Priv.-Doz. Dr. med. Andrea Gingelmaier, Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität München Maistraße: „Die vaginale Geburt bei HIV-positiven Müttern gehört inzwischen bei uns zum klinischen Alltag.“ Foto: privat

Den bevorstehenden Welt-Aids-Tag am 1. Dezember nehme ich zum Anlass, einige Gedanken zu Geburt und Stillen bei einer HIV-Infektion loszuwerden. In diesem Bereich hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Der Grund dafür ist, dass die HIV-Therapie viel effektiver und verträglicher geworden ist. Nicht nur die Lebenserwartung und -qualität HIV-positiver Frauen ist erheblich gestiegen, sondern auch die Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf ihr Kind, die sogenannte mother-to-child transmission (MTCT), konnte auf ein Minimum reduziert werden. Unter den optimalen Bedingungen einer virussupprimierenden antiretroviralen Kombinationstherapie sind inzwischen Übertragungsraten unter 0,5 Prozent erreichbar. Der Wunsch nach mehr Normalität in ihrem Leben mit einer HIV-Infektion hat dadurch vor allem für Frauen eine sehr hohe Priorität. Dazu gehört selbstverständlich ein Leben mit Kindern. Dazu gehört aber auch, Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach nach eigenen Vorstellungen, kulturellem Kontext und Wünschen zu gestalten.
Der Durchbruch für die vaginale Geburt kam in Europa im Jahre 2008, als eine große französische Kohortenstudie von Josiane Warszawski und KollegInnen zeigen konnte, dass bei einer Viruslast von weniger als 400 Kopien pro Milliliter unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie die Übertragung auf das Kind unabhängig war vom Geburtsmodus. Auch ein sekundärer Kaiserschnitt fiel hier erstmals nicht aus dem Rahmen. Die „Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen“ hat darauf die vaginale Geburt bei supprimierter HI-Viruslast unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie erstmals in ihre Empfehlung aufgenommen und in der Aktualisierung 2011 noch stärker verankert.
An der Frauenklinik der Universität München überblicken wir inzwischen 108 vaginal intendierte Geburten HIV-positiver Frauen: 78 Spontangeburten, 17 Vakuumextraktionen und 13 sekundäre Sectiones. Nie kam es zu einer HIV-Übertragung auf das Kind. Nach anfänglichen Berührungsängsten, gehört die vaginale Geburt bei HIV-positiven Frauen inzwischen bei uns zum klinischen Alltag. Auch in vielen anderen Kliniken in Deutschland werden diese Frauen unter den genannten Bedingungen zu einer vaginalen Geburt beraten. Ihrerseits fordern sie die Möglichkeit, ihren Geburtsweg selbstbestimmt zu wählen, auch ganz deutlich ein.
Viele dieser Frauen fragen nun: „Wenn ich mein Kind vaginal zur Welt bringen kann, kann ich es unter einer HIV-Therapie auch stillen?“ Vor allem in Afrika ist dies so wichtig für die Gesunderhaltung des Kindes, da sauberes Wasser und/oder Säuglingsnahrung oft nicht verfügbar sind. Kulturell betrachtet ist Stillen für Frauen in Afrika fast ein Muss. Nachdem dort mehrere Studien erfolgreich verlaufen sind, empfiehlt die WHO inzwischen für Frauen in Entwicklungsländern offiziell das Stillen unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie. In den sogenannten Industrieländern wird es derzeit weiterhin nicht generell empfohlen. Die Gründe dafür sind: das dadurch verlängerte, wenn auch minimale Restrisiko einer HIV-Übertragung und eine über die Muttermilch verlängerte Exposition gegenüber den HIV-Medikamenten. Trotzdem wünschen auch bei uns „positive“ Mütter, ihr Kind zu stillen. Wir unterstützen diese Frauen nach entsprechender Aufklärung über die Risiken.

Zitiervorlage
Gingelmaier A: HIV-positiv: Vaginal gebären und stillen? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (11): 1

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