Illustration: © Melanie Garanin

Kürzlich meldete sich ein werdender Vater bei mir. Er hatte meine Nummer von einer Beratungsstelle für Frauen mit sexueller Gewalterfahrung in der Kindheit bekommen. Seine hochschwangere Frau war Betroffene und fürchtete sich so sehr vor der Geburt, dass sie bereit war, für meine Unterstützung 100 Kilometer weit zu fahren.

Als wir uns zum ersten Mal trafen, war ich dennoch überrascht. Noch nie hatte ich eine schwangere Frau erlebt, die so unglücklich war und im wahrsten Sinne des Wortes zitterte vor Angst. Was musste sie für eine Kraft aufgewendet haben, zu mir in die Praxis zu kommen?! Ich verhielt mich möglichst sanft und zurückhaltend, damit sie sich langsam mit der Situation und mit mir vertraut machen konnte.

Schließlich erzählte sie, dass ihre größte Angst sei, über den Missbrauch sprechen zu müssen. Das war gar nicht nötig. Wir besprachen stattdessen, welche Trigger sie während der Geburt vermeiden und wie sie sich selbst helfen und stabilisieren könne. Es zeigte sich, dass sie schon einiges getan hatte, um sich zu schützen. Sie hatte sich in der Klinik ihrer Wahl für eine hebammengeleitete Geburt angemeldet und darum gebeten, nicht von männlichen Ärzten betreut zu werden, was auch möglich war. Sie wollte dem Kind zuliebe unbedingt eine natürliche Geburt. Zugleich erlebte ich sie aber als so extrem instabil, dass ich besorgt war, ob sie eine vaginale Geburt ohne Retraumatisierung überstehen würde.

Ich erfragte weitere Ressourcen, gab kleine Übungen zur Stabilisierung an die Hand und sprach mit den beiden über mögliche Stolpersteine während der Geburt. Wir redeten über Möglichkeiten, mit Geburtsschmerz und Kontrollverlust umzugehen, über Schmerzmittel und nicht zuletzt über einen Kaiserschnitt als mögliches »Notfalltürchen«. Dieses Notfalltürchen war mehrmals Thema und schien beide sehr zu beruhigen. Wir trafen uns dreimal, dazwischen übte das Paar, was ich ihnen angeboten hatte. Eine Aufgabe war, sich zum letzten Termin eine Affirmation zu überlegen, die die Frau durch die Geburt begleiten würde. Sie brachte eine wunderschöne selbst gestaltete Karte mit. Darauf stand der Satz: »Ich will Lukas’ Füße küssen.«

Eine Woche später bekam ich eine SMS: Lukas war geboren. Er hatte sich in Steißlage gedreht, die primäre Sectio hatten beide gut überstanden und die Familie genoss jetzt das Wochenbett. Ich atmete auf. Ich dachte, dass ihr Körper und das Kind sie mit dieser Entwicklung vielleicht beschützt hatten. Und dass sie jetzt hoffentlich einfach glücklich und entspannt Lukas’ Füßchen küssen und ein wenig heil werden konnte.

Zitiervorlage
Franke T. (2021). Wenn die Steißlage ein Segen ist. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (11), 128.

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