»Selbst bei Paaren, bei denen die Mütter gleich viel erwerbsarbeiten oder mehr zum Familieneinkommen beitragen, übernehmen diese den Löwenanteil der Sorgearbeit.«
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Statt dauerhaft erfüllender Glückserfahrungen erleben viele Eltern Gefühle der Erschöpfung und geben ihren Wunsch nach einer gleichberechtigten Arbeitsteilung auf. Wo liegen die strukturellen Gründe, warum Elternschaft heute so anstrengend ist? Welche familienpolitischen Maßnahmen könnten dem entgegenwirken?
Die Familie ist für den Großteil der Bevölkerung der wichtigste Lebensbereich (BMFSFJ, 2020). Der an der Universität Jena lehrende Soziologe Hartmut Rosa bezeichnet Familie als einen zentralen »Resonanzhafen in stürmischer See«, der Liebe und Geborgenheit verspricht (Rosa, 2016, 341 ).
In einer Welt voller Unsicherheiten und Herausforderungen soll Familie Stabilität, Sicherheit und echte zwischenmenschliche Beziehungen bieten. Sie ist ein Raum, in dem man gehört und verstanden wird – ein Gegenpol zur anonymen, oft hektischen Gesellschaft. Partnerschaft und Familiengründung sind verheißungsvolle »Kristallisationspunkte« für Lebensglück (Rosa, 2016, 343).
Die meisten jungen Menschen träumen davon, in Zukunft selbst einmal Kinder zu haben. Allerdings ergibt Familie sich nicht einfach so; es bedarf des sogenannten »Doing Family« (Jurczyk, 2014). Demzufolge muss Familie immer wieder aktiv hergestellt werden, damit das Zusammenleben zustande kommt und dann auch gelingt. Das »Doing Family« ist für Eltern mit minderjährigen Kindern jedoch anstrengender als noch vor einigen Jahrzehnten (BMFSFJ, 2021). Dies gilt vor allem für die Mütter.
Stressfaktor 1: Traditionalisierung statt Gleichberechtigung
Die meisten gemischtgeschlechtlichen Paare wünschen sich heutzutage eine gleichberechtigte Aufgabenteilung, bei der sich beide Eltern etwa gleich viel für Kinder und Haushalt engagieren und im ähnlichen Umfang erwerbstätig sind (WSI, 2024, 26. Februar). Eine gleichberechtigte Arbeitsteilung ist für die gesamte Familie von Vorteil: So ist es für die kindliche Entwicklung sehr förderlich, wenn Kinder Differenzerfahrungen machen. Das bedeutet, dass sie unterschiedlichen Reizen in Form von Erziehungsstilen, Werten und Fähigkeiten der jeweiligen Elternteile ausgesetzt sind (Ahnert, 2023). Auch schlafen Mutter und Kind wesentlich besser, wenn der Vater von Anfang an Familienarbeit leistet (Tikotzky et al., 2015). Selbst das mütterliche Risiko einer Wochenbettdepression kann so gesenkt werden.
Die Zufriedenheit der Mutter wirkt sich wiederum positiv auf die kindliche Entwicklung und die Bindungen in der Familie aus. Zugleich sinkt das Trennungsrisiko, das bei Paaren enorm ansteigt, wenn sie Eltern werden (Bodenmann, 2016). Auch den Vätern kommt eine aktive Rolle in der Familie zugute, wünschen sich doch die meisten von ihnen intensive Vater-Kind-Bindungen anstelle einer reinen »Brotverdienerrolle«.
Ungeachtet dieser Wünsche und Vorteile kommt es jedoch nach der Geburt in den meisten Familien zu einer Traditionalisierung der Arbeitsteilung. Hierbei sind die in Vollzeit tätigen Väter für das Familieneinkommen hauptverantwortlich, während die Mütter nach der Elternzeit größtenteils in Teilzeit in den Arbeitsmarkt zurückkehren, um sich weiterhin mehr um die Familie zu kümmern. Auch die Beliebtheit des Elterngeldes bei Vätern vermag dies nicht zu ändern. Zwar nutzt in manchen Bundesländern fast jeder zweite Vater eine eigene berufliche Auszeit für die Familie, allerdings in der Regel nur für maximal drei Monate (Statistisches Bundesamt, 2023). Eine längere Bezugsdauer – vorzugsweise unter Abwesenheit der Mutter – ist jedoch erforderlich, damit sich Väter dauerhaft in die Kinderbetreuung einbringen und nicht nur »Assistenten« ihrer Partnerinnen sind.
Insgesamt bringen Mütter täglich zwei Drittel mehr Zeit für Kinderbetreuung und Haushalt auf als Väter (BMFSFJ, 2024). Selbst in Paarkonstellationen, in denen Mütter gleich viel erwerbsarbeiten oder mehr zum Familieneinkommen beitragen, übernehmen diese den Löwenanteil der Sorgearbeit.
Stressfaktor 2: Intensivierung von Elternschaft
Obwohl Mütter heute wesentlich aktiver am Arbeitsmarkt sind, verbringen sie sogar mehr Zeit mit ihren Kindern als Mütter in den 1960er Jahren (BMFWSFJ, 2024). Der Neunte Familienbericht der Bundesregierung spricht in diesem Zusammenhang von einer »Intensivierung« von Elternschaft (BMFSFJ, 2021).
Eltern investieren heute wesentlich mehr in ihre Kinder. Familien mit mittlerem und hohem Einkommen scheuen keine Kosten und Mühen, die Bildung der Kinder von klein auf optimal zu fördern. Auch armutsgefährdete Eltern geben an, dass sie zugunsten der Kinder auf vieles verzichten (Schneider et al., 2018). Die meisten Eltern fühlen sich mitverantwortlich für den Schulerfolg ihrer Kinder. Vor allem Mütter helfen regelmäßig bei Hausaufgaben (IfD Allensbach, 2021). Das Schulsystem setzt seinerseits die Verfügbarkeit der Eltern – und somit in den meisten Fällen der Mütter – an den Nachmittagen voraus, um Kindern beim Lernen zu helfen. Dies übt nicht nur großen Druck aus, sondern benachteiligt auch Kinder von Eltern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, Eltern mit geringem Bildungsniveau, Alleinerziehende oder Eltern in doppelter Vollzeittätigkeit, die diese Zeit nicht aufbringen können.
Hinzu kommen Bring- und Holdienste zwischen Kita, Schule, Nachhilfe, Sportverein, Musikschule oder therapeutischen Angeboten. Auch diese sind in den letzten Jahrzehnten aus Angst der Eltern vor Unfällen oder Gewalttaten angestiegen, weshalb Kinder immer seltener Wege allein bewältigen und stattdessen vorzugsweise mit dem Auto gefahren werden (Scheiner, 2019).
Stress und Zeitknappheit prägen damit vielfach den Familienalltag. Statt dauerhafter Glücksquelle gleicht dieser eher einem »alltäglichen Wahnsinn« (Possinger et al., 2023). Um alles unter einen Hut zu bekommen, stellen vor allem Mütter ihre eigenen Bedürfnisse zurück und »sparen« an Zeit für die Partnerschaft, Erholung und Schlaf. Diese Strategie birgt jedoch nicht nur ein erhebliches Trennungsrisiko, sondern begünstigt auch Erschöpfungskrankheiten und Burnout.
Stressfaktor 3: Verfestigte Armutsrisiken in der superdiversen Gesellschaft
Kinder wachsen heute in einer »superdiversen« Gesellschaft auf (Vertovec, 2007). Dies gilt zum einen für die Familienform. Die meisten Kinder wachsen zwar bei heterosexuellen Ehepaaren auf, der Anteil an nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, Alleinerziehenden, Patchworkfamilien und queeren Regenbogenfamilien steigt jedoch (BMFSFJ, 2024). Unser staatliches System der Familienförderung unterstützt dabei nicht alle gleichermaßen. So werden mit dem Ehegattensplitting vor allem gut verdienende Ehepaare steuerlich gefördert, während Alleinerziehende kaum entlastet werden und nicht-eheliche Paare und Patchwork-Konstellationen sogar ganz leer ausgehen (BMFSFJ, 2021).
Superdivers sind auch die kulturellen und sozialen Hintergründe von Familien. Fast die Hälfte der Familien mit minderjährigen Kindern hat eine Zuwanderungsgeschichte und damit ein erhöhtes Armutsrisiko. Dies gilt auch für alleinerziehende Mütter und kinderreiche Familien (Der Paritätische, 2024). Jedes fünfte Kind ist hierzulande von Armut bedroht – mit negativen Folgen für das Wohlbefinden und die künftigen Entwicklungschancen. Erschreckenderweise haben sich die Aufstiegschancen von Familien aus unteren sozialen Lagen seit Ende der 1980er Jahre nicht verbessert, sondern sind sogar konstant gesunken (BMAS, 2021). Kinder und Eltern, die heute in Armut leben, tun dies höchstwahrscheinlich in fünf Jahren auch noch.
Stressfaktor 4: Unzureichende politische Förderung
Was braucht es, damit das herausfordernde »Doing Family« gelingt und Familien besser entlastet werden? Werden Eltern selbst hierzu befragt, zeigen sich vier zentrale Wünsche: erstens ein besserer Schutz vor Armut, zweitens hochwertige Bildungs- und Betreuungsangebote, drittens alltagspraktische Unterstützungsangebote und viertens mehr Zeit (Possinger et al., 2023).
Wissenschaftlich fundierte Vorschläge für eine Politik, die direkt an diesen Wünschen von Familien ansetzt, liegen seit fast 20 Jahren auf dem Tisch (BMFSFJ, 2006). Sie scheitern bislang an einer mangelnden Prioritätensetzung der Politik. So mahnt die Wissenschaft seit Jahren eine Reform des Ehegattensplittings an, um Alleinerziehende und nicht-eheliche Familien nicht länger zu benachteiligen (Bonin et al., 2013). Initiativen zur Senkung der Mehrwertsteuer auf familienrelevante Produkte wie Windeln und die Einführung einer Kindergrundsicherung sind am mangelnden politischen Willen gescheitert.
Dringend müsste zudem in das Bildungs- und Betreuungssystem investiert werden. In allen Bundesländern mangelt es an Kitaplätzen, der Ausbau von Ganztagsangeboten im Grundschulbereich kommt nur schleppend voran (BMFSFJ, 2024). Statt angesichts des Fachkräftemangels die Arbeitsbedingungen in Schulen und Kitas zu verbessern, werden von der Politik eine Erhöhung der Gruppengrößen und längere Arbeitszeiten diskutiert.
Wissenschaftlich geboten wäre zudem der Ausbau von Familienzentren, um Eltern wohnortnahe Anlaufstellen der Information und des Austausches zur Verfügung zu stellen (BMFSFJ, 2021). Alltagspraktische Hilfe bieten auch Angebote der Familienbildung wie Geburtsvorbereitungskurse oder Krabbelgruppen, die jedoch in der Regel prekär finanziert sind.
Der von Familien geäußerte Wunsch nach mehr freier Zeit erfordert eine dezidierte Zeitpolitik (BMFSFJ, 2006). So müssten die Partnermonate im Elterngeld verlängert und das Elterngeld zumindest inflationsbereinigt erhöht werden, um Vätern mehr Anreize für eine längere berufliche Auszeit zu setzen. Überfällig wäre zudem eine zweiwöchige Freistellung für Väter (beziehungsweise den zweiten Elternteil) nach der Geburt, um die Mutter im Wochenbett zumindest die erste Zeit aktiv unterstützen zu können. Zudem müssten Arbeitgeber mehr in die Pflicht genommen werden, Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.
Ein echter politischer »Game-Changer« wäre die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Gehalt – eventuell auch bei gleicher Stundenzahl – wie sie in Island bereits Realität ist. Nicht nur konnte die Produktivität der Beschäftigten gesteigert werden, auch Krankentage und Erschöpfungszustände gehen seitdem messbar zurück und Väter beteiligen sich wesentlich mehr an der Familienarbeit (Haraldsson & Kellam, 2021).
Eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit, wie sie derzeit von der Bundesregierung für Deutschland gefordert wird, würde die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit hingegen massiv erschweren, mehr Mütter in Teilzeit drängen und die soziale Ungleichheit verschärfen. Es braucht eine stimmige Kombination aus Zeitpolitik, Geldpolitik und einem Ausbau der Infrastruktur, um Eltern zu entlasten, Gleichberechtigung in Familien zu fördern, Armutsrisiken von Kindern zu senken und vor allem die von Müttern unentgeltlich geleistete Sorgearbeit gesellschaftlich aufwerten. So kämen Eltern ihren Vorstellungen von der Familie als Glücksquelle ein ganzes Stück näher.
Birgit Heimbach: Wäre es sinnvoll, vom Staat finanzielle Unterstützung für eine Haushaltshilfe zu bekommen – und dafür eine entsprechend gekürzte Kitazeit, um mehr Familienzeit zu haben?
» Prof. Dr. Johanna Possinger:
Haushaltsnahe Dienstleistungen sind eine sehr geeignete alltagspraktische Unterstützung für Familien. Bei staatlich geförderten Angeboten würden auch Familien mit geringem und mittlerem Einkommen hiervon profitieren. Haushaltshilfen sind dabei in Ergänzung zu einem umfassenden Betreuungs- und Bildungsangebot zu sehen.
BMAS. (2021). Lebenslagen in Deutschland: Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Bericht/Bisherige-Berichte/Der-sechste-Bericht/sechster-bericht.html
BMFSFJ. (2006). 7. Familienbericht: Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/7-familienbericht-74010
BMFSFJ. (2020). Familien heute: Daten.Fakten.Trends. Familienreport 2020. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/163108/ceb1abd3901f50a0dc484d899881a223/familienreport-2020-familie-heute-daten-fakten-trends-data.pdf
BMFSFJ. (2021). Neunter Familienbericht: Elternsein in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/neunter-familienbericht-eltern-sein-in-deutschland–179394
BMFSFJ. (2024). Familienreport 2024. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/familienreport-2024–239470
Bodenmann, G. (2016). Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie (2., überarbeitete Auflage). Hogrefe.
Bonin, H., Fichtl, A., Rainer, H., Spieß, K. C., Stichnot, H. & Wrohlich, K. (2013). Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, DIW Wochenbericht Nr. 40.
Der Paritätische. (2024). Armut in der Inflation: Paritätischer Armutsbericht 2024. https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/paritaetischer-armutsbericht-2024/
Haraldsson, G. & Kellam, J. (2021). Going Public: Icelands Journey To A Shorter Working Week.
IfD Allensbach. (2021). Elternschaft heute: Eine Repräsentativbefragung von Eltern unter 18-jähriger Kinder. https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/IfD/sonstige_pdfs/8214_Elternschaft_heute.pdf
Jurczyk, K. (2014). Familie als Herstellungsleistung. Hintergründe und Konturen einer neuen Perspektive auf Familie. In K. Jurczyk, A. Lange & B. Thiessen (Hrsg.), Doing family: Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist (S. 50–70). Beltz Juventa. https://link.springer.com/chapter/10.1007/ 978-3-658-15005-1_7
Possinger, J., Alber, J., Pohlers, M. & Rauen, D. (2023). Familien gefragt – Impulse für eine familienorientierte Kirche. Vandenhoeck & Ruprecht.
Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp.
Scheiner, J. (2019). Mobilität von Kindern: Stand der Forschung und planerische Konzepte. Raumforschung und Raumordnung, 77(5), 441–456. https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/69082
Schneider, D., Hastings, Orestes, P. & LaBriola, J. (2018). Income Inequality and Class Divides in Parental Investments. American Sociological Review, 83(3), 475–507. https://www.russellsage.org/sites/default/files/0003122418772034.pdf
Statistisches Bundesamt. (2023, 29. März). Elterngeld 2022: Väteranteil steigt weiter auf 26,1% [Pressemitteilung]. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_123_22922.html
Tikotzky, L., Sadeh, A., Volkovich, E., Manber, R., Meiri, G., & Shahar, G. (2015). Infant sleep development from 3 to 6 months postpartum: links with maternal sleep and paternal involvement. Monographs of the Society for Research in Child Development, 80(1), 107–124. https://doi.org/10.1111/mono.12147
Vertovec, S. (2007). Super-diversity and its implications. Ethnis and Racial Studies, 30(6), 1024–1054. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/ 01419870701599465
WSI. (2024, 26. Februar). Auch erwerbstätige Mütter übernehmen meist Großteil der Kinderbetreuung – Kluft bei der Sorgearbeit ist groß: Auswertung zu Equal-Care-Day und Frauentag [Pressemitteilung]. https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2024_ 02_26.pdf