Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin und Journalistin. Ihr Schwerpunktthema ist die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Mit dem Psychiater Hans-Peter Unger schrieb sie den Bestseller „Bevor der Job krank macht“. Foto: © Beata Lange

„Hebamme zu sein, das ist der schönste Beruf, den es gibt” – das höre ich immer, wenn ich als Journalistin mit Hebammen spreche. Schon im zweiten Satz höre ich: „Aber wie lange ich das noch mache, weiß ich nicht. Die Arbeitsbedingungen sind einfach zu schlecht geworden.”

Die angestellten Geburtshelferinnen leiden an den immer strengeren Sparplänen, wie alle in den Kliniken und auf den Stationen. Zu wenig Personal, zu wenig Zeit für die Frauen, zu wenig Zeit für gute Arbeit und für gute Stimmung im Team. Die freiberuflichen Hebammen müssen schlechte Bezahlung, eine enorm teure Haftpflichtversicherung und die Angst vor Schadensfällen tragen. Und diese Belastungen steigen seit Jahren.

Aus der Stressforschung weiß man, dass solche Rahmenbedingungen den tollsten Beruf zur Hölle machen können – vor allem die Mischung aus hoher Arbeitsbelastung und mangelnder Wertschätzung. Dabei kann mangelnde Wertschätzung bedeuten, dass man sich schlecht entlohnt fühlt. Das Gefühl entsteht aber auch, wenn der Berufsstand derart beschnitten wird, wie es derzeit geschieht. Unsicherheit und das Gefühl „Ich kann die Aufgabe, die ich wichtig finde, nicht gut meistern”, sind Auslöser für extremen Stress. Wenn ich an den Berufsalltag von Hebammen denke, weiß ich: Hier wirken all diese Stressoren.

Der Gesetzgeber verbietet im Arbeitsschutzgesetz derartig stressfördernde Arbeitsbedingungen als Dauerzustand. Dort heißt es: „Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.”

Aber wir wissen alle: Da tut sich nichts. Im Gegenteil. Der Spardruck im Gesundheitswesen steigt. Die Arbeitsbedingungen der Hebammen sind weiterhin extrem unter Druck. Seltsam ist, dass der schönste Beruf der Welt so zu einem der härtesten geworden ist. Und vermutlich müssen sich junge Frauen, die vom Berufswunsch Hebamme erzählen, nicht selten anhören, dass das keine gute Wahl sei.

Viele Hebammen ziehen daraus Konsequenzen: Freiberuflerinnen geben die Geburtshilfe auf und konzentrieren sich stattdessen auf die Kursleitung. Sie betreuen die Schwangeren in allen Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt und Kleinkind. So manche angestellte Hebamme arbeitet einige Jahre im Beruf und verlässt ihn dann über eine Weiterbildung oder ein Studium wieder.

Aus individueller Sicht sind diese Entscheidungen sicherlich gesund. Denn nicht jede geht offensiv in den Konflikt mit dem Arbeitgeber. Heute weiß man: Es gibt durchaus Berufe, die nicht dafür gemacht sind, dass man sie 10 oder 20 Jahre ausübt. Hebamme – kein Beruf auf Dauer?

Wer in dieser Entwicklung ganz klar das Nachsehen hat, sind die gebärenden Frauen. Ich selbst habe meine Kinder mit der Unterstützung einer Beleghebamme geboren – und war sehr dankbar, dass sie mich und den Einstieg unserer Kinder ins Leben begleitete. Und ich war glücklich, dass diese Frau bereits einige Jahre Erfahrung in ihrem Beruf hatte.

Genau diese einmaligen Seiten des Berufes sind es vermutlich, die derzeit für viele Hebammen die Waagschale noch auf der positiven Seite halten: die enge und vertrauensvolle Beziehung zu den schwangeren Frauen, die entstehen kann. Und vielleicht auch die Gewissheit, dass man gerade im Beruf der Hebamme mit der Erfahrung immer besser und sicherer wird.

Aber wann werden die Nachteile durch schlechte Arbeitsbedingungen auch dieses positive Pfund überwiegen? Unter dem Blickwinkel „gesunder Arbeitsplatz” ist es inzwischen in vielen Kliniken und für viele Freiberufliche eine Katastrophe, Hebamme zu sein. Erstaunlich und extrem ärgerlich ist, dass diese Entwicklung in einem Land geschieht, in dem es heißt, Kinder seien willkommen und Schwangerschaft und Geburt seien das Natürlichste auf der Welt!

Zitiervorlage
Kleinschmidt C: Unter Druck. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2015. 67 (12): 1

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