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Sind junge Hebammen oder gar Hebammenstudierende verpflichtet, auf Behandlungsfehler hinzuweisen und ihre Mitwirkung zu verweigern – sprich zu remonstrieren? Bei Berufsanfängerinnen sieht dies anders aus als bei Studierenden. Doch im Prinzip steht immer das Gebot im Raum zu remonstrieren, auch wenn es die Pflicht aufgrund des Ausbildungsstandes noch nicht gibt. Letztlich geht es dabei auch um den offenen Umgang mit Fehlern im Team und um ein kollegiales Verhalten. Ein Blick auf die Rechtslage.

Das Recht beziehungsweise die Pflicht, bei erkennbaren Fehlern von Mitbehandler:innen zu remonstrieren, ist wohl jeder Hebamme bekannt und auch in vielen Berufsordnungen festgelegt. Wie das Remonstrieren aber in der Praxis umzusetzen ist, ist eine ganz andere Frage. Hebammenstudierende in der praktischen Ausbildung oder jüngst examinierte Hebammen rätseln, ob sie überhaupt remonstrieren dürfen und ob sie dies auch gegenüber weitaus erfahreneren Kolleg:innen und ärztlichem Fachpersonal jederzeit zu tun haben.

Grundlagen

Die Pflicht zu remonstrieren bedeutet in erster Linie, dass eine Hebamme bei einer ärztlichen oder ärztlich angeordneten Maßnahme, die den anerkannten Regeln der Geburtshilfe widerspricht, hierauf hinzuweisen hat und nicht mitwirken muss (so z.B. § 2 Abs. 3 Niedersächsisches Gesetz über die Ausübung des Hebammenberufs/NHebG). Der Hinweis ist in die Geburts- und Behandlungsdokumentation aufzunehmen – konkret als Berufspflicht (z.B. § 2 Abs. 3 NHebG) oder auch aus haftungsrechtlichen Gründen.

Dieser Pflicht nachzukommen, sollte aber nicht nur als reine Erfüllung einer Berufspflicht verstanden werden, sondern stets im Hinblick auf den Haftungsfall bewertet werden. Denn selbstverständlich bewegt sich medizinisches Fachpersonal im Bereich der Mithaftung, wenn es seelenruhig zuschaut, während jemand anderes einen Behandlungsfehler begeht, der zum Schaden bei Mutter und/oder Kind führt. Damit ist bereits unstrittig eine grobe Richtschnur für die Praxis vorgegeben:

Je wahrscheinlicher der Eintritt eines Schadens und je größer dieser Schaden, umso eher und vehementer hat die Hebamme ihre Remonstrationspflicht auszuüben. Sofern also kein Schaden droht, kann die Angelegenheit auch im Anschluss im Team besprochen werden. Droht aber schwerer Schaden für Mutter und Kind, hat die Hebamme notfalls auch lautstark zu intervenieren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.4.2007, Az.: 8 U 37/05).

Ebenso ist es anerkannt, dass die erfahrenere Hebamme die Geburtsleitung bei einer Schulterdystokie übernimmt und die notwendigen Manöver anwendet, die die anwesende Fachärztin nicht ausreichend beherrscht. Ziel ist es dabei, Zeit zu überbrücken, bis der herbeigerufene ärztliche Hintergrunddienst im Kreißsaal erscheint (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.7.2003 – 1 U 104/02). Im genannten Urteil heißt es: »Es ist nicht zu beanstanden, dass bei einer bevorstehenden Geburt, bei der sich zunächst keine Risikokonstellation abzeichnet, die erfahrene Hebamme die Geburtsleitung übernimmt und die mit anwesende, unerfahrene Assistenzärztin, die bis dahin noch nie eine Geburt eigenverantwortlich leitete, der Hebamme lediglich helfend zur Hand geht.« Die Hierarchie zwischen den Behandelnden endet also dort, wo das Einhalten offensichtlich zum Schaden an der Patientin führen würde.

Alles in allem stellt das Recht zu remonstrieren ein stets gültiges Gebot dar, die Kolleg:innen und ärztliches Fachpersonal auf erkennbare Fehler hinzuweisen und notfalls einzugreifen. Dieses Gebot erwächst zur Pflicht, wenn erkennbar ein Schaden droht, der nicht anders abgewandt werden kann, als auf den Fehler hinzuweisen oder notfalls einzugreifen.

Und am Berufsanfang?

Immer wieder erreicht uns in der Rechtsberatung für Hebammen die Frage, ob die berufliche Erfahrung der beteiligten Behandler:innen eine Rolle spielt oder ob auch Berufsanfänger:innen verpflichtet sind zu remonstrieren. Selbstverständlich soll das Remonstrationsrecht nicht dazu führen, dass ständig jede Entscheidung im Kreißsaal diskutiert und kritisiert wird. Dies wäre weder angenehm noch praktikabel.

Dennoch: Die Remonstrationspflicht trifft im Grundsatz jede zugelassene Hebamme ab dem Beginn ihrer Zulassung. Unabhängig von ihrer praktischen Erfahrung hat sie einzugreifen, wenn sie aufgrund ihres Wissens erkennt oder hätte erkennen müssen, dass die mitbehandelnde Person fehlerhaft handelt. Berufsanfänger:innen sind als examinierte Hebammen zur alleinigen Betreuung von physiologischen Geburten zugelassen und dafür ausgebildet, Pathologien zu erkennen. Dieses Wissen wird stets vorausgesetzt und als Maßstab angelegt.

Selbstverständlich wird die Berufsanfängerin auf die Erfahrung der älteren Kolleginnen in gewissem Maße vertrauen können. Dennoch wird von ihr verlangt, erkennbare Fehler angemessen anzusprechen und sich auch mit der weitaus erfahreneren Kollegin und der Patientin auseinanderzusetzen, notfalls durch »eine laute drastische Intervention – bis hin zum Eklat« (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.4.2007, Az.: 8 U 37/05).

Aus der Beratungspraxis

In folgendem unveröffentlichtem Fall wurde vom Vorsitzenden der Strafkammer die Remonstrationspflicht der Hebamme bejaht: Einer erst seit einem halben Jahr examinierten Hebamme wurde vorgeworfen, sie habe mögliche Zweifel am Vorgehen der diensthabenden Fachärztin nicht ausreichend kommuniziert und durchgesetzt. Das CTG wurde im Verfahren als suspekt und später pathologisch bewertet, so dass ein Zuwarten nicht mehr vertretbar erschienen wäre. Dabei hätte die Hebamme nicht nur die anderslautende Beurteilung der Fachärztin, sondern auch die per telefonischer Konsultation eingeholte Bestätigung durch den Chefarzt in Frage stellen sollen.

Nachdem aufgrund der stark verzögerten Notsectio das Kind tot geboren wurde, wurden Assistenzärztin und Hebamme wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. In diesem Fall kam es nicht zur Verurteilung der Hebamme, da die Beweislage dies insgesamt nicht zuließ. Ein Hinweis, wie gewichtig das Remonstrationsrecht eben sein kann, bleibt dieses Verfahren dennoch.

Was gilt für Studierende?

Hebammenstudierende sind oftmals arg verunsichert, ob ihnen das Recht beziehungsweise die Pflicht zu remonstrieren obliegt.

Rechtliche Ausgangslage

Die Berufspflichten in den Hebammen-Berufsordnungen der Länder, zu denen auch das Remonstrationsrecht zählt, betreffen ausschließlich zugelassene Hebammen und eben (noch) nicht die Hebammenstudierenden. Sie können diese Berufspflicht also noch gar nicht verletzen.

Bleibt dennoch der Haftungsaspekt, der es nun einmal jedem medizinischen Fachpersonal auferlegt, nicht tatenlos zuzusehen, wenn ein:e Patient:in geschädigt wird. Dabei haben die Studierenden aber natürlich nur zu remonstrieren, wenn sie sicher einen Fehler erkennen und diesen aufgrund ihres Wissensstandes auch feststellen konnten.

Kein Richter wird verlangen, dass eine Studierende die Fehler ihrer Ausbilder:innen stets erkennt – schließlich lernt sie gerade erst das notwendige Fachwissen. Insofern sind an solche Remonstrationspflichten bei Studierenden extrem hohe Maßstäbe anzulegen, die wohl eher im Ausnahmefall greifen. Es verwundert nicht, dass bisher keine Rechtsprechung bekannt ist, in der einer Studierenden ein solcher Vorwurf gemacht wurde. Studierende der Hebammenwissenschaften können also beruhigt sein.

Gegensätzliche Wertung

In der Regel wird der Fall sogar »andersherum« gewertet: Die Hebammenstudierende darf grundsätzlich nur (mit-)behandeln, wenn sie die Methode der Wahl sicher beherrscht, sich ihre Ausbilderin hiervon überzeugt hat und sie beaufsichtigt. Auch dies zeigt, dass die haftungsrechtliche Remonstrationspflicht für Studierende kaum praxisrelevant ist.

Und wenn nun doch etwas auffällt?

Die Vorstellung, als Hebammenstudierende die Oberärztin zu kritisieren – womöglich sogar vor der Patientin – mutet natürlich eher seltsam an. Zu diesem Fall wird es ja auch eher selten kommen.

Die ausbildenden Hebammen und das hinzugezogene ärztliche Personal werden in der Regel wesentlich mehr Erfahrung und Know-how haben als eine Studierende im zweiten Semester. Diese darf also darauf vertrauen, dass die Behandler:innen korrekt handeln (siehe Kasten: Nachgefragt).

Sofern sie keine eklatanten Fehler erkennt, braucht sie nicht jeden Schritt der Kolleg:innen zu hinterfragen. Zudem wäre es aus Studierenden-Sicht auch sinnvoll, eventuelle Zweifel am Vorgehen einer mitbehandelnden Person zunächst mit der Ausbilderin oder einer anderen examinierten Hebamme zu besprechen, damit diese notfalls remonstrieren kann. Auf diese Weise bleibt die Ruhe im Team erhalten; schließlich sollte freundliches Nachfragen und Hinterfragen immer möglich sein.

Und der Worst Case?

Ein denkbares Szenario, in dem wohl auch von einer Studierenden verlangt werden kann, tätig zu werden, wäre beispielsweise, wenn die anwesende, offensichtlich völlig übernächtigte Hebamme die falsche Infusion anhängt und der Studierenden dies sofort auffällt. Hier reicht dann ein schneller Hinweis unter Kolleg:innen.

Nichtsdesotrotz bleibt es dabei, dass bisher kein Haftungsfall bekannt ist, bei der eine werdende Hebamme oder eine Studierende wegen Verletzung der Remonstrationspflicht verurteilt wurde.

Ausblick

Angemerkt sei dennoch, dass die Entwicklung in der Rechtsprechung aktuell annehmen lässt, dass die Ansprüche an die Kenntnisse der Hebammen als Geburtshelfer:innen steigen. Die berechtigte Anerkennung der Qualifikation des Berufsstandes der Hebammen durch die Akademisierung führt dazu, dass sich die Sachverständig:innen und Richter:innen ebenfalls die Verantwortung der Hebammen bewusst sind. Hinzu kommt, dass unterbesetzte Kreißsäle und die Zusammenlegung von Kliniken nicht unbedingt dazu führen, dass sich die Lage in den Kreißsälen entspannt.

Insofern sollten sich Hebammen stets ihrer Verantwortung bewusst sein und auf gute Notfallstrukturen im Kreißsaal achten. In einem gut aufgestellten Team sind Hebammen und ärztliche Geburtshelfer:innen wertschätzend kooperativ für die Gebärenden und ihre Kinder tätig. Die Zeiten sollten vorbei sein, in denen Oberärzt:innen am Wochenende nicht mehr gerufen werden wollen.

Fazit

Das Berufsrecht zu remonstrieren ist aus haftungsrechtlicher Sicht ein wichtiges Gebot, zu dem einiges an Rechtsprechung existiert. Als hoch qualifizierte Geburtshelferinnen stehen Hebammen im Rahmen ihrer beruflichen Kenntnisse ebenso in der Pflicht, wie ärztliche Geburtshelfer:innen. In erster Linie trifft dies examinierte Hebammen, von denen verlangt wird, offen erkennbare Fehler von Mitbehandelnden zu erkennen und durchaus auch gegenüber erfahreneren Kolleg:innen für ihren Standpunkt einzutreten. Dies darf selbstverständlich nicht dazu führen, dass sämtliche Entscheidungen im Kreißsaal in Frage gestellt werden.

Das Recht zu remonstrieren besteht eben nur, wenn erkennbar gegen die anerkannten Regeln der Geburtshilfe verstoßen wird. Und erstarkt erst dann zur Pflicht, tätig zu werden, wenn die Schadenswahrscheinlichkeit bei Mutter und Kind hoch ist.

Hebammenstudierende trifft diese Pflicht in der Regel nicht, da ihr Wissensstand naturgemäß hinter dem der examinierten Fachkräfte zurücksteht. Nur in extremen Ausnahmefällen könnte hier ein Haftungsszenario erdacht werden, aktuell existiert ein solches wohl nicht.

Insgesamt ist eine Haftung wahrscheinlich, wenn folgender Grundsatz der Rechtsprechung erfüllt ist: wenn nicht remonstriert wurde, obwohl ein Nichteingreifen nach dem vorauszusetzenden Wissenstand schier unbegreiflich und hieraus ein Schaden entstanden ist.

Nachgefragt

Angelica Ensel: Wie ist das mit der Pflicht zur Remonstration im Fall von Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe? Das erleben die Studierenden relativ häufig – angefangen von verbaler Gewalt bis hin zu Interventionen ohne Einverständnis oder sogar gegen den Willen der Gebärenden. Dabei sind die Studierenden durchaus in der Lage, dies richtig einzuordnen. Es geschieht sowohl von Seiten der ärztlichen Profession als auch durch Hebammen. Aufgrund der Hierarchie fällt es Studierenden jedoch sehr schwer, das anzusprechen. Auch hier entsteht Schaden, oft leider sehr nachhaltig sowohl für die betroffene Frau als auch für ihre Familie.

Ann-Kathrin Hirschmüller: Ohne Frage sind tätliche Angriffe oder Eingriffe gegen den Willen der Gebärenden nicht erlaubt – und ohne Frage kommt dies dennoch vor. Sei es aufgrund von überarbeiteten, gestressten Fachkräften, sei aus aus Zeitgründen oder wegen aggressiven Patientinnen. Gewalt in der Geburtshilfe ist leider immer noch ein Thema.

Im Grunde greift auch hier die oben beschriebene Remonstrationspflicht für alle zugelassenen Hebammen. Für Studierende ist dies ebenfalls ein heikles Thema. Auf der einen Seite handelt es sich natürlich um einen unhaltbaren Zustand, auf der anderen Seite bleibt die Problematik, dass die Studierende eben noch in der Ausbildung ist. Dennoch ist, je nach Intensität, ein Eingreifen unerlässlich. Denn neben der Remonstrationspflicht kann eine (Mit-)Strafbarkeit im Raum stehen, wenn ein Behandler oder eine Behandlerin eindeutig eine Straftat an der Gebärenden erlebt und ihr nicht zur Hilfe kommt.

Es ist zu empfehlen, zunächst den Einzelfall im Blick zu haben: Hat die erfahrene Kollegin oder die ärztliche Fachkraft eine (unerlaubte) 30-Stunden-Schicht hinter sich beziehungsweise ist völlig übermüdet, gestresst oder überarbeitet und rutscht ihr aufgrund der Extremsituation der falsche Ton heraus oder wird sie kurz ungeduldig und ruppig? Dann sollte dies kollegial angesprochen werden. Zudem kann angeboten werden, den Hintergrund­dienst zur Unterstützung anzufordern. Die betroffene Fachkraft, die sich so erlebt, ist natürlich selbst aufgerufen, über die Ursachen nachzudenken und die Situation zu ändern. Sollte es aber regelmäßig zu solchen Übergriffen kommen, wäre ein Gespräch mit der oder dem nächsten Vorgesetzten der weitere Schritt; die Studierende sollte ihre Beobachtungen mit der Praxisanleiterin, Ausbilderin oder ebenfalls der nächsten Vorgesetzten besprechen. Solche Gespräche sollten trotz der heiklen Thematik den anerkannten Regeln der Gesprächsführung folgen: diplomatisch, gewaltfrei, emotionsfrei – so weit es geht. Letztlich müssen Gewaltprobleme im Team gelöst werden – das kann niemand allein.

Zitiervorlage
Hirschmüller, A.-K. (2024). Remonstrationspflicht werdender und junger Hebammen: Gebot oder Pflicht? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (9), 94–96.