Ute Wronn, Beauftragte des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) für internationale Hebammenarbeit: „Weltweit fehlen schätzungsweise 350.000 Hebammen, um eine kompetente Betreuung von Schwangeren und Gebärenden zu gewährleisten.“ Foto: privat

Als Hebamme bin ich dankbar dafür, in 25 Jahren Berufspraxis keinen mütterlichen Todesfall erlebt zu haben. Von Kolleginnen weiß ich, dass sie sich an ein solches Geschehen stets in allen Einzelheiten erinnern können – eben weil es aufgrund des medizinischen Fortschritts und der professionellen Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung in Europa so selten geworden ist und uns als dramatisches Einzelschicksal umso mehr erschüttert.

Ganz anders stellt sich die Situation in vielen Teilen der Welt dar: Trotz spürbarer Erfolge im Bereich Mutter-Kind-Gesundheit ist die Zahl von 287.000 mütterlichen Todesfällen pro Jahr noch immer inakzeptabel hoch. Für diese abstrakte Zahl fand der Internationale Hebammenverband (International Confederation of Midwives/ICM) in seiner eindrucksvollen Videobotschaft „Midwives Work” ein drastisches Bild, zu sehen auf YouTube: den Vergleich mit dem täglichen Absturz zweier vollbesetzter Jumbojets. Eine an jedem einzelnen Tag des Jahres wiederkehrende globale Katastrophe im Stillen, nicht spektakulär genug, um unsere Aufmerksamkeit zu binden, weit weg von unserer eigenen Lebens- und Arbeitswirklichkeit – 99 Prozent aller mütterlichen Todesfälle ereignen sich in Entwicklungsländern.

Ein Skandal, wenn wir bedenken, dass die meisten dieser Todesfälle vermeidbar wären. Nicht nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist Hebammen eine Schlüsselrolle zu: Sie besitzen die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen, um die Mütter- und Neugeborenensterblichkeit global zu reduzieren. Gut ausgebildete Hebammen können innerhalb eines funktionierenden Netzwerks vermeidbare Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt vorbeugen, unvorhersehbare Komplikationen erkennen und adäquat darauf reagieren.

Jedoch: In Entwicklungsländern liegt die Betreuungsrate durch geburtshilflich qualifiziertes Personal bei nur 63 Prozent, in Subsahara-Afrika und Südasien sogar unter 50 Prozent – im Vergleich zu Europa mit 99 Prozent. Noch schlimmer stellt sich die Lage in ländlichen und in Bürgerkriegsgebieten dar. Die statistische Wahrscheinlichkeit, durch Schwangerschaft oder Geburt zu sterben, beträgt für eine Frau in Somalia 1 zu 16, in Subsahara-Afrika 1 zu 39 (in Europa: 1 zu 4.200). Für Frauen in Entwicklungsländern gehören Schwangerschaft und Geburt zu den Hauptursachen für Tod oder Behinderung. Weltweit fehlen schätzungsweise 350.000 Hebammen, um eine kompetente Betreuung von Schwangeren und Gebärenden zu gewährleisten.

Im Hinblick auf die Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die bis 2015 umgesetzt werden sollen, müssen wir in den reichen Industrienationen die Herausforderungen begreifen, denen sich Frauen und Familien in anderen Regionen der Welt ausgesetzt sehen. Das gilt besonders für das fünfte Ziel, die Senkung der Müttersterblichkeit um drei Viertel gegenüber 1990. Die vorliegenden Zahlen sind brisant genug.

Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Ziel noch erreicht werden kann. Die globale Hebammengemeinschaft wird daher auch zukünftig mit Nachdruck fordern, in die Hebammenausbildung und die Stärkung von Berufsverbänden zu investieren. Dies sind wir den vielen Frauen schuldig, die weiterhin unnötig sterben, weil sie während der Schwangerschaft und Geburt keine lebensrettende, qualifizierte Betreuung bekommen. Das seit Jahren unveränderte Motto des ICM zum Internationalen Tag der Hebamme lautet daher auch weiterhin: „The World needs Midwives now more than ever – Die Welt braucht Hebammen jetzt mehr denn je!”

Zitiervorlage
Wronn U: Der Countdown läuft. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (7): 1

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