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Nach dem Berufsstart in ihrem Ausbildungskreißsaal wechselte die Autorin durch einen Umzug in ein Belegteam. Der Schritt in die größere Verantwortung ist aufregend, doch wird er gut abgefedert durch ein Team, das ihr selbstständiges Arbeiten zutraut und unterstützend zur Seite steht. Ein Erfahrungsbericht.
An das Gefühl nach meinem ersten Zwölf-Stunden-Hospitationstag im Kreißsaal kann ich mich noch erinnern. Ich war erschöpft und müde, überflutet von neuen Eindrücken, Namen und Abläufen und zugleich war mir zu hundert Prozent klar, dass ich ein Teil dieses geburtshilflichen Teams werden wollte.
Mein Examen absolvierte ich 2019 an der Hochschule Fulda. Ich blieb in der Klinik, in der ich im Rahmen meines Studiums bereits gearbeitet hatte. Die Einarbeitung dort war somit ein fließender Übergang. Ich hatte bereits viele Monate im dortigen Kreißsaal, sowie auf der präpartalen und der Wochenbettstation gearbeitet. Erst als ich aufgrund privater Umstände 2021 aus Fulda wegzog, erlebte ich, wie es ist, sich als junge Hebamme für eine neue Stelle zu bewerben und in einem neuen Team Fuß zu fassen.
Es verschlug mich nach Baden-Württemberg ins schöne Hohenloher Ländle, nach Schwäbisch Hall. Im Diakoneo-Klinikum sichern dort seit 2018 Beleghebammen die geburtshilfliche Versorgung ab. Aktuell kooperieren 21 freiberufliche Hebammen mit der Diakoneo-Klinik und begleiten etwa 1.300 Geburten im Jahr.
Erstkontakt im Nachtdienst
Meinen ersten Eindruck erhielt ich bei einem spontanen Vorstellungsgespräch. Wir waren zur Besichtigung einer Wohnung nach Schwäbisch Hall gefahren und kurz vor der Heimfahrt nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und rief im Kreißsaal an, um zu erfragen, ob überhaupt eine Stelle frei sei. Mir wurde mitgeteilt, dass die dafür zuständige Beleghebamme an diesem Tag Nachtdienst habe und wenn ich wollte, könnte ich mich später nochmal melden. Und so kam es, dass ich gegen 23 Uhr im Stübchen der Hebammen saß und meine mündliche Bewerbung abgab.
Die schriftliche folgte wenige Tage später und nachdem ich mich allen Hebammen bei einem Online-Termin vorgestellt und diese ihre Zustimmung gegeben hatten, vereinbarten wir einen Termin für drei Hospitationstage. Die Beleghebammen wünschten sich, dass ich an diesen Tagen nicht nur mitlaufen und zuschauen sollte. Ich sollte mitarbeiten und die Leitung von Geburten übernehmen, so dass sie sich ein Bild von mir, meiner Persönlichkeit, meiner Kompetenz und meiner Art zu arbeiten machen konnten.
Es ging bei der Hospitation somit nicht nur darum, dass ich mir ein Bild von der dortigen Geburtshilfe und den Hebammen machte. Ebenso wollten die Hebammen sich ein Bild von mir und meiner Arbeitsweise machen, um erst danach zu entscheiden, ob ich zu ihnen passte. Ich war aufgeregt und nervös, da mir bewusst war, dass ich beobachtet und beurteilt werden würde. Dass es jetzt darauf ankam zu zeigen, wer ich war und was ich mitbrachte.
Willkommenskultur
Und das bringt uns wieder an den Anfang meiner Erzählung. Die Hospitationstage waren intensiv. Die Beleghebammen arbeiten dort in Zwölf-Stunden-Schichten: zwei Kolleginnen im Tagdienst mit einer Kollegin in Rufbereitschaft und zwei Kolleginnen im Nachtdienst. Jeden Morgen wurde ich einer Kollegin zugeteilt. Diese begleitete ich den ganzen Tag und übernahm unter ihrer Anleitung und Beobachtung verschiedene Aufgaben. Besonders die Freundlichkeit, die mir von Anfang an entgegengebracht wurde, hat mir geholfen. Ich fühlte mich vom ersten Moment an herzlich willkommen. Einige Tage nach meiner Hospitation kam die Zusage und am 1. April 2021 startete meine offizielle Einarbeitung.
Während dieser Zeit war ich immer als zusätzliche Kollegin im Dienst. Das Konzept sah zehn Tagdienste mit jeweils acht Stunden sowie zwei Nachtdienste mit jeweils zwölf Stunden vor. Die Dienste waren auf zweieinhalb Wochen verteilt, damit ich ohne längere Unterbrechungen alle neuen Abläufe und Strukturen kennenlernen konnte. Und zu lernen gab es ausgesprochen viel.
Gefühlt war alles neu: die Räumlichkeiten und Laufwege, die Abläufe, die Zuständigkeiten, die Telefonnummern, das Computersystem, die Anordnung der Akten, die Dokumentationsunterlagen, die Abrechnung der Beleghebammen. Ich kannte einige Medikamente nicht oder die Sets, in denen die Instrumente verpackt waren. Ich musste mir einen schnellen Überblick über die Inhalte von allen Schubläden und Schrankfächern verschaffen und zugleich, langsam aber sicher, die alltägliche Arbeit im Kreißsaal mit übernehmen.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass die Einarbeitungsphase keine Herausforderung war. Ich war sehr herausgefordert. Am meisten hatte ich mit meinem Selbstvertrauen zu kämpfen. Werde ich mir das alles merken können? Werde ich die Abläufe und Routinen verstehen? Kann ich mich auf all das Neue einlassen?
Im Rahmen meiner praktischen Ausbildung war ich für jeden Einsatz einer anderen Station zugewiesen worden. Die ersten Tage waren immer holprig gewesen, aber mit der Zeit kam die Routine und am Ende jedes Einsatzes war alles vertraut und bekannt. Diese Erfahrungen beruhigten mich, sie gaben mir Sicherheit. Das Gefühl der Überforderung blieb in der ersten Zeit trotzdem, und damit galt es umzugehen, was mir mal besser und mal schlechter gelang.
An sechs der geplanten zwölf Einarbeitungsdienste war ich einer bestimmten Kollegin zugeteilt. Diese kam zusätzlich zu den Kolleginnen im Kreißsaal in den Dienst und war somit extra für mich da. Wir hatten Zeit und konnten unabhängig vom aktuellen Arbeitsaufkommen die einzelnen Punkte auf der eigens dafür erstellten Einarbeitungsliste abarbeiten. In den restlichen Diensten wurde ich jeweils einer der Kolleginnen zugeteilt. Diese fungierte als meine Ansprechperson, jedoch durfte ich rasch feststellen, dass mir jede Kollegin mit Rat und Tat zur Seite stand.
Zu Beginn durfte ich Einzelbetreuungen übernehmen. Dabei hielten mir die Kolleginnen den Rücken frei, so dass ich ganz in Ruhe meiner Arbeit nachgehen konnte. Nach einigen Tagen ging es langsam an die Parallelbetreuung und ich wurde mehr und mehr dahin geführt, den Gesamtüberblick zu behalten und mich nicht zu lange mit einer Sache zu beschäftigen. Schließlich sollte ich in wenigen Tagen nicht mehr als zusätzliche Kollegin im Kreißsaal stehen, sondern die Hälfte des Dienstes abdecken.
Nach den zwölf Diensten hatte ich ein Gespräch mit den für mich verantwortlichen Beleghebammen. Diese gaben mir ein ehrliches Feedback und fragten mich, ob ich meine Einarbeitungszeit verlängern wollte oder ob ich mir zutraute, in das normale Dienstmodell mit einzusteigen. Ich traute mir diesen Schritt zu. Jedoch schätze ich es sehr, dass ich die Möglichkeit gehabt hätte, meine Einarbeitungszeit zu verlängern.
Verantwortung übernehmen
Während meiner Einarbeitung wurde mir schnell bewusst, dass ich dringend aufhören musste, mich weiterhin als Studentin zu sehen. Natürlich wussten die Hebammen, dass ich eine Berufsanfängerin war, jedoch wurde ich von Anfang an als vollwertige Kollegin gesehen und behandelt. Wenn ich als Hebamme einer Schwangeren oder Gebärenden vorgestellt wurde, dann hätte ich gerne hinzugefügt, dass ich doch eben erst mein Examen gemacht hatte. Ich hatte das Bedürfnis, mich kleiner zu machen, als ich war, denn eine frisch examinierte Hebamme hat doch noch Welpenschutz, oder? Sie darf doch mehr nachfragen und muss noch nicht alles wissen.
Ich glaube, dass jede junge Hebamme diesen Schritt früher oder später machen muss. Ein weiterer Sprung ins kalte Wasser. Es geht darum, die volle Verantwortung zu akzeptieren, die wir in unserem Beruf tragen. Dazu gehören Mut und Selbstvertrauen, aber auch die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu kennen und die Bereitschaft, an diesen zu arbeiten.
Ich bin davon überzeugt, dass das berufliche Umfeld diesen Schritt maßgeblich erleichtern oder eben auch erschweren kann. Ich kann voller Dankbarkeit sagen, dass mir mein Umfeld erlaubt hat, mich zu entwickeln. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, meine Fragen nicht stellen zu dürfen, oder dass mir mein Unwissen und das Eingestehen von Unsicherheiten einen Nachteil bringen könnten. Nie hatte ich das Gefühl, dass sich dadurch mein Ansehen verschlechtern oder dass mir dies hinter meinem Rücken vorgeworfen werden würde. Ganz im Gegenteil – immer wieder wurde ich von Kolleginnen zur Seite genommen, sie erkundigten sich, wie es mir ginge, wie ich zurechtkäme und ob ich Hilfe bräuchte.
Zu Beginn eines Dienstes durfte ich äußern, worauf ich mich an diesem Tag gerne fokussieren wollte. Nach stressigen Diensten oder schwierigen Geburten wurde Raum für Gespräch, Reflexion und Austausch geschaffen. Ich musste nicht zweimal überlegen, ob ich um Hilfe bitten konnte. Egal, ob es dabei um einen Eintrag im Computersystem ging, um die Vorbereitung oder Verabreichung eines Medikaments oder wenn ich mit einer Geburtsleitung überfordert war.
Von Anfang an beeindruckten mich die Zusammenarbeit, die Kommunikation und die Arbeitseinstellung meiner Kolleginnen und ich freute mich, ein Teil dieses Teams werden zu können. Ich bin ein großer Fan von Teamarbeit. Ich finde, dass eine gute Zusammenarbeit unsere Arbeit bereichert, besser und vor allem sicherer macht. Ich musste nie auf Grund von Scham die Grenzen meiner Kompetenz überschreiten. Ich konnte mutig voranschreiten, mich ausprobieren, üben, Neues lernen und bei Unsicherheiten darauf vertrauen, dass ich nicht allein war. Ich bin davon überzeugt, dass eine gute Einarbeitung und ein gesunder kollegialer Umgang die beste Fehlerprävention darstellen.
Ich schätze es sehr, dass im Rahmen eines Belegsystems eine individuelle Einarbeitung möglich ist. Nach mir haben sechs Kolleginnen bei uns im Kreißsaal angefangen zu arbeiten. Einige davon waren sehr erfahrene Hebammen, andere frisch examiniert. Die Einarbeitungsphase jeder einzelnen Kollegin hat etwas anders ausgesehen. Sie war auf die individuellen Bedürfnisse, Erfahrungen und Kompetenzen der jeweiligen Person zugeschnitten. Ein solcher Start bildet eine gute und sichere Grundlage, die nicht nur die neue Kollegin fördert und schützt, sondern auch diejenigen, die mit ihr zusammenarbeiten.
Sicherheit und Stabilität erlangen
Auch im Anschluss an meine Einarbeitungsphase setzte sich die Unterstützung fort. Diese war nicht nur für einen kurzen Zeitraum vorgesehen, sondern es handelte sich dabei um eine der fundamentalen Grundeinstellungen der hier tätigen Beleghebammen. Eine Einstellung, die ich von Herzen teile.
Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen. Es war mir eine Freude, den Kolleginnen, die im Laufe der Zeit hinzukamen, dabei zu helfen, bei uns Fuß zu fassen, alles Neue zu lernen und Sicherheit sowie Stabilität zu erlangen. Auch im Umgang mit Praktikantinnen fällt mir immer wieder auf, wie sehr ein Mensch aufblühen kann, wenn er sich in einer freundlichen und fördernden Arbeitsatmosphäre befindet.
Mir ist deutlich bewusst, dass nicht alle jungen Hebammen solch einen Start in ihr Berufsleben erfahren. Auf der eine Seite macht mich dies noch dankbarer für meine persönlichen Erfahrungen, doch auf der anderen Seite auch traurig.
Wir Hebammen zählen Empathie, Einfühlungsvermögen, Verständnis, Geduld und Ermutigung zu unserer Berufsbeschreibung. Diese lassen wir den Frauen zukommen, die wir begleiten. Umso mehr wundert es mich, wenn diese Dinge im Umgang mit uns selbst und/oder unseren Kolleginnen fehlen, egal ob angehend oder ausgebildet.
Die Arbeit, der ein Mensch nachgeht, nimmt so viel Raum in seinem Leben ein. Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit damit und mit den Menschen, denen wir dabei begegnen.
Für viele von uns ist unser Beruf mehr als das – eine Berufung. Wir investieren so viel in die Frauen und Familien, die wir begleiten. Gerade in der Geburtshilfe bewegen wir uns ständig zwischen Extremsituationen. Grenzenloses Glück und unendliche Trauer können sich zwischen den einzelnen Kreißsaalräumen begegnen.
Ich glaube, dass das Leben ein unübersichtlicher und verwirrender Kampf sein kann, den wir alle so gut wie möglich meistern, egal wer wir sind. Dementsprechend können wir uns auch mit Freundlichkeit und Unterstützung begegnen, denn zusammen lässt sich deutlich mehr bewegen als allein.