Foto: © Jaydene Freund; www.CradledCreations.com

Es gab In den 1970er Jahre noch 158 Geburtskliniken in Norwegen, heute sind es nur noch 51, von denen etliche im Sommer urlaubsbedingt schließen müssen. Die Entfernung zu den Kliniken wird immer größer. Eine Anfahrt von drei Stunden ins nächste Krankenhaus ist in dem dünn besiedelten Land keine Seltenheit.

Immer mehr Gebärende erreichen die Geburtsklinik nicht mehr rechtzeitig. Bezeichnet wird diese Art der Geburt als „Birth before arrival”, kurz BBA. Gleichzeitig wird der Hebammenmangel besonders in den großen Geburtskliniken immer deutlicher. Immer häufiger werden Frauen in der aktiven Geburtsphase an der Tür abgewiesen oder haben keine Chance, rechtzeitig im Kreißsaal betreut zu werden. Doch jede Frau hat Anspruch auf eine Hebamme, die nur für sie während der Geburt verantwortlich ist und eine gute Überwachung der Mutter und des Kindes gewährleisten kann.

Verdoppelung der BBA-Geburten

Das Risiko, das Kind vor dem Erreichen der Geburtsklinik zu gebären, hat sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. 2015 wurden 361 Kinder geboren, bevor ihre Mütter die Klinik erreichten, 105 während des Transports und 144 noch zu Hause, bei den anderen wurden keine Angaben gemacht. In der Finnmark, der dünn besiedelten nordöstlichsten Region Norwegens, erreicht eine von 60 Frauen die Klinik nicht rechtzeitig. Das Rettungsdienstpersonal ist geburtshilflich nicht ausreichend ausgebildet und gibt oft die Rückmeldung, sich für eine Geburt nicht gut genug gerüstet zu fühlen. Die Frauen haben keinen Zugang zu Schmerzlinderung während des Transports und das Kind kann nicht angemessen überwacht werden. „Es ist physisch einfach nicht möglich, eine adäquate Geburtsbetreuung in einem Rettungswagen zu gewährleisten, wenn alle Mitreisenden angeschnallt sind”, ärgert sich Hanne Charlotte Schjelderup vom norwegischen Hebammenverband (NSF) über die Situation.

Auch die Luftrettung mit dem Hubschrauber ist nicht immer eine Option. In einigen Gegenden können diese aufgrund schlechter Wind- und Wetterverhältnisse nicht mehr als 30 Prozent der angefragten Aufträge ausführen. In den anderen Fällen kann es auch dramatisch werden, wenn die Frauen viele Wochen vor dem errechneten Termin Geburtswehen bekommen und ein Frühgeborenes in einem Helikopter geboren wird und dort erstversorgt werden muss. Die Option der Hebammenbegleitung bei zu erwartenden Anreisen von mehr als 90 Minuten wird nur von 20 Prozent aller Kommunen gewährleistet. Die Schwangeren, die sehr weit von der nächsten Klinik entfernt wohnen, ziehen einige Tage vor der zu erwartenden Geburt in ein Hotel in die Nähe des nächsten Krankenhauses. Die Kosten dafür werden von der Krankenversicherung getragen. Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind vor dem Erreichen der Klinik zu gebären, beträgt im Durchschnitt des Landes 1 : 172, wobei die Chance in Oslo bei 1 : 330 und im Norden des Landes bei 1 : 63 liegt.

Zentralisierung erhöht perinatale Mortalität

Der Beweis für die allzeit beteuerte bessere Betreuung durch die Zentralisierung von Krankhäusern steht noch aus. Für die Geburtshilfe kann er bisher nicht ausreichend belegt werden. Die perinatale Mortalität von Kindern, die vor Erreichen der Klinik geboren wurden, ist doppelt so hoch wie bei Babys, die in einem Krankenhaus geboren wurden, belegt eine Forschungsarbeit von Hebammen an der Universität Bergen. Im Laufe von elf Jahren wurden alle Geburten in Norwegen retrospektiv untersucht. Dabei zeigte sich, dass eine kurze Anreise einen großen Sicherheitsfaktor für gesunde Geburten darstellt. Die Forscherin Hilde Engjom weist auch darauf hin, dass bei einer verstärkten Zentralisierung der Geburtshilfe mit einer steigenden maternalen Mortalität zu rechnen ist, besonders in den sehr abgelegenen Gegenden. Die Berufsverbände der verschiedenen Geburtshelferinnen machen sich nun stark dafür, wenigstens einen Bereitschaftsdienst in den einzelnen Distrikten zu ermöglichen.

Doppelt so hohe Mortalität

Zwischen dem 1. Januar 1999 und dem 31. Dezember 2013 wurden in Norwegen 6.027 ungeplante außerklinische Geburten mit 69 perinatalen Todesfällen verzeichnet (1 : 87). 63 dieser Fälle wurden genauestens nachuntersucht, um die Gründe für die Mortalität herauszufinden. 25 Feten verstarben antenatal, 10 während der Geburt und 24 in der neonatalen Phase, 4 Fälle waren nicht genau dokumentiert.

Die häufigsten Todesursachen waren Infektionen (14 Fälle), neonatale Ursachen (14 Fälle, davon 9 extrem frühe Frühgeburten) und 12 plazentare Ursachen (davon in 7 Fällen eine vorzeitige Plazentaablösung). Weitere Untersuchungen ergaben, dass 25 Frauen (40 %) die angebotene Schwangerenvorsorge nur unzureichend wahrgenommen hatten. Infektionen im Zusammenhang mit extremer Frühgeburtlichkeit und Plazentaproblemen waren in 63 % der Fälle ursächlich für die neonatale Mortalität verantwortlich. Außerklinische Notfälle stellen sich dann dramatisch dar und enden möglicherweise letal.

Glücklicherweise enden die meisten ungeplanten außerklinischen Geburten problemlos. Dennoch sollten diese Erkenntnisse zukünftig zu neuen Behandlungs- oder Versorgungsstrategien führen.

(Quelle: Gunnarson et al. 2017)

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