Anne Rehm: »Es ist ein stetes inneres Applaudieren für unsere zukünftigen KollegInnen, die mit der Zeit das Hebammenwissen und -handwerk zu ihrem Können machen.« Foto: privat

Endlich haben wir Hebammen die Chance, unseren nachkommenden Generationen mehr Raum und Aufmerksamkeit in ihrer Praxisausbildung zu geben – einen Raum, den viele, wenn nicht sogar die meisten von uns, sich selbst in der Ausbildung gewünscht hätten.

Als examinierte Hebamme die zukünftigen KollegInnen, trotz des häufig stressigen Dienstalltags aufmerksam, fördernd und wertschätzend zu begleiten, war einer meiner Vorsätze, als ich angestellt im Kreißsaal arbeitete. Anders als ich es selbst erlebt hatte, wünschte ich mir, Auszubildende so zu begleiten, dass sie nicht nur in den Diensten mitlaufen, sondern Zeit für ihre Lernprozesse haben. Aber die Realität holte mich schnell ein. Und so gern ich mit Auszubildenden zusammenarbeitete, schaffte ich es eher selten, mit der werdenden Hebamme Handlungsoptionen während einer Betreuung zu besprechen oder ausführliche Erläuterungen zu geben, geschweige denn, ruhige Minuten für eine Reflexion zu finden. Was ich stets bedauerte.

Mit der Chance, als hauptamtliche Praxisanleiterin tätig zu sein, änderte sich dies. Werdende Hebammen in ihrer Ausbildung begleiten zu dürfen, war für mich in den letzten fünf Jahren etwas sehr Besonderes. Aus einem kurzen Gespräch nach einem arbeitsintensiven Nachtdienst wurde eine Bewerbung auf eine offene Stelle als Praxisanleiterin. Und nach einem aufgeschlossenen positiven Bewerbungsgespräch folgte nach wenigen Wochen bereits der Wechsel in ein herzliches wertschätzendes Team. Die Einarbeitungszeit war verbunden mit einer Weiterbildung zur Praxisanleiterin und sehr schnell verschwanden Zweifel und Unsicherheiten, ob der Wechsel für mich richtig war.

Das Funkeln sehen

Das Handeln und die Lernziele der werdenden Hebamme in den Mittelpunkt zu stellen und bewusst beobachten, reflektieren oder anleiten zu können, ist im üblichen Dienstgeschehen selten möglich. Eine Praxisanleitung ist ein besonderer Raum – ein geschützter Raum – sowohl für die werdende Hebamme als auch für die PraxisanleiterInnen. Wie eine Praxisanleitung gestaltet wird, soll hier nicht im Mittelpunkt stehen, vielmehr möchte ich alle KollegInnen ermutigen, als PraxisanleiterIn tätig zu werden.

Die enge Begleitung der Auszubildenden beziehungsweise Studierenden gibt Raum, unser Handwerk mit Zeit zu vermitteln und die Fähigkeiten der werdenden Hebammen weiter zu fördern. Der »Schutzraum« Praxisanleitung ermöglicht es, die Fortschritte der werdenden Hebamme aufmerksam zu beobachten und wahrzunehmen, wie jede einzelne sich individuell entwickelt, und es ihr zurückmelden zu können.

Es ist ein stetes inneres Freuen und Applaudieren für unsere zukünftigen KollegInnen, die mit der Zeit das Hebammenwissen und -handwerk zu ihrem Können machen. Ein Beispiel dafür ist die scheinbar kleine Sequenz der Leopoldschen Handgriffe im Rahmen einer Praxisanleitung, im ersten praktischen Einsatz. Es ist immer wieder aufs Neue eine Freude, die Augen der werdenden Hebamme und Eltern leuchten zu sehen, wenn Zeit und Ruhe in der Praxisanleitung aus dem Gefühlten ein Begreifen werden lassen. Diese Sequenz beschreibt eine meiner liebsten Situationen, wenn in den Augen der werdenden Hebamme ein kleines Funkeln zu erkennen ist, weil sie zum ersten Mal die gefühlten Strukturen im Bauch der werdenden Mutter den Körperteilen des Kindes zuordnen kann. Und auch die Eltern, die meist gleichermaßen in diesen Situationen eine Anleitung in den Leopoldschen Handgriffen erfahren, sind voller Stolz und Freude.

Neue Sichtweisen

Die werdenden Hebammen entwickeln durch solche Situationen Selbstbewusstsein für ihre Fähigkeiten und beeindrucken nicht selten durch ihr daraus im Laufe der Ausbildung entwickeltes individuelles und reflektiertes Vorgehen. Für die PraxisanleiterIn ist diese Tätigkeit eine Chance, die verschiedenen Perspektiven der Situation gemeinsam zu reflektieren und zu diskutieren, Handlungsalternativen durchzusprechen und abzuwägen. Praxisanleitung bereichert nicht nur die praktische Ausbildung der werdenden Hebammen, sie eröffnet auch der anleitenden Person neue Sichtweisen auf übliche Tätigkeiten.

Praxisanleitung wird zukünftig ein Viertel der praktischen Ausbildung ausmachen und das ist für uns Hebammen ebenso eine Chance wie für die werdenden Hebammen, die nach diesen Rahmenbedingungen ihre praktische Ausbildung erfahren werden.

Keine Hebamme sollte zweifeln, für diese Tätigkeit geeignet zu sein, denn wir alle können durch unser individuelles Anleiten und Handeln in unserem Beruf die Ausbildung beziehungsweise das Studium werdender Hebammen nur bereichern. Auch für die betreuten Frauen und Familien ist eine Praxisanleitung eine Bereicherung. Die Familien, die ich im Rahmen von Praxisanleitungen erlebte, waren stets erfreut, an der Ausbildung von Hebammen beteiligt zu werden und zu erleben, wie ein so besonderer Beruf erlernt werden kann. Sie sind aufgeschlossen, kooperativ und freuen sich, durch die werdende Hebamme eine intensive Betreuung zu erfahren. Die meisten Familien lassen sich auf diese Situation ein und vergessen oft sogar, dass sie Teil einer Praxisanleitung sind.

Weichen stellen

Die Zeit als hauptamtliche Praxisanleiterin hat mich sehr bereichert. Sie war in meinen Plänen und Vorstellungen, wie ich nach meiner Ausbildung zur Hebamme arbeiten möchte, ursprünglich nicht vorgesehen. Aber meine Freude, nicht nur Eltern und Kinder auf ihrem Weg zur Familie begleiten zu dürfen, sondern auch meine zukünftigen KollegInnen, ist mit den Jahren noch gewachsen.

Es freut mich sehr, dass Praxisanleitung nun per Gesetz den längst überfälligen Stellenwert in der praktischen Ausbildung von Hebammen erhält und wir somit unseren zukünftigen KollegInnen das gestalten können, was viele von uns sich für die eigene Ausbildung gewünscht hätten.

Zitiervorlage
Rehm, A. (2021). Das Wissen weitergeben. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (6), 26–27.

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