Prof. Dr. Sabine M. Dörpinghaus, Leiterin des Studiengangs für Hebammenkunde an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln Foto: © Marion Koell

Durch eine wissenschaftstheoretische Brille gesehen, kommt es seit einiger Zeit in der Geburtshilfe zu einer gravierenden Fehlentwicklung: Die formalen Methoden der Naturwissenschaften dokumentieren gegenwärtig – bis hinein ins MRT – ein eigenwilliges Verständnis von Geburtshilfe. Sie lassen das Lebendige nicht zu. Der Kern vieler Diskussionen geht jetzt größtenteils darum, sich bestimmte geburtshilfliche Maßnahmen anzuschauen, um diese zu korrigieren oder zu optimieren. Auch in der Praxis geschieht dies gern, was häufig zu zermürbenden Diskussionen und verhärteten Positionen führt. Schlüssiger wäre es, das theoretische Fundament dieser Grundhaltung und damit das Menschenbild in Frage zu stellen, das hier auf einem reduktionistischen Körpermodell basiert.

Parallel wird in Fachkreisen eine Reihe von besorgniserregenden Vorgängen mantramäßig ausgerufen: die zunehmende Technisierung, Medikalisierung, Defizitorientierung, Interventionsflut und die zwingend notwendig gewordene Expertensicht. Was aber neben diesen in der Tat beklagenswerten Vorgängen fehlt, ist das Verständnis dafür, was eine Hebamme ist und leistet.

Mit der Verwendung von Wörtern wie „Spüren” oder „Spürqualitäten” handelt man sich im wissenschaftlichen Kontext meist Verwunderung ein: Denn die natur- und technikwissenschaftliche Perspektive sagt in der Regel wenig zum menschlichen Sein.

Was bedeutet es, wenn eine Hebamme eine Frau begleitet? Was unterscheidet sie von den messtechnischen Apparaten? Das entscheidende Merkmal ist doch, dass sie beim Betreten des Gebärraums nicht nur diejenige ist, die das CTG bedient und die aufgezeichnete Herztonkurve kritisch analysiert. Sondern sie ist in der Lage, eine Beziehung einzugehen. Von ihrem Selbstverständnis her betritt eine Hebamme als rationales, sinnlich-körperliches und eben auch leibliches Wesen den Gebärraum.

Diese Perspektive taucht in einem naturwissenschaftlichen Denkstil nicht auf. Vielmehr wird die Geburt durch den zergliedernd-technischen Zugang ihrer Natur beraubt und zu einer Verfügungsmasse von ExpertInnen. Hinterfragen wir diesen Zugang nicht kritisch, kommt es in Folge zu der beklagenswerten Mechanisierung der Gebärenden. Die werdende Mutter wird zu einer Art Gebärobjekt und die Hebamme zur Geburtsmechanikerin. Das leibliche Subjekt in seiner Einmaligkeit verschwindet. Vor dem Postulat der Objektivierbarkeit entwickelt sich die Geburtsmedizin zu einer angewandt leiblosen Körperwissenschaft. Denn die Trennung von Subjekt und Objekt, harten und weichen Daten nimmt die Abwertung der Lebenswelt der Schwangeren beziehungsweise Gebärenden in Kauf, in der sie spürt, empfindet, lebt und handelt. Das ist die subjektive Sicht, die diesem Lebensabschnitt eine besondere Bedeutung gibt.

Dass es sich um sie selbst handelt, spürt die Schwangere doch gerade jetzt im leiblichen Befinden. Diesen Aspekt zu negieren, entmenschlicht sie. Wenn die Tätigkeit einer Hebamme nun als Beziehungsarbeit verstanden wird, so betrifft dieses Spüren auch die Hebamme selbst: Sie erlebt im Geburtsgeschehen vielsagende Eindrücke in mannigfaltiger Weise. Um den derzeitigen Bestrebungen etwas entgegenzusetzen, müsste aus meiner Sicht die Grundsatzfrage lauten: Was heißt es für die Hebamme, auf menschliche Weise lebendig zu sein? Wenn Hebammen den ihnen anvertrauten Frauen vermitteln, dass sie in Schwangerschaft und Geburt sowie in ihre eigene Gebärfähigkeit Vertrauen haben dürfen, so sollten sie auch das Getragensein durch ihre eigene Leiblichkeit nicht weiter verschweigen.

Zitiervorlage
Dörpinghaus S: Wird die Hebamme zur Geburtsmechanikerin? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (9): 1

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