Eine der Forschungs­fragen lautet: Wie ernährt sich das Gehirn von Milch? Denn auffällig ist, dass es in der Stillzeit am schnellsten wächst.

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Das 21. jährliche Symposium des International Milk Genomics Consortiums (IMGC) fand vom 22. bis 24. Oktober an der Universität von Kalifornien in Davis statt. An drei Tagen erläuterten die Wissenschaftler:innen in knapp 40 Vorträgen eindrucksvoll die neuen Ergebnisse aus der internationalen Muttermilchforschung.

Wer dieses Jahr online teilnehmen wollte am Symposium des International Milk Genomics Consortiums (IMGC) an seinem Gründungsort in Davis an der Universität von Kalifornien, musste des Nachts wach sein. Nach deutscher Zeit ging es jeweils am späten Nachmittag los und dauerte dann bis morgens um 2 Uhr. Aber es lohnte sich: Knapp 40 Wissenschaftler:innen berichteten über ihre neuesten Erkenntnisse zur Frauenmilch und Milch verschiedener Säugetiere. Sie demonstrierten, dass auch im 21. Jahr des Forschungskonsortiums immer wieder spannende neue Erkenntnisse zu hören sind.

Vorgestellt

Das International Milk Genomics Consortium (IMGC) ist eine wissenschaftliche Gesellschaft, die sich 2004 an der Universität von Kalifornien in Davis etablierte, um das Laktationsgenom von Säugetieren zu sequenzieren und zu vergleichen (Lamay et al. 2009). Säugetiere – definiert als warmblütige Wirbeltiere, die ihre Jungen mit Milch aus Milchdrüsen ernähren – traten erstmals vor etwa 166 Millionen Jahren in Erscheinung, ihre Entwicklung lässt sich jedoch 310 Millionen Jahre zurückverfolgen. Durch die Sequenzierung wurden nun beispielsweise Einblicke in die molekulare Evolution von Milch und Laktation möglich. Anhand der Genome eines Schnabeltiers (Monotremus), eines Beuteltiers (Opossum) und von fünf plazentalen Säugetieren (Rind, Mensch, Hund, Maus, Ratte) wurden Veränderungen wie Genverlust und -verdoppelung sowie Sequenzerhaltung im Laufe der Evolution untersucht. Der hohe Erhaltungsgrad von Genen, die an der Sekretion von Milchfettkügelchen beteiligt sind, wies darauf hin, dass die zelluläre Anatomie der Sekretion artenübergreifend konserviert ist. Wissenschaftler:innen können hier immer mehr Details entschlüsseln, die auch für die weitere Erforschung der Frauenmilch wichtig sind.

Heute setzt sich das IMGC aus Hunderten von Wissenschaftler:innen und Innovator:innen aus der ganzen Welt zusammen, die Funktionen und Auswirkungen von Laktation und Milch erforschen, vor allem beim Menschen. Sie stammen aus den Bereichen Chemie, Ernährung, Immunologie, Mikrobiologie, vergleichende Biologie, Laktationsphysiologie, Medizin, computergestützte Biologie, Bioinformatik und künstlicher Intelligenz – ein breites Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen. Die Ergebnisse sollen bis ins kleinste Detail zeigen, was Milch ist und was sie bewirkt, um letztendlich der menschlichen Gesundheit dienen.

Auf dem diesjährigen Symposium ging es um aktuelle Entdeckungen in vergleichender Biologie und Laktationsphysiologie, Milchforschung, Ernährung und klinische Ergebnisse, Innovationen bei extrazellulären Vesikeln und MicroRNA (miRNA) sowie Erkenntnisse der Milchwissenschaft. Zwischendurch gab es Vorträge zur Erforschung von Rindermilch, die auch Rückschlüsse auf Zusammenhänge in der humanen Milchproduktion erlaubten. Man bekam eine genauere Vorstellung von bioaktiven Lipiden, die laut Prof. Bruce German die wichtigsten Biomoleküle überhaupt seien, sowie Proteinen, Peptiden und anderen Milchbestandteilen.

Prof. Bruce German begrüßte die Teilnehmenden vor Ort in Davis und online herzlich und euphorisch. Als Gründer des IMCG und derzeitiger Vorsitzender des wissenschaftlichen Beratungsausschusses war er den meisten gut bekannt. Der Spezialist im Fachbereich Lebensmittelwissenschaft und -technologie sowie Direktor des Foods for Health Institute an der University of California (UC) in Davis erforscht seit über 30 Jahren die menschliche Milch, etwa die Rolle von Fetten. Er erklärte, dass er mit seiner beruflichen Tätigkeit so früh wie möglich ansetzen wollte, die Gesundheit eines jeden Menschen zu schützen, und sich daher der optimalen Ernährung des Säuglings widmete. »Man soll nicht erst anfangen, sich für Ernährung zu interessieren, wenn wegen einer Herzkrankheit eine Diät angesetzt wird.«

Bruce German, Spezialist für Lebensmittelwissenschaft und -technologie, erforscht seit über 30 Jahren die menschliche Muttermilch.

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Der engagierte Wissenschaftler entwickelte Methoden zur Bewertung der Gesundheit und des Stoffwechsels in Abhängigkeit von der Ernährung. Die Gene, die Umgebung und die Ernährung der Mutter seien entscheidend für die Zusammensetzung der Milch. Milch sei eine Sprache, deren Buchstaben wir noch nicht alle kennen. Und der Darm der Kinder sei nicht einfach ein Schlauch für den Stuhl, »Poop«. Man müsse eher eine Art Kreislauf vor Augen haben. Die Zellen der Milch solle man sich an diesem Ort eher wie Blutzellen vorstellen.

Die Evolution der Milchbildung

Bruce German sagt: »Milch hat sich entwickelt, um gesunde Säugetiere gesünder zu machen. Sie ist das einzige Biomaterial, das sich unter dem darwinistischen Selektionsdruck zu dem spezifischen und einzigen Zweck entwickelt hat, wachsende Säugetiere zu ernähren.« Das Überleben der Nachkommen habe einen starken Selektionsdruck auf die biochemische Evolution der Milchbildung ausgeübt. Dieser Prozess habe dazu geführt, dass die Milch neue Zusammensetzungseigenschaften entwickelt hat, welche die Gesundheit, die Kraft und letztlich das Überleben fördern.

Man solle nicht in erster Linie die Wissenschaftler:innen fragen, was Säuglinge trinken sollen, sondern die Evolution. German: »Milch erzählt euch Dinge, die ihr nicht erwarten würdet.« Er selbst sei noch vor ein paar Jahren überzeugt gewesen, dass Frühgeborene wegen ihres unreifen Darms keine Milch verdauen könnten. Eine Untersuchung des Stuhls habe ihm dann aber gezeigt, dass darin kaum Peptide festzustellen waren. German: »Wenn Peptide in ein Baby hinein gehen und es kommen kaum Peptide wieder heraus, bedeutet dies, dass sie sie verdauen können. Und wenn wir vor 50 Jahren Milch und Lebensmittel untersucht und miteinander verglichen hätten, hätten wir gleich gewusst, dass Cholesterin-gesättigtes Fett nicht kategorisch Herzerkrankungen verursacht.« Man müsse dann im Einzelfall schauen und zu einer personalisierten Ernährung finden. Die KI werde uns in Zukunft bei der Auswertung helfen. Die Forschung in seinem Labor ziele darauf ab, chemische, biochemische und ernährungswissenschaftliche Informationen zu entwickeln, die genauere Abschätzungen des Nutzens und der Risiken einer Modulation der Lipidzusammensetzung von Lebensmitteln ermöglichen. Und er rät jungen Wissenschaftler :innen im Consortium: »Arbeitet zusammen. Überlegt gute Forschungsfragen. Was ist noch nicht bekannt? Wer forscht noch nicht an Milch, aber sollte es?«

Mit dem IMGC sei in den vergangenen 20 Jahren ein Fundament der Zusammenarbeit, Innovation und Entdeckung gelegt worden, das nun zusammen mit der Computermathematik weiter ausgebaut werden müsse. Die Welt brauche dringend einen Weg in die Zukunft für die gesamte Land- und Ernährungswirtschaft. Die Landwirtschaft dezimiere den Planeten. Die Ernährung dezimiere die menschliche Gesundheit. Die Wissenschaft brauche ein Modell dafür, wie man die Landwirtschaft zum Motor der Umweltsanierung und die Ernährung zum Motor einer besseren menschlichen Gesundheit machen kann. Die Konzepte der Gesundheit, der Ernährung und der Nachhaltigkeit seien die zentralen Themen der Laktationsbiologie. Das IMGC möchte biologische Mechanismen und biotechnologischen Lösungen liefern, um die Welt zu verändern. German wünscht sich, dass Wissen rund um die Frauenmilch an jeder weiterführenden Schule zum Thema wird. Darüber hinaus ist er sehr praxisorientiert und stellt als Mitbegründer einer Gesellschaft das Bifidobakterium longum infantis für Kinder bereit, die durch Kaiserschnitt geboren wurden.

Katie Hinde kritisiert, dass die meisten Menschen bei Milch nur an ein standardisiertes, homogenisiertes und pasteurisiertes Produkt denken.

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Engagierte Multiplikatorin

Katie Hinde gehört als außerordentliche Professorin an der Arizona State University zum Lehrkörper des Global-Health-Programms der School of Human Evolution and Social Change und des Center for Evolution and Medicine. Als Leiterin des Comparative Lactation Lab erforscht sie die evolutionäre Ökologie und Verhaltensbiologie der Milch. Hinde untersucht die dynamischen Interaktionen zwischen Mutter, Milch und Säugling, um herauszufinden, wie die Milch als Nahrung, Medizin und Signal funktioniert. Sie engagiert sich dafür, dass alle Mütter ihre Kinder stillen können, und appelliert an alle in der Gesellschaft, ihnen dabei zu helfen.

Bereits 2016 hatte die Innovationskonferenz für Technology, Entertainment, Design (TED) Hindes Vortrag »What we Don‘t know About Mother‘s Milk« (Was wir nicht über Muttermilch wissen) kostenlos ins Netz gestellt, der etwa 1,5 Millionen Mal angesehen wurde. Hinde stellte fest, dass es beispielsweise am National Institute of Health in Washington DC in der National Library of Medicine unter 25 Million Artikeln nur 300.000 über Laktation und Muttermilch gebe. Es gebe mehr Artikel über Kaffee und Wein oder Tomaten. Sie kritisierte, dass wir bei Milch an ein standardisiertes, homogenisiertes und pasteurisiertes Produkt denken. Aber Milch sei viel mehr als reine Ernährung.

Hinde gründete und leitete den »March Mammal Madness«, eine einmonatige Kampagne zur Förderung des öffentlichen Engagements, bei der jährlich mehr als 500.000 Teilnehmende über Tiere, Ökologie und Verhalten informiert werden. 2023 wurde Katie Hinde von der American Association for the Advancement of Science zum Lifetime Fellow ernannt.

Geringere Milchenergie für Säuglinge von Erstgeborenen

In ihrem Vortrag zu Beginn des Symposiums erzählte Hinde von ihrer Untersuchung der Milchsynthese beim Rhesusaffen, dem wichtigsten nichtmenschlichen biomedizinischen Modell. Sie untersuchte mit ihrem Team am California National Primate Research Center Masse, Wachstum und Statur von Rhesusaffenbabys (Macaca mulatta) sowie die Laktationsleistung ihrer Mütter. Hinde zeigte auf, wie die mütterliche Lebensgeschichte die Milch beeinflusst: Primipara, die bei ihrem ersten Kind meist noch nicht voll ausgereift seien, könnten während der Laktation nur eingeschränkt Milch synthetisieren.

Die Milchenergie, das Produkt aus der energetischen Dichte der Milch und dem Milchertrag, war bei Erstgeborenen im Durchschnitt 16 % niedriger als bei Nachgeborenen. Die Erstgeborenen waren daher nicht so aktiv wie die Nachgeborenen und hatten ein weniger verspieltes, forschendes und aktives Temperament. Trotz der Unterschiede in der Energieversorgung durch die Milch ihrer Mütter unterschied sich die Masse der Säuglinge von Erstgeborenen und Spätgeborenen auf dem Höhepunkt der Laktation nicht, was darauf hindeutet, dass erstgeborene Säuglinge einen höheren Anteil der Milchenergie für das Wachstum aufwenden als Nachgeborene.

Die Ergebnisse liefern laut Hinde neue Informationen darüber, welche Effekte der körperliche Zustand der Mütter auf die Kinder hat.

» Man solle nicht die Wissenschaftler:innen fragen, was Säuglinge trinken sollen, sondern die Evolution. «

Einfluss von Stress

Chloe Josefson, Assistenzprofessorin für Physiologie an der North Carolina Central University in Durham sprach über den Einfluss von Stress auf die Laktation. Bei niedrigen physiologischen Konzentrationen wirken Glukokortikoide als integrierende Hormone, die die umfangreichen anatomischen, physiologischen und metabolischen Veränderungen erleichtern, die für die Milchsynthese erforderlich sind. Bei höheren Konzentrationen, wie sie mit der Stressreaktion von Wirbeltieren verbunden sind, können Glukokortikoide dagegen negative Auswirkungen auf die Laktationsleistung haben.

Sie führte dafür eine Arbeit an, in der sie die Auswirkungen von chronischem mütterlichem Stress bei Mäusen auf die mütterliche Physiologie, die Laktationsleistung und die Entwicklung der Nachkommen untersucht hat. Der chronische Stress wurde während der postpartalen Periode erzeugt mit einem sicheren Stressor: ein unbekanntes Mäusemännchen. Es zeigte sich: Chronischer mütterlicher Stress führt – neben vermindertem mütterliche Leck- und Pflegeverhalten – zu einer verminderten Laktationsleistung, da sowohl der Milchertrag als auch die Energiedichte abnahmen. Außerdem wiesen chronisch gestresste Mütter einen Anstieg der fäkalen Abbauprodukte Metaboliten von Glukokortikoiden (Cortison und Cortisol) sowie eine erhöhte Konzentration an Corticosteron (entspricht dem Cortisol beim Menschen) und Glukokortikoid-Metaboliten in der Milch auf.

Trotz der verringerten Laktationsleistung wirkte sich chronischer mütterlicher Stress nicht direkt auf das Wachstum der Nachkommen, die Organmasse oder die Basalwerte des Corticosterons im Blutserum aus. Er führte allerdings durch lactocrine Programmierung bei den Nachkommen zu Veränderungen in der hepatischen Glukokortikoidrezeptorexpression. Diese Rezeptoren sind zuständig für die Glukokortikoide, die in der Leber den Glukosestoffwechsel beeinflussen und für die Bildung von Glukose sorgen. Beim Kind sind diese Glukokortikoide am regelrechten Wachstum beteiligt. Langfristig hohe Glukokortikoid-Werte können den Glukokortikoidrezeptor so entgleisen lassen, dass eine Fettleber entstehen kann. Vermehrte Cortsiolwerte in der Stillzeit können bei den Kindern auch nachhaltig die Stressachse negativ beeinflussen.

Größe des Hypothamalus

Brittany Howell ist Assistenzprofessorin für Neurowissenschaft am Department für menschliche Entwicklung und Familienwissenschaft an der Virginia Tech Carilion School of Medicine in Virginia. Am Mind Lab untersucht sie den mütterlichen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns. Eine ihrer Forschungsfragen lautet: Wie ernährt sich das Gehirn von Milch? Denn auffällig sei, dass das Gehirn von Babys vor allem in der Zeit des Stillens wächst. Um die Geburt herum wiegt es etwa 400 g, mit sechs Monaten bereits 700 g. Mit 24 Monaten beträgt sein Gewicht etwa 80 % des Gehirns einer erwachsenen Frau von 1.220 bis 1.300 g.

Brittany Howell untersucht den Einfluss des Stillens auf die neurologische Entwicklung der Kinder.

Foto: © Birgit Heimbach

Spezifische Milchbestandteile, vor allem exosomale microRNA, überlebten eindeutig die Verdauung und Osteopontin stehe mit der Entwicklung des Gehirns in den ersten sechs Lebensmonaten in Verbindung, vor allem mit der Entwicklung der weißen Substanz. Howells Daten basieren auf eigenen bildgebenden Verfahren wie etwa MRT, aber auch auf Zellstudien. Sie behandelte Oligodendrozyten Progenitor Cells von Ferkeln mit Exosomen aus humaner Milch und schaute, ob diese profilerierten. Nach 24 Stunden waren sie tatsächlich schneller gewachsen als ohne. Howell glaubt, dass dies an microRNA in den Exosomen liegt, aber dies sei noch unklar. Nach 72 Stunden sehe man zwar fast keinen Unterschied mehr, aber davon ließ sich Howell nicht irritieren, man müsse in verschiedenen Zusammenhängen denken. Sie testete auch den Einfluss verschiedener MicroRNA auf die Gehirnentwicklung und es zeigte sich: Wenn eine Frau weniger miRNA-17-5p im Kolostrum hat, wächst das Gehirn ihres gestillten Kindes langsamer.

In Bezug auf das Osteopontin, das während der Laktation zunehme, konnte sie zudem sagen: Der Spiegel sage die Größe des Hypothalamus voraus. In Zukunft will sie beispielsweise auch EEGs beim Säugling während des Stillens durchführen. Sie hofft, dass sich aus ihren Arbeiten Möglichkeiten ergeben, mit Hilfe einer speziellen frühen Ernährung die neurologische Entwicklung zu optimieren.

Gute Bakterien: Akkermansia

Prof. Gilberto E. Flores vom Department für Biologie der California State University, Northridge, untersuchte die Humanen Milch-Oligosaccharide (HMO) in Zusammenhang mit den fast anaeroben Akkermansia-Bakterien, die 2022 im menschlichen Darm entdeckt wurden. Diese Spezies gehöre zum Mikrobiom der meisten Menschen, das individuell und altersabhängig sei. Bei manchen sei es recht stabil, bei anderen schwanke es mitunter von Tag zu Tag, eine Dybiose gebe es zum Beispiel bei Menschen mit Diabetes. Unter den Tausenden von verschiedenen Bakterien, die metabolisch, strukturell und schützend wirken, sei Akkermansia offensichtlich lebensverlängernd durch eine bessere Darmgesundheit. Typisch für diese Bakterien: Sie bauen die schützende Schleimschicht des Darms ab. Dies sei vorteilhaft, da diese dadurch stets erneuert wird. Auch entstehen dabei Propion- und Essigsäure, welche die Darmgesundheit unterstützen.

Flores erklärte, dass sich Akkermansia von HMO ernähren (Luna et al., 2022). In Tests wuchsen sie am besten auf 2´Fucosyllactose (2´-FL), dem verbreitetsten HMO bei Sekretor-Müttern. Haben diese genug von diesem HMO, dann hätten sie auch genug Akkermansia. Laut Flores erweisen sich diese als potenziell wichtige Modulatoren des Mikrobioms von Säuglingen, abhängig von ihrer Art. Eine Art der Akkermansia, die A. muciniphila, ist in den USA als Probiotikum zur Behandlung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes erhältlich, weil sie nachweislich zahlreiche gesundheitliche Vorteile bietet.

Kasey Schalich vom Department of Pediatrics, Division of Gastroenterolgy, Hepatology an Nutrition, Vanderbilt University Medical Center in Davis erklärte zunächst, dass die chronisch-entzündliche Colitis ulcerosa immer mehr zunehme. Inzwischen seien weltweit rund fünf Millionen Menschen davon betroffen. Die Pathologie dahinter: Die schleimbildenden Epithelzellen im Darm sind aufgrund verschiedener Faktoren gestört, was eine inflammatorische Kaskade nach sie zieht. Symptome sind beispielsweise blutige Stühle, Gewichtsverlust, Schmerzen, Durchfall und bei Kindern eine verzögerte Wachstumsentwicklung. Derzeit gibt es keine Behandlung, die die Schleimhaut (Mukosa) wieder herstellen kann.

Nun kam Schalich zum entscheidenden Punkt: Muttermilch unterstütze die Bildung einer funktionierenden Darmschleimhaut. Wesentlich trage dazu die 2’-Fucosyllactose (2´-FL) bei, das häufigste HMO bei Sekretorinnen (bilden bestimmte Blutgruppenantigene in ihren Körperflüssigkeiten). Es gebe 133 mikrobiell-stoffwechselaktive Signalwege in einem gesunden Darm, zum Beispiel für die Synthese von Aminosäuren, Vitaminen und Kohlenhydraten. Bei Colitis ulcerosa seien 26 davon dysreguliert, die sonst von 2´FL reguliert werden, und dazu seien noch 82 signifikant verändert, die sonst die Mikosa schützten. Ein entscheidender Punkt für einen gesunden Darm sei, dass 2´-FL im Darm das Bifidobacterium longum subsp. Infantis anregt, Panthenol zu produzieren – ein Schutz vor Darmentzündungen.

Wirksam gegen Covid

Rebecca Powell, Assistant Professor an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, berichtete über die immense Kraft der Immunglobuline in der Muttermilch. Immunglobulin A (IgA) ist mit 90 % der am häufigsten vorkommende Antikörper (Ab) in der Milch, vor allem als sekretorische Form (sIgA). Diese sei besonders stabil. Während nämlich alle anderen Immunglobuline als einfaches Molekül angelegt seien, bestehe dieses aus zweien. Die Bindung von SIgA könne Krankheitserreger neutralisieren, etwa Viren bekämpfen.

In Powells Labor wurden Versuche durchgeführt, um die Wirksamkeit von sIgA gegen den Schleimhauterreger SARS-CoV-2 zu testen. Eine Gruppe von Frauen, die nach einer Covid-Infektion genesen oder geimpft worden waren, gaben drei bis sechs Wochen später 30 ml Muttermilch zur Untersuchung, auch eine Follow-up-Studie gab es dazu. Über 90 % der Proben hatten signifikant erhöhte spezielle spikespezifische IgA gegen SARS-CoV-2. Rund 95 % enthielten spikespezifische sekretorische Antikörper. Man nahm an, dass die meisten IgAs sIgA sind, weil IgA und sekretorische Antikörper miteinander korrelierten. Der Titer blieb für rund ein Jahr erhalten. Es zeigte sich eine signifikante Neutralisierungsaktivität gegen eine Infektion mit dem Spike-Pseudotyp-Virus – also eine hohe Wirksamkeit.

Powell wunderte sich, dass bisher niemand auf die Idee kam, ein solches Potenzial der Muttermilch therapeutisch zu nutzen.

Hochwertige Milch

Der Kolloid- und Physikchemiker Prof. Ben Boyd vom Pharmazie-Department der Universität von Kopenhagen stellte die provokante Frage: Sollten alle weißen Flüssigkeiten Milch genannt werden? Ist fettfreie Milch noch Milch? Sind pflanzliche Produkte wie Hafermilch auch Milch? Er betonte: Das Erscheinungsbild sei nicht das Entscheidende, sondern die Fettsäureverteilung in den vorhandenen Lipiden. Mehr Verständnis darüber würde die Möglichkeit bieten, bessere »weiße Flüssigkeiten« zu entwickeln, die der Frauenmilch ähnlicher seien und eine effektivere, effizientere Nährstoffzufuhr ermöglichten. Letztendlich: Nur Milch von Säugetieren (Mammalia) sei wirklich Milch.

In Boyds Heimat Dänemark findet das nächste Symposium statt, vom 16.–18. September in der Universität Aarhus. Dort läuft das Projekt »Big Milk: Breeding high Value Milk« zur Züchtung von hochwertiger Milch. Die schnell wachsende Industrie für Milchinhaltsstoffe nutze das enorme ernährungsphysiologische und biologische Potenzial der Kuhmilch. Daher sei es zwingend erforderlich, die Möglichkeiten der Züchtung von Rindern zu erforschen, um den Gehalt an wirtschaftlich wichtigen spezifischen Milchproteinen zu erhöhen, ohne dabei andere wesentliche Merkmale zu beeinträchtigen. Ziel des Projekts ist es, Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Folgen einer züchterischen Anpassung des Gehalts an hochwertigen Proteinen in Kuhmilch zu gewinnen. Man möchte das Optimum von Milch für den globalen Markt von heute und morgen gewährleisten. Wahrscheinlich wird dieses Projekt auch auf dem nächsten Symposium vorgestellt – neben weiteren neuen Erkenntnissen rund um Humanmilch.

Zitiervorlage
Heimbach, B. (2025). Symposium des International Milk Genomics Consortium: Milchwissenschaft. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 77 (3), 86–91.
Literatur und Links
Links

SPLASH ® Milk Sciences Update: https://www.milkgenomics.org/splash/

Cell Types and Metabolites in Human Milk Change Over Lactation: https://www.milkgenomics.org/?splash=cell-types-and-metabolites-in-human-milk-change-over-lactation

Katie Lindes TED-Vortrag „What we Don‘t know About Mother‘s Milk: https://www.ted.com/talks/katie_hinde_what_we_don_t_know_about_mother_s_milk?subtitle=en&lng=de&geo=de

Milchgebende Amphibien: https://www.scientificamerican.com/article/the-first-amphibian-known-to-beg-its-mother-for-milk-is-more-bizarre-than/

BIG MILK – Breeding high Value Milk: Department for Food Science https://food.au.dk/big-milk/baggrund

 

Literatur

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