Von der optimalen Gebärposition bis zur empathischen Begleitung der Gebärenden: Im Skills Lab der Medizinischen Fakultät OWL zum Thema »Physiologische Geburt« erklären angehende Hebammen Medizinstudierenden den Ablauf der »natürlichen« Geburt. Damit die Kooperation zwischen den Berufsgruppen später gelingt, werden in Bielefeld die Weichen dafür durch interprofessionelle Formate bereits im Studium gestellt. Eine wichtige Erkenntnis: Bei den meisten Geburten sind kaum Eingriffe nötig.
Damit Ärzt:innen und Hebammen in Kreißsälen in Zukunft gut zusammenarbeiten können, haben die Hochschule Bielefeld (HSBI) und die Medizinische Fakultät OWL eine Kooperation ins Leben gerufen: In gemeinsamen Vorlesungen und Veranstaltungen lernen Hebammen- und Medizinstudierende gemeinsam. Die Themen: Kooperation in der Schwangerenvorsorge und Geburtsbegleitung. Dazu hat sich eine interdisziplinäre Gruppe Lehrender beider Hochschulen zusammengefunden, die das Format ständig weiterentwickeln.
Im Mittelpunkt einer Veranstaltung stand die physiologische Geburt, bei der keine gravierenden Risiken bestehen und deshalb auch keine oder möglichst wenige, gut begründete Interventionen durchgeführt werden. Entwickelt wurde die gemeinsame Veranstaltung von den Hebammenstudentinnen Raphaela Pöllmann, Pauline Douillet, Manon Schwaneberger und Lale Tabel unter der Leitung von Hanna Schroeder (HSBI) und Dr. Anne-Kathrin Eickelmann (Med. Fak. OWL).
Schroeder ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der HSBI und selbst Hebamme. »Das Besondere an diesem Lehrformat ist, dass die Hebammenstudentinnen selbst als Expertinnen der Physiologie agieren und die Lehre leiten«, so Schroeder. »Die angehenden Ärzt:innen erhalten die Möglichkeit, auf Augenhöhe, praktisch und anschaulich Kenntnisse zur physiologischen Geburt zu erlangen. Besonders in der Geburtshilfe ist es enorm wichtig die Physiologie und deren breites Spektrum sehr gut zu kennen, um dann Abweichungen sicher zu erkennen. Ein fundiertes Wissen über die jeweiligen Kompetenzen der anderen Profession führt zu einer koordinierten, ressourcenschonenden und letztendlich auch zu einer sicheren Betreuung während der Geburt.«
Hebammenstudentin Raphaela Pöllmann erklärt: »Im Medizinstudium liegt der Fokus auf der pathologischen Seite und welche Eingriffe es bei Notfällen geben kann. Im Hebammenstudium wird viel Wert auf die Selbstbestimmung und die individuellen Wünsche der Gebärenden gelegt und eine möglichst stressfreie Umgebung ohne Interventionen geschaffen.«
Im Studiengang Angewandte Hebammenwissenschaft der HSBI lernen die Studierenden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie zum Beispiel auch in der 2020 veröffentlichten Leitlinie zur vaginalen Geburt am Terminfestgeschrieben sind. Dazu gehört etwa die Erkenntnis, dass eine spontane Geburt in der Regel besser für die weitere gesundheitliche Entwicklung von Mutter und Kind ist, solange ihr keine medizinischen Gründe entgegenstehen. Oder dass die Frau sich während der Geburt frei bewegen sollte und nicht liegen oder gar auf dem Rücken ihr Kind gebären muss, wie es meistens in Filmen dargestellt wird. Hebammenstudentin Pauline Douillet erklärt: »Bei der Rückenlage ist die Schwangere zum einen nicht auf Augenhöhe mit den an der Geburt beteiligten Personen und zum anderen sind in dieser Position die Beckenräume nicht flexibel. Wir brauchen die Bewegung vom Baby und vom Becken.«
All das erklärten die angehenden Hebammen den Studierenden der Medizinischen Fakultät. Danach wurde es praktisch: An einem Simulationsmodell bekamen die Medizinstudierenden den Ablauf einer physiologischen Geburt erklärt und gezeigt, wie die Gebärende dabei unterstützt und begleitet wird. Unter Anleitung probierten sie anschließend selbst aus, welche Handgriffe in welchem Stadium der Geburt anzuwenden sind.
»Mir war nicht bewusst, dass man das Baby kaum oder nur ganz behutsam führen muss«, beschreibt Sarah Wurms ihre praktische Erfahrung. Die Medizinstudentin im 5. Semester möchte sich nach Abschluss ihres Studiums auf die Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe spezialisieren. »Ich habe heute sehr viel dazugelernt. Das muss man gesehen und auch selbst mal gemacht haben«, resümiert Medizinstudentin Söngul Ali. »Ich hätte mir einen Geburtsvorgang sonst nicht so gut vorstellen können und mich da auch nicht ran getraut.«
Quelle: Hochschule Bielefeld, 2.5.2025 · DHZ