Wenn sich Hebammen vom eigenen Geburtserlebnis geprägt fühlen, motivieren sie die Frauen noch intensiver zu einer Spontangeburt. Foto: © Danny Merz

Der Tenor der Gesellschaft ist deutlich: schneller, schöner, spontaner. Eine Geburt ist nur gut, wenn sie so natürlich wie möglich, so interventionsarm wie möglich und so schnell wie möglich abläuft. Was aber, wenn sub partu Komplikationen auftreten? Oder wenn aus mütterlicher oder kindlicher Indikation bereits in der Schwangerschaft klar ist, dass die Geburt im Operationssaal stattfinden wird?

Viele Frauen, insbesondere Hebammen, müssen erstmal schlucken, wenn die erhoffte Selbsterfahrung des schönen, interventionsarmen Spontanpartus ausbleibt und sie ihr Kind stattdessen per primärer oder sekundärer Sectio zur Welt bringen. Besonders die Hebammen selbst stellen sich nicht selten die Frage, wie sie weitermachen können, wenn sie nach der Elternzeit wieder in das Arbeitsleben starten und das eigene Geburtserlebnis negativ empfunden haben. Aber wie genau machen Hebammen weiter, wenn sie eine Bauchgeburt erfahren haben? Und muss ein Kaiserschnitt wirklich so negativ behaftet sein?

Ein schwieriges Thema

Es gibt keine aussagekräftigen Studien zum Thema, wie sehr das persönliche Geburtserlebnis die Betreuung beeinflusst, daher habe ich mich im Kolleginnenkreis umgehört und bin erstmal auf Kritik gestoßen: »Warum sollte die eigene Erfahrung, insbesondere nach erlebter Sectio, Einfluss auf die Arbeitsweise haben? Schließlich sind wir professionell und müssen alle Frauen mit höchstem Anspruch an uns selbst betreuen, neutral und ungeachtet eigener Erfahrungen.« Oder: »Ist eine kinderlose Hebamme dann eine Hebamme zweiter Klasse, weil sie noch keine Geburtserfahrungen machen durfte?«

Dazu möchte ich vorab sagen: Jede Hebamme, ob Mutter oder nicht, arbeitet so gut sie kann. Sie ist empathisch, holt die Frauen dort ab, wo sie stehen, und versetzt sich für jede Frau in eine andere Lage. Jede Hebamme arbeitet nach bestem Wissen und Gewissen und setzt sich in allen Situationen für das Wohl von Mutter und Kind ein. Unabhängig von eigenen, geburtshilflichen Erfahrungen.

Die Befragten

  • Von insgesamt 31 befragten Kolleginnen haben 21 eine Sectio in ihrer Anamnese, 12 haben ein Kind per Sectio geboren, 9 sogar mehrere Kinder per Sectio.
  • 14 Hebammen erlebten eine sekundäre Sectio in Ruhe, 6 Hebammen mussten eilig oder für eine Notsectio in den Operationssaal, lediglich eine Hebamme hatte einen primären Kaiserschnitt.
  • 23 der Kolleginnen haben angegeben, dass sie ihre Erfahrungen geprägt haben, lediglich 8 Kolleginnen fühlten sich von ihrer Geburt in ihrer Arbeitsweise nicht beeinflusst.
  • Alle an der Umfrage beteiligten Hebammen sind examiniert, 25 haben mehr als fünf Jahre Berufserfahrung, zwei Kolleginnen hatten zwei Jahren oder weniger Berufserfahrung.
  • Die Arbeitsbereiche der befragten Hebammen verteilen sich breit. 18 Kolleginnen arbeiten als angestellte oder Dienst-Beleg-Hebamme im Krankenhaus, vier der Befragten sind freiberuflich als Begleit-Beleghebammen unterwegs, zwei bieten außerklinische Geburtshilfe an.
  • Von allen befragten Hebammen arbeiten 26 zusätzlich oder ausschließlich in der Wochenbettbetreuung, 18 bieten Schwangerenvorsorge an, 14 leiten auch Geburtsvorbereitungs- oder Rückbildungskurse.

Als ich die Antworten der Kolleginnen auswertete, wurde schnell klar, dass sich nicht verhindern lässt, dass Hebammen die Geburt des eigenen Kindes in ihrer späteren Arbeit beeinflusst – und auch, dass ein Kaiserschnitt am Ende doch eher als negatives Geburtserlebnis wahrgenommen wird.

Was sich verändert

Wie unterscheidet sich die Arbeitsweise von Hebammen, die eine Sectio erfahren haben, im Vergleich zu der Zeit vor ihren ersten eigenen Geburten? Der größte Unterschied ist, dass die befragten Kolleginnen, die sich durch ihr eigenes Geburtserlebnis geprägt fühlen, fast einstimmig versuchen, die betreuten Frauen intensiver zu einer Spontangeburt zu motivieren – ihnen gleichzeitig im Fall einer Sectio aber das Gefühl des Versagens nehmen wollen.

Wenig Verständnis bleibt für Frauen mit einer primären Sectio auf Wunsch ohne geburtshilfliche Indikation – das Verständnis für den Wunsch nach einer Re-Sectio ist größer. Bereits in der Schwangerenbetreuung sprechen einige Hebammen deutlicher an, warum welcher Geburtsmodus angestrebt wird. In ihrem Empfinden gibt es offenere, ehrlichere Gespräche über Hintergründe, Risiken und Abläufe und was sich die Frau, ungeachtet von gesellschaftlichem Druck oder ärztlicher Aufklärung, wirklich wünscht.

Während der Geburt versuchen die meisten befragten Hebammen – sofern keine Risikofaktoren bestehen – länger abzuwarten und die Frau vor der Sectio zu bewahren, beispielsweise durch häufigere Positionswechsel, Bewegung und Turnen, oder sie sind strenger bei der Anleitung zum Mitschieben. Grundsätzlich fühlen sich die meisten Hebammen bei ihrer Betreuung verständnisvoller und empathischer, was die Ängste und Sorgen einer Schwangeren angeht, und versuchen mehr Mut zuzusprechen – obwohl viele von ihnen schon vor der eigenen Geburt den Wunsch hatten, den Frauen ein einzigartiges und besonderes Geburtserlebnis zu ermöglichen.

Postpartal versuchen Hebammen mit eigener Sectio-Erfahrung, die Geburt mit den Wöchnerinnen umfassender und intensiver aufzuarbeiten, und haben das Gefühl, sich besser in durch den Geburtsverlauf traumatisierte Frauen hineinversetzen zu können – ebenso mit den eventuell vorhandenen Schuldgefühlen und dem Gefühl, keine »richtige« Mutter zu sein. Auch der Wehenschmerz und die Schmerzen nach einer Sectio sowie die damit verbundene Immobilität können nun besser nachvollzogen werden.

Interessanterweise spricht kaum eine Kollegin das postpartale Stillmanagement an. Dies scheint durch das eigene Geburtserlebnis kaum bis gar nicht beeinflusst zu werden, wenngleich einige wenige Kolleginnen angesprochen haben, dass sie verstärkt auf die verspätete initiale Brustdrüsenschwellung hinweisen.

Die Individuelle Sicht

Gibt es einen Unterschied in der Arbeitsweise zwischen Hebammen mit Spontangeburt und Hebammen mit Sectio-Geburt? Befragte Hebammen, die spontan geboren haben, gaben vergleichsweise häufiger an, zeitweise ungeduldiger zu sein und mehr zu hinterfragen. Das Bewusstsein für Frauen während der Geburt habe sich intensiviert, sodass manchmal aber auch der Gedanke »Stell dich nicht so an« aufkomme.

Bringt der Status nach Sectio also mehr Empathie mit sich als eine Spontangeburt? Nein, die Antworten der Umfrage zeigen klar, dass sich die grundsätzliche Arbeitsweise nicht aufgrund des Geburtsmodus verändert, sondern wie individuell jede Hebamme ihre eigene Geburtserfahrung wahrnimmt.

Wenn eine Hebamme eine traumatische Geburt erlebt hat, kann es ihre Arbeitsweise genauso verändern, wie wenn sie die Geburt in positiver Erinnerung hat, unabhängig vom Geburtsmodus.

Eine befragte Hebamme mit zügigen Spontangeburten, aber höhergradigen Geburtsverletzungen und postpartalen Beckenbodenproblemen, legt aufgrund ihrer Erfahrungen heute viel Wert auf eine gute Rückbildung. Eine andere, homöopathisch versierte Geburtshaushebamme berichtet auf ihren Fortbildungen von ihren beiden Sectiones, weshalb sie besonderes Interesse an Einstellungsanomalien und Gründen für protrahierte Geburtsverläufe oder Geburtsstillstände hat. Eine weitere Hebamme, die leicht und schnell Kinder geboren hat, kann den dringenden PDA-Wunsch einer Frau in der Latenzphase zunächst nicht nachvollziehen und rät erstmal zu alternativer Schmerzbekämpfung.

Eine weitere Kollegin macht deutlich die aktuelle Personalpolitik in den deutschen Kreißsälen für ihre traumatische Sectio-Erfahrung verantwortlich. Sie hatte sich eine Hausgeburt gewünscht, ist aber aus verschiedenen Gründen in den Kreißsaal gekommen und wurde dort aufgrund von Personalmangel nicht adäquat betreut. Diese Kollegin kann sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung noch nicht vorstellen, jemals wieder im Kreißsaal zu arbeiten, geschweige denn ihre Abneigung gegen Sectiones zu unterdrücken und diese neutral zu begleiten. Daraus resultierend legt sie viel Wert auf umfassende Geburtsvorbereitung und achtet besonders im Wochenbett auf eine gute Mutter-Kind-Beziehung.

Erlebtes prägt

Ein Geburtserlebnis kann Hebammen also gleichermaßen gut oder weniger gut für ihre Arbeit beeinflussen – genau wie andere emotional prägende Erlebnisse in unserem Leben, beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen. Jede Hebamme entscheidet am Ende selbst, ob und wie sehr sie die Beeinflussung des eigenen geburtshilflichen Erlebens auf ihre Arbeit zulässt. Dass die eigene Geburt aber einen gewissen Stellenwert im weiteren Arbeitsleben einnimmt, scheint unumgänglich zu sein.

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