Prof. Dr. Sylvia Sänger leitet den Masterstudiengang Medizinpädagogik an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit den Themen PatientInneninformation und Arzt-PatientInnen-Kommunikation.
Qualitätsmanagement ist ohne Datenerhebung und -auswertung nicht machbar. Weiß ich doch! Der aufgeklärte und autonome Patient muss der Erfassung seiner Daten zustimmen. Klar, weiß ich auch! Keine Entscheidung über mich ohne mich – wie oft habe ich diesen Satz in meine Vorträge eingebaut. Soweit zur Theorie, bis ich selbst durch einen Unfall zur Akutpatientin wurde.
Seitdem kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass die Patientenautonomie etwas leidet, wenn man als Häufchen Unglück mit zertrümmertem Arm in der Notaufnahme sitzt. Meine Gedanken – hatte ich überhaupt welche? – konnten den Erläuterungen des Arztes nicht folgen. Seine Stimmlage war beruhigend und irgendwie nett, das hat mir in dem Moment völlig gereicht. Ich hörte den Arzt entfernt in meine Richtung laut darüber nachdenken, ob ein Nagel oder eher eine Platte in Frage käme. War mir scheißegal in dem Moment. Mein einziger Wunsch an den Arzt: Mach, dass diese Schmerzen aufhören! Hat er gemacht. Mit Schmerzmitteln versehen, wurde ich ins Klinikbett gepackt, um der erforderlichen Operation entgegen zu sehen. Ich wusste schon, was dann abläuft: Aufklärung, Einverständniserklärungen, das ganze Programm. Kenne ich ja, dachte ich.
Die Anästhesistin hatte mich gerade beruhigt und ich glaubte jetzt fest daran, dass ich wieder aufwachen würde … Da kam eine Dokumentarin deutlich hörbar auf Holzschlappen ins Zimmer: „Ick muss Ihnen noch’n paar Fragen stellen“, sprach’s und hielt mir den Behandlungsvertrag unter die Nase. Ich könnte nicht behaupten, dass ich für das Studium eines Vertrages in dem Moment einen freien Kopf gehabt hätte. Mittlerweile waren mehrere Stunden vergangen und die Schmerzen nahmen mir bei jeder kleinen Bewegung förmlich den Atem. „Okay, dann frag’ halt“, dachte ich. Ob denn das Klinikum Restmaterial meines Körpers für wissenschaftliche Zwecke verwenden dürfe? Wie bitte?! Ach so, alles, was nach diagnostischen Tests so übrig bleibt. Ich übereignete großzügig mit einem Kreuzchen auf dem Formular mein „Restmaterial“ dem Hause.
Es kam noch besser! Fragen Sie mal jemanden mit starken Schmerzen, der nicht ganz angstfrei auf eine Operation wartet, ob der im Falle seines Ablebens während des Aufenthaltes im Krankenhaus einer klinischen Sektion zustimmt. Meine Augen nahmen Tellergröße an und die Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Das muss der Dokumentarin wohl aufgefallen sein. Sie schob mit der Zunge den Kaugummi auf die andere Mundseite, wippte mit dem Fuß und erklärte mir: „Ick muss det fragen. Det is wegen dem QM.“ In Ordnung. Macht, was ihr wollt, dachte ich. Bloß lasst mich wieder aufwachen! Wir taten dem Berliner Sektionsgesetz Genüge und machten das Kreuzchen bei „Ja“.
Nun hatte ich das überstanden. Denkste! Ob ich denn im Falle einer Krebserkrankung der Datenübermittlung an das hiesige Krebsregister zustimme. Wieso Krebserkrankung? Ich hatte einen kaputten Arm. „Och, det macht nix“, beruhigte mich die Dokumentarin. „Wir finden auch bei anderen Operationen immer mal wieder zufällig Tumoren.“ Ja dann! Stift her, ich unterschrieb jetzt alles. Hauptsache, ich komme hinterher wieder zum Nachdenken. Ich wurde in den Vorbereitungsraum zu den Operationssälen geschoben. Die Anästhesistin lächelte mir über ihrer Maske mit den Augen zu und strich mir beruhigend über die Wange. Das tat gut! Ich wurde nun doch langsam ruhig.
Während dieser Zeit habe ich viel gelernt. Meine wichtigste Lektion: Ein Patient ist eben doch auch ein Leidender. Da helfen Beteiligungsangebote manchmal nicht. Auch nicht „wegen dem QM“.
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