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Wer schaut noch auf das Kind? Das ist eine zentrale Frage im Entlassungsmanagement nach der Geburt. Denn mehr als drei Viertel aller Neugeborenen sind von einer Hyperbilirubinämie betroffen, die sich nicht zu einer Krise aufwachsen muss, aber kann. Hier ist der Blick von wissenden Fachpersonen gefragt – so auch von der Hebamme in der Wochenbettbetreuung. Was braucht es, um pathologischen Entwicklungen vorzubeugen, diese zu erkennen und adäquat zu behandeln? 

Werden Neugeborene 48 bis 72 Stunden nach der Geburt entlassen, befinden sie sich in einer durchaus labilen Phase, in der sich das Stillen noch einspielen muss und der Bilirubinwert noch steigt. Grundsätzlich ist gegen eine frühe Entlassung gesunder Kinder in das häusliche Umfeld nichts einzuwenden, wenn zwei Aspekte vordergründig mitgedacht werden: Die Entlassung sollte nicht zu früh erfolgen und die weitere Überwachung im ambulanten Sektor muss gewährleistet sein. Und zwar so lange, bis die Werte nachweislich sinken und die Gefährdung für eine signifikante Hyperbilirubinämie vorüber ist (AAP, 2022). Zumindest in der Theorie.

Im Alltag hingegen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr ökonomische Zwänge ausgebreitet, die Entscheidungen und Qualität der Versorgung mitbestimmen. Rund um die Uhr geöffnete Bilirubinambulanzen sind rar gesät, die Notfallambulanzen überlaufen und selbst die Versorgung in pädiatrischen Fachpraxen und durch Hebammen ist je nach Region und Saison nicht mehr ausreichend gewährleistet.

Gelb ist nicht gleich gelb

80 % der Neugeborenen (Partus > 35. Woche) erleben in den ihren ersten Lebenstagen eine Hyperbilirubinämie (AAP, 2022). Je nach Ausprägung kann sie Ausdruck physiologischer Anpassungsprozesse sein oder den Beginn einer schweren Erkrankung anzeigen. Für die meisten Kinder verläuft diese Phase ohne Komplikationen mit einem moderaten Anstieg und unkompliziertem Abfall des Bilirubins.

Gut gebunden an Albumin im Blutserum oder Unterhautfettgewebe ist Bilirubin atoxisch. Steigt die Konzentration im Serum jedoch dynamisch an, erhöht sich die Gefahr für eine Bilirubintoxikation, da zunehmend ungebundenes, unkonjugiertes Bilirubin in die empfindlichen Nervenzellen im Gehirn eindringt. Schutz vor einer akuten Bilirubin-Enzephalopathie bietet ein risikoorientiertes Bilirubin-Screenings bei allen Neugeborenen. Dieses Vorgehen wird von der American Academy of Pediatrics (AAP) seit nahezu 20 Jahren uneingeschränkt empfohlen und es findet sich weltweit in nationalen Leitlinien wieder. Durch Kontinuität, Kommunikation und ein standardisiertes Assessment lassen sich Überwachungsdefizite und daraus resultierende schwere Hyperbilirubinämien bei gesunden, reifen Neugeborenen nachweislich reduzieren (AAP, 2022).

Bewährte Praxis – das Bilirubinscreening

Durch ein Screeningverfahren werden seltene Krankheiten frühzeitig aufgedeckt. Hochpathologische Formen der Hyperbilirubinämie erfüllen dieses Kriterium, die statistische Wahrscheinlichkeit für das Erreichen von Werten über 30 mg/dl (510 µmol/l) liegt bei 1:10.000, für einen Kernikterus bei 1:100.000. Im Gegensatz zu den angeborenen Erkrankungen im Neugeborenen-Screening kann das Auftreten eines folgenreichen Kernikterus jedoch verhindert werden (Berns, 2017). Damit das gelingt, umfasst das Management der neonatalen Hyperbilirubinämie die folgenden Schritte:

  • Beginn der visuellen Einschätzung ≥ 12. Lebensstunde
  • Erheben mindestens eines gemessenen Wertes vor der Entlassung (GSB/TcB)
  • Eintrag aller erhobener Werte in ein stundenspezifisches Nomogramm (Lebensalter)
  • Bewertung der Messung unter Gewichtung vorliegender Risikofaktoren (u.a. Reife, akute Erkrankungen)
  • Festlegen, welche Art der Messung und welcher Abstand der Kontrollintervalle benötigt werden
  • Mündliche und schriftliche Aufklärung der Eltern, wann und wo die Messungen nach der Entlassung weitergeführt werden (AAP, 2022; AWMF, 2015).

Besondere Aufmerksamkeit ist immer geboten, wenn das Bilirubin bereits zeitnah zur Geburt ansteigt. Charakteristisch für diese seltene Form ist ein früher und exzessiver Anstieg (Präcox/Gravis Kombination). Bei Werten oberhalb der 95. Perzentile besteht prognostisch das höchste Risiko für das Neugeborene, eine therapiepflichtige Hyperbilirubinämie zu entwickeln (siehe Tabelle und Abbildung 1). Die Entlassung sollte nicht forciert werden.

Bei einem verstärkten Ikterus (Ikterus Gravis) liegen die Werte oberhalb der 75. Perzentile. Entsprechend engmaschiger erfolgen die Kontrollen im ambulanten Bereich. Bei Werten unterhalb der 40. Perzentile reichen in der Regel klinische Kontrollen im häuslichen Umfeld aus. Aufgrund der individuellen Dynamik der Hyperbilirubinämie sind jedoch auch zuerst moderate Werte keine sichere Prognose für einen weiteren unauffälligen Verlauf. Engmaschigere Kontrollen und ebenso eine Wiederaufnahme können jederzeit erforderlich werden.

Abbildung 3: Was gehört zu einer integrierten Versorgung mit Blick auf die Hyperbilirubinämie? Abbildung: © Christiane Borchard

Handlungsstrategie Bilirubin-Ambulanz

Seit vielen Jahren empfiehlt die Expert:innenkommission der nationalen AWMF-Leitlinie (Registernummer: 0024-007) die Gründung regionaler Bilirubin-Ambulanzen. Bevorzugt an großen peripartalen Zentren sollte eine integrative Versorgung an der Schnittstelle der geburtshilflichen und neonatologischen Kliniken etabliert werden. Eine zentrale Einrichtung, die im Idealfall einige Vorteile bietet: durchgehende Erreichbarkeit, erfahrenes Fachpersonal und die Verfügbarkeit aller erforderlichen Mess- und Therapiemethoden. Für die weitere Versorgung im ambulanten Bereich war der »Einleger für das Kinderuntersuchungsheft« gedacht, auf dem Werte, Risikofaktoren und vereinbarte Folgemessungen gebündelt dokumentiert werden können (AWMF, 2015).

Doch zu einer flächendeckenden Umsetzung dieser schlüssigen Handlungsstrategie ist es bis heute nicht gekommen. Seit 2010 existiert nur eine geringe Zahl dieser spezifischen Ambulanzen in Großstädten wie Berlin und Hannover. Ohne koordinierende Stelle fehlt jedoch das zentrale Steuerungselement für die gewünschte schnittstellenübergreifende Versorgung. Und einmal entlassen, sind die Hürden für eine Wiederaufnahme bekanntermaßen hoch. Hier offenbart sich eine Schwachstelle unserer medizinisch orientierten Leitlinien: Sie können zwar Versorgungsdefizite aufzeigen, sie jedoch nicht wirklich beheben.

Gelebte Praxis – bekannte Schwachstellen

Die integrierte Versorgung im geburtshilflichen Bereich steckt in vielen Orten immer noch in den Kinderschuhen. Überwachung und Therapie ikterischer Kinder erfolgt meist in fragmentierten Versorgungsstrukturen – mit einer regionalen Vielfalt von verschiedenen Ansätzen.

Abbildung 4: Versorgungspfad Hyperbilirubinämie Abbildung: © Christiane Borchard

Werden Kinder zum Wochenende entlassen, erfolgen die Kontrollen in den Notfallambulanzen der Kliniken und werden dann in den Praxen fortgesetzt. Diese Arbeit ist nicht planbar, sie muss kurzfristig und zusätzlich zum normalen Arbeitspensum geleistet werden. Auch von den Hebammen erfordert die zeitnahe Koordination ihrer Hausbesuche mit den ärztlichen Terminen immer wieder ein hohes Maß an Logistik und Flexibilität.

Zudem können die Empfehlungen der Leitlinie im ambulanten Bereich nur dann optimal umsetzt werden, wenn transkutane Bilirubinmessungen durchgeführt werden. Diese sind einfach, nicht invasiv und liefern schnell ein Ergebnis. Eine deutliche Entlastung, wenn es darum geht, Entscheidungen für oder gegen eine invasive blutige Messung zu treffen. In der Praxis besitzen jedoch nur wenige Hebammen und Pädiater:innen eines der teuren Blitzgeräte.

Neben den meist längeren Wegen und Wartezeiten müssen die Eltern mit wechselnden Ansprechpartner:innen rechnen. So kommt es immer wieder zu neuen zeitintensiven »Erstkontakten«, insbesondere wenn wichtige Informationen aus erster Hand fehlen. Der klassische Arztbrief zur Entlassung legt den Fokus auf die Mutter, während der Bilirubin-Überwachungsbogen – Einleger für das Kinderheft – in der Praxis kaum genutzt wird.

Ohne schriftliche Berichte fehlen wichtige Fakten, die es ermöglichen, den bisherigen Verlauf schlüssig nachzuvollziehen. Teilweise werden zwar erhobene Bilirubinwerte in den Kinderheften dokumentiert, doch dieses Vorgehen entspricht wiederum nicht den Vorgaben im Patientenrechtegesetz. Dieses verpflichtet die Behandler:innen dazu, vollständige und nachvollziehbare Überleitungsdokumente für die erforderliche Mit- und Weiterbehandlung zu erstellen (Diefenbach, 2017).

Vor diesem Hintergrund ist es nur schwer nachvollziehbar, warum Entlassungsbriefe an Hebammen nicht Bestandteil der gängigen digitalen Dokumentationssysteme sind. Auch haftungsrechtlich bietet dieses Vorgehen Nachteile: Informationsverluste und die Wiedergabe falscher Fakten an den Schnittstellen der Versorgung sind ein seit langem bekanntes Problem. Dennoch ist es nach wie vor durchaus gelebte Praxis, »über die Eltern zu kommunizieren«.

Werden darüber hinaus noch Unstimmigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Berufsgruppen über die Eltern kommuniziert, wird aus der vertrauensvollen Zusammenarbeit schnell ein emotional belastendes Spannungsfeld.

Stillen und Ikterus – evidenzbasierte Beratung?

Stillen ist gleichermaßen Prävention wie auch Teil der Therapie für ikterische Kinder (EISL, 2021). Doch beruhigende Botschaften verblassen rasch, wenn Eltern bereits besorgt sind. Die Stillfrequenz erhöhen oder lieber das Risiko durch die vermeintlich stillfreundliche Gabe von 6 x 5 ml hydrolysierter Formula senken? Beide Empfehlungen lassen sich in der Leitlinie finden. Allerdings werden dort die Ergebnisse von drei unterschiedlichen Forschungsfragen in einen gemeinsamen Kontext gestellt, der so gar nicht besteht. Um dies festzustellen, genügt ein Blick in die Literaturliste. Wer darüber hinaus noch die frei zugänglichen Zusammenfassungen der einzelnen Studien liest, gewinnt noch mehr Gewissheit. Der Effekt, dass hydrolysierte Formula zur Senkung der Bilirubinwerte bei gestillten Kindern führt, ließ sich nur bei regelmäßigen Gaben ab der Geburt bis zum siebten Lebenstag nachweisen. Folgestudien mit größeren Teilnehmer:innenzahlen liegen nicht vor. Ebenso ungeklärt bleibt, ob sich negative Effekte bezüglich des weiteren Stillens oder der kindlichen Darmbesiedlung zeigen.

Im stillfreundlichen Kontext steht diese Empfehlung auf sehr schwachen Füßen, die Gabe ist alles andere als ein Zaubertrank und bedarf einer eindeutigen Indikation. Die Vermittlung jeder noch so guten Evidenz versandet schnell, wenn Aussagen verkürzt oder in einem veränderten Kontext zusammengeführt werden. Doch neben allen organisatorischen Anforderungen immer noch die Zeit zu finden für ausführliche Beratungen, das ist ein hoher Anspruch. Und so verpufft in der Praxis so manche fundierte Stillberatung durch den Impuls, den Eltern eines ikterischen Kindes wenigstens mit »hilfreichen« Tipps zur Seite zu stehen.

Weiter so oder lieber anders?

Um mit Hermann Hesse zu sprechen: »Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.« Fragmentierte Versorgungsmodelle gehen nachweislich mit einem erhöhten Potenzial für Fehlsteuerungen einher. Ob so die angestrebte Versorgungsqualität Neugeborener in Deutschland erreicht werden kann, bleibt offen. Hierfür fehlen leider aussagekräftige Daten wie beispielsweise ein zentrales bundesweites Kernikterusregister oder aktuelle Studien zu den Wiederaufnahmen ikterischer Kinder.

Handlungsbedarf besteht sicherlich, denn ohne Bilirubin-Ambulanzen fehlt auch weiterhin ein zentraler Versorgungsansatz. Eigenständige Blutentnahmen und die aktuelle Zulassung der Smartphone -basierten APP »Picterus« zur Bilirubinmessung bieten entlastende Lösungsansätze für mehr Unabhängigkeit in der freiberuflichen Tätigkeit. Allerdings sind sie nicht für alle Hebammen gleichermaßen praktikabel und erhöhen das Maß der Eigenverantwortung. »Time is brain«, das bekannte Motto der Schlaganfallhilfe, gilt auch für ikterische Kinder – Fehlsteuerungen in der Versorgung belasten alle Beteiligten.

Gefragt sind konstruktive Konzepte, die durch gemeinsames Handeln und Verantwortungsübernahme aller beteiligten Gesundheitsberufe die Sicherheit des Kindes wieder in den Vordergrund stellen. Kreative Lösungen, die auf regionaler Ebene vorhandene Ressourcen strukturell und organisatorisch neu bündeln, beispielsweise durch eine Kooperation zwischen freiberuflichen Hebammen und einer Kinderklinik. Sicherlich ist das eine mühsame Pionierarbeit – dafür sorgen schon alleine die zu klärenden rechtlichen und finanziellen Fragen neuer Arbeitsbündnisse. Doch es ist gut investierte Zeit. Eine höhere Zufriedenheit mit den Arbeitsbeziehungen steigert die Qualität der Versorgung, spart Zeit und schont die Nerven.

Zitiervorlage
Borchard, C. (2023). Hyperbilirubinämie: Verlaufskontrolle verbessern. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (8), 42–46.
Literatur
American Academy of Pediatrics. (2022). Clinical Practice Guideline Revision: Management of Hyperbilirubinemia in the Newborn Infant 35 or More Weeks of Gestation in PEDIATRICS Volume 150, number 3, September 2022:e2022058859. http://publications.aap.org/pediatrics/article-pdf/doi/10.1542/peds.2022-058859/1346778/peds_2022058859.pdf

AWMF. (2015). S2k Leitlinie 024 – 007. Hyperbilirubinämie des Neugebornenen – Diagnose und Therapie 2015, verlängert bis 2020. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/024-007.html, in Überarbeitung.

Berns, M. (2017). Hyperbilirubinämie beim Neugeborenen: erkennen, abgrenzen, behandeln. Die Hebamme;30: 263-269.

Bührer, C., Berns, M. (2015). Wie mit kleinen Messungen große Tragödien verhindert werden. Hebammenforum; 16: 2005-2009.

Diefenbacher, M. (2017). Praxisrecht für Hebammen. 2. Aufl. Stuttgart: Hippokrates.

Europäische Institut für Stillen und Laktation (EISL) (2023). Hyperbilirubinämie beim Neugeborenen: der Stand des Wissens. Anlage zum EISL-Newsletter. Juli 2021, abrufbar unter https://www.stillen-institut.com/de/hyperbilirubinaemie-beim-neugeborenen-der-stand-des-wissens.