Dr. Klaus Hartmann bewertet Impfschadensfälle als Gutachter im Auftrag von Sozialgerichten. Er war zuvor im Referat für Arzneimittelsicherheit im Paul-Ehrlich-Institut (PEI) tätig, der Bundesoberbehörde für die Zulassung und Risikoüberwachung von Impfstoffen und Blutprodukten. Foto: privat

Auch im Sommer 2013 waren Impfungen wieder ein sehr kontrovers diskutiertes Thema. „Mehr Druck auf Impfgegner”, titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 21. Juli und zitierte unseren Gesundheitsminister Daniel Bahr mit den Worten: „Ich finde es verantwortungslos, seine Kinder nicht impfen zu lassen.” Hintergrund der Debatte, in der auch einige andere PolitikerInnen wieder über eine Impfpflicht schwadronierten, waren erneut Masernfälle in Deutschland. Richtig klar wird bei solchen Äußerungen allerdings nicht, wie eine solche Impfpflicht in der Realität aussehen könnte. Wäre es „nur” eine Impfpflicht für die Masernimpfung, oder würde man dann gleich auch andere Impfungen für jeden vorschreiben? Eine „reine” Masernimpfung ist in Deutschland leider nicht verfügbar, da die Hersteller sie wegen mangelnder Nachfrage nicht mehr anbieten.

Es ist zu befürchten, dass ausgehend von den Masernerkrankungen dann auch für andere Impfungen zumindest geworben und generell von Regierungsseite – beziehungsweise von Seiten der Regierungsberater, die den Impfstoffherstellern nahestehen – eine kritische Sichtweise bei Impfungen als „ideologisch bis verbohrt” diffamiert werden würde.

Gerade in Zeiten der Markteinführung neuer Impfstoffe, wie beispielsweise gegen Meningokokken, Rotavirus, Papillomavirus, veränderte Grippeviren, ist die Kritik am tatsächlichen Nutzen einer Impfkampagne und den damit verbundenen Risiken bei den Herstellern nicht beliebt.

Zurück zu den Masern: So „impfmüde”, wie immer behauptet, sind die Deutschen gar nicht. Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung fand man bei den Kindern eine Masernimpfquote von 92 Prozent. Was ja nicht weit von der angestrebten Quote von 95 Prozent entfernt ist, bei der die „Herdenimmunität” greift und die Viruszirkulation in der Bevölkerung unterbrochen ist.

Der Masernlebendimpfstoff hinterlässt aber im Gegensatz zur „echten” Infektion keine lebenslange Immunität. Unser Immunsystem ist sehr klug, lernfähig und immer darauf bedacht, nicht zu viel tun, um keine Schäden zu verursachen. Eine abgeschwächte Infektion mit einem dazu gezüchteten Impfvirus hinterlässt auch eine abgeschwächte Immunität. Millionen Mütter bekommen heute ihre Kinder in höherem Alter als vor 50 Jahren. So können diese in der Jugend gegen Masern geimpften Mütter ihren Kindern während der Schwangerschaft keinen ausreichenden Nestschutz in Form von plazentagängigen IgG-Antikörpern gegen Masern mitgeben. Als Konsequenz daraus wird die Masernimpfung der Kinder immer früher empfohlen, da gerade Maserninfektionen im ersten Lebensjahr hohe Risiken bergen. Stichwort: die tödliche subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) als sehr seltene Komplikation einer frühen Maserinfektion.

So dreht sich alles im Kreis. Durch Impfkampagnen treten Probleme auf, an die vorher niemand gedacht hat, und als Konsequenz werden dann früher oder später immer mehr Impfungen erforderlich: früher bei den Kindern – später bei den nach früher Impfung im Alter nicht mehr geschützten Menschen.

Tröstlich bei den Masern: Die Impfung als Lebendimpfung enthält keine Immunverstärker (Adjuvantien) oder Konservierungsmittel und ist schon lange auf dem Markt, so dass man einen relativ guten Überblick über ihre Verträglichkeit hat. Bei Menschen mit gesundem Immunsystem sind schwere Impfkomplikationen extrem rar. Aber die Masern werden wir vermutlich durch Impfungen trotzdem nicht los wie die Pocken: Im Jahr 2012 wurden Masernviren auch in Fledermäusen entdeckt. Sie könnten bei einer Einstellung der Impfkampagne also jederzeit wieder auftauchen.

Zitiervorlage
Hartmann K: Impfen, bis der Arzt kommt? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (10): 1

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