
Die dritte Säule der Evidenz stellen die Präferenzen und Wünsche der Frauen und ihrer Familien für die anstehenden Entscheidungen dar. Foto: © Danny Merz
Neben der wissenschaftlichen Evidenz und dem eigenen Erfahrungswissen der Hebamme spielen die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen eine wichtige Rolle in der Betreuung und Geburtsbegleitung. Sie wahrzunehmen und zu bestärken, verhilft den Frauen zu selbstbestimmten Entscheidungen.
Für Hebammen sind frauzentrierte, familienorientierte sowie gesundheitsfördernde Begleitung von Frauen und deren Partner:innen entscheidend, um nachhaltig wirken zu können. Der Schutz der natürlichen und sensiblen Abläufe während der Lebensphasen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett stehen im Vordergrund. Das bedeutet, neben der externen wissenschaftlichen Evidenz und dem Erfahrungswissen als interner Evidenz der dritten Säule des evidenzbasierten Hebammenhandelns eine hohe Priorität einzuräumen: den Präferenzen und Wünschen der (werdenden) Mütter und ihren Familien für die anstehenden Entscheidungen, betrifft es sie doch ganz persönlich.
Die Berufsethik, wie sie im Leitbild des Deutschen Hebammenverbandes e.V. (DHV) niedergeschrieben ist, verpflichtet Hebammen zu Folgendem:
- Hebammen versorgen und begleiten Frauen und Familien in der Zeit der Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt, des Wochenbetts und der Stillzeit und respektieren im Rahmen rechtlicher und fachlicher Vorgaben kulturelle und individuelle Gewohnheiten.
- Hebammen fördern das Vertrauen der Frauen und Mädchen in die Physiologie von Schwangerschaft und Geburt und bestärken deren Ressourcen, diese als gesunde Lebensprozesse zu erleben.
- Hebammen nutzen evidenzbasiertes berufliches Wissen, um eine sichere Geburtshilfe in allen Umgebungen und Kulturen zu ermöglichen.
- Hebammen achten die körperlichen, seelischen und sozialen Bedürfnisse der Frauen, die ihre gesundheitliche Unterstützung suchen.
- Hebammen sind sich ihrer Vorbildfunktion für Frauen und Familien im Hinblick auf die Förderung und Erhaltung von Gesundheit bewusst.
Das Recht auf Selbstbestimmung
Sowohl im Hebammengesetz (HebG, 2020), in der Hebammenprüfungsverordnung (HebStPrV 2020) als auch in der S3-Leitlinie »Vaginale Geburt am Termin« (AWMF, 2020) ist das evidenzbasierte Handeln von Hebammen umschrieben. Sie sind angehalten, sich stets auf aktuellem wissenschaftlichem Stand zu halten und gleichzeitig das »Recht auf Selbstbestimmung« zu achten (HebG, 2020).
Evidence-based Midwifery (EBM) meint die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Hebamme und Frau unter »Abwägung von Wissen und Erfahrung der Hebamme mit den Wünschen und Bedürfnissen von Frau und Familie« (Büthe, 2023, 11). Die Individualität der Frau spielt hier eine große Rolle. Sie »wünscht« sich etwas, sie hat eine bestimmte Vorstellung von einer Handlungsweise, die sie als das Beste für sich und ihr Kind erachtet. So unterschiedlich Frauen sind, so bunt und vielfältig sind die Wünsche, mit denen sie an Hebammen herantreten. Gemeinsames Ziel von Hebamme und Frau ist die Erhaltung und Stärkung der Gesundheit und des Wohlergehens der Mutter-Kind-Einheit und der nahen Bezugspersonen – nicht nur gemessen am klinischen Outcome von Mutter und Kind, sondern auch am subjektiven Erleben (Stahl, 2005, 23).
Evidenzbasierte Betreuung bedeutet dabei nicht, Leitlinien und aktuelle Studienlage allen Frauen gleichermaßen angedeihen zu lassen, sondern die Hebamme muss gemeinsam mit jeder einzelnen Frau in einem Prozess erarbeiten, was in ihrem Fall für sie am besten ist . Was für Frau A gut ist, muss bei gleicher Studienlage und gleicher klinischer Expertise nicht zwingend für Frau B passend sein.
Am Anfang steht die ausführliche Anamneseerhebung, die nicht ausschließlich das Abfragen medizinischer Eck- und Mutterpassdaten, sondern die Betrachtung des gesamten Mensch-Umwelt-Systems und die aktive Beachtung der individuellen Gesundheitszeichen und Ressourcen beinhaltet (Krüger, 2020).
In einer vertrauensvollen Beziehung wird die Frau eher ehrlich ihre Wünsche, Sorgen oder anamnestische, möglicherweise schambehaftete Themen anbringen und Fragen stellen, als es in einem flüchtigen Verhältnis der Fall sein wird (Willms et al., 2010; Krüger, 2020). Indem sich die Hebamme mit einer positiven, aufmerksamen und zugewandten Grundhaltung der Frau widmet und sicherstellt, dass sie selbst alles Gesagte richtig verstanden hat und etwaige Gefühle anspricht, die sie wahrnimmt , hört sie aktiv zu und hilft der Frau so, sich zu öffnen (Mai, 2021; Buschmann, 2023, 67f.). Auch nonverbale Methoden wie Körperarbeit stellen eine Möglichkeit dar, um in Beziehung zu gehen und so Vertrauen aufzubauen.
Gesundheitszeichen
Neben der Suche nach Anzeichen von Krankheit sollten in jedem Anamnesegespräch auch Zeichen von Gesundheit benannt werden. Was ist gut im jeweiligen Frau-Umwelt-System? Welche positiven Zeichen für ein funktionierendes Mutter-Kind-Paar sind sichtbar?
Hier spielen neben der Frau auch ihre Umgebung und ihre individuellen Ressourcen eine große Rolle: Woraus kann sie Kraft schöpfen, um mit Situationen umzugehen? Dies gibt der Hebamme Aufschluss über die Frau »als Ganzes« und hilft der Schwangeren, sich wahrgenommen zu fühlen und im Selbstvertrauen gestärkt zu werden.
Im Zusammenhang mit Gesundheit werden die Faktoren im Leben eines Menschen Ressourcen genannt, die ihm helfen, mit Widrigkeiten und Besonderheiten umzugehen (Franke, 2012, 173). Es sind die Quellen, aus denen ein Mensch individuelle Kraft und Energie schöpfen und mit deren Hilfe er mit Stress umgehen kann (ebd.).
Der Weg der Entscheidungsfindung
Die von Glyn Elwyn und ihrem Team entwickelte OPTION-Skala sollte ursprünglich messen, inwieweit Patient:innen in Entscheidungen eingebunden werden (Elwyn et al., 2005). Sie kann eine formale Kommunikationsstruktur vorgeben, die sich als praktikabel in der Umsetzung zeigt, um Frauen in die Entscheidungsfindung einzubinden (Schwarz & Stahl, 2013, 22f.). Diese Skala arbeitet sich über die genaue Fragestellung, die Identifizierung der Wünsche, das Aufzeigen verschiedener Handlungsoptionen in zwölf Schritten bis hin zur Evaluation der Entscheidung vor (siehe Kasten: OPTION-Skala).
Vertrauen aufbauen
Im persönlichen Gespräch mit Hebammen aus der außerklinischen Geburtsbegleitung wird deutlich, dass der frühe Kontakt zur Schwangeren als sehr bedeutsam eingeschätzt wird, denn so können von Beginn an valide Informationen gegeben und früh eine Beziehung aufgebaut werden. Auch werden engmaschiger Austausch, wertschätzende und und adressat:innengerechte Kommunikation auf Augenhöhe, Vertrauen und Ehrlichkeit zwischen Hebamme und Frau als unabdingbare Voraussetzungen genannt, um für alle Parteien gute Wege einschlagen zu können.
Die Hebamme kann die Frau gut einschätzen, inwieweit sie Entscheidungen und deren Tragweite verstehen kann. Sie weiß, welche Informationen sie der Frau zur Verfügung stellt. Auch bietet die intensive, vertrauensvolle Beziehung der Hebamme Sicherheit in der Betreuung, weil sie die Frau gut kennt.
Informationen bewerten
Häufig sind Hebammen primär damit beschäftigt, die Informationsquellen und somit auch den Informationsstand der Schwangeren zu sortieren, um dann möglicherweise manche Dinge ins rechte Licht rücken zu können. Bei der Vielzahl an Quellen, deren wissenschaftliche Seriosität nicht immer gegeben ist, stellt dies die Hebamme vor Herausforderungen. Sie kämpft oft gegen subjektive Erfahrungsberichte aus dem Umfeld der Frau, Social Media oder Ratgebern, die sich entweder negativ gefärbt oder übertrieben geschönt darstellen und so die persönlichen Wünsche und Vorstellungen beeinflussen, indem sie Angst machen oder unrealistische Erwartungen schüren.
Des Weiteren ist unser geburtshilfliches Paradigma sehr pathologisch geprägt. So sehen sich die in der Mehrheit jungen gesunden Frauen mit Risiken und Diagnosen konfrontiert, die sie möglicherweise verunsichern, in eine passive Rolle drängen und Interventionen aussetzen, anstatt sie in ihrer Gesundheit zu stärken (Downe et al., 2020; Perez-Botella et al., 2015).
OPTION-Skala
- Die Hebamme macht deutlich, dass die Frage/das Problem der Frau eine Entscheidung erfordert.
- Die Hebamme stellt fest, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt, mit der vorliegenden Situation umzugehen.
- Die Hebamme bringt in Erfahrung, wie die Frau am liebsten die Informationen zur Unterstützung der Entscheidung erhalten möchte (Text/Zahlen/audiovisuelles Informationsmaterial).
- Die Hebamme nennt die verschieden Handlungsoptionen, zu denen auch gehören kann, nichts zu tun.
- Die Hebamme erklärt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen, auch die der Option, nichts zu tun.
- Die Hebamme erfragt die Erwartungen und Vorstellungen der Frau, wie mit der Frage/dem Problem umgegangen werden soll.
- Die Hebamme versucht herauszufinden, welche Ängste und Sorgen die Frau zum Umgang mit der Frage/dem Problem hat.
- Die Hebamme stellt sicher, dass die Frau die Informationen, die sie ihr gegeben hat, verstanden hat.
- Die Hebamme bietet der Frau ausdrücklich an, während des Entscheidungsfindungsprozesses Fragen zu stellen.
- Die Hebamme findet heraus, wie stark die Frau in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden werden möchte.
- Die Hebamme bietet die Möglichkeit an, dass die Entscheidung jetzt getroffen oder auch aufgeschoben werden kann.
- Die Hebamme vereinbart, die Entscheidung (oder den Aufschub) zu überprüfen.
Quelle: OPTION-Skala in Anlehnung an Elwyn et al., 2005, zit. nach Schwarz & Stahl, 2013, 23
Rechtliche Grauzonen
Was, wenn die Wünsche der Frauen rechtliche Grauzonen berühren? Immer wieder kommt es vor, dass ein Wunsch einer Frau die Hebamme in der Betreuung vor die Entscheidung stellt: Kann ich diesen Wunsch mittragen oder nicht?
In diesen Fällen sind genaue Abwägung und klare Kommunikation auf Augenhöhe unter In-Betracht-Ziehen aller Wahrscheinlichkeiten, externer und interner Evidenz notwendig für eine Entscheidung (Crozier & Hubbard, 2023).
In allen Arbeitsbereichen sind außerklinisch tätige Hebammen häufig mit der Angst vor rechtlichen Folgen konfrontiert, sind sie doch im Schadensfall – anders als im klinischen Umfeld – alleingelassen und im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Sie stehen deshalb oft unter Druck. Wenn die Erfüllung eines Wunsches mit den Konventionen des technokratischen geburtshilflichen Paradigmas kollidiert, erfordert es oft Mut und Standhaftigkeit der Hebamme, um den Wunsch mitzutragen.
Welche Kriterien die Hebamme in der Entscheidungsfindung für sich heranzieht, ist sehr individuell. Voraussetzungen sind fundiertes Wissen und die Kenntnis der rechtlichen Bestimmungen. Da eine Hebamme stets eigenverantwortlich arbeitet und weiß, dass sie nach dem »International Code of Ethics for Midwives« (ICM, 2014) alle Konsequenzen vertreten und tragen muss, wird sie genau abwägen und dann eine für sich gute Entscheidung treffen – immer das Wohl von Mutter und Kind im Blick.
Entscheidungen ändern
Klar ist allerdings, dass eine Entscheidung nicht »in Stein gemeißelt« sein darf; sie kann sich im Laufe der Schwangerschaft ändern. Auch haben sowohl die einzelne Hebamme oder ein gemeinsam tätiges Hebammenteam das in den Berufsordnungen der Länder verankerte Recht, die Betreuung (außer im Notfall) nicht zu übernehmen oder abzubrechen, wenn sie sich in einer Betreuung nicht sicher fühlen und ihre eigenen Grenzen überschritten würden. In einem solchen Fall werden Hebammen dies klar kommunizieren, sich so selbst schützen und der Frau dennoch weitere Türen öffnen, indem sie sie an andere Fachpersonen verweisen .
Institutionellen Zwängen begegnen
Hebammen, die im klinischen Umfeld arbeiten, sehen sich mit Herausforderungen institutioneller Art konfrontiert. Sie befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen den institutionellen Gepflogenheiten und Notwendigkeiten und den Bedürfnissen und Wünschen der zu betreuenden Frau (Crozier & Hubbard, 2023). Im fragmentierten geburtshilflichen Paradigma, in dem die kontinuierliche Hebammenbetreuung nicht gegeben ist, bleibt nicht viel Zeit, die Gebärende auf allen Ebenen kennenzulernen. Zudem befindet sich die Frau in einer vulnerablen Ausnahmesituation und kann sich in dem Moment nicht in Ruhe auf ein erstes Kennenlernen einlassen (Erdmann, 2023; Kloester et al., 2022).
Ein In-Beziehung-Gehen muss innerhalb kürzester Zeit stattfinden. Das geschieht im besten Fall, wenn Ruhe nach dem Schichtwechsel einkehrt und sich Zeit für ein Kennenlernen abseits der medizinischen Daten ergibt. Wenngleich Hebammen mit Empathie eine Betreuung im Kreißsaal übernehmen, kann gegenseitiges Vertrauen und Vertrautheit mit der jeweils anderen Person nicht in gleichem Maße gebildet werden wie im kontinuierlichen Betreuungsmodell, in dem die Hebamme oder ein Hebammenteam die Frau von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit kontinuierlich betreut.
Ebenso sind Hebammen in geburtshilflichen Institutionen oft mit hohem Arbeitsaufkommen und mitunter rasch zu treffenden Entscheidungen konfrontiert. Oft sind mehrere Professionen beteilig und jede bringt ihr eigenes Verständnis der Situation mit in die Überlegungen, die das Berücksichtigen der individuellen Wünsche der Frau unter Umständen nicht möglich machen oder erschweren. Die Hebamme steht dann zwischen Frau und Institution, zwischen Bedürfnis und Technologie .
Die dritte Säule in der Salutogenese
Das individuelle Kohärenzgefühl einer Frau besteht nach Auffassung des Begründers des salutogenetischen Ansatzes Aaron Antonovsky aus den drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit (Antonovsky, 1997). Daneben sind eine aktive, klare und symmetrische Kommunikation, Mit-Einbeziehen der Gebärenden in Entscheidungen und die kontinuierliche Anwesenheit des Partners oder der Partnerin, eine positive Haltung, Wertschätzung und das Erklären von Handlungen seitens der Fachpersonen der Schlüssel für das Geburtserlebnis der Frau und der Wahrung ihrer Geburtsintegrität (Batram-Zantvoort et al., 2023). Letztere wird als Unversehrtheit der Gebärenden auf allen Ebenen in ihrem subjektiven Erleben definiert (ebd.).
Ein so als positiv erlebtes Geburtsgeschehen gilt unter anderem als Schutzfaktor vor einer postpartalen Depression sowie als Fundament einer guten Transitionserfahrung in die Mutterschaft (Downe et al., 2016; Urbanová et al., 2021; Kloester et al., 2022). Es stärkt somit nachhaltig die Gesundheit – versorgungspolitisch kein zu vernachlässigender Aspekt.
So oder so, gleich in welchem Setting Hebammen Frauen im Kontinuum Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und frühe Elternschaft zur Seite stehen, sind Kommunikation, Gesprächsführung und Selbstreflexion der Hebamme essenziell (Erdmann, 2023; Büthe, 2023, 11). Dies muss gelernt und praktiziert werden, sodass aus einem Gespräch eine echte ergebnisoffene Begegnung werden und die Frau ihre Autonomie wahren kann. Sie kann sich in solch einer Begegnung in das Zentrum des Interesses stellen, die Hebamme ist Begleitung und nimmt eine passive Rolle ein.
Die Eigenverantwortung stärken
Letzteres ist sowohl in unserem geburtshilflichen Paradigma als auch aus Sicht der Betreuten schwierig, denn Studierende der Hebammenkunde werden eher in der aktiven Rolle als Ratgeberin sozialisiert und als Zuständige für »Tipps und Tricks« in allen Fragen dieser Zeit . So wird auch in der täglichen Hebammenarbeit seitens der Frau häufig ein aktives »Tun« erwartet, was die Hebamme möglicherweise in Zugzwang bringt. Auf die Frage »Was möchtest Du denn?« ist oftmals keine sofortige Antwort zu erhalten. Was, wenn die Frau es selbst nicht weiß? Die Hebamme wird dann als »Lieferantin« von Lösungen gesehen, was aus salutogenetischer Perspektive nicht zielführend ist. Da eine Frau Expertin für sich selbst sein sollte, sind neben fachkompetenter Beratung auch Empowerment und Gesundheitsförderung durch die Hebamme wichtig.
Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass die betreuende Hebamme selbst ein Individuum mit einer eigenen Biografie, Ressourcen, individuellen Lebensumständen und vor allem einem bestimmten Ausbildungshintergrund ist. Diese Punkte erschweren es der Hebamme möglicherweise, Entscheidungen der Frau zu akzeptieren, wenn sie anders ausfallen als die Hebamme es für sinnvoll erachtet. Sie muss sich dessen bewusst sein und gleichzeitig Ängste und Unsicherheiten der Frau ernst nehmen, um auf Augenhöhe zu sein. Die »Brücke zwischen Wissen und Fühlen« (Schmid 2015, S. 121) wird in Begleitung der Hebamme geschlagen und unterstützt .
Eine Entscheidung zu treffen bedeutet, sich in einen Prozess zu begeben und letztlich Verantwortung zu übernehmen (ebd.). So muss die Frau oder das werdende Elternpaar nach fundierter Aufklärung die Verantwortung für die eigene Entscheidung tragen und die Hebamme muss eine etwaige Ablehnung ihrer Ratschläge akzeptieren (Stahl, 2005, 24). Der Prozess, eine Entscheidung zu fällen, ist für die Hebamme mitunter ein anstrengender Weg, der viel Geduld erfordert und in dem eine gewisse professionelle Distanz trotz Beziehung zur Frau für die Hebamme wichtig sein kann. Zudem hat jeder Mensch ein Recht auf Nicht-Wissen, das insbesondere im Bereich Pränataldiagnostik Bedeutung hat. In den Mutterschaftsrichtlinien wird dieses Recht ausdrücklich betont (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2023).
Frauen, die sich gegen eine aktive Beteiligung im Prozess entscheiden, sondern sich auf die Expertise der von ihr gewählten Fachpersonen verlassen, sollten dennoch unbedingt von der Hebamme in ihrem Wissensstand abgeholt werden, um sicher zu gehen, dass sie alles Nötige verstanden haben (Erdmann, 2023; Stahl, 2005, 25).
Im Entscheidungsprozess werden Fragen gestellt und Antworten gesucht. Neben entsprechender Dokumentation und der Wahrung der eigenen Grenzen auf beiden Seiten sollten stets Respekt, Achtung vor der Individualität und Vertrauen vorherrschen, damit zufriedenstellende Entscheidungen getroffen werden können (Bieber et al., 2016). Dabei ist es ganz gleich, in welchem Kontext Hebamme und Frau aufeinandertreffen und gemeinsam in einen solchen Prozess gehen.
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