
Franz-Michael Petry, Geschäftsführer der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH: „Der Medizinbranche ist es verwehrt, ihre Risikokosten auf den Preis umzulegen.“ Foto: © Ecclesia Versicherungsdienst GmbH
2012 sind die Haftpflichtprämien für Hebammen, ÄrztInnen und Krankenhäuser dramatisch angestiegen. Immer weniger Versicherer sind überhaupt bereit, Haftpflichtversicherungen im Gesundheitsbereich zur Verfügung zu stellen. Für Hebammen und Krankenhäuser mit Geburtshilfe stellt sich inzwischen die Existenzfrage.
Begründet wird diese Entwicklung mit dem rapiden Anstieg der Kosten, besonders in Fällen mit Dauerschäden. Nach Untersuchungen der Versicherungswirtschaft ist der mittlere Schadensaufwand im Arzthaftungsbereich – von Schmerzensgeld bis Pflegekosten – in den letzten Jahren um fast sechs Prozent pro Jahr gestiegen. Bei den Geburtsschäden fielen die Steigerungen mit neun Prozent beim mittleren Aufwand, 14 Prozent bei den vermehrten Bedürfnissen des geschädigten Kindes und fast 18 Prozent bei den Erwerbsschäden durch verminderte Arbeitsfähigkeit des Geschädigten – noch sehr viel deutlicher aus.
Der erhebliche Fortschritt in der Medizin führt dazu, dass erfreulicherweise auch schwer geschädigte Menschen heute eine gute Chance haben, „normal“ alt zu werden. Die Folge ist aber, dass etwaige regelmäßige Aufwendungen mitunter viele Jahre lang geleistet werden müssen. Hinzu kommt die überproportionale Steigerung der Pflegekosten, gerade bei den Geburtsschäden. So erreicht der monatliche Aufwand, vor allem bei häuslicher Betreuung der geschädigten Personen, inzwischen 20.000 Euro und mehr. Bei einer Zahlungsstrecke von 60 Jahren führt dies zu einem tatsächlichen Aufwand von 14,4 Millionen Euro. Diese Entwicklung wird sich aus heutiger Sicht wohl nicht mehr umdrehen. Trotz bestem Risikomanagement sind menschliche Fehler und auch schwere Schädigungen von Patienten nicht völlig zu verhindern. Medizin ist eine Hochrisikobranche und wird es – trotz aller Anstrengungen – bleiben.
Anders aber als allen anderen Hochrisikobereichen, man denke nur an die Chemie- oder Energiewirtschaft, ist es der Medizinbranche verwehrt, ihre Risikokosten auf den Preis umzulegen. Diese Tatsache findet bisher kaum Beachtung. Will man verhindern, dass sich immer mehr Hebammen, ÄrztInnen und Krankenhäuser aus der Geburtshilfe verabschieden, müssen entweder die deutlich über die allgemeinen Kostensteigerungen hinausgehenden Prämienerhöhungen bei der Kalkulation ihrer Entgelte berücksichtigt werden. Oder es muss zu Beschränkungen der von der Behandlungsseite zu erbringenden Ersatzleistungen kommen.
So stellen gerade bei schweren Personenschäden die Regresse der Kranken- und Pflegekassen gegenüber den GeburtshelferInnen eine nicht unerhebliche Schadensposition dar. Auch diese müssen von der Haftpflichtversicherung gezahlt werden. Die Kassen müssen aber, wenn man die Risikokosten angemessen berücksichtigen will, über die Preise für die Behandlungsleistungen, diese Risikokosten wieder finanzieren. Der Kreislauf der Kostenverschiebung könnte sinnvollerweise durch einen Ausschluss der Regressmöglichkeit unterbrochen werden. So sind beispielsweise in Schweden Regresse der Sozialversicherungsträger gesetzlich ausgeschlossen. Die Familien stehen aber in diesem Fall nicht ohne Schutz da. An sie zahlen die Sozialversicherungsträger, die sich das Geld dann jedoch nicht von der Klinik oder vom Arzt zurückholen können.
Die Prämien für die Haftpflichtversicherung von Hebammen, BelegärztInnen und Krankenhäusern werden sich ohne solche Maßnahmen in Zukunft nicht mehr reduzieren. Im Gegenteil: Tendenziell ist mit weiteren Prämienforderungen zu rechnen. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die Gesundheitsberufe nur ein relativ kleines Kollektiv sind, auf das die Risiken verteilt werden können. Es ist an der Zeit für politisches Handeln, bevor noch mehr Hebammen und ÄrztInnen die Geburtshilfe aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben müssen. Es kann nicht sein, dass unser reiches Deutschland sich Geburtshilfe nicht leisten kann!
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