da gibt man gerne mal eine Prämie als Almosen bei der Einstellung.

Der Ansatz für wirklich tiefgreifende Reformen liegt aber in einer gewerkschaftlichen Organisation. Vor allem die Gewerkschaften können im politischen Bereich für eine Stärkung der Positionen werben, die auch in der Gesellschaft zunehmend vermittelbar sind: Dass die Arbeit im Krankenhaus zuallererst wieder menschlich und nicht am Profit orientiert sein muss. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Beruf, Weiterbildung und Familie schon schwer genug vereinbar sind. Aber Gewerkschaften sind nicht entstanden, als ArbeitnehmerInnen viel Freizeit hatten. Im Gegenteil. Und: Gewerkschaftliche Arbeit wird umso leichter – und effektiver – je mehr mitmachen.

Zitiervorlage
Girth E: Ein Krankenhaus ist keine Wurstfabrik. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (5): 1

Jetzt weiterlesen mit DHZ+

dhz-badge 1,- Euro für 4 Wochen

  • freier Zugriff auf alle DHZ+-Artikel auf staudeverlag.de/dhz
  • inkl. aller ePaper-Ausgaben der DHZ und der Elterninfos
  • Zugriff auf das DHZ-Archiv auf dhz.de
  • jederzeit kündbar