Anke Bastrop, zweifache Mutter aus Schwerin und Dichterin, initiierte eine „Petition für Hebammen“, die sie während der laufenden Koalitionsverhandlungen an führende Gesundheitspolitiker übergab. Mitte November hatten bereits über 100.000 Menschen unterzeichnet.

Als Dichterin fühle ich mich Ihnen verwandt. Sie und ich haben es mit dem Unaussprechlichen zu tun. Als Hebammen werden Sie wissen, was ich damit meine, mit diesem jäh aufleuchtenden Etwas, bei dem wir ahnen: Jetzt haben wir es mit dem Leben zu tun, in seiner ganzen Unberechenbarkeit, Ungezügeltheit, Unkontrollierbarkeit. Die Versuche, dieses Etwas zu zähmen, haben Hochkonjunktur. Es scheint zu verschwinden. In den Spalt zwischen zwei Exceltabellen zu rutschen, unter Zeitdruck zu zerspringen oder zu einer Zahlenreihe zu erstarren. Meine Arbeit besteht darin, es wieder fühlbar zu machen – nicht gegen Exceltabellen und Zahlenreihen, sondern einschließlich ihrer. Mir sind die Grenzen meiner Arbeit bewusst: Ich mache Kopien. Die Originale sind bei Ihnen.

Als Mutter von zwei Kindern nehme ich die Umstände, unter denen Hebammen arbeiten, schon lange als einen der brutalsten Angriffe auf Intimsphäre, Freiheit und Würde des Menschen wahr. Es verletzt mich zu sehen, dass Gesunde als Kranke, das Eigentliche als das Uneigentliche und Menschen, selbst Ungeborene, als Produkte behandelt werden. Es ist eine Entwicklung, die sich durch alle Bereiche unserer Gesellschaft zieht. Auch in der Dichtung ist es modern, das Wort als Material zu begreifen und seine Bedeutung zu verneinen.

Das alles verdichtet sich in Ihrem Beruf, weil Sie an der Quelle arbeiten. Mehr noch: Es wird Ihnen aufgebürdet, denn es steckt den Menschen, die zu Ihnen kommen, tief in den Knochen. Am Tag der Wahl war meine Empörung über die Umstände, unter denen Sie arbeiten, so groß, dass ich eine Petition* initiieren und den Brachialraum der Sprache betreten musste. Ich wollte, dass möglichst viele Menschen geschlossen an das Bewusstsein der Politiker, Medien, Gesellschaft appellieren. Die Zahl der UnterzeichnerInnen bewegt sich inzwischen weit über 100.000. Anfang November konnte ich die ersten Unterschriften an Prof. Dr. Karl Lauterbach, Leiter der Koalitionsgruppe Gesundheit und Pflege, und Mechthild Rawert, Mitglied des Gesundheitsausschusses, übergeben. Lauterbach sicherte mir zu, dass er sich für die Hebammen einsetzen wird. An dieser Zusage können wir die kommenden vier Jahre festhalten! Etwa 50 Menschen, Kinder, Männer und Frauen, darunter Hebammen, legten sich an diesem Tag demonstrativ auf das feuchte Pflaster vor dem Paul-Löbe-Haus in Berlin, in dem zeitgleich die Koalitionsgespräche stattfanden. Nach ein paar Minuten standen wir wieder auf. Und hier stehen wir. Über 100.000 Menschen, die nicht mehr weichen werden, bis sich etwas für Hebammen und Familien verändert.

Darum geht es: Bitte, bleiben Sie standhaft, stark und verletzlich. Ich weiß, dass einige von Ihnen nach Feierabend putzen gehen, Hartz IV beziehen, obwohl sie im Beruf stehen. Dass Sie am Rande des Burnouts sind. Seien Sie sich im Klaren darüber, dass Sie jeden Tag am Eigentlichen arbeiten. Insistieren Sie klar und hell wie Ungeborene, die sich auf den Weg machen. Seien Sie unbescheiden, Sie tun es zu Recht. Lassen Sie Leidenschaft nicht zu Statements gefrieren. Versuchen Sie nicht, Wirkung zu kontrollieren. Halten Sie sich frei von Ideologien. Muten Sie Familien Eigenständigkeit und Leben zu, es wird sie erlösen und andere anstecken. Lassen Sie Frauen Erfahrungen mit sich selbst machen, es wird sie bereichern und stärken. Seien Sie sich bewusst, dass an vielen Orten für Sie gekämpft wird, dass Frauen ihre Körper und Menschen ihre Leben zurückhaben wollen. Haben Sie Geduld – diese Menschen bleiben und ihre Wut wächst. Misstrauen Sie der Macht. Man muss manchmal vom eigenen Wellengang absehen können, wenn man ein Meer werden will. Genießen Sie es trotzdem, an der Quelle zu sein. Das Leben ist unbezwingbar, und es wird Ihnen antworten!

*Die Petition kann weiter unterzeichnet werden auf www.change.org/hebammen.

Zitiervorlage

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