
»Anstatt von Nicht-Intervention zu sprechen, ist es wichtig, Worte zu finden für die spezifische Hebammentätigkeit des Abwartens, Begleitens, Beobachtens.« Foto: © Noel Matoff
Eine Eins-zu-Eins-Betreuung ist die Voraussetzung dafür, dass die Hebamme kundig abwarten kann, ob der Geburtsverlauf physiologisch bleibt oder ob Interventionen nötig werden. Dabei fordert das vermeintliche Nichtstun der Hebamme viel ab: Mit allen Sinnen bei der Frau zu sein, Wissen und Erfahrung bei jeder Geburt individuell einzubringen, wird als spezifische Hebammenkunst bisher zu wenig gewürdigt.
Wer Frauen unter der Geburt begleitet, kennt den speziellen Zustand, in dem die Hebamme sich befindet: Die Hebamme ist voll präsent im Moment, erspürt die Bedürfnisse der Frau, nimmt mit allen Sinnen wahr, was geschieht. Sie schwingt mit der Geburt mit, beobachtet die Gebärende genauestens, bestärkt und ermutigt sie bei Bedarf. Die Hebamme ist da. In vielen dieser Stunden der Begleitung tut die Hebamme von außen gesehen »nichts«. Sie sitzt bei der Gebärenden, bestärkt sie, beobachtet die Situation und bestätigt – häufig rein durch ihre Präsenz – die Normalität des Verlaufs. In der Masterthesis »Abwarten als aktive Hebammenkunst« wird aufgezeigt, dass dieses »Nichtstun« Kern der Hebammenarbeit ist (Keller, 2018). »Abwarten« wird dabei nicht in seiner negativ konnotierten Bedeutung verstanden, sondern in seinem alten Sinne als »pflegen« und »in Sorge nehmen« (Grimm & Grimm, 1854). So verstanden, ist das Abwarten eine aktive Tätigkeit. In der Literatur und Forschung wird dieses Abwarten, dieses Nichtstun bezeichnet als »gekonnte Nichtintervention« (Duden, 1998), »masterly inactivity« (Tew, 1998; Mai, 2014), »being with woman« (Fahy, 1998; Hunter, 2002), »watchful attendance« (de Jonge et al., 2021), »watchful waiting« (Carlson & Lowe, 2014), »begleiten« (Dörpinghaus, 2013), »the art of doing ›nothing‹ well« (Kennedy, 2000) oder auch «presence« (Kennedy et al., 2010).
Wie berichten Hebammen von ihrem »Nichtstun«? In der genannten Masterarbeit wurden Hebammen befragt, wie sie den Zustand des Abwartens erleben. Ziel war es, das Phänomen des Abwartens aus Sicht der Hebammen zu beschreiben. Als Resultat wurden sechs Aspekte entwickelt, die es genauer beschreiben. Diese sind:
- kontinuierliche Präsenz oder Anwesenheit
- genügend Zeit und ein geschützter Raum
- Vertrauen in die physiologische Geburt
- Intuition und Beobachtung
- in Beziehung mit der Gebärenden und dem Kind
- situationsgemäßes, aktives Abwarten (Keller, 2018).
Auf die Aspekte »genügend Zeit und ein geschützter Raum« sowie »kontinuierliche Präsenz oder Anwesenheit« wird im Folgenden genauer eingegangen.
Zeit, Wissen, Erfahrung und ebenbürtige Beziehung
Die Hebammen in der Untersuchung berichten davon, dass sie genügend Zeit brauchen, um Frauen abwartend begleiten zu können. Sie beschreiben, dass Zeit in der Klinik häufig der limitierende Faktor ist, um Frauen abwartend zu begleiten. Dazu ein Zitat einer Hebamme aus der Masterthesis (Keller, 2018): »Also ich denke, wir tun viel beobachten. Oder? Ich tu viel beobachten. Wahrscheinlich wir Hebammen allgemein. Wenn wir nicht … wir haben zum Glück mehr Zeit als wenn wir im Spital arbeiten würden, dann müssen wir nicht so viel handeln [lacht]. Nicht so viel Infusionen und Antibiotika und so. Ja. Dann hat man viel Zeit zum Beobachten.« (E 119–122)
Die befragten Hebammen arbeiten bewusst im außerklinischen Setting, um nicht dem Zeitdruck in den Kliniken unterworfen zu sein. In den Kliniken fehlt den Hebammen oft die Zeit, um Gebärende über einen längeren Zeitraum zu beobachten, um kontinuierlich da zu sein.
Wenn genügend Zeit ist und die Hebamme während einer Geburtsbegleitung nicht noch andere Frauen betreuen muss, kann sie kontinuierlich anwesend sein bei der Frau. Diese kontinuierliche Präsenz während der Geburt entspricht einer Eins-zu-eins-Betreuung der gebärenden Frau. Die befragten Hebammen erklärten alle, dass die Eins-zu-eins-Betreuung grundlegend wichtig sei, um Frauen abwartend begleiten zu können (Keller, 2018).
Durch die Forschung ist belegt, dass die Eins-zu-eins Betreuung während der Geburt viele Vorteile bringt. Diese sind: eine höhere Rate an Spontangeburten, weniger Kaiserschnitte und vaginal-operative Geburten, weniger Schmerzmittelgebrauch, größere Zufriedenheit, eine verkürzte Geburtsdauer und weniger Kinder mit einem tiefen Fünf-Minuten-Apgar-Wert. Es wurden keine negativen Auswirkungen einer kontinuierlichen Eins-zu-eins Betreuung gefunden (Bohren et al., 2017).
Aber was macht genau die Eins-zu-eins-Betreuung aus? Ist es ein reines Zahlenverhältnis von einer Hebamme zu einer Gebärenden? Welche Aspekte der Eins-zu-eins-Betreuung machen sie erfolgreich? Diesen Fragen gingen die Hebamme Georgina A. Sosa und ihre Kolleginnen der medizinischen Fakultät der Universität von East Anglia in England in einer ethnografischen Studie nach (Sosa et al. 2018). Sie beobachteten 30 außerklinische Geburten und führten später im Wochenbett Interviews mit den 30 beteiligten Hebammen und mit 29 Eltern, zusätzlich wurden 27 Geburtsdokumentationen analysiert.
Ziel der Studie war es, die Eins-zu-eins-Betreuung im außerklinischen Setting zu explorieren. Die Daten wurden mit Hilfe der thematischen Analyse nach Braun & Clarke analysiert (Braun & Clarke, 2006). Mittels symbolischem Interaktionismus wurde die Bedeutung der Interaktionen, Beziehungen, Situationen und Geburtsumgebung interpretiert (Blumer, 1986; Goffman, 2016). Als Resultat wurden sechs Komponenten der Eins-zu-eins-Betreuung identifiziert. Diese sind: Präsenz, Beziehung zwischen Hebamme und Frau, Coping-Strategien, Geburtsfortschritt, Begleitpersonen und Unterstützung der Hebamme.
Die Hebammen versuchen, während der Geburt diese sechs Komponenten in der Balance zu halten. Zum Beispiel wägen sie jeweils ab, ob und wie viel und in welcher Art ihre Präsenz in der momentanen Situation erwünscht ist. Weiter betonen die Hebammen und Frauen die Wichtigkeit einer ebenbürtigen Beziehung zwischen ihnen. Eine Beziehung auf Augenhöhe, in der die Expertise der Hebamme und diejenige der Frau von beiden Seiten anerkannt wird. Wie die Frau mit dem Geburtsschmerz umgeht und wie die Geburt vorangeht, sind weitere Faktoren, welche die Hebammen beobachten.
Zum Beispiel bestätigen die Hebammen der Frau ganz häufig während der Geburt, dass alles normal verläuft, dass die Frau es so gut macht, dass sie weiteratmen soll und so weiter. Zusätzlich behalten die Hebammen den Geburtsfortschritt im Auge. Solange sich dieser im normalen Rahmen bewegt, unterstützen die Hebammen die Frau darin, den intuitiven Impulsen ihres Körpers zu folgen.
Falls die Geburt nicht voranschreitet, werden die Hebammen aktiver und empfehlen der Frau zum Beispiel, die Position zu wechseln, sich zu bewegen, zu essen und zu trinken. Diese ersten Maßnahmen sind Versuche der Hebammen, das Gleichgewicht wieder herzustellen, bevor weitere medizinische Maßnahmen getroffen werden müssen.
Die Hebammen kümmern sich auch um die Begleitpersonen der Gebärenden, motivieren diese zum Beispiel, die Gebärende zu unterstützen. Die letzte Komponente, die Unterstützung der Hebamme, bezieht sich darauf, dass die Hebamme selbst bei Bedarf eine rasche Möglichkeit haben sollte, sich mit anderen Hebammen auszutauschen.
So wird aufgezeigt, dass die Eins-zu-eins-Betreuung mehr ist als ein reines Zahlen-Verhältnis. Gelingende Eins-zu-eins-Betreuung ist ein Gleichgewicht zwischen diesen sechs Komponenten. Die Hebamme nutzt ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Intuition, um die sechs Komponenten in der Balance zu halten: »midwifery one-to-one support is more than a ratio, it’s a balance« (Sosa et al., 2018, S. 238).
Mit der Frau sein
Die Resultate von Georgina A. Sosa und ihrem Team ähneln den sechs Aspekten, die in der Masterthesis über aktives Abwarten definiert wurden. Es zeigt sich klar, dass eine erfolgreiche Eins-zu-eins-Betreuung mehr beinhaltet als die reine Anwesenheit der Hebamme.
Die sechs Komponenten von Georgina A. Sosa und die sechs Aspekte von Selina Keller können auch unter das Konzept des »being with woman« subsumiert werden, auf Deutsch: mit der Frau sein. Das Konzept des «being with woman« wurde erstmals in einem Artikel der Hebammenprofessorin Kathleen Fahy der Universität Southern Queensland in Australien so benannt und als wichtiges philosophisches Konzept der Hebammenarbeit beschrieben (Fahy, 1998): »Being with« anstatt »doing to woman« – etwas für die Frau tun.
»Being with woman« wird definiert als emotionale, physische, spirituelle und psychologische Präsenz und Unterstützung durch die Betreuungsperson, so wie es von der Gebärenden gewünscht wird (Hunter, 2002). Die Eins-zu-eins-Betreuung ist dabei Voraussetzung, um unter der Geburt in diesem Sinne mit der Frau sein zu können. Diese Gedanken einer frauenzentrierten, bedürfnisorientierten Begleitung wurden auch von früheren Autor:innen geschildert, wie von Ina May Gaskin oder Sheila Kitzinger; jedoch noch nicht unter dem Begriff des »being with woman«.
Um das Phänomen des »being with woman« besser zu verstehen, hat Zoe Bradfield, Hebamme an der Curtin Universität in Australien, in einer phänomenologischen Studie 31 Hebammen aus verschiedenen Settings in Australien dazu befragt (Bradfield, 2019). Zur Datenanalyse wurde Giorgi’s phänomenologischer Vier-Stufen Ansatz angewandt (Giorgi, 1997). Als Resultat wurden drei Themen und zehn Unterthemen vorgestellt, die das Phänomen »being with woman« beschreiben. Die drei übergeordneten Themen sind:
- essential to professional identity: essenziell für die professionelle Identität
- partnership: Partnerschaft
- woman-centred care: frauenzentrierte Betreuung.
Das Konzept »being with woman« wird von den Hebammen als Zentrum ihres professionellen Handelns beschrieben. Dies deckt sich mit der Erkenntnis, dass das Abwarten Kern der Hebammentätigkeit ist (Keller, 2018). Im Abwarten als aktives, präsentes Dabeisein ist die Hebamme »with woman«.
Differenziertes Abwarten in den Geburtsphasen
Das Abwarten gestaltet sich dabei je nach Geburtsphase unterschiedlich. Während in einer normal verlaufenden Eröffnungsphase nicht viel gehandelt werden muss, ist dies ganz anders zum Beispiel in der Nachgeburtsphase. Dies verdeutlichen zwei Beispiele:
Während der Eröffnungsphase beobachtet die Hebamme objektive Zeichen wie den Geburtsfortschritt, die Wehen, das Fruchtwasser, die kindlichen Herztöne, das Verhalten und Wohlsein der Frau. Wenn diese Zeichen alle in der Norm sind, also regelmäßige, sich dynamisch steigernde Wehentätigkeit vorhanden ist, die Geburt voranschreitet, die Geburtsdynamik zunimmt, die Fruchtblase noch steht oder bei offener Fruchtblase das Fruchtwasser klar ist, die kindlichen Herztöne normal sind, die Frau die Wehen gut verarbeitet zum Beispiel durch Tönen oder Atmen, sie nach innen gewandt und auf sich konzentriert ist und sich gut entspannen kann in der Wehenpause, sie häufig Urin löst und blutig-schleimige Abgänge hat, ihre Wangen gerötet sind, sie warme Extremitäten und einen zunehmenden Krallinstinkt hat, dann stellt sich bei der Hebamme ein Gefühl von Ruhe ein. Sie weiß, dass die Geburt normal verläuft und sie erstmal abwarten kann.
Anders gestaltet sich das Abwarten in der Nachgeburtsphase. Jetzt ist die Hebamme viel aktiver, es gibt mehr zu tun, mehr zu beobachten, mehr zu überwachen. Das ergibt sich aus der Physiologie der Nachgeburtsphase, es ist eine gefährlichere Geburtsphase als die Eröffnungsphase. Dazu ein Zitat einer Hebamme aus der Masterthesis:
»… also in dem Sinn Interventionen zum Thema Sicherheit, wo die einfach dazugehören. Wo du, wie sag ich jetzt mal, weniger lange einfach mal wartest. Das sind vielleicht zehn Minuten, eine Viertelstunde und nachher denkst du, oder denke ich als Hebamme, ja okay, die Plazenta, die Geburt ist noch nicht fertig. Und nachher wirft man halt einen Blick, wie geht es der Mutter, wie geht es dem Kind, pulsiert die Nabelschnur noch und schaut, ob es blutet. Und wenn man die Faktoren abgecheckt hat, dann kommt man nachher auch wieder ein wenig in die Ruhe hinein und wartet einfach …« (S. 358–364).
Die Hebamme wägt je nach Geburtsphase und je nach Situation ab, ob sie ruhig abwarten kann oder ob, wann und wie sie eingreifen muss. Für diese Abwägung benutzt sie ihre verschiedenen Wissensformen: ihr Fachwissen, die Beobachtung der verschiedenen Gesundheitszeichen, ihre Intuition, ihre Erfahrung. So verweben sich die verschiedenen Wissensformen der Hebamme zu einem Gesamteindruck der aktuellen Situation (Keller, 2018).
Ganzheitliches Erspüren
Durch die beschriebenen Aspekte des Abwartens und der Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt wird nachvollziehbar, dass die Hebamme die Geburt ganzheitlich wahrnimmt. Sie erspürt durch ihr Dabeisein die Geburtssituation. Das Erspüren ist dabei ein vor-sprachliches, ein körperliches Wahrnehmen: »Die Spürende ist nicht auf gedankliche Synthese von einzelnen Faktoren oder Elementen angewiesen, sondern kann Eindrücke, welche in einem Moment ganz zum Vorschein kommen, erfassen.« (Dörpinghaus, 2013) Das Erspüren ist vor-sprachlich, vor-rational, es entsteht aus dem Dabeisein und damit es geschehen kann, muss die Hebamme ganz anwesend sein, es braucht dafür die Eins-zu-eins-Betreuung.
Im Zustand des aktiven Abwartens in der Eins-zu-eins-Betreuung, mit allen ausgeführten Aspekten, kann die Hebamme die Geburt sicher begleiten. Durch ihr Wissen um die Physiologie, ihre Erfahrung mit normalen Geburten, ihre Verbundenheit mit der Gebärenden und der Geburtssituation spürt sie, wenn etwas nicht stimmt, wenn sich der Geburtsverlauf nicht im physiologischen Rahmen bewegt. Was die Hebamme erspürt, gleicht sie mit ihrem Fachwissen und ihren Beobachtungen ab. Passt alles zusammen, bleibt sie ruhig. Passt etwas nicht, schaut sie genauer hin und ergreift nötige Maßnahmen.
Dazu eine Hebamme aus der Masterthesis: »Wenn alles normal ist, ist viel so Intuition, abwarten und so. Aber sobald etwas abweicht, dann kommt nachher das andere, vom fachlichen Denken, kommt nachher in den Vordergrund.« (C 301–303) Oder eine weitere Hebamme: »Es sollte, ja, sich normal anfühlen. Natürlich gehe ich auch auf das Gefühl. Und doch probiere ich dann, das Gefühl auch immer wieder festzumachen an Fakten.« (E 110–112). (beide Zitate aus Keller, 2018)
Da das Konzept des Abwartens, des »being with woman«, so zentral für das Professionsverständnis der Hebammen und die Identifikation mit dem Beruf ist, sollte es anerkannt und gefördert werden. Das begründete Abwarten stellt in so manchen geburtshilflichen Situationen eine Alternative zum Eingreifen dar. Für die Hebammenprofession ist es wichtig, eine Terminologie zu bilden rund um das Abwarten. Anstatt von »Nichtintervention« zu sprechen ist es wichtig, das abwartende Tun zu erfassen, Worte zu finden für die spezifische Hebammentätigkeit des Abwartens, Begleitens, Beobachtens (Keller 2018).
Dazu schreibt die Hebamme und Journalistin Bettina Salis: »Eigentlich müsste das Nichts-Tun die Norm sein, das Nicht-Intervenieren. Wäre das Handeln gekonnt, dann bräuchte es keine gekonnte Nicht-Intervention mehr – weil ohnehin nur interveniert würde, wenn es sinnvoll wäre. Das Abwarten wäre Standard; die Ausnahme wäre die gekonnte Intervention – man könnte auch sagen: die Kunst zu Handeln.« (Salis, 2011, S. 278–283)
Wachsame Anwesenheit als spezifische Leistung
Ank de Jonge, Hannah Dahlen und Soo Downe, drei renommierte Hebammenforscherinnen aus den Niederlanden, England und Australien, schlagen einen neuen Begriff vor für die Tätigkeit des Abwartens: »Watchful attendance«, also wachsame Anwesenheit (de Jonge et al., 2021). Sie argumentieren, dass es notwendig ist, einen Begriff für die spezifische Hebammentätigkeit des Abwartens beziehungsweise des Begleitens zu haben (siehe auch Seite 32ff.). Wenn die Tätigkeit einen Begriff hat, kann sie angewandt, dokumentiert, gelehrt, erforscht und auch abgerechnet werden.
»Wenn diese Art von Betreuung [wachsame Anwesenheit] erstmal sichtbar und erwiesenermaßen effektiv ist, könnte sie den gleichen Status erhalten wie klinische Aspekte der Betreuung. Keine Zeit zu haben für die wachsame Anwesenheit sollte gleich inakzeptabel sein, wie nicht in der Lage zu sein, auf Wunsch der Frau eine Periduralanästhesie durchzuführen.« (de Jonge et al., 2021)
Ein einheitlicher Begriff für die abwartende Begleitung könnte dazu dienen, die Relevanz der abwartenden Geburtsbegleitung stärker zu gewichten und selbstbewusster zu vertreten. So würde die abwartende Begleitung ebenso wichtig und gleichwertig wie eine auf Interventionen ausgerichtete Betreuung. Ein einheitlicher Begriff könnte helfen, einen DRG für die abwartende Geburtsbegleitung und für die Eins-zu-eins-Betreuung zu fordern. So dass die Klinik bei physiologischen Geburten ähnlich viel abrechnen könnte wie bei Geburten mit vielen Interventionen. So könnte die normale Geburt gestärkt werden.
Aktives Abwarten unter der Geburt ist Kern der Hebammenarbeit. Es zeigt sich, dass die Eins-zu-eins-Betreuung Voraussetzung ist, um gekonnt abzuwarten. Nur wenn die Hebamme bei der Geburt anwesend ist, gelingt es ihr, die Geburtsarbeit zu erspüren. Aus dem erlebten Moment heraus, durch ihr ganzheitliches Wahrnehmen der Situation, weiß die Hebamme, was zu tun ist. Hebammen begleiten Geburten mit ihrem ganzen Sein: beobachtend, spürend, wissend, körperlich kommunizierend. Ihr kontinuierliches Dabeisein ist dafür unverzichtbar.
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