Illustration: © Melanie Garanin

Obwohl ich es ungern zugebe: Ich bin verwirrt. Aber da waren auch einfach einige Irritationen in Serie, die mich durcheinandergebracht haben.

Schon lange gab es immer mal wieder die Frage in der Sprechstunde: »Sag mal, gibt es auch männliche Hebammen?« Und was sagt man dann, außer: »Ja, es gibt welche, und die heißen Entbindungspfleger, während sie in Frankreich wie die Frauen ‚sage-femme‘ heißen dürfen …«

Danach kam die Beschäftigung mit dem Feminismus und der Diskriminierung von Frauen, mit den Frauenrechten und der Ungleichheit im Job. Und da habe ich mich vehement eingesetzt für das Erweitern des beschränkten gesellschaftlichen Horizonts, für Diversität und dafür, dass gerade Hebammen Frauen »empowern«.

Und dann ging es Schlag auf Schlag: Mein öffentlich-rechtliches Fernsehen servierte mir einen freundlichen, offenen, blonden und Bayrisch sprechenden Vierziger namens Toni, einen, den man sich sofort als besten Freund vorstellen könnte oder eben – als Hebamme. Damit nicht genug, stellte der Zweiteiler auch sonstige vermeintliche Wahrheiten auf den Kopf und kam zu einem fulminanten Schluss, bei dem die Gynäkologin mit Toni, der erfahrenen Hebamme, einträchtig eine türkisch-deutsche Hausgeburt zum glücklichen Ende begleitet.

Wenig später präsentierte mir meine Fachzeitschrift im monatlichen »Rundruf« dann Thomas – und Sie ahnen es schon: Thomas, männlich, Hebamme! Ich besuche Thomas Homepage und verliebe mich: Sehr achtsam gewählte Formulierungen, gute Fotos. Er macht alles, was ich auch mache, und es scheint, dass er es genauso gerne und gut macht.

Jetzt berichtet meine Freundin, Leiterin einer Hebammenschule, von der ersten Bewerbung eines Mannes. Die Diskussion über gebärfreudige Hebammen und damit vakante Stellen endet in der Erkenntnis, dass der Vorteil von Männern in diesem Punkt nicht von der Hand zu weisen ist. Es wird wohl Zeit, mich mit meinen ganz tiefen Prägungen auseinanderzusetzen!

Vor wenigen Tagen öffne ich den Newsletter meines Verbandes – und da heißt es: »Hebammen werden zukünftig einfach Hebammen sein, egal, welchem Geschlecht sie angehören.« Jetzt merke ich, wie sehr mich das freut und dass sich das Irritierende so gleich ein bisschen vertrauter anfühlt.

Zitiervorlage
Steinmann J: Toni, männlich, Hebamme. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (6): 128

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