Pausen gehören zum Geburtsprozess. Nach unterschiedlich langen Perioden des Abwartens treten meist wieder regelmäßige, kräftige Wehen ein. Foto: © Esther Mauersberger

Dass Frauen heute zunehmend unter Zeitdruck gebären müssen, ist die Folge einer seit dem 20. Jahrhundert in geburtshilflichen Lehrbüchern verankerten fragwürdigen Normierung der Geburtszeit. Die Ökonomisierung in den Kliniken verstärkt den Druck zusätzlich. Die Physiologie der Geburt gerät aus dem Blick. Dabei sind Pausen im Geburtsprozess häufig von einem Fortschritt gekrönt. Ein Plädoyer für die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der Hebammenkunst des situationsgemäßen, gekonnten Abwartens.

Nur in sehr wenigen Fällen – etwa bei Querlagen, bei einem länger zurückliegenden Blasensprung oder dem Auftreten von Infektionszeichen – scheint Zeitdruck bei der Begleitung einer Geburt wirklich evidenzbasiert beziehungsweise von Nutzen zu sein. Ansonsten steht geburtshilfliche Eile eher unter dem Verdacht, in vielen Fällen den Geburtsprozess zu stören und nicht selten Schaden anzurichten. Die Evidenz dafür, die Geburtszeit zu normieren, wird aktuell international in Frage gestellt.

Entspannung und Öffnung statt Alarmzustand

Zeitdruck bewirkt Stress. Die Gebärenden werden dabei in einen gewissen Alarmzustand versetzt, bei dem das sympathische Nervensystem verstärkt angeregt wird, so dass die Frauen oft nur noch erschwert in die Entspannung finden. Stresshormone werden verstärkt ausgeschüttet, die wiederum unter anderem die Wirkung des Endorphin- und des Oxytocin-Systems in den meisten Fällen hemmen. Es gibt anscheinend nur einige wenige Ausnahmen in der letzten Phase der Geburt, zum Beispiel bei drohender Gefahr, in denen Stress bewirkt, dass die Gebärende ihr Kind schneller zur Welt bringt (Odent 2009).

Grundsätzlich hemmen körpereigene Morphine (Endorphine) die Schmerzleitung und bewirken vor allem über das zentrale Nervensystem einen angstlösenden und euphorisierenden Effekt (Kuhl 2002). Während der Geburt sind es daher im Besonderen die Endorphine, die den tranceähnlichen Zustand vermitteln, der für die Hemmung des Neocortex und damit teilweise des rationalen Denkens nötig ist. Dieser wiederum fördert die Dominanz derjenigen neuro-vegetativen, parasympathischen Funktionen, die die Geburt maßgeblich steuern und unterstützen. Dieser Zustand ist wesentlich für die Gebärende, um sich zu entspannen, zu öffnen und ihre eigenen Grenzen zu überschreiten (Schmid & Downe 2010).

Auch der französische Geburtshelfer Michel Odent betont, dass kognitive, verbale Anregung, Zeitdruck, Angst oder helles Licht während der Geburt den Neocortex zu stark aktivieren könnten, was wiederum die Oxytocin-Ausschüttung und damit das Gebären häufig hemmt (Odent 2009).

Seit Jahrtausenden gehört es daher zum Hebammenwissen, wie wichtig Ruhe, Rückzugsräume und Geduld für den Geburtsprozess sind, damit, wie wir heute wissen, unter anderem das vegetative Nervensystem und das Hormonsystem gut und harmonisch arbeiten können. Und damit gehört es auch zur Hebammenkunst, für diese Ruhe zu sorgen. Das Abwarten ist eine wichtige mögliche, fachlich begründbare Alternative zum Eingreifen, doch es wird heute noch häufig als rückständig und passiv angesehen. Denn seit dem 20. Jahrhundert hat der Zeitdruck in der modernen Geburtsmedizin massiv Einzug gehalten und mit ihm die Anzahl der Eingriffe. Viele Hebammen-Kolleginnen klagen immer wieder über diesen Zeitdruck, der in vielen Kreißsälen noch vorzuherrschen scheint. Er gehe an den Bedürfnissen der Frauen vorbei, entspreche häufig nicht der Realität des Geburtsprozesses, und es werde nach ihrem Ermessen immer noch viel zu oft zu schnell eingegriffen.

In einem Experteninterview zur Masterarbeit zum Thema Pausen im Geburtsprozess (Krüger 2018) beschreibt es die Hebamme Grete Gülzow so: »…wenn es dann drei Stunden nicht messbar weiter gegangen ist, dass man schon in Stress kommt, dass alle dich fragen, warum ist das nicht weiter gegangen […] Und dass man dann von diesen äußeren Umständen so getrieben ist, dass man selber da hinein gerät – dass das nicht sein darf. Dass man da einen Tropf daran hängt, weil man denkt, das muss jetzt so sein, dass es kommt, oder weil jemand zu dir kommt und sagt, es muss jetzt aber mal kommen. Und dass man damit die Frauen auch unheimlich unter Druck setzt – dass die das jetzt irgendwie machen müssen.«

Und auch die Frauen selbst, wenn sie zum Beispiel für anamnestische Erhebungen oder in Kursen von ihren vorausgegangenen Geburten berichteten, reflektieren häufig, wie sehr sie der spürbare Zeitdruck in der Geburtsabteilung während des Gebärens unter Druck gesetzt und gehemmt hat.

Zeitgrenzen in Leitlinien und Lehrbüchern

Bis 2014 hat das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) die zeitliche relativ strikte Limitation der einzelnen Geburtsphasen propagiert. Diese Empfehlung aus den USA war richtungsweisend und prägte die geburtshilfliche Praxis und Lehrmeinung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

2014 haben das ACOG und die Society for Maternal-Fetal Medicine (SMFM) die Leitlinien aufgrund der neuen Studienlage endlich aktualisiert, mit dem bezeichnenderweise offen benannten Ziel, die Interventions- und speziell die Sectiorate zu senken.

Die zeitliche Limitation der Geburtsdauer wurde deutlich gelockert. Die Latenzphase wird nun weiter gefasst, indem die Eröffnungsphase erst ab sechs Zentimeter Muttermunderöffnung als aktive Geburtsphase und bei Blasensprung zeitlich limitiert wird. Dies geschah mit Bezug auf eine Studie aus dem Jahr 2010 von Jun Zhang, einem Perinatalen Epidemiologen in Maryland, USA, und KollegInnen. Grundsätzlich wird auch keine zeitliche Angabe für die Dauer der Austreibungsphase mehr definiert, da die Studienlage aufzeigt, dass längere Austreibungsphasen unter Umständen durchaus physiologisch sein können (Myles et al. 2003; Cheng et al. 2004; Rouse et al. 2009).

Nur das aktive Mitschieben wird hier zeitlich limitiert, und zwar frühestens ab zwei Stunden für Mehrgebärende und drei Stunden bei Erstgebärenden (ACOG 2014; Schwarz DHZ 9/2014), wie es übrigens auch den NICE Guidlines seit dem Jahr 2007 entspricht (NICE 2014). Das macht einen großen Unterschied, denn eine Austreibungsphase, in der die Frau noch keinen Pressdrang hat und nicht mitschieben kann, kann nun deutlich länger dauern.

Dennoch scheint diese Auflockerung der Normen in der geburtshilflichen Praxis vieler Kliniken in Deutschland noch nicht angekommen zu sein. Noch immer herrscht Zeitdruck vor. Veraltete Parameter wie beispielsweise zwei bis maximal drei Stunden Austreibungsphase, selbst wenn die Frau noch keinen Drang zum Mitschieben hat, sitzen uns noch oft im Nacken – trotz fragwürdiger Evidenz. Auch wenn die Wehenfrequenz im Geburtsprozess plötzlich nachlässt, wird das selten zugelassen, sondern die Geburt eher aktiv und häufig medikamentös unterstützt. Es scheint schwer zu fallen, sich von den alten Normen zu lösen.

Sieht man sich die Entwicklung der Geburtshilfe in der Neuzeit genauer an, lässt sich besser verstehen, wie es zu solchen Richtwerten kam und worauf sie sich beziehen und auch, worauf sich die Auflockerung dieser Normen stützt. Vielleicht lassen sich durch diese Einblicke die alten statischen Normwerte besser überwinden und wir können in unserer täglichen Praxis klarer argumentieren, warum und wann sie nicht mehr ausschlaggebend sein können und dürfen.

Ein Blick in alte geburtshilfliche Fachbücher zeigt schnell, dass es erst im Laufe des 20. Jahrhunderts im Großen und Ganzen zu einer Verkürzung der als normal betrachteten Geburtsdauer gekommen ist. Um einen Überblick zu erhalten, werden als Stichprobe die Angaben verschiedener bekannter Geburtshelfer zur Geburtsdauer für Erstgebärende in einer Tabelle mit Zuordnung zum Veröffentlichungsjahr zusammengefasst (siehe Tabelle 1).

Die Zeitangaben variieren stark von einem Geburtshelfer zum anderen. Das zeigt, wie subjektiv diese Vorgaben sind. Und es wird deutlich: Die zugestandene Zeit, um zu gebären, wird tendenziell kürzer.

Friedmans fragwürdige Vorgaben

Vor allem die fortlaufenden Veröffentlichungen des US-amerikanischen Geburtsmediziners Emanuel Friedman aus New York waren maßgeblich prägend für die Geburtsmedizin ab Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit. Von einer verzögerten Muttermunderöffnung in der Aktivphase wurde hier gesprochen, wenn die Werte von 1,2 cm/Std. für Erstgebärende und 1,5 cm/Std. für Mehrgebärende überschritten wurden. Es ist erschreckend, die Studien, aus denen die wohlbekannten Daten stammen, im Einzelnen zu lesen. Die errechneten Durchschnittswerte basieren beispielsweise auf einer Studie von 1954, die sich auf eine Untersuchungsgruppe von nur 200 Erstgebärende bezieht. Eine extrem kleine Strichprobe also, um solch einen Generalitätsanspruch zu erheben. Dazu kommt, dass die Interventionsrate in Friedmans Studiengruppe aus dem Jahr 1954 extrem hoch war: starke medikamentöse Sedierung, 22 % Periduralanästhesie, schockierende 64 % sogenannter prophylaktischer Zangenentbindungen und bereits 19 % Syntocinon-Gaben, obwohl das Medikament gerade erst 1953 auf den Markt gekommen war; die Zulassungsverfahren waren damals noch nicht so streng, und so hatte es sich ohne ausführliche Tests schnell etabliert. Die damals üblichen Routine-Eingriffe zählten also nicht zu den Ausschlusskriterien der Studie über den Normverlauf der Geburt.

Diese und eine 1955 folgende zweite Studie Friedmans mit einer Stichprobe von 500 Erstgebärenden mit ähnlich hohen Interventions- und noch genauer dokumentierten Sedierungsraten bilden die Basis für Friedmans Normkurve des Geburtsverlaufes. In der zweiten Studie erhielten 23 % der Frauen leicht sedierende Mittel, 42 % stärker und 31 % stark bis exzessiv sedierende Medikation wie Scopolamie und Demerol. Das bedeutet, dass 96 % der Gebärenden unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln standen.

Die Daten aus den Studien von Friedman können aufgrund der hohen Interventionsrate nicht ansatzweise als repräsentativ für einen physiologischen Geburtsverlauf gelten. Sie spiegeln lediglich den Verlauf der hochgradig medikalisierten und eingriffsstarken Geburten der 50er Jahre im New Yorker Sloane Hospital wider (Friedman 1954, 1955).

Dennoch waren die von Friedman erhobenen Daten jahrelang maßgebend und wurden von der ACOG tatsächlich bis 2014 propagiert. Erst in diesem Jahrhundert wurden sie endlich durch aktuellere und deutlich größer angelegte Untersuchungen entscheidend in Frage gestellt (Neal et al. 2010; Zhang et al. 2010; Rouse et al. 2009; Albers et al. 1999; Lavender et al. 2006). Die aktuellen Studien konnten entweder keinen linearen Verlauf der Muttermunderöffnung im Sinne von Friedman bestätigen oder dokumentierten häufig längere Geburtszeiten, ohne ein schlechteres Outcome vorzuweisen. Erschreckend ist, wie lange es bis zu dieser Revision gedauert hat und dass sich immer noch viele geburtshilfliche Fachbücher auch in neuesten Auflagen an den Vorgaben dieser äußerst fragwürdigen Studien von Friedman orientieren (zum Beispiel Schneider et al. 2016; Mändle & Opitz-Kreuter 2015; Dudenhausen 2014).

Neuere »maßgebliche« Studien

Der US-amerikanische Forscher Jeremy L. Neal vom College of Nursing, Ohio State University, Columbus und seine KollegInnen errechneten 2010 eine durchschnittliche Dilatationsrate von 0,5 cm/Std. Allerdings beziehen sich diese rückwirkend erhobenen Daten ebenfalls ausschließlich auf Krankenhausgeburten. Sie decken die Zeitspanne von 1950 bis 2008 ab, einen Zeitraum also, in dem Eingriffsraten sehr hoch waren, wie auch durch die Daten der Untersuchungsgruppe deutlich wird. Das heißt, dass auch dieser Datenerhebung keine physiologischen Verläufe zugrunde liegen (Neal et al. 2010).

Der Epidemiologe Jun Zhang und sein Studienteam untersuchten im Vergleich zu Friedman retrospektiv eine wesentlich größere Datenmenge, nämlich von 62.415 Erstgebärenden, die zwischen 2002 und 2008 in Krankenhäusern in den USA geboren hatten. Allerdings bekamen von ihnen 80 % eine Periduralanästhesie und fast 50 % Sytocinon-Infusionen. Somit werden auch hier wieder keine physiologischen Verläufe untersucht. Dennoch weist die Dilatationskurve, die Zhang und sein Team in ihrer multizentrischen Studie ermittelten, wesentlich mehr Variationen und langsamere Etappen auf, als die lineare Kurve von Friedman. Es wird deutlich, dass die Eröffnung des Muttermundes nicht uniform verläuft, sondern ein individueller Prozess ist (Zhang et al. 2010).

Die Veränderung der ACOG-Leitlinien auf dieser Basis nimmt damit etwas Druck aus der allgemein üblichen Normierung des Geburtsprozesses, orientiert sich allerdings weiter an Normwerten (ACOG 2014).

Gleichzeitig hat endlich ein ernst zu nehmender und wegweisender wissenschaftlicher Diskurs begonnen, ob ein so individueller, vielschichtiger, körperlicher und psychischer Prozess wie das Gebären überhaupt durch errechnete Durchschnittswerte erfasst und abgebildet werden kann (Paiman et al. 2015; Ramsayer 2013, Walsh 2012; Hildebrandt 2010; Rockenschaub 2005; Gaskin 2003; Böer 1817).

Die aktuelle Medizin bezieht sich größtenteils auf berechnete Risiken, wie beispielsweise die hypothetische und nicht ausreichend belegte Gefahr der protrahierten Geburt. Das ist im Falle der Normierung der Geburtszeit darüber hinaus noch äußerst strittig – und behandelt die mögliche Gefahr häufig vorgreifend, meist ohne dass bis dahin irgendwelche Pathologien erkennbar waren. Die Evidenz dieses Vorgehens ist nicht geklärt. Das Risiko, dass eine lange Geburt grundsätzlich Mutter und Kind gefährden könnte, schwebt ganz allgemein – vor allem häufig völlig undifferenziert – im Raum. Es ist aber nicht ausreichend oder eindeutig belegt.

Die fraglichen Risiken einer langen Austreibungsperiode

Der bekannte deutsche Geburtsmediziner und Lehrbuchautor Gerhard Martius (1924–1998) und viele seiner Zeitgenossen haben eine ungenügend evidenzbasierte Hypothese von der Gefährdung des Kindes insbesondere durch die Austreibungsperiode vehement vertreten. Diese Hypothese wird zum Teil heute noch gelehrt. Sie hat den Zeitdruck für Gebärende weiter erhöht und zu vielen Interventionen sowie frühzeitigen Geburtsbeendigungen geführt. Sie konnte aber durch aktuelle Studien zur Auswirkung von sogenannten prolongierten Austreibungsphasen größtenteils widerlegt werden. So konnte gezeigt werden, dass auch deutlich längere Verläufe kein schlechteres neonatales oder kindliches Outcome aufwiesen (Le Ray 2009; Myles et al. 2003; Cheng et al. 2004; Rouse et al. 2009).

Die Forscherin und Frauenärztin Yvonne Cheng und ihr Team untersuchten in einer großen Kohorten-Studie rückwirkend die Datenmenge von 15.759 Erstgebärenden aus den USA. Sie konnten zeigen, dass längere Austreibungsphasen nicht zu Unterschieden im neonatalen Säure-Basen-Status führten und es erstaunlicherweise weniger 5-Minuten APGAR Werte <7 gab. Dies galt sogar für eine Stichprobe, bei der die Austreibungsphase länger als vier Stunden dauerte (Cheng et al. 2004). Auch der US-amerikanische Geburtshelfer Dwight J. Rouse kam zu ähnlichen Ergebnissen sogar für Stichproben, in denen die Austreibungsphase länger als fünf Stunden dauerte.

Darüber hinaus konnte die kanadische Geburtshelferin Camille Le Ray mit ihrem Forschungsteam aufzeigen, dass selbst eine längere Phase des aktiven Mitschiebens nicht mit einem beeinträchtigten kindlichen Outcome assoziiert werden konnte – selbst dann nicht, wenn drei Stunden überschritten wurden, wobei ab dann aber das Risiko für postpartale atonische Blutungen bei der Mutter stieg.

Aus allen genannten Studien geht für die Gebärenden, deren Austreibungsphasen über die bis dahin übliche Norm hinausging, ein erhöhtes Risiko für operative Geburtsbeendigungen hervor. Dies darf allerdings nicht losgelöst von dem bisher weit verbreiteten aktiven Geburtsmanagement gesehen werden, insbesondere bei Geburten, die nicht der üblichen Normierung der Geburtszeit entsprechen. Ebenso verhält es sich mit erhöhten Raten an Geburtsverletzungen, Atonien und Chorioamnionitis bei prolongierten Austreibungsphasen. Hierbei wird oft nicht genau differenziert, inwieweit die operativen Eingriffe die Geburtsverletzungsrate und uterinen Infektionen bedingen. Es lässt sich auch schlecht abgrenzen, ob die Syntocinon-Gaben, die ein Großteil der Frauen in den Kliniken dann erhielten, im Zusammenhang mit dem erhöhten Atonie-Risiko stehen, wie in anderen Studien belegt wird (Belghiti et al. 2011; Verspyck & Sentilhes 2008).

Ist die Wehenfolge sehr kurz, bieten die kurzen Wehenpausen wenig Regenerationszeit für den Uterus und Beckenboden. Bei nicht intervenierten Geburten kann oft beobachtet werden, dass die Wehenpausen bei langen Austreibungsperioden phasenweise länger werden und dies deutlich zur Regeneration von Mutter und Kind beiträgt (Krüger 2018).

Die Frauenärztin Alexis Gimovsky und ihr Forschungsteam zeigten 2018 in einer Studie an der George Washington University School of Medicine and Health Sciences in Washington, dass eine sogenannte prolongierte Austreibungsphase bei Erstgebärenden zu keiner wahrnehmbaren Beckenbodendysfunktion führte. Die Untersuchungen wurden in einem Zeitraum von 12 bis 36 Monaten post partum durchgeführt (Gimovsky 2018). Die Studienlage zu dieser Thematik ist aber noch uneindeutig. Grundsätzlich lässt sich die Frage, ob eine lange Austreibungsphase schädlich für den Beckenboden ist, bei den derzeit allgemein hohen Eingriffsraten schlecht differenziert klären. Es mangelt an Studien, die die genaue Art der Geburtsbegleitung in dieser Phase in Betracht ziehen. Der Geburtshelfer Aly Youssef und sein Team an der Universitätsklinik in Bologna, Italien, zeigten in einer Fallkontrollstudie, dass bereits das aktuell in der Geburtsmedizin häufig verwendete Kristeller-Manöver mit einer deutlich erhöhten Dammrissrate einhergeht (Youssef et al. 2018).

Die Physiologie im Auge behalten

Bei der Limitierung der Austreibungsphase ist bisher selten ein Zusammenhang zum Höhenstand des kindlichen Köpfchens hergestellt worden. Oft wird schon zeitlicher Druck gemacht, obwohl noch gar kein Druck auf dem Beckenboden ankommt. Dabei ist der unwillkürliche Pressdrang ein guter Parameter, denn dieser wird in der Regel erst ausgelöst, wenn das kindliche Köpfchen beim Tiefertreten wirklich von innen Druck auf den Beckenboden überträgt. Wobei diese Phase des periodischen Drucks wiederum sehr wichtig zu sein scheint für die Entfaltungsprozesse des Beckenbodens. Über die Verläufe und Dauer dieses Entfaltungsprozesses, die, wie die Praxis zeigt, von Frau zu Frau stark variieren und zum Teil bei Erstgebärenden länger als eine Stunde dauern können, und darüber, welche Entlastung der Beckenboden erfährt, wenn das Köpfchen in den Pausen wieder zurückrutscht, ist noch wenig bekannt. Eine wichtige Rolle zum Schutz des Beckenbodens scheinen auch die in dieser Phase produzierten körpereigenen Gleitmittel zu spielen. Eine weitere wichtige Frage ist daher, ob Geburtsverletzungen auch dadurch hervorgerufen werden, dass eine vollständige Entfaltung des Beckenbodens nicht abgewartet wird (Ramsayer 2013).

Vom »active management of labour« absehen

Zusätzlich zu Friedmans Normwerten hat das Protokoll des aktiven Geburtsmanagements des irischen Geburtsmediziners Kieran O’Driscoll und seines Teams aus dem Jahr 1973 die sogenannte moderne Geburtsmedizin bis heute weltweit geprägt (»active management of labor« – O’Driscoll et al. 1973). Das Ursprungsprotokoll hatte das selbsternannte Ziel, sicherzustellen, dass möglichst »alle Frauen innerhalb von 12 Stunden geboren haben sollen«. Um dies zu erreichen, werden vor allem die standardmäßige Eröffnung der Fruchtblase und routinemäßige anschließende Wehenmittelgaben empfohlen und massiv eingesetzt.

Auf Grundlage der aktuellen Studien wird vom »active management of labour« wegen der deutlichen negativen Auswirkungen auf das kindliche und mütterliche Outcome und der fragwürdigen Evidenz (Belghiti et al. 2011; Verspyck & Sentilhes 2008; Thornton 1996) jedoch klar abgeraten.

»Wehentherapie« weit verbreitet

Der Einsatz von Wehenmitteln und Interventionen ist in der modernen Geburtsmedizin aber nach wie vor stark verbreitet. Die Perinatalerhebung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) ergab zum Beispiel in der Bundeserfassung für 2016 folgende Daten: Von den 744.039 erfassten Einlings-Krankenhausgeburten in Deutschland bekamen 30,4 % der Gebärenden eine Sectio. Dabei war in 21,1 % der Fälle unter anderem eine sogenannte protrahierte Eröffnungsphase die Indikation. Nur 61,1 % der am Termin geborenen Kinder hatten eine Spontangeburt und 7,1 % hatten eine vaginal operative Entbindung. 26,8 % aller Gebärenden erhielten zur »Wehentherapie« unter der Geburt Wehenmittel.

In einer groß angelegten retrospektiven Studie in den USA wird ein Syntocinon-Gebrauch von fast 50 % bei Erstgebärenden dokumentiert (Zhang et al. 2010), 57% waren es in einer britischen Erhebung (Mead 2008) und 61 % in einer ebenfalls großen retrospektiven Studie in Frankreich (Belghiti et al. 2011).

Es ist nicht nachzuvollziehen, dass ein so elementarer Prozess wie die Geburt in so vielen Fällen medikamentöse Unterstützung benötigen sollte. Besonders bedenklich an dieser Situation ist, dass Syntocinon-Gaben häufiger zu abnormalen kindlichen Herztonmustern und einer Uterus-Überstimulierung führen. Das haben die französischen Geburtshelfer Eric Verspyck und Lois SentÏlhes 2008 nachgewiesen (Verspyck & SentÏlhes 2008).

Der französische Geburtshelfer Jérémie Beglhiti und seine KollegInnen wiesen 2011 (Unit on Perinatal Health and Women’s and Children’s Health, Université Pierre et Marie Curie Paris) ein deutlich erhöhtes Risiko für starke postpartale Blutungen der Gebärenden nach Syntocinon-Gaben nach. Die Beschleunigung der Geburt hat hier also deutlich eine gesundheitsgefährdende Wirkung.

Organisatorischer Druck

Die Verkürzung der zugestandenen Geburtszeit und die Medikalisierung sind auch im Zusammenhang mit der Etablierung der Krankenhausgeburt seit dem 19. Jahrhundert zu sehen (Metz-Becker 1997). Hinzu kommt der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzende, unter anderem ökonomisch motivierte Trend zur Konzentration der Geburten in großen Kliniken (Walsh 2010; Odent 2004).

Der Professor der Geburtshilfe Denis Walsh schreibt: »Dadurch, dass immer mehr Frauen in immer größeren Kliniken ihre Kinder zur Welt bringen, steigt der organisatorische Druck, die Frauen durch die Geburtsabteilungen zu schleusen.«
(Walsh 2010)

Der Personalschlüssel ist insbesondere seit der Privatisierung vieler öffentlicher Krankenhäuser niedrig, nicht selten aus gewinnorientierten Motiven (Böhlke & Schulten 2008). Dies erschwert es, langsame Geburtsverläufe adäquat zu betreuen.

Das sogenannte »active management« von Geburten bedient die Erfordernisse der Institution dabei ausgezeichnet und ist wohl auch daher erschreckender Weise trotz der äußerst fraglichen Evidenz nach wie vor eine durchaus gängige klinische Praxis in vielen Kliniken (Thorogood & Donaldson 2015; Walsh 2010).

Es ist ersichtlich, dass unter diesen Rahmenbedingungen kaum Raum ist für langwierige, aber physiologische Geburtsverläufe mit Pausen und Ruhephasen. Kolleginnen berichten immer wieder, dass es in der Klinik kaum zur Beobachtung von Ruhephasen kommt. Hier geht viel Wissen verloren, da durch die hohen Eingriffsraten vielen GeburtshelferInnen physiologische Wehenverläufe unzureichend bekannt und vertraut sind.

Die Midwives Association of North America (MANA) nutzte ihre Erhebungen von Tausenden von Haus- und Geburts­hausgeburten und konnte darstellen, dass eine signifikante Gruppe von Frauen (15 %) auch in der aktiven Geburtsphase eine Verlangsamung oder sogar ein Ausbleiben der Wehen und damit auch eine langsamere Muttermunderöffnung aufwiesen. Diese Phasen wurden in dieser Erhebung als Plateaus benannt. Pausen wurden als physiologisch eingestuft und nicht mit Interventionen, sondern innerhalb dieser Studiengruppe mit abwartendem Verhalten begleitet. Nach unterschiedlich langen Perioden des Abwartens traten wieder regelmäßige, kräftige Wehen und ein Voranschreiten der Geburt ein (Davis 2002).

Es handelt sich hier um eine der ersten statistischen Dokumentationen von Ruhephasen in der Geburt. Sie ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil die MANA-Erhebung ihre Daten aus Geburtsverläufen bezieht, bei denen nicht von einer medikamentösen Intervention auszugehen ist. Denn diese sind in der außerklinischen Geburtshilfe nicht vertreten und auch von den Richtlinien der einzelnen Länder in der Regel nicht zugelassen. Die MANA-Daten bilden daher wohl am ehesten die Physiologie der Geburt ab.

»Ineffiziente Wehen« tauchen erst mit Zeitnormen auf

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde noch viel selbstverständlicher mit individuellen Wehen-Mustern und Geburtsverläufen umgegangen. Sicherlich konnte dabei auch auf ganz andere Erfahrungswerte zurückgegriffen werden, da ja viele Interventionsverfahren noch gar nicht in dem Maße verfügbar waren. In der deutschsprachigen Fachliteratur aus dieser Zeit finden sich gleich mehrere Zeugnisse dafür, dass anerkannte Geburtshelfer den Geburtsprozess als ein sehr individuelles Geschehen sahen.

»Die verschiedenen Eigenschaften der Wehen, die Häufigkeit, Dauer und Stärke derselben sind sehr verschieden nach der Constitution des weiblichen Körpers. […] Die Wehen sind oft sehr unbeständig, bald werden sie schwächer, und nehmen oft wieder auf einmal zu.« (Martens 1802)

Die erfahrenen Professoren der Geburtshilfe und Lehrbuchautoren Johann Lukas Boër (1751–1835) und Eduard Caspar Jacob von Siebold (1801–1861) äußerten sich klar gegen ein generelles Eingreifen bei nachlassender Wehentätigkeit: »Man muß sich kein Ideal von eingebildeten Wehen aufstellen und nach diesem die wirklichen bei jeder einzelnen Geburt beachten, sonst wird man bei den meisten Gebärenden etwas zu tadeln und zu pfuschen haben, sondern die Sache so nehmen, wie sie sind, und in jedem Fall sein können. […] und wie lange übrigens die Funktion auf diesem natürlichen Weg manchmal dauern mag, so konstituirt dies doch nie eine eigentliche schwere, sondern nur eine langwierigere Gebährung.« (Boër 1817)

»Äußern sich die Wehen zu schwach, oder hören sie gänzlich auf in der ersten Geburtszeit, selbst in der zweiten [entsprechen Latenz- und Eröffnungsperiode, d. Verf.], so ist dieses unter sonst günstigen Verhältnissen von gar keiner Bedeutung: oft bedarf es nur der Erholung und der Zeit, worauf sich die Contractionen wieder in voller Integrität einstellen. […] Ja es bedarf oft auch dann noch, wenn in der dritten Geburtsperiode [entspricht der Zeit bis zur aktiven Austreibungsperiode, d. Verf.] nach abgeflossenem Fruchtwasser und schon tief stehenden Kindsteilen, die Wehen nachlassen oder ganz aufhören, durchaus weder Arzeneien noch sonst mechanischer Hülfe: Ruhe, Zeit und Geduld führen auch hier ohne Gefahr für Mutter und Kind zum erwünschten Ziele.« (Siebold 1841)

Die Begriffe Wehenschwäche und insuffiziente Wehentätigkeit tauchen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, zeitgleich mit dem Beginn der Normierung der Geburtszeit. Auch die Normierung der Wehenfrequenz für die einzelnen Geburtsphasen und die Steigerung der Wehenfrequenz als festgelegte Norm, wie sie heute noch in vielen Lehrbüchern zu finden sind, sind ab dieser Zeit allgegenwärtig. Und auch sie sind nicht ansatzweise wissenschaftlich belegt. Im Gegenteil, besonders in der außerklinischen Geburtshilfe werden immer wieder sehr individuelle Wehenverläufe beobachtet, die die Geburt nicht zu hemmen, sondern zu fördern scheinen und sich physiologisch begründen lassen.

So berichtet die Hebamme Tara Franke im Expertinnen-Interview (Krüger 2018): »Klar gibt es die Frauen, die alle fünf Minuten Wehen haben und wo sich das immer steigert, aber das würde ich nie erwarten, dass so eine Geburt verläuft. Und all diese Sachen, ob die Kinder untergebracht sind, ob der Partner da ist, ob die Hebamme schon da ist, ob die Wanne schon gefüllt ist, das ist ganz normal, dass das die Wehen beeinflusst. Und dass Frauen phasenweise mehr Wehen haben und weniger innerhalb einer Geburt, das kenne ich gut, das ist für mich so normal.«

Ruhepausen im Geburtsprozess

Im Rahmen der diesem Artikel zugrunde liegenden Masterarbeit »Vom Fortschritt in der Pause – Eine empirische Untersuchung über die physiologische Rolle von Ruhephasen im Geburtsprozess« an der Fachhochschule Salzburg 2018 wurden zum Thema Pausen im Geburtsprozess sieben Expertinnen-Interviews mit berufserfahrenen Hebammen geführt: Grete Gülzow, Sabine Friese-Berg, Tara Franke, Verena Schmid, Eva-Maria Schwaighofer, Dr. Christiane Schwarz und Celia Rosario Shiguango.

Als Pausen werden hier Phasen während der Geburt definiert, in denen sich die Wehentätigkeit verlangsamt oder für eine Weile ganz ausbleibt, es aber nach einer gewissen Zeit spontan zu einem Wiederaufleben der Wehen und Voranschreiten der Geburt kommt. Die Expertinnen berichteten übereinstimmend von einer Vielzahl der verschiedensten Pausen im Geburtsprozess, die sie vor allem bei Geburten ohne Eingriffe beobachten konnten.

Die Mehrzahl der beschriebenen Pausen oder Plateaus, die in allen Phasen der Geburt beobachtet wurden und von 15 bis 20 Minuten bis zu mehreren Stunden dauerten, konnten meist bestimmten Situationen oder aber körperlichen und psychischen Prozessen der Gebärenden oder der Situation des Kindes zugeordnet werden. Kennzeichnend für die Pausen ist, dass sie anschließend häufig zu einem Geburtsfortschritt führten, was ein deutlicher Hinweis auf eine physiologische Funktion ist. Diese Beobachtungen konnten in der Literaturstudie auch mehrfach belegt werden (Thorogood/Donaldson 2015; Mändle/Opitz-Kreuter 2015; Weiss/Luft 2013; Ramsayer 2013; Rosenberger et al. 2013; Hildebrandt 2010; Walsh 2010; Gaskin 2003; Simkin 2001; Siebold 1841; Boër 1817; Martens 1802).

Darüber hinaus belegen jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse, dass der mütterliche Organismus im Dialog mit dem kindlichen über eine Vielzahl von Botenstoffen die Wehendynamik regelt. Denn über die fetoplazentare Einheit wird ein erheblicher Teil der Wehenhormone wie Prostaglandine und Oxytocin synthetisiert und ausgeschüttet, aber auch wehenhemmende Hormone wie Progesteron (Schneider et al. 2016; Coad & Dunsall 2013; Runnebaum 2013; Iliodromiti et al. 2012; Leidenberger et al. 2009).

Die Hinweise darauf, dass es sowohl die Mutter als auch das ungeborene Kind sein kann, die oder das in Abstimmung auf die metabolische Situation die Geburt verlangsamt, müssen wesentlich ernster genommen werden. Zusätzlich gibt es Belege dafür, dass viele Neugeborene aufgrund hoher Syntocinon-Gaben und anderer Interventionen wie etwa der Eröffnung der Fruchtblase deutlich gestresst sind, wie sich unter anderem in auffälligen Herztonmustern zeigt (Verspyck & Sentilhes 2008; Enkin et al. 2000).

Wenn Geburten bei vermeintlichen Wehenschwächen durch Syntocinon-Gaben angetrieben werden, ist davon auszugehen, dass die physiologische Funktion der Pause dabei oftmals ungenutzt bleibt und missachtet wird.

Viele FachautorInnen gehen davon aus, dass sogenannte Geburtsstillstände viel zu schnell diagnostiziert und übermäßig behandelt werden. Der Grund wird darin gesehen, dass sich die Diagnose zumeist auf fragwürdige Normierungen der Geburtszeit beziehe (Thorogood & Donaldson 2015; Walsh 2012; Hildebrandt 2010; Neal et al. 2010).

Situationsgerechtes Abwarten

Demgegenüber konnten die Expertinnen in den Interviews in großer Übereinstimmung klare Kriterien benennen, wann sie Verlangsamungen in der Geburt gut zulassen konnten und wann sie ihnen Sorge bereiteten (siehe Kasten).

Was die Motivation der Gebärenden angeht, ist die Botschaft, dass schneller nicht unbedingt besser ist, klar vertretbar. Wenn Hebammen und ärztliche GeburtshelferInnen sich ihrem Grundgefühl und Wissen um die physiologischen Prozesse wieder sicherer sind, können sie den Gebärenden vermitteln, dass die Geburt ein Prozess in Etappen sein kann und dass auch langsame Geburten durchaus zur Normalität des Gebärens gehören können.

Natürlich erfordert situationsgemäßes, aktives Abwarten Ruhe und Zeit. Dies ist ein weiteres Argument dafür, dass sich die Rahmenbedingungen für die Hebammen vor allem in den Kliniken unbedingt ändern müssen. Wir brauchen dringend die Eins-zu-eins-Betreuung in der Geburtshilfe, um die Qualität unseres Handwerks zu bewahren und Geburten sicherer zu machen.

Eva-Maria Schwaighofer, Hebamme und Wissenschaftliche Leiterin des Studienganges Salutophysiologie für Hebammen in Salzburg, äußert im Expertinnen-Interview (Krüger 2018) folgende Überlegung: »Wenn ich als Hebamme im Krankenhaus hin- und hergerissen bin zwischen drei oder vier Geburten und kann mich nicht auf das einlassen, was da mit der Frau wirklich ist, oder ich weiß nichts von der Frau, dann mach ich mir wahrscheinlich wesentlich größere Sorgen, wenn sie auf einmal aufhört. Oder wenn ich denke, der Friedman ist noch immer wichtig.«

Hinweise für die Praxis: Einschätzung von Pausen im Geburtsprozess

Kriterien zur Einschätzung von Pausen im Geburtsprozess:

  • Physiologischer psychischer und körperlicher Zustand der Gebärenden
  • Anzeichen für einen körperlichen oder psychischen Prozess, den die Gebärende gerade zu bewältigen hat
  • Dominanz des Parasympathikus bei der Gebärenden in den Pausen (Entspannung, ruht, schläft, geht von sich aus zur Toilette, rosige Gesichtsfarbe)
  • Aktivität/Reaktivität des Kindes
  • Physiologische Frequenz und Qualität (Pinard-Rohr) der kindlichen Herztöne
  • Angaben und Einschätzungen der Mutter zum Kind
  • Bei vorzeitigem Blasensprung die Beschaffenheit des Fruchtwassers und An- oder Abwesenheit von Infektionszeichen, Gesamtdauer der Geburt
  • Motiviertheit der Gebärenden.

Einschätzungskriterien, wann Pausen in der GeburtAnlass zu Besorgnis geben:

  • Anzeichen von Disstress bei der Mutter im Sinne einer dominierenden Sympathikus-Aktivität vor allem auch in den Wehenpausen (Blässe, Angespanntheit, Hypertonie, innere Unruhe, mangelnde Regeneration), die sich nicht beheben lassen
  • Fehlende Anzeichen für einen körperlichen oder psychischen Prozess, den die Gebärende gerade bewältigt
  • Anzeichen von Dissoziation bei der Gebärenden (Abwesenheit, ohne wirklichen Kontakt mit dem Geburtsprozess, dem Umfeld oder dem Kind)
  • Anzeichen von Disstress beim Kind:
  • auffällige Herztöne
  • tastbare Geburtsgeschwulst und deren Ausmaß
  • reduzierte kindliche Aktivität und Reaktivität.

Dringender Paradigmenwechsel

Denis Walsh (2012) spricht im Zusammenhang mit der Normierung der Geburtszeit davon, dass sich ein Geburtsfortschritts-Paradigma als grundsätzliche Lehrmeinung etabliert habe. Er weist auf die dringende Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Geburtsmedizin hin, weg von der nicht evidenzbasierten Normierung der Geburt und hin zu einem besseren Verständnis des individuellen physiologischen Geburtsrhythmus. Das fordern auch Hebammen und andere ärztliche GeburtshelferInnen schon seit Jahren (Ramsayer 2013; Gaskin 2011; Odent 2009; Browne & Chandra 2009).

Der Sinn für die Pausenphasen ist in einer Geburtsmedizin, in der Zeitdruck vorherrscht, aus dem Blick geraten. Es wäre ein wesentlicher Schritt, den in einem Geburtsprozess eintretenden physiologischen Ruhephasen mit mehr Respekt zu begegnen, sie und ihre Begleitumstände bewusster wahrzunehmen und achtsamer zu reflektieren, kurzum: den individuellen Rhythmen des Geburtsprozesses wieder mehr Achtung entgegenzubringen. Die Normen haben sich gelockert. Jetzt gilt es, diese Freiräume für die werdenden Eltern und Kinder gekonnt und aufmerksam zu nutzen, klar zu argumentieren und ehrlich zu dokumentieren. Denn ab jetzt darf laut offizieller Studienlage zum Beispiel eine Austreibungsphase unter bestimmten Umständen durchaus fünf Stunden und länger dauern und der Wehenrhythmus darf sich in den verschiedensten Geburtsphasen über längere Zeiträume verlangsamen (ACOG 2014).

Zitiervorlage
Krüger N: Gebären ohne Zeitdruck. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2018. 70 (9): 44–54
Literatur
ACOG /American College of Obstetricians and Gynecologists (2014). Safe prevention of the primary cesarean delivery. Obstetric Care Consensus No. 1. URL: http://www.acog.org/Resources-And-Publications/Obstetric-Care-Consensus- Series/Safe-Prevention-of-the-Primary-Cesarean-Delivery (Zugriff 12.7.2018) In: Obstetrics & Gynecology 2014. 3:693-711

Albers L: The duration of labour in healthy women. In: Journal of Perinatology 1999. 2:114-119

Belghiti J et al.: Oxytocin during labour and risk of severe postpartum haemorrhage: a population- based, cohort-nested case-control study. In: BMJ Open 2011 Dec 21;1(2):e000514. doi: 10.1136/bmjopen-2011-000514. Print 2011. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3334825/ (Zugriff 12.1.2018)

Boër J L: Natürliche Geburtshülfe und Behandlung der Schwangeren, Wöchnerinnen und neugeborenen Kinder. Wien: Johann Georg Ritter von Mösle 1817

Böhlke N, Schulten T: Unter Privatisierungsdruck. In: Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmung 2008. 6: 24-27

Browne J, Chandra A: Slow midwifery. In: Women and birth – Journal oft he Australian College of Midwives 2009. 1:29-33

Bumm E: Grundriss zum Studium der Geburtshilfe. Wiesbaden: Verlag J.F. Bergmann 1914

Cheng Y et al.: How long is too long: Does a prolonged second stage of labor in nulliparous women affect maternal and neonatal outcomes? In: American Journal of Obstetrics & Gynecology 2004. 3:933-938

Coad J, Dunstall M: Anatomy and Physiologie for Midwifes. London: Churchill Livingstone Elsevier 2013

Davis B, Johnson K, Gaskin I M: The MANA Curve -Describing plateaus in labour using the MANA database. Abstract No 30. In: 26th Triennial Congress, Wien: ICM 2002

Döderlein A: Handbuch der Geburtshilfe. Berlin: Verlag von Julius Springer 1925

Dudenhausen J W: Practical Obstetrics. Berlin/Boston: De Gruyter 2014

Enkin M et al.: A Guide to Effective Care in Pregnancy & Childbirth. Oxford: University Press Oxford 2000

Friedman E: The graphic analysis of labor. In: American Journal of Obstetrics & Gynecology 1954. 2:1568-1575

Friedman E: Primigravida Labor. A graphicostatistical analsis. In: American Journal of Obstetrics & Gynecology 1955. 2:567-589

Gaskin I M: Going backwards: the concept of «pasmo». In: The Practising Midwife 2003. 6:34–36

Gaskin I M: Birth Matters. A Midwife’s Manifesta. New York: Seven Stories Press 2011

Gimovsky A, Amero M, Phillips J, Levine J, Berghella V: Pelvic Floor Dysfunction after Prolonged Second Stage of Labor. In: Obstetrics & Gynecology 2018. 3:12

Hildebrandt S: Der Geburtsstillstand als komplexes Problem der modernen Geburtshilfe. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2010

Iliodromiti Z et al.: Endocrine, paracrine and autocrine placental mediators in labor. In: Hormones Athens – International Endocrine Journal of the Greek Endocrine Society 2012. 3:397-409

IQTIG / Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (2017). Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2016 Geburtshilfe. URL: https://iqtig.org/downloads/auswertung/2016/16n1gebh/QSKH_16n1-GEBH_2016_BUAW_V02_2017-07-12.pdf (Zugriff 5.8.2018)

Krüger N: Vom Fortschritt in der Pause – Eine empirische Untersuchung über die physiologische Rolle von Ruhephasen im Geburtsprozess. Masterarbeit Fachhochschule Salzburg 2018

Kuhl H: Sexualhormone und Psyche. Stuttgart: Thieme-Verlag 2002

Lavender T, Alfirevic Z, Walkinshaw S: Effect of different partogram action lines on birth outcomes: A randomized controlled trial. In: Obstetrics and Gynaecolgy 2006. 2:295-302

Leideberger F, Strowitzki T, Ortmann O: Klinische Endokrinologie für Frauenärzte. Heidelberg: Springer Medizin Verlag 2009

Le Ray C et al.: When to stop pushing: effects of duration of second-stage expulsion efforts on maternal and neonatal outcomes in nulliparous women with epidural analgesia. In: American Journal of Obstetrics & Gynecology 2009. 4:361

Mändle Ch, Opitz-Kreuter S: Das Hebammenbuch. Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe. Stuttgart: Schattauer 2015

Martens F: Versuch eines vollständigen System’s der theoretischen und practischen Geburtshülfe. Handbuch zu Vorlesung. Leipzig: August Gottlob Liebeskind 1802

Metz-Becker M: Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauenin den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus Verlag 1997

Myles T, Santolaya J: Maternal and neonatal outcomes in patients with a prolonged second stage of labor. In: Obstetrics & Gynecology 2003. 1:52-58

Neal J, Lowe N, Patrick T, Cabbage L, Corwin E: What is the slowest-yet normal cervical dilation rate among nulliparous women with spontaneous labor onset? In: Journal of Obstetric, Gynecologic & Neonatal Nursing 2010. 4:361-369

NICE/ National Istitute for Health and Care Excellence: Clinical guideline: Intrapartum care for healthy women and babies.https://www.nice.org.uk/guidance/cg190/chapter/recommendations#second-stage-of-labour. (Zugriff 5.8.2018) 2014

Odent M: Im Einklang mit der Natur – Neue Ansätze der sanften Geburt. Düsseldorf/ Zürich: Walter Verlag 2004

Odent M: Die Natur des Orgasmus – über elementare Erfahrungen: 17-23. München: C.H. Beck Verlag 2009

Pairman S, Pincombe J, Thorogood C, Tracy S: Midwifery. Preparation for Practice. Chatswood: Elsevier Australia 2015

Ramsayer B: Die physiologische Geburt. Hannover: Elwin Staude Verlag 2013

Rockenschaub A: Gebären ohne Aberglaube. Wien: Facultas Universitätsverlag 2005

Rosenberger Ch, Schilling R M, Harder U: Der Geburtsvorgang. In: Stiefel A, Geist Ch, Harder U (Hg.): Hebammenkunde. Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. Stuttgart: Hippokrates Verlag 2013

Runnebaum B, Rabe T: Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin. Wien: Springer-Verlag 2013

Rouse D et al.: Second- stage labor duration in nulliparous women: relationship to maternal and perinatal outcomes. In: Obstetrics & Gynecology 2009. 10:357-369

Schmid V, Downe S: Midwifery Skills for Normalising Unusual Labours. In: Walsh D, Downe S: Essential Midwifery Practice. Intrapartum Care. Oxfort: Wiley- Blackwell 2010

Schneider H, Helmer H, Husslein P: Die Geburtshilfe. Wien: Springer-Verlag 2016

Siebold E C J: Lehrbuch der Geburtshülfe zum Gebrauche bei academischen Vorlesungen und zum eigenen Studium. Berlin: Verlag Th. Chr. Fr. Enslin 1841

Simkin P: The Birth Partner: Everything You Need to Know to Help a Woman Through Childbirth. Boston: Harvard Common Press 2001

Schwarz Ch: Die Erlaubnis zum Nichtstun. In: Deutsche Hebammen Zeitschrift 2014. 9: 56-60

Thornton J G: Active management of labour. In: British Medical Journal 1996. 2:378

Thorogood C, Donaldson C.: Disturbances in the rhythm of labour. 992ff In: Pairman S, Pincombe J, Thorogood C, Tracy S: Midwifery. Preperation for Practice. Chatswood: Elsevier Australia 2015

Verspyck E, Sentilhes L: Abnormal fetal heart rate patterns associated with different labour managements and intrauterine resuscitation techniques. In: Journal de Gynécologie Obstétrique et Biologie de la Reproduction 2008. 2:56-64

Weiss V, Luft V: Muttermundsdystokien. In: Deutscher Hebammenverband (Hg.) Geburtsarbeit. Hebammenwissen zur Unterstützung der physiologischen Geburt. Stuttgart: Hippokrates Verlag 2013

Walsh D, Downe S: Essential Midwifery Practice: Intrapartum Care. Oxfort: Wiley Blackwell 2010

Walsh D: Evidence and Skills for normal Labour and Birth. London: Routledge 2012

Youssef A, Salsi G, Cataneo I, Pacella G, Azzarone C, Paganotto MC, Krsmanovic J, Montaguti E, Cariello L, Bellussi F, Rizzo N, Pilu G: Fundal pressure in second stage of labor (Kristeller maneuver) is associated with higher risk of levator ani muscle avulsion. In: Ultrasound in Obtetrics & Gynecology 2018. May 10. doi: 10.1002/uog.19085

Zhang J, Landy H J, Ware Branch D et al.: Contemporary patterns of spontaneouse labor with normal neonatal outcomes. In: Obtetrics & Gynecology 2010. 6:1281-1287