Plakat der Künstlerin Käthe Kollwitz von 1921, mit dem sie zur Frauenmilchspende aufrief, mit historischem Kühlschrank für Milchflaschen.

Fotos: © Birgit Heimbach

Das 5. Symposium der Frauenmilchbankinitiative fand am 1. und 2. November 2024 im Erikahaus auf dem Gelände des Uniklinikums Eppendorf in Hamburg statt. Vielfältige Vorträge zeigten, wie wichtig es ist, genügend Frauenmilch vor allem Frühgeborenen, aber auch anderen bedürftigen Säuglingen zur Verfügung stellen zu können.

Heiterkeit verbreitete gleich zu Beginn die erste Rede des zweitägigen Symposiums zum Leitthema »Frauenmilchbanken: Ressourcenkonflikt oder Megatrend«. Prof. Dr. Dominique Singer, Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin im Zentrum für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erinnerte sich an die Gründung der Hamburger Frauenmilchbank 2017: Er musste entsprechend des Lebensmittelrechts ankreuzen, ob er beispielsweise »Hersteller« oder »Restaurantbetreiber« sei und deklarierte sich schließlich mit einem Kreuz als »Abpacker eines Naturproduktes«. Er erinnerte an die Euphorie der Gründerjahre auch anderer neuer Milchbanken in Deutschland, nachdem es lange Zeit kaum welche gab. 19 andere Banken gab es damals in Deutschland, inzwischen sind es 51.

Prof. Dr. Dominique Singer erinnert sich an die Gründung der Hamburger Frauenmilchbank im Jahr 2017.

Kein vorübergehender Trend

Auf keinen Fall seien dieses Einrichtungen ein vorübergehender Trend, so Singer, denn die dort gelagerte Spendermilch sei für Frühgeborene überlebenswichtig. Es müsse in Zukunft noch bessere Strukturen für eine flächendeckende Versorgung geben. Es sollten Überlegungen angestellt werden, wie mit den begrenzten Ressourcen an Milch und Personal die Aufgaben erfüllt werden können.

Damit dies gelingt, gibt es die 2018 gegründete Frauenmilchbank-Initiative e.V. (FMBI), die nun das Symposium ausrichtete – zusammen mit dem UKE Hamburg, dem Klinikum Itzehoe und der UKSH Campus Kiel. Judith Karger-Seider aus dem Vorstand des Vereins, die seit 25 Jahren als Kinderkrankenschwester und IBCLC auf der Neonatologie mit Singer zusammenarbeitet und die dortige Frauenmilchbank betreut, war wesentlich an der Organisation des Symposiums beteiligt.

Katharina Fegebank, zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg

Dass auch die Politik bei all den Vorhaben eine wichtige Rolle spielt, zeigte die Einladung von Katharina Fegebank von Bündnis 90/Die Grünen. Als Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg und Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung sprach sie in ihrem Grußwort davon, dass ihr am System der Frauenmilchbanken besonders gut die Solidarität der Frauen untereinander gefalle. Frauen geben von sich etwas an andere Frauen, dies sei eine berührende Botschaft.

Dr. Corinna Gebauer, Oberärztin der Neonatologie am Universitätsklinikum Leipzig, stellte daraufhin die FMBI vor. Der Verein, der nun knapp 160 Mitglieder hat, gebe Infos an Fachkreise, sei an der Leitlinienerstellung beteiligt und betreibe Öffentlichkeitsarbeit. Ziel sei es, dass jedes Bundesland über mindestens eine Frauenmilchbank verfüge, damit zumindest alle Frühgeborenen unter 1.500 g entsprechend ernährt werden können. Die erste Tagung der FMBI, »Lac Maternum – Muttermilch und Frauenmilchbanken«, fand 2019 statt, zum 100. Geburtstag der ersten deutschen Frauenmilchsammelstelle in Magdeburg, gegründet von der Kinderärztin Dr. Marie-Elise Kayser.

Gebauer selbst leitet die Milchbank in Leipzig und berichtete: »2023 spendeten 51 Frauen insgesamt 622 Liter. Als eine der größten Frauenmilchbanken Deutschlands beliefern wir auch viele andere Kliniken im Bundesgebiet.«

Sie moderierte kurz die Themen des Symposiums an, etwa wie man mit den begrenzten Ressourcen – in Bezug auf Milch und Personal – Frauenmilchbanken besser betreiben könne, und wie mehr Säuglinge von Frauenmilch profitieren könnten. Dr. Maria Hitzschke, Koordinatorin vom Bundesverband »Das frühgeborene Kind«, beglückwünschte in ihrer Rede das Ziel der FMBI, mindestens eine Frauenmilchbank in jedem Bundesland zu etablieren, was sich 2023 erfüllt habe. Besonders Frühgeborene und kranke Neugeborene würden gesundheitliche Vorteile daraus ziehen. Es gebe aber immer noch viele Perinatalzentren, die keinen Zugang zu einer Frauenmilchbank haben.

Dr. Corinna Gebauer stellt die Frauenmilchbank- Initative vor.

»Substanz menschlichen Ursprungs«

Der Neonatologe Prof. Dr. Daniel Klotz vom Klinikum Bethel in Bielefeld stellte klar, dass es wichtig sei, Netzwerke der Milchbanken aufzubauen. Nicht jedes Perinatalzentrum müsse eine eigene Milchbank betreiben. Er erläuterte ein Modell mit einer zentralen Milchbank als Verteilzentrum (mit dem englischen Wort »Hub« bezeichnet), die verschiedene andere periphere Kliniken mitversorgt (Klotz et al., 2023). In diesem System bekommen beispielsweise die Spenderinnen Kühlboxen für die Milch mit nach Hause (Council of the EU 2024, s. Link).

Für einige Teilnehmer:innen neu war, dass Frauenmilch nicht mehr »nur« als Lebensmittel gilt, worüber Singer noch in der Rückblende gesprochen hatte, sondern nun als »Substanz menschlichen Ursprungs« (Substance of Human Origin, SoHO). Dadurch unterliegt Frauenmilch – sowie neuerdings auch Darmmikrobiota – den Regelungen des Europarats (Council of the EU). Im Mai 2024 hat der Rat neue Vorschriften mitgeteilt, die die Sicherheit und Qualität von Blut, Geweben und Zellen, die im Gesundheitswesen verwendet werden, verbessern und den grenzüberschreitenden Verkehr dieser Stoffe in der EU erleichtern sollen. Und der Geltungsbereich beziehe sich nun eben auch auf Frauenmilch.

»Inhaltsstoffe der Muttermilch«

Pausen-Ausstellung

Birgit Heimbach, die seit einigen Jahren in der DHZ die Serie »Inhaltsstoffe der Muttermilch« betreut und für jede Folge eine Illustration beisteuert, freute sich, dass ihre Arbeiten auf dem Symposium gezeigt wurden.

Bereits in ihrer Masterarbeit im Studiengang Illustration hatte sie sich auf Käthe Kollwitz bezogen, die sich in ihrem Werk für Schwangere und Mütter einsetzte – und eben auch für die Spende von Frauenmilch.

Am 24. Juni 2024 hatte die Europäische Kommission dazu eine hochrangige Konferenz veranstaltet. Auf dieser wurde die neue SoHO-Verordnung vorgestellt und diskutiert. Die European Milk Bank Association (EMBA), in der rund 280 Frauenmilchbanken aus Europa zusammengeschlossen sind, wurde zu einer moderierten Podiumsdiskussion eingeladen und durch die derzeitige EMBA-Präsidentin, Prof. Sertac Arslanoglu, vertreten. Beschlossen wurde dort: Ab 2027 gelten verbindlich neue Vorschriften, die laut Klotz einiges komplizierter machen. Aber durch einheitliche Vorgaben werde es auch neue Chancen geben.

Die Zuständigkeit für Frauenmilch gehe vom Bundesministerium für Landwirtschaft über auf das Ministerium für Gesundheit, erklärte Klotz. Er erläuterte, dass sich vier Wochen vor dem Symposium in Hamburg ein Expert:innen-Forum gebildet habe, um neue Regularien für Milchbanken zu erarbeiten: IMAGINE – Implementation of Human Milk Harmonized Guidelines for Infant Nutrition in Europe. Er erwähnte auch einen EU-weiten Zusammenschluss namens GAPP (s. Link), der eine Leitlinie für die Aufsichtsbehörden von Gewebebanken entwickeln wird, sowie den entsprechenden Guide vom European Directorate for the Quality of Medicines & Health Care (EDQM), das zukünftige Handbuch für Frauenmilchbanken. Letztere werden zukünftig »Human Milk Tissue Establishments« heißen.

Prof. Dr. Soyhan Bağcı spricht über den Umgang mit Milch­spenden aufgrund des Korans.

»Milchgeschwister«

Der Neonatologe Prof. Dr. Soyhan Bağcı vom Uniklinikum Bonn, der 2004 aus der Türkei nach Deutschland kam, sprach über eine religiöskonforme Frauenmilchbank für die muslimische Gesellschaft. Er betonte, dass für ihn persönlich die Religion keine Rolle mehr spiele, aber dass man bei den Menschen, die man betreue, auf jeden Fall die religiösen Bräuche respektieren solle. Bis zum zweiten Lebensjahr gestillt zu werden, sei nach islamischer Religion eines der wichtigsten Rechte eines Kindes.

Bereits im Koran werde das Stillen befürwortet und in einigen Versen eindeutig festgelegt. In Vers 46:15 wird erklärt, dass die physiologische Bindung 30 Monate dauere: während der Schwangerschaft bis zum Abstillen, wenn das Kind zwei Jahre alt ist. Was im Koran stehe, sei Gesetz, so Bağcı. Der Ehemann sei nach islamischem Recht (Scharia) gehalten, seine Frau beim Stillen moralisch zu unterstützen und solle, wenn diese nicht stillen könne, eine andere Milchquelle suchen. Die religiösen Gesetze zum Stillen erlaubten ein gewisses Maß an Wahlmöglichkeiten, was von dem jeweiligen Land abhänge. Für das Betreiben einer Frauenmilchbank in Deutschland sei wichtig zu wissen, dass Kinder als Milchgeschwister gelten, wenn sie vor dem zweiten Lebensjahr von derselben Frau gestillt werden. In diesem Sinne dürften sie dann nicht heiraten.

Je nach Land gebe es Unterschiede, in einigen reiche es aus, wenn die Kinder mindestens fünf Mal von derselben Frau gestillt worden seien. In der Frauenmilchbank in Hamburg beispielsweise werde dies berücksichtigt und die Namen der Milchspenderinnen genau dokumentiert, damit bei Bedarf eine Milchverwandtschaft (Rada) ausgeschlossen werden könne.

Seit 2016 gibt es Frauenmilchbanken im Iran. Aber in einigen islamischen Ländern sind sie verboten. Diejenigen, die dort für das Einrichten trotzdem plädieren, erklären, dass es sich bei der Gabe von Muttermilch durch eine Milchbank ja nicht direkt um das Stillen handle. Schließlich habe der Prophet auch gesagt: »Macht es leicht, macht es nicht schwer.«

Der türkische Oberste Rat empfiehlt, dass gespendete Milch nur Gleichgeschlechtlichen gegeben wird und die Identitäten genau dokumentiert werden. Trotzdem gibt es dort bisher keine Milchbank, da es kein Vertrauen in das Registrierungssystem und noch andere Bedenken gebe. Bağcı empfiehlt bei der Betreuung von muslimischen Säuglingen auf das »Poolen« der Milch zu verzichten und die Spenderin den Eltern des Säuglings vorzustellen. Auch die Übergabe eines Milchbüchleins mit der entsprechenden Dokumentation sei hilfreich.

Ganz kurz wird auf die Milchverwandtschaft eingegangen in der S2k-Leitlinie »Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens«, die seit 21.3.24 gültig ist. Der Vortrag zeigte die große Komplexität des Themas (s. Link: Leitlinie). Das Thema findet scheinbar auch in der Wissenschaft immer mehr Interesse: Julia Will vom Institut für Pflegewissenschaft der Charité stellte ihre » Studie Frauenmilchspende im Kontext von Kultur und Religion« vor.

Prof. Dr. Christoph Fusch stellt Aufbereitung und Nutzen von Fortifieren vor – Dr. Rudolf Ascherl, Neonatologe am Klinikum Leipzig und Medienbeauftragter der Frauenmilchbankinitiative, gibt technische Hilfe bei der Präsentation.

Unerlässlich: Fortifier

Prof. Dr. Christoph Fusch, Chefarzt der Neonatologie des Klinikums Nürnberg, befasst sich schon seit einiger Zeit intensiv mit Fortifiern. Es gebe nicht nur bovine Fortifier (aus Kuhmilch hergestellt), sondern auch aus pasteurisierter Frauenmilch. Die Fütterung von Kuhmilchprodukten sei bei Frühgeborenen wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für entzündliche Darmerkrankungen und Infektionen verbunden. Insbesondere könne es zum Auftreten einer Nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) kommen.

Die Verwendung von Fortifiern aus Frauenmilch zur altersentsprechenden Anreicherung der Hauptnährstoffe in der Muttermilch werde von einigen Neonatolog:innen aufgrund der positiven Ergebnisse bereits in einigen Kliniken erfolgreich eingesetzt. Fusch wies darauf hin, dass Flüssigfortifier aus pasteurisierter Spenderinnenmilch zwar das Risiko für NEC senkten, aber nicht mit Muttermilch gleichzusetzen seien. »Durch das Pasteurisieren werden die lebenden und aktiven Bestandteile in Milch deaktiviert.« Daneben werde durch Flüssigfortifier die wertvolle eigene Muttermilch ersetzt.

Häufig bestehe dann die Hälfte der Nahrung aus dem prozessierten Flüssigfortifier anstelle der eigenen Muttermilch. Fusch wies daraufhin, dass seit kurzem ein aus Spenderinnenmilch hergestelltes Fortifierpulver erhältlich sei, das mittels Gefriertrocknungsverfahren (lyophilisierte Frauenmilch) hergestellt wird. Die Zusammensetzung und das Handling entspreche den seit vielen Jahren erprobten Fortifiern. Das Entscheidende: Die wertvollen natürlichen Inhaltsstoffe der Muttermilch blieben erhalten. Das Pulver werde zur Verstärkung der Muttermilch in dieser aufgelöst. So erhalte das Frühgeborene ausschließlich die eigene verstärkte Muttermilch. Fusch führte eine Studie zum Thema durch (> https://drks.de/search/de/trial/DRKS00032175). In seiner Klinik gibt es außerdem schon länger ein Analysegerät für Frauenmilch, womit genau geschaut wird, welche Stoffe der jeweiligen Milch zugefügt werden müssen, weil die Zusammensetzung der Muttermilch stark wechselt. Dieses Gerät wollen nun auch andere Kliniken anschaffen, wie sich bei den Gesprächen in den Pausen zeigte.

Dr. Julia Heiter stellt spezielle Fälle bei der Ernährung von Frühgeborenen vor.

Schwierige Fälle

Die Kinderärztin Dr. Julia Heiter vom UKE stellte schwierige Fälle vor, in denen das Team, trotz der gängigen Ernährungskonzepte, ausführlich diskutiert hatte, welche Nahrung das betreffende Frühgeborene bekomme solle, etwa wenn nicht genug Spendermilch vorhanden ist.

Nun sollte auch das Auditorium entscheiden und es zeigte sich, dass es sich überwiegend ähnlich entschieden hätte. In einem Fall wurde beispielsweise lyophilisiertes Frauenmilchpulver mit bovinen Fortifiern gegeben. Schwierig war auch ein Fall mit Drillingen, bei denen es vor allem dem Mädchen (Geburtsgewicht 1.520 g) nicht gut ging – es hatte bereits Luft in der Darmwand. Die Frage war, ob man nur ihr die wertvolle – nicht für alle reichende – Muttermilch geben solle oder auch den robusteren Brüdern. Sie wurde schließlich auf alle verteilt und mit Formula ergänzt, aber mehrfach wurde die Ernährung neu angepasst, bis das Mädchen am Ende eine Spezialnahrung bekam.

Dr. Skadi Springer am Stand von Jeanette Grønnslett in der Industrieausstellung

Ehrenmitglied

Schön war die Begegnung in der Pause und im Rahmenprogramm beim Rundgang durch das Medizinhistorische Museum im UKE mit Dr. Skadi Springer. Sie ist Gründungsmitglied der FMBI und seit 2023 Ehrenmitglied neben dem Kindergastroenterologen Prof. Jobst Henker aus Dresden. Als Neonatologin in der Uniklinik Leipzig war sie seit 1978 ärztliche Leiterin der dortigen Frauenmilchsammelstelle. Sie hatte sich seit 1990 sehr stark für den Erhalt der Frauenmilchbanken in Ostdeutschland und die Etablierung solcher in allen Bundesländern eingesetzt. Springer suchte internationale Kontakte zu Frauenmilchbanken in Europa und Übersee. Unter ihrer Federführung erschien 1998 die »Leitlinie für die Einrichtung und zur Arbeitsweise von Frauenmilchbanken«. Dieses Tätigkeitsfeld übernahm Dr. Corinna Gebauer im Jahr 2004

Im Museum gedachte man vor einem großen Abdruck einer Zeichnung von Käthe Kollwitz (1867–1945) der Anfangsjahre der Frauenmilchsammelstellen. Mit dieser 1921 entstandenen Zeichnung unterstützte Kollwitz die Frauenmilchsammelstelle in Erfurt, weil Kayser dorthin gezogen war und nun – nach der Frauenmilchsammelstelle in Magdeburg – auch hier eine gründen wollte.

Springer erinnerte auch daran, das beispielsweise in DDR-Zeiten die Milchbank in Jena ganz unkompliziert im Rathaus untergebracht war. In Westdeutschland wurde die letzte Milchbank 1972 geschlossen. Ein Grund dafür sei die Werbung für Formulanahrung gewesen, die zu dem Irrglauben geführt habe, dass Muttermilch ersetzbar sei. So kam es, dass auch Ärzt:innen lange Zeit Formula auf Kuhmilchbasis befürworteten, so Singer später zum Thema. In der zu Ende gehenden DDR gab es 1989 ein flächendeckendes System mit 60 Frauenmilchsammelstellen, die dann bei der Angleichung der Gesundheitssysteme auf 17 reduziert wurden.

Ein Beutel alternativ zur Flasche?

Interessant war ein Fachgespräch von Springer am Stand einer Ausstellerin aus Bodø in Norwegen auf der sehr kleinen Industrieausstellung. Das Wort »zuerst« hatte Pate gestanden bei der von der Kinderkrankenschwester Jeanette Grønnslett vor zwei Jahren ins Leben gerufenen Firma Anue. Nachdem sich Grønnslett daran gestört hatte, wie in der Klinik die gespendete Frauenmilch behandelt wurde, entwickelte sie eine neue Aufbewahrungslösung dafür: eine beutelartige Flasche, die einen kleinen Aufsatz hat. Diese patentierte Technologie ist gedacht für eine einfache, sichere und hygienische Sammlung, Lagerung, Untersuchung und Verteilung von Frauenmilch.

Grønnslett möchte damit Prozesse an einer Milchbank vereinfachen. Außerdem entwickelte sie einen kleinen Kolostrum-Behälter, mit dem Frauen kleinste Portionen auffangen können. Das Problem der Probengewinnung bei Glasflaschen sei laut der ehemaligen Neonatologin Springer, dass die Milch dafür über den unsterilen Rand laufe, wenn er nicht extra abgeflammt würde. Oder man müsse eine Probe direkt aus der Flasche entnehmen, wobei allerdings beim Eintauchen des Trägers die Milch kontaminiert werden könnte. Das neue Produkt schütze davor. Es werde sich zeigen, ob es sich auf dem Markt durchsetzen kann.

Dr. Boris Kramer betont, dass Muttermilch kein Lebensmittel, sondern ein Medikament sei.

Darmerkrankungen

Ein Vortragsblock befasste sich mit Darmerkrankungen wie NEC, der richtigen Ernährung und OP-Methoden: Dr. Martina Kohl-Sobania, Leiterin der Pädiatrische Gastroenterologie am Uniklinikcampus in Lübeck, erläuterte beispielsweise das Kurzdarm-Syndrom. Wichtig sei bei den betroffenen Säuglingen, dass der Darm maximal zum Wachsen gebracht werde, auch die Darmschleimhaut solle sich verdicken. Das Beste sei, die Darmzotten Nährstoffen auszusetzen – und zwar denen der Muttermilch: Darin seien die entscheidenden Wachstumsfaktoren, so wirke der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (ein Peptidhormon) trophisch auf die Darmschleimhaut, ebenso die Humanen Milcholigosaccharide (HMO), die auch noch das Mikrobiom unterstützen würden. Das Milchfett wirke ebenfalls trophisch, vor allem auf das Ileum. Muttermilch sei das beste Geschenk für die betroffenen Kinder.

Prof. Dr. Boris Kramer, Neonatologe an der Pozna Universität of Medical Sciences in Polen, betonte, dass er Muttermilch als Medikament betrachte. Und Muttermilch brauche ein Mikrobiom, das an den Säugling weitergegeben werde. Diese bakteriologische »Impfung« sei wichtig für das Neugeborene. Bei Spendermilch sei die Mikroflora im Vergleich zur Mutter verändert. Auf jeden Fall benötige der kindliche Darm eine Stabilisierung des Mikrobioms. Eine Antibiotika-Behandlung, die zwangsläufig das Mikrobiom zerstöre, könne zu NEC führen. Und wenn dann das C-reaktive Protein (CRP) ansteige, ginge die Hirnschranke auf, alles könne dann in das Gehirn gelangen. Es käme auch bei NEC zu einer veränderten Aktivierung des Gehirns über den Vagusnerv. Betroffene Kinder hätten beispielsweise eine veränderte Schmerzwahrnehmung als Erwachsene. Sie seien weniger tolerant gegenüber Schmerzen.

Illustrationen von Birgit Heimbach aus der »Muttermilchserie« der DHZ sind in der Pause zu sehen.

Zytomegalieviren in der Frauenmilch

In einem anderen speziellen Themenblock ging es um das Zytomegalievirus (CMV), das zu den humanen Herpesviren gehört. Die Neonatologin Dr. Anne Sophie Schaper von der Charité in Berlin wies zunächst daraufhin, dass Schwangere nicht mit dem Speichel von (fremden) Kleinkindern in Berührung kommen sollten, denn diese wären die häufigsten Virenausscheider. Je später die Infektion in der Schwangerschaft passiere, desto häufiger würden sich die Feten infizieren, allerdings seien die Folgen immer weniger gravierend, je später sich die Feten ansteckten. Rund 10 % der infizierten Neugeborenen zeigten Symptome wie Wachstumsverzögerungen, Gehirnentzündungen und Schwerhörigkeit. Bei 10 % der Kinder, die bei der Geburt symptomlos waren, falle dies erst später auf, die Symptome seien vor allem Hörstörungen. Die meisten Erkrankungen treten im südlichen Europa, meist in Spanien und Griechenland, auf.

Der Neonatologe Dr. Rangmar Gölz von der Uniklinik Tübingen kam auf das Transmissionsmedium Muttermilch zu sprechen. Seit 1970 wisse man, dass Muttermilch die CMV-Infektion übertragen könne. 1995 wurde von einem erkrankten Kind nach laktogener CMV-Infektion berichtet.

Man wisse: Elf Tage nach der Geburt käme es zu einer CMV-Reaktivierung bei der Mutter, worauf Viren in die Muttermilch übergehen würden. Eine direkte Folge könne sein, dass das Hörvermögen bei den Neugeborenen vermindert sei, auch eine verminderte Lungenfunktion lebenslang sei möglich.

Es komme vor allem zu Spätfolgen, was erst messbar sei, wenn die Gehirnvorgänge komplexer werden, also in einem Zeitraum von 11 bis 16 Jahren. Vor allem das kognitive Langzeitoutcome sei dann schlechter. In bildgebenden Verfahren konnte gezeigt werden, dass es beispielsweise zu einer stärkeren Aktivierung im Hippocampus kam. Das bedeute, dass dort die Durchblutung stärker sei, weil eine größere Anstrengung nötig wäre. Die Jugendlichen hätten rund 13 IQ-Punkte weniger.

Gölz erklärte, dass deshalb in seiner Klinik eine Kurzzeit-Hitzeaktivierung der Milch erfolge: fünf Sekunden bei 62 °C. Im Gegensatz zu einer Pasteurisierung blieben dabei beispielsweise Wachstumsfaktoren und Antikörper erhalten, CMV werde inaktiviert. Das Einfrieren reduziere die Viren nur unzureichend.

Dr. Ann Carolin Longardt, oberärztliche Leitung der Neonatologie am Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, hatte sich vor dem Symposium testweise bei ChatGPT informiert und erfahren, dass sich die Kliniken in Bezug auf ein CMV-Screening der Milch individuell entscheiden könnten. Dem stimme sie entschieden nicht zu. Sie wünschte sich stattdessen eine Standardisierung und einheitliche Regelung. CMV könne – entgegen der Meinung von Gölz – bereits im Kolostrum enthalten sein, allerdings in so geringer Menge, dass noch Muttermilch gegeben werden dürfe; danach käme es in der ersten Woche zu einem graduellen Anstieg, nach 10–12 Wochen würde die Virenlast abfallen. Bei Frühgeborenen sei die Virenlast der Muttermilch in Woche 4–6 besonders hoch. Bei Reifgeborenen führe dies in der Regel zu keinen Problemen, bei sehr kleinen Kindern und Frühgeborenen könne es allerdings zu einem schlechten Outcome kommen.

Dr. Monika Berns erzählt vom Qualitätszirkel »Stillen« in der Charité.

Stillmentor:innen

Das Stillkonzept an der Charité wurde von Dr. Monika Berns, Neonatologin und Oberärztin, vorgestellt. Dazu gehöre, dass eine Hauptstillbeauftragte den zweimal im Monat stattfindenden Qualitätszirkel »Stillen« organisiere, in dem Lösungen für komplizierte Fälle erarbeitet würden. Jährlich gebe es einen Klausurtag. Die Stationen Geburtsmedizin, Kreißsaal und Neonatologie hätten jeweils noch zwei designierte Stillmentor:innen, die beispielsweise Fortbildungen für die Kolleg:innen organisierten. An ihrer Klinik gebe es zudem eine dreitägige Ausbildung zur Stillmentorin. Der Kurs sei für alle Berufsgruppen offen.

2021 wurde Berns als Vertreterin der FMBI in die Nationale Stillkommission (NSK) berufen. Die Hauptaufgabe dieser beim Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe, angesiedelten Kommission sei die Förderung des Stillens in Deutschland. Die NSK berät die Bundesregierung und andere öffentliche Einrichtungen, erarbeitet Empfehlungen zum Thema Stillen, wirkt an der Planung von Maßnahmen zur Stillförderung mit und unterstützt Initiativen zur Beseitigung von Stillhindernissen.

Unter den rund 200 Zuhörenden des spannenden Symposiums waren auch etwa zehn Hebammen vertreten. Der Poster-Beitrag von Kira Harting, einer jungen Hamburger Hebamme, zeigte in ihrem Studienergebnis, dass Hebammen den Stillerfolg von stationär aufgenommen Neugeborenen positiv beeinflussen können.

Zitiervorlage
Heimbach, B. (2025). 5. Symposium der Frauenmilchbankinitiative e.V.: Ressourcenkonflikt oder Megatrend. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 77 (2), 74–82.
Literatur

AWMF-Register-Nummer 024-026 (2024). S2k-Leitlinie. Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens. https://register.awmf.org/assets/guidelines/024-026l_S2k_Einsatz-Behandlung-humane-Milch-Einrichtungen-Gesundheitswesen_2024-05.pdf. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-026

Klotz, D., Berns, M., Fusch, C., Schlößer, R. L., Pöschinger, M., Wellmann, S., Lange, A. E., Ascherl, R. G., Naust, B., Rauch, J., Karger-Seider, J., Gebauer, C., & für die Frauenmilchbank-Initiative e. V. (2023). Versorgungsstrukturen und Betreibermodelle: Chancen und Herausforderungen des. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10575713/

Links
Anue: https://www.anue.no/about

Council of the EU (2024). Council adopts new rules on substances of human origin: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2024/05/27/council-adopts-new-rules-on-substances-of-human-origin/

EDQM: www.edqm.de

EMBA bei der Konferenz des Europarates https://europeanmilkbanking.com/emba-is-invited-to-participate-in-the-european-commission-conference-on-the-new-regulation-on-substances-of-human-origin/

European Directorate for the Quality of Medicines & Health Care (EDQM): https://www.edqm.eu/en/

GAPP: https://www.gapp-ja.eu

Klinische Studie zur Herstellung von Fortifiern aus Spenderinnenmilch: https://drks.de/search/de/trial/DRKS00032175

Konferenz zur Regulierung der Substances of human Origin: https://webcast.ec.europa.eu/conference-on-the-new-regulation-on-substances-of-human-origin-2024-06-24

Neureglung von Bestimmungen in Bezug auf Substanzen menschlichen Ursprungs durch den Europarat: https://health.ec.europa.eu/events/conference-new-regulation-substances-human-origin-2024-06-24_en

Videoclip zur Frauebnmilchspende anlässlich des Weltfrühchentages am 17.11.2024: https://www.youtube.com/watch?v=_FJBaKmUKn4