
Dr. Oliver Tolmein ist Rechtsanwalt, Mitbegründer der Hamburger Kanzlei „Menschen und Rechte“.
Foto: privat
Ein Volksentscheid hat in Irland die Ehe für alle geöffnet. Der zur Abstimmung gestellte Verfassungsartikel 41 sieht vor, dass künftig alle Paare vor dem Standesbeamten heiraten können – unabhängig vom Geschlecht der PartnerInnen. Ausgerechnet das streng katholisch geprägte Irland ist damit das erste Land der Welt, in dem die Bevölkerung selbst eine weitreichende Benachteiligung nicht-heterosexueller Paare beendet hat. Für Kardinal Pietro Parolin, den Top-Diplomaten des Vatikans, ist das nicht weniger als eine „Niederlage der Menschheit.” Hohe katholische Geistliche aus Irland haben sich vorsichtiger geäußert und einen Realitäts-Check der Kirche angemahnt. Eine Gleichstellung von Ehen Homosexueller, Intersexueller oder Transsexueller mit der von heterosexuellen Paaren stößt aber nicht nur in der katholischen Kirche auf Vorbehalte.
Die Vorstellung, dass die Ehe eine Angelegenheit von Mann und Frau sei, die dann durch Zeugung von bis zu zwei Kindern zur Gründung einer Familie führen soll, prägt zumindest in den bürgerlichen Gesellschaften unsere Wahrnehmung davon, was als normal angesehen werden darf. Nicht zufällig versuchten beispielsweise die Kommunarden aus den Westberliner Kommunen I und II, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft in Frage zu stellen, womit sie erbitterte Reaktionen hervorriefen.
Dass die Ehe im Alltag längst nicht mehr die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit sichert, die ihr als Idee zugeschrieben wird, hat der Institution erstaunlich wenig geschadet. Auch das irische Referendum und die parlamentarischen Auseinandersetzungen in vielen anderen Staaten erscheinen ja durchaus ambivalent, auch in Deutschland. Hätten andere Lebensmodelle größere Anziehungskraft entfaltet und sich als hoffnungsvollere Perspektive für das Zusammenleben von Menschen erwiesen, als das auf der Ehe gründende, bekanntermaßen unvollkommene und oft scheiternde Modell der Familie – wer hätte sich die Mühe gemacht, für eine diskriminierungsfreie Ehe zu streiten? Gegenwärtig erscheint diese Form des Zusammenlebens aber als alternativlos – und das wohl nicht nur, weil Sozialrecht, Familienrecht oder Steuerrecht die Ehe nach Kräften fördern. Dass seit geraumer Zeit Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität so vehement dafür streiten, auch – mit allen damit verbundenen bürgerlichen Rechten und Pflichten – heiraten zu dürfen, ist also auch eine Art Konsolidierung der Ehe als gesellschaftliche Institution.
Diese geht einher mit der Modernisierung der Familie durch die immer größeren Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin und unsere Gewöhnung an deren Methoden. Wenn zwei Männer, zwei Frauen, zwei Intersexuelle oder andere Paare in allen nur erdenklichen Konstellationen heiraten dürfen, müssen angesichts des Zusammenhangs von Ehe und Familie auch andere Formen der Zeugung akzeptiert werden. Während aber die Öffnung der Ehe im Prinzip diskriminierungsfeindlich ist, ist der Reproduktionsmedizin ein Konzept der Diskriminierung immanent. Je freier man über Reproduktion verfügen kann, desto mehr kommen Begehrlichkeiten zum Zuge: Zahl, Beschaffenheit und Geschlecht der Kinder sollen nicht dem Zufall überlassen werden, sondern Ergebnis von Auswahl und Entscheidungen sein. Hier wächst denen, die Ehen schließen, eine wichtige Verantwortung zu – so wie die Ehe sich als Institution nur erhalten kann, wenn sie niemanden ausschließt, sollte die Begründung der Familie nicht durch Ausschluss und Selektion geprägt sein. Die ethischen Kontroversen sind mit der aktuellen Situation nicht beendet, sie stehen erst am Anfang.
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