Peggy Seehafer, Anthropologin und Hebamme mit über 20-jähriger Erfahrung in klinischer Geburtshilfe, heute in der Vor- und Nachsorge tätig: „Wir sind es den Frauen und unserer Profession schuldig, die bestmögliche Expertise anzubieten.” Foto: Privates Archiv Peggy Seehafer

Das Idealbild für die Hebammenbetreuung ist eine gesunde junge Frau, die nach informierter Entscheidung den richtigen Weg durch ihre gewünschte Schwangerschaft und die Geburt für sich wählt. Theoretisch! Aber wie professionell sind Hebammen, wenn die Schwangere von dem Wunschbild „gesund“ abweicht?

Eine 38-jährige Schwangere mit Zustand nach Myomnukleation sucht ab der 16. Schwangerschaftswoche eine Hebamme für die Betreuung in der Schwangerschaft und im Wochenbett. Wegen mehrerer neuer Myome, deren Wachstum durch die Schwangerschaft noch befeuert wird, ist eine primäre Sectio geplant. Sie ist freudig überrascht, überhaupt schwanger geworden zu sein. Bereits in der 24. Schwangerschaftswoche steht der Fundus am Rippenbogen. „Mein Kind wächst in einer Grotte“, ist die Beschreibung der Frau für ihre Situation. Entsprechend der Uterusgröße, hat sie schon frühzeitig mit den Einschränkungen eines letzten Trimenons zu kämpfen. Aufgrund ihrer ideellen und räumlichen Nähe zum Geburtshaus kontaktiert sie dort eine Hebamme, merkt aber, dass die Vorstellungen voneinander abweichen. Daraufhin trifft sie sich mit einer weiteren Kollegin, bei der sie sich ebenfalls damit konfrontiert sieht, dass „Hebammen einen Kaiserschnitt grundsätzlich mal ablehnen“. Die Frau ist irritiert und versucht eine Hebamme zu finden, die sich über ihre Lebenslage inklusive Anamnese erst einmal informiert, ohne bereits nach dem zweiten Satz die Entscheidung zur Sectio mit dem impliziten Vorwurf in Frage zu stellen, sie hätte keine Lust ihr Kind zu gebären. Sie ist enttäuscht, dass sich keine mit dem Thema „Myome in der Schwangerschaft” professionell auseinandersetzen kann oder möchte. Nach gehäuften Klinikaufenthalten wegen starker Blutungen wird sie in der 26. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt ihres Kindes endgültig stationär aufgenommen. In der Klinik findet sie dann auch eine Hebamme, die bereit ist, die Wochenbettbetreuung zu übernehmen.

In der 31. Schwangerschaftswoche setzen erneut starke Blutungen ein, die Sectio erfolgt umgehend, die Frau verliert massiv Blut. Zunächst wird der Uterus erhalten, doch drei Tage später muss er wegen nicht aufzuhaltender Blutungen abgesetzt werden. Zu all ihrem Unglück gesellt sich eine MRSA-Infektion zu ihrem Frühgeboren, so dass ihr Kind in eine andere Kinderklinik verlegt werden muss. Sie wird aus der Klinik entlassen, bevor sie sich ausreichend erholt hat.

Wenn auch das Ausmaß des Dramas nicht absehbar war, war früh in der Schwangerschaft klar, dass diese Frau einer Maximalbetreuung bedurfte. Ihr Eindruck von den Hebammen: „Die in der Klinik sind richtig professionell und supernett, und die freiberuflichen Hebammen wollen offensichtlich nur die gesunden Schwangeren betreuen.“

Es schadet unserem Berufsstand in hohem Maße, wenn die von uns zu Betreuenden solche Unterschiede in der Professionalität wahrnehmen und dies verallgemeinern. Im Notfall werden sie sich gegen Hebammen und für die rein ärztliche Betreuung entscheiden. Für die Schwangeren wird es immer schwieriger, den Spagat zwischen diesen beiden Welten zu schaffen. Zu Recht erwarten die Frauen von einer professionellen Betreuung, dass sie die Brücke baut, auf der sie sicher zwischen diesen Welten wandeln können, um nach einer informierten Entscheidung das Beste für sich und ihre Familie auszuwählen.

Wir sind es den Frauen und unserer Profession schuldig, die bestmögliche Expertise anzubieten und uns ein genaues Bild zu machen, bevor wir Einschätzungen, Urteile und Ratschläge geben. Unsere eigene Meinung ist tatsächlich nur dann gefragt, wenn die Frauen sie wissen wollen.

Zitiervorlage
Seehafer P: Selbst- und Fremdwahrnehmung von Professionalität. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (5): 0

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