Britta Zickfeldt (rechts) eröffnet als Geschäftsführerin des Elwin Staude Verlags den LiP 2025 und übergibt die Moderation für die Vorträge an die wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Achim Rody, Prof. Dr. Marina Weckend und Prof. Dr. Egbert Herting (v.l.).
Fotos: © Carolin Steinweger
Interprofessioneller Austausch, aktuelle Forschung und gelebte Zusammenarbeit: Beim 4. Lübecker interprofessionellen Perinatalkongress kamen Fachkräfte aus ganz Deutschland virtuell zusammen, um die Geburtshilfe aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Besonders eindrucksvoll war der Blick über Fachgrenzen hinweg – getragen von dem Gedanken, dass Geburtshilfe nur im Miteinander gelingt.
Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit gemeinsam denken – darum ging es beim 4. Lübecker interprofessionellen Perinatalkongress (LiP) am 19. und 20. September. Zum dritten Mal in Folge fand der Kongress online statt, sodass Teilnehmer:innen aus ganz Deutschland dabei sein konnten. Wer nicht live anwesend war, hat zwar das Rahmenprogramm verpasst, aber die Vorträge standen auch nach dem Kongress noch drei Wochen lang zur Verfügung.
Britta Zickfeldt, Geschäftsführerin des Elwin-Staude-Verlags, eröffnete den Kongress gemeinsam mit der wissenschaftlichen Leitung des diesjährigen LiP, bestehend aus Prof. Dr. Egbert Herting, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Prof. Dr. Achim Rody, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am UKSH, und Prof. Dr. Marina Weckend, Direktorin des Fachbereichs Hebammenwissenschaft an der Universität zu Lübeck.
»Wir kommen zusammen als Hebammen, als Gynäkolog:innen und als Neonatolog:innen. Und wir alle leisten unseren Beitrag zusammen mit anderen Berufsgruppen, wie zum Beispiel Sozialarbeiter:innen, um diesen gelungenen Start in das Leben für die Familie, für das Neugeborene, für unsere Gesellschaft zu gestalten.« Die Begrüßungsworte von Marina Weckend passen zum Motto des LiP: »Gemeinsam sind wir besser!«
Der Fokus wurde in diesem Jahr auf die Themen Leitlinien, Betreuungsmodelle, Mikrobiom, Geburtsschmerz und Rassismus gelegt.
Das Rahmenprogramm
Die Onlineplattform bot mehrere »Räume« und dadurch ein vielfältiges Programm zusätzlich zu den Vorträgen. »Dieses Rahmenprogramm soll den Kongress möglichst live wirken lassen – so dass Sie Pausen machen können oder in Bewegung kommen«, versprach Britta Zickfeldt. Gemeinsames Yoga in den Pausen und Musikbeiträge sorgten für diese Abwechslung.
Jederzeit konnten sich die Kongressteilnehmer:innen die facettenreichen Posterpräsentationen rund um die Themen Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett ansehen und per Chat oder Videocall mit den Posterautor:innen in Kontakt treten. In der »Lobby« wurden am Samstag die drei stärksten Poster von der Jury prämiert. Gewonnen hat das Poster von Dr. Petra Köhler zur »Bewältigung des Gewalterlebens werdender Hebammen im praktischen Einsatz«.
Posterwettbewerb
Die Gewinner:innen
- Petra Köhler: »Bewältigung des Gewalterlebens werdender Hebammen im praktischen Einsatz«
- Annika Hielbig et.al.: »Case Report. Plazentares Chorangiom mit konsekutivem Hydrops fetalis«
- Tobias Richter: »Geschlagen, beschimpft, bespuckt – Gewalt gegen klinisch tätige Hebammen im Kreißsaal«
In der Lobby wartete auch eine Uraufführung auf die Teilnehmer:innen: Birgit Heimbach stellte ihren Film zum Thema Muttermilch vor und wurde dazu von Britta Zickfeldt interviewt. »Ich wollte dem Thema eine gewisse Leichtigkeit geben«, erklärte die Hebamme und Illustratorin und ergänzte, dass besonders werdende Hebammen von dem Film profitieren sollen. Deshalb steht dieser lehrreiche Beitrag – neben den Artikeln in Heimbachs DHZ-Serie »Inhaltsstoffe der Muttermilch« – weiterhin online zur Verfügung: > https://staudeverlag.de/dhz/muttermilch/
Update Leitlinien
Den Auftakt der Vortragsreihe machte Prof. Dr. Sven Kehl, Chefarzt der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Klinik Hallerwiese in Nürnberg, zur S2k-Leitlinie »Fetale Wachstumsrestriktion«. Er beschäftigte sich mit der Frage nach dem optimalen Geburtsmanagement und dem idealen Zeitpunkt der Geburt. Zu ersterem resümiert der Referent: »Wir brauchen beides. Wir brauchen die Doppler-Sonografie und wir brauchen das computerisierte CTG, um eine möglichst sichere Geburt, Schwangerschaft und einen möglichst sicheren postnatalen Verlauf zu erzielen.«
In der Leitlinie sind zwei Abbildungen enthalten, von denen Sven Kehl empfiehlt, sie ausgedruckt griffbereit zu haben: Sie zeigen die Diagnose und das Management der Fetalen Wachstumsrestriktion. Letzterer kann der vermutlich ideale Zeitpunkt der Geburt abhängig von den Untersuchungsergebnissen entnommen werden (siehe weiterführende Links zu den Leitlinien).
Peggy Seehafer, Hebamme, Anthropologin und Beckenbodenspezialistin, hielt einen Vortrag zur S2k-Leitlinie »Vaginal-operative Geburt«. Essenziell für die neue Leitlinie seien die Aufklärung der Frau und die Nachbesprechung der operativen Geburt. Außer über die ärztlichen Handgriffe und präventiven Maßnahmen sprach die Referentin begeistert vom Odon-Device, den sie auf einem früheren Kongress am Modell testen konnte. Das Gerät wird in der Leitlinie nicht erwähnt, aber Seehafer sieht in der Kunststoffhülle, die um den Kopf des Babys gestülpt wird, eine gute Alternative zu bestehenden Methoden (in der DHZ 12/2025 folgt ein Artikel zum Odon-Device von Peggy Seehafer).
Zusätzlich wurden die S2k-Leitlinien zur Schulterdystokie, zur »Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Sycytial Virus (RSV) bei Risikokindern« und zu »Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens« vorgestellt.
Innovative Betreuungsmodelle
Ein Impulsvortrag zur WHO-Publikation »Transitioning to midwifery models of care« von Prof. Dr. Marina Weckend läutete am Freitagabend die letzten Vorträge des ersten Tages im Themenblock »Innovative Betreuungsmodelle« ein. Der Report der WHO empfiehlt eine Neuausrichtung der Gesundheitssysteme – nicht allein bezogen auf den Hebammenkontext, sondern auf die interprofessionelle Zusammenarbeit.
Der anschließende Vortrag von Prof. Dr. Katja Stahl, Hebamme, Diplompflegepädagogin und Professorin im Studiengang Hebammenwissenschaft an der Universität zu Lübeck, beschäftigte sich mit der Schwangerenvorsorge in der Gruppe. Die Referentin sprach sich für das Konzept CenteringPregnancy© aus, bei dem acht bis zwölf Schwangere in einem Gruppentermin gemeinsam von einer Hebamme und einer weiteren Fachperson betreut werden. Das Konzept werde bereits international angewandt. In ihrem Vortrag stellte die Referentin die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie zur Implementierung des Konzepts in Deutschland vor.
Die bisherige Evidenz zeige, dass das Modell eine niedrigere Rate an Früh- und Mangelgeburten und bessere psychosoziale Outcomes hervorbringe als die traditionelle Schwangerenvorsorge. Die drei Kernelemente bei der Umsetzung seien Health Assessments, also die gängigen Untersuchungen, die teilweise von den Schwangeren selbst durchgeführt werden, Interactive Learning und Community Building. Das heißt, dieses Modell kombiniert Elemente der traditionellen Vorsorge mit einem deutlich stärker schwangerenzentrierten Ansatz.
Im Anschluss an die Machbarkeitsstudie wurden die teilnehmenden Schwangeren befragt, ob sie dieses Modell für eine weitere Schwangerschaft wieder nutzen würden. Etwa 51 % waren sich sicher – weitere 30 % hielten es für wahrscheinlich, das Modell wieder in Anspruch zu nehmen. Keine Frau würde das Centering zukünftig sicher ablehnen.
Auch die Hebammen nahmen das Modell positiv an. Durch das Centering konnten mehr Schwangere gleichzeitig betreut werden, ohne dass die Versorgung darunter litt. Hinzu kommt ein Element, das bei der herkömmlichen Betreuung fehlt: der Austausch mit anderen Schwangeren im Rahmen der Hebammenbetreuung.
Das Mikrobiom
Am Samstag öffnete der LiP schon um 8.30 Uhr seine virtuellen Tore und wartete mit Vorträgen zum Mikrobiom auf die zahlreich erschienenen Teilnehmer:innen. Besonders kritisch wurde in dieser Vortragsreihe der Beitrag von Dr. Amrei Welp, Wissenschaftlerin an der Universität zu Lübeck, zur Antibiotikaprophylaxe rund um die Geburt diskutiert.
So sah die Übertragung des Online-Kongresses für die Teilnehmenden zu Hause aus: Dr. Amrei Welp am Ende ihres viel diskutierten Vortrags zu Antibiotikaresistenzen.
Die Referentin stellte zunächst die S3-Leitlinie »Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendungen im Krankenhaus« vor, die auf eine effektive Therapie abzielt, um eine Antibiotika-Resistenz zu vermeiden. Der Antibiotika-Verbrauch solle demnach so gering wie möglich gehalten werden. Welp begründete dies mit dem Einfluss von Antibiotika auf das maternale und neonatale Mikrobiom, der mit einer erhöhten Morbidität für Mutter und Kind einhergehe.
Weiterführend erklärte die Referentin den Umgang an ihrem Arbeitsplatz im UKSH: Entsprechend der Leitlinien würden Antibiotika verabreicht, so beispielsweise bei einer Zystitis die Antibiotika Fosfomycin, Pivmecillinam und/oder Cefuroxim. Die Einnahme werde nach negativer Urinkultur sofort abgebrochen. Welp sprach sich für eine perioperative und periinterventionelle Antibiotikaprophylaxe aus sowie für die Antibiotika-Behandlung bei B-Streptokokken.
Daraufhin fragte eine Teilnehmerin im Chat: »Relativ viele Frauen haben B-Streptokokken und nur sehr wenige Neugeborene eine Infektion. Macht es trotzdem Sinn, alle positiven Frauen zu behandeln?« Amrei Welp dazu: »Das Problem dabei ist, dass wir nie wissen, wie lange eine Frau nach Blasensprung noch schwanger ist, bis sie tatsächlich entbindet.« Eine spezifische Number Needed to Treat (NNT) auszurechnen, um eine Neugeborenen-Sepsis zu verhindern, sei dadurch sehr schwierig. Man würde sich also an die Empfehlungen der Leitlinie halten.
Prof. Dr. Egbert Herting, der diese Moderation leitete, wies darauf hin, dass die Leitlinie seit 2016 nicht mehr aktualisiert wurde, weil es leider zu wenig Daten gebe. »Das Besondere an dieser Leitlinie ist, dass sich im Bereich der Leitlinienautor:innen zunächst die Neonatolog:innen stark gemacht haben, weil uns eben diese Kinder unter den Fingern weggestorben sind vor 20 Jahren.«
Geburtsschmerz
»Klares Statement vorweg: Die Periduralanalgesie ist State of the Art in Bezug auf die Wehenschmerzlinderung. Das ist die Prämisse für alles, was jetzt folgt.« So startete Prof. Dr. Dorothee H. Bremerich ihren Vortrag zur geburtshilflichen Analgesie und Anästhesie, nachdem sie über relevante Zahlen und Fakten rund um die Geburt in Deutschland und im Ländervergleich aufgeklärt hatte.
Laut der Ärztlichen Direktorin der Kliniken Nordoberpfalz könne die PDA grundsätzlich immer gelegt werden, abhängig sei dies nur vom Wunsch der Gebärenden. Eine frühe oder späte Anlage berge kein erhöhtes Risiko für eine Sectio oder eine vaginal-operative Geburt. Ihr Fazit: Die PDA verändere weder die Dauer des Geburtsverlaufs noch den Geburtsmodus und/oder den Zustand des Neugeborenen.
Als Positivbeispiel zog Bremerich den Umgang mit der PDA in Frankreich heran. Dort sei eine anästhetische Vorstellung in der Schwangerschaft obligatorisch, wodurch die PDA-Rate bei 90 % liege. Warum nicht 100 %? In Frankreich sei es gängig, dass Frauen drei Kinder gebären, wobei die dritte Geburt oftmals so schnell verlaufe, dass eine PDA nicht mehr gesetzt werden könne. In Deutschland hingegen liege die Rate bei 23 %, in Schwerin sogar bei unter 10 %.
Ihr Appell: Als Vertreterin der Schwangeren im Kreißsaal sollten sich Hebammen vermehrt für den Wunsch nach einer PDA einsetzen. Bremerich machte aber auch deutlich, dass es dafür natürlich manchmal zu spät sein könne und auch nicht jede Geburt eine PDA verlange.
Bei der Oxford Discussion argumentieren Prof. Dr. Christiane Schwarz (l.) und Johanna Reinhard (2.v.r.), Mutter zweier Kinder, dafür, dass der Geburtsschmerz teil der Geburt sei. Prof. Dr. Amrei Welp (r.) und Tanja Kaapke (2.v.l), Mutter von drei Kindern, sprechen sich für die PDA aus.
Nach der Mittagspause wurde im Rahmen einer Oxford Discussion darüber diskutiert, ob der Geburtsschmerz im 21. Jahrhundert noch zur Geburt gehört – oder kurz: PDA, ja oder nein? Prof. Dr. Christiane Schwarz, Tanja Kaapke, Johanna Reinhard und Dr. Amrei Welp diskutierten das Thema kontrovers.
Gemeinsam gegen Rassismus
Gemeinsam sind wir besser! Das gilt auch und vor allem, wenn es darum geht, Rassismus in der Geburtshilfe zu bekämpfen. Der letzte Vortrag des Kongresses trug den Titel »Schwangerschaft, Geburt und Elternzeit in unsicheren Lebenslagen«. Dr. Melanie Cooper, Hebamme und Reader in Maternity and Migrant Health an der University of Bradford, und Diana Flores Gallardo, die mit einer Minderheitengemeinschaft arbeit, stellten darin ein Projekt aus Großbritannien vor, das die Versorgung von geflüchteten Frauen in Schwangerschaft, Geburt und Elternzeit verbessern soll.
Gallardo sprach in diesem Zusammenhang als Betroffene, die selbst als Schwangere geflohen ist und in einem (sprach-)fremden Umfeld ihr Kind gebären musste. Was ihr am meisten geholfen habe, war eine Hebamme, die ihr das Gefühl gegeben habe, in dieser Situation nicht allein zu sein.
Die vorgestellten Projekte der Referentinnen – DAISI und Maternity Stream of Sanctuary – beinhalten ein Video, das betroffenen Frauen in verschiedenen Sprachen gezeigt werden kann, um über Risiken und Vorsichtsmaßnahmen nach der Geburt aufzuklären. Zum Beispiel soll auf diese Weise eine Sepsis verhindert werden. Derzeit gibt es das Video in den Sprachen Englisch und Urdu, der Amtssprache in Pakistan. Weitere Sprachen sind geplant, die Umsetzung und Finanzierung ist leider noch nicht gesichert.
Gemeinsam für die Geburtshilfe
Ein Highlight des Kongresses war der Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Dan mon O’Dey, Facharzt für plastische Chirurgie, zur Geburtshilfe bei weiblicher Genitalverstümmelung und -beschneidung (FGM/C). Er zeigte Bilder und Videos von Rekonstruktionen, die er durchgeführt hatte, und beeindruckte damit die Teilnehmer:innen. Über den Stream hagelte es Applaus sowie Herzen in Emoji-Form und die Q&A-Funktion wurde statt für Fragen hauptsächlich für Lob genutzt.
Dieses Gemeinschaftsgefühl zog sich durch den gesamten Kongress und fand mit dem Thema »Gemeinsam gegen Rassismus« seinen Abschluss. An beiden Kongresstagen wurde deutlich, wie stark der Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Berufsgruppen ist – vereint durch das gemeinsame Ziel, die Geburtshilfe durch mehr interprofessionelle Vernetzung zu verbessern.



