
Ungefähr 30 % der Familien, die 2018 aus der Hunsrück Klinik entlassen wurden, hatten keine Hebamme für das aufsuchende Wochenbett. Foto: © kreuznacher diakonie
Die Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe der Hunsrück Klinik hat für ihr ländliches Einzugsgebiet ein Projekt entwickelt, mit dem Hebammen junge Familien im Wochenbett online beraten. Die Anschubförderung der Europäischen Union läuft nun aus, doch die Erfolge lassen auf eine Weiterentwicklung hoffen.
Der Hunsrück: Ruhe, Natur, Dörfer, endlose Weiten – endlose Fahrtstrecken. Hebammen wissen, was das bedeutet: lange Zeiten im Auto, die nicht vergütet werden, Kilometerpauschalen, die nicht den tatsächlichen Verschleiß und die Kosten für den Sprit decken, und im Winter nicht geräumte Straßen zu entlegenen Häusern. Hinzu kommt ein ganz und gar nicht grüner Fußabdruck. Und dies zusätzlich zum leider »normalen« Hebammenmangel.
Ungefähr 30 % der Familien, die 2018 aus der Hunsrück Klinik entlassen wurden, hatten keine Hebamme für das aufsuchende Wochenbett. Dieses Problem hat die Abteilung und die Pflegedirektorin Kristina Theodoropoulos veranlasst, ein neues Projekt zu initiieren: die TeleHebamme, eine Onlinesprechstunde, um Familien ohne aufsuchende Wochenbetthebamme schnell und einfach zu erreichen.
Die Frage nach dem Geld
Die Idee war schnell geboren. Doch woher kommt das Geld für die Hardware wie Tablet, Laptop, Headset und Mobiltelefon? Wer finanziert die datensichere Software der Videoberatung? Wer bezahlt die TeleHebamme? Wir fanden für die Hunsrück Klinik eine Lösung: LEADER ist eine Fördermaßnahme der Europäischen Union zur Entwicklung des ländlichen Raums. Das Programm dient der Strukturförderung und wird finanziert aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (siehe Link). LEADER übernimmt 70 % der Kosten.
Außerdem übernimmt die Stiftung kreuznacher diakonie als Träger der Klinik etwa 30 % der Kosten. Um die Potenziale und Grenzen dieses Projektes von Beginn an zu evaluieren und um die Familien fragen, wie sie die digitale Betreuung empfinden, arbeitet die Universität Koblenz von Beginn an mit, genauer gesagt das Institut für Soziologie.
Aber du kannst das Kind ja nicht anfassen
Zu Beginn sollten möglichst alle Familien im Raum Hunsrück sowie Soonwald Nahe von dem Projekt TeleHebamme erfahren. Also veröffentlichte die Projektgruppe Beiträge in den Social-Media-Kanälen, Print Medien, Radio und auch im Fernsehen. Erreichbar sind die beiden Projektkoordinatorinnen unkompliziert via Mail und Mobiltelefon. Die ersten Anfragen ließen nicht lange auf sich warten.
Frauen, die sich in der Schwangerschaft melden, werden zunächst an eine aufsuchende Hebamme vermittelt. Ist das nicht möglich, vereinbaren die Projektkoordinatorinnen einen Kennenlerntermin in der Schwangerschaft. Das gibt den Projektkoordinatorinnen, also den TeleHebammen, die Gelegenheit, neben dem klassischen Beschnuppern auch Fragen zur Software zu beantworten und das Handling mit Kamera und Co. auszutesten.
Sobald die Eltern mit dem Kind nach der Geburt zu Hause sind, vereinbaren sie feste Termine mit einer TeleHebamme als dauerhafter Ansprechpartnerin – wie im aufsuchenden Wochenbett auch. Danach erhalten sie einen Link zur Videoberatung per E-Mail und kommunizieren mit der Hebamme per Laptop, Tablet oder Smartphone online.
»Ich kann Ihnen nur ewig dankbar sein. Ich möchte Sie ermutigen, dieses wunderbare Projekt weiterzuführen. Es ist eine große Hilfe für mich.«
»Bin rundum mit dem Projekt zufrieden.«
»Die Behandlung durch Annika und Katharina war unschlagbar. Sie haben mir jederzeit geholfen.«
Grenzen
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Im Projektverlauf haben wir reichlich digitale Erfahrung gesammelt und können Rückschlüsse ziehen.
Grenze der Einschätzung
Der Gesamteindruck und die Informationen, die Wochenbetthebammen unbewusst bei Hausbesuchen verarbeiten, ist in der Onlinesprechstunde unvollständig. Unsere Sinneswahrnehmungen sind digital eingeschränkt. Durch sehr gezieltes, detailliertes Nachfragen und Beobachten versuchen wir diese Lücke zu schließen. Doch letztlich entscheidet die Familie, was sie durch den kleinen Kameraausschnitt mit der TeleHebamme teilt. Die wirklichen Wohnverhältnisse, der Umgang mit den anderen Familienmitgliedern, Gerüche, Art und Anzahl der Haustiere bleiben uns eventuell verborgen, genauso wie alle anderen Themen, die die Familie nicht mit uns teilen möchte. Sprachliche Hürden sind schwieriger zu bewältigen als im aufsuchenden Wochenbett. Online ist die Kommunikation mit Händen und Füßen einfach etwas zäher.
Grenzen der Beziehungsarbeit
Einer der wichtigsten Komponenten in der Hebammenarbeit ist die Bindung zur Familie und das gegenseitige Vertrauen. Wir nehmen diese Bindung in der reinen Onlineberatung als etwas schwächer wahr, meist öffnen sich die Familien später oder gar nicht. Manche Familien halten Termine unzuverlässiger ein oder sind kaum zu erreichen.
Grenzen der Technik
Natürlich ist die Gewichtsentwicklung visuell nicht einschätzbar, so dass die Familien eine Waage für Zuhause benötigen. In der Regel leihen sie sich eine in der Apotheke aus. Manche erwerben auch extra eine Babywaage. Beides ist mit zusätzlichen Kosten für die jungen Familien verbunden.
Auch ein Neugeborenenikterus ist online nicht gut zu beurteilen. Hier hilft in vielen, aber nicht allen Fällen das Erfragen von Trinkverhalten, Ausscheidung und Gewicht. Auch die klassische Funduskontolle ist nicht möglich. Auch hier arbeiten wir mit gezieltem Erfragen von Blutung und Beschwerden. Sehr selten leiten wir Frauen zur Eigenkontrolle des Uterus an.
Als schwierig haben wir auch die Stillberatung empfunden und verweisen bei Bedarf gerne an die örtlichen Stillberaterinnen. Eine weitere grundsätzliche Einschränkung ist die teilweise unzureichende Internetverbindung, die ein verpixeltes Bild oder verzögerten Ton überträgt.
Chancen
Videoberatung ist in den letzten Jahren ein übliches Kommunikationsmittel geworden, Familien sind niedrigschwellig überall erreichbar und Anleitungen oder Erklärungen können unterstützend auch per Video oder Foto geschickt werden. Gerade bei Familien mit Unterstützungsbedarf, die sonst ohne Hebamme ins Wochenbett entlassen werden, kann die TeleHebamme Probleme erkennen, Frühforderung und Unterstützung von Beginn an initiieren. Auch eine digitale Hebamme stärkt Familien und entlastet ärztliche Sprechstunden.
Abschließend stellt sich die Frage, wie wir unsere Arbeit weiterentwickeln und optimieren können. Möglicherweise wäre ein Hybridmodell eine Option, die sowohl für die Familien als auch für die Hebammen vorteilhaft wäre. So könnten die Termine im Wechsel in Präsenz und online stattfinden.
- Bilden Sie vor Beginn ein Netzwerk mit den freiberuflichen Hebammen, den Frühen Hilfen, niedergelassenen Ärzten und Kliniken.
- Bewerben Sie das Projekt medienwirksam in der Öffentlichkeit.
- Achten Sie auf Datenschutz und auf eine GKV-zertifizierte Videosprechstundensoftware.
- Teilen Sie, wie im aufsuchenden Wochenbett, eine feste Hebamme den Familien zu.
- Führen Sie ein Qualitätsmanagement mit Fallbesprechungen und Standards durch.
Ausblick
Die Fördergelder der LEADER laufen am 30. Juni 2023 aus und können nicht neu beantragt werden. Aktuell werden Lösungen gesucht, die TeleHebamme weiter anzubieten. Wir prüfen zum einen Möglichkeiten der Abrechnung über die Krankenkasse und haben zum anderen die Idee, das Projekt in die Arbeit einer Hebammenzentrale zu integrieren.