Im Mittelalter wurden auch Zeichen der göttlichen Macht als Evidenz gesehen: Der Turmbau zu Babel gilt als Symbol der Macht Gottes über das Schaffen und Wissen der Menschen. Diese wollten den Turm bis in den Himmel bauen, Gott zerstörte ihn, zerstreute die Menschen und gab ihnen verschiedene Sprachen.
Bild: Turm zu Babel (1563). Pieter Brueghel der Ältere (1525/30–1569). Kunsthistorisches Museum (Art History Museum) in Vienna, Austria. Reproduktion: Adam Ján Figeľ/stock.adobe.com
Die Philosophie beschäftigt sich seit jeher mit Erkenntnis und dem Anerkennen von Wahrheiten. Ein Blick in die Geschichte des Evidenzbegriffs zeigt: Ob etwas überhaupt als sicheres Wissen gelten darf, ist aus philosophischer Sicht umstritten.
Der Begriff Evidenz ist seit jeher Ausdruck einer gewissen Hoffnung. Er ist verbunden mit der Vorstellung, dass ein Problem mit eindeutigen Beweisen erklärt und ihm eine klare Lösung zugeordnet werden kann. Es ist die Hoffnung, dass die Wirklichkeit, so komplex und undurchsichtig sie auch manchmal ist, durch Wissen ergründet und eingeordnet werden kann. Der Mediziner David Sackett schreibt in einem 1997 erschienenen Editorial über die gerade aufkommende Evidenzbasierte Medizin, sie sei der »Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten« (Sackett, 1997).
Nun ist es natürlich wünschenswert, dass jeder Entscheidung in der Geburtshilfe wissenschaftliche Evidenz zugrunde liegt. Doch nicht immer sind die Dinge, um die es in diesen Entscheidungen geht, eindeutig erkennbar oder ausreichend erforscht. Nicht immer gibt es zu den beobachteten Phänomenen bereits veröffentlichte Studien, die als externe Evidenz herangezogen werden könnten. Sackett erkennt dieses Problem und rät, in einem solchen Fall »müssen wir die nächstbeste externe Evidenz finden und berücksichtigen« (Sackett, 1997). Aber ab wann ist etwas überhaupt evident? Wann ist ein bestimmtes Wissen geeignet dazu, als Evidenz für die ganz konkrete Situation einer Gebärenden herangezogen zu werden?
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