Besonders für schwangere Frauen auf den nordfriesischen Inseln sind die Wege zur nächsten Klinik weit und können für Mutter und Kind lebensgefährlich werden. »Die Frauen sind nicht gut versorgt, die laufen sprichwörtlich alle ins offene Messer«, sagt Anke Bertram. Die Sylterin hat bis vor zwei Jahren selbst als Hebamme auf der Insel gearbeitet und widmet sich jetzt voll ihren Aufgaben als Vorsitzende des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein.

Die Geburtenstation auf der größten deutschen Nordseeinsel Sylt wurde vor mehr als elf Jahren geschlossen. Schwangere Sylterinnen müssen ihr Kind auf dem Festland zur Welt bringen. Die nächsten Geburtskliniken sind Flensburg, Husum und Heide.

Gynäkologische Bereitschaft eingestellt

Noch prekärer wurde die Lage vor rund einem Jahr: Seit dem 1. Juli 2024 gibt es auf der Insel keine gynäkologische Bereitschaft mehr. Zwei niedergelassene Gynäkologen hatten bis dahin als Bereitschaftsärzte in Notfällen und am Wochenende Frauen in Belegbetten in der Nordseeklinik in Westerland behandelt. Als einer von ihnen in Rente ging, konnte sein Kollege die Bereitschaft allein nicht aufrechterhalten. Einen Nachfolger gibt es bisher nicht. Dies sei keine Entscheidung der Klinik, sondern der beiden niedergelassenen Ärzte gewesen, teilte eine Asklepios-Sprecherin damals mit.

Geburten im Rettungswagen

Eine Hebamme im Diako-Krankenhaus in Flensburg erzählt, was die weiten Wege in den Kreißsaal für die Frauen bedeuten können. »Das Problem ist der Transport. Geburten sind bei Hubschrauber-Flügen nicht priorisiert, die Frauen müssen oft lange warten, das ist fatal.« Oft kämen auch Urlauberinnen von den Inseln: Reizklima und lange Autofahrten in den Urlaub können Blasensprünge, vorzeitige Wehen oder Blutungen auslösen. Einige brächten ihre Kinder dann im Rettungswagen zur Welt.

Auch im Seenotrettungskreuzer auf dem Weg von Sylt auf das Festland ist schon ein Kind auf die Welt gekommen. »Es gibt immer wieder Zwischenfälle, nicht nur im Rettungswagen, aber die Zahl dieser riskanten Geburten mit teils fatalen Folgen wird nicht erfasst«, sagt auch Bertram.

Frauen werden im Stich gelassen

Kritisch werde es auf Sylt bei unvorhersehbaren Notfällen: Extreme Frühgeburten, Plazentaablösungen und Blutungen. Bis vor einem Jahr schätzten die Bereitschafts-Gynäkologen ein, ob eine Schwangere mit Komplikationen auf der Insel bleiben kann, oder mit dem Hubschrauber oder in einem Rettungswagen in eine Klinik auf dem Festland gebracht werden muss. »In der jetzigen Situation werden die Frauen komplett im Stich gelassen, es ist nicht mal im Notfall ein Kaiserschnitt möglich – die Versorgung besteht darin, sie auszufliegen«, sagt Bertram.

»Eigentlich müssten schon am Autozug große Schilder mit einer Reisewarnung für Schwangere stehen«, sagt Bertram. Die Gemeinde Sylt wies Anfang des Jahres darauf hin, »dass die Versorgung bei Komplikationen im Kontext von Geburten oder bei schwangeren Frauen auf der Insel (…) nicht gewährleistet werden kann«.

Hebammen-Notruf soll in schwierigen Situationen helfen

Nach der Schließung der Kreißsäle auf den Inseln wurden Aufenthaltsangebote in Krankenhäusern mit geburtshilflichen Abteilungen auf dem Festland geschaffen, wie das Ministerium mitteilte. Zudem wurden die Kreißsaalkapazitäten etwa in Flensburg, Husum und Kiel erweitert.

Das Diako-Krankenhaus empfiehlt Schwangeren, möglichst eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin in die Klinik zu kommen. Partner und Geschwisterkinder könnten mitkommen. Im betriebseigenen Kindergarten können die Kinder während der Zeit betreut werden.

Für Notfälle wurde auf Sylt ein Hebammen-Notruf eingerichtet, der rund um die Uhr erreichbar ist. Vier Frauen teilen sich nach Angaben des Kreises Nordfriesland aktuell diese Rufbereitschaft. Auf Sylt lebt nur eine der Hebammen, die anderen leben in Hannover, Düsseldorf und Haltern. Sie kommen wochenweise für die Rufbereitschaft nach Sylt.

Bertram: Es sollen Inselkinder geboren werden

Der Hebammen-Notruf gehe laut Bertram in die richtige Richtung. Geplante Entbindungen gehören nicht zu den Aufgaben – in Notfällen begleiten sie allerdings Hausgeburten. Die Sylter Hebammen fordern aber wieder mehr Geburten auf den Inseln und ein Modell, welches das ermöglicht.

»Wir benötigen ein Umdenken in der Geburtshilfe«, sagt Bertram. Eine schwangere Frau sei nicht krank. »Die Lösung darf nicht sein aufgrund struktureller Probleme alle Frauen auszufliegen oder in einen längeren Klinikaufenthalt zu schicken, man muss eine alternative Versorgung vor Ort gewährleisten.«

An vielen Orten in Schleswig-Holstein sind in den vergangenen Jahren Geburtsstationen geschlossen worden. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Gesundheitsministeriums noch 15 Entbindungskliniken. 2022 waren es noch 18. Insgesamt hat sich die Zahl der Orte, in denen es klinische Geburtshilfe gibt, seit 2000 halbiert.

Zahl der Geburtshäuser steigt

Eine Alternative zu Klinik oder Hausgeburt ist die Entbindung in einem von Hebammen geführtem Geburtshaus. Ihr sei es wichtig, dass die Frauen wirklich frei wählen können, wo sie gebären, sagt Hebamme Lena Gieseke, die vor wenigen Wochen in Twedt bei Kappeln das Geburtshaus Nordlicht eröffnet hat. Bis zur Schließung der Geburtsstation in Eckernförde Ende 2021 war sie dort Beleghebamme.

Viele wünschen sich laut Gieseke eine Alternative. Sie wolle klinische und außerklinische Geburtshilfe nicht gegeneinander ausspielen. Die Kolleginnen an den Kliniken leisteten tolle Arbeit. »Mir ist die Wahlmöglichkeit wichtig.«

Mittlerweile gibt es vier Geburtshäuser in Schleswig-Holstein. Neben den schon länger existierenden in Lübeck und Bad Oldesloe kamen das in Twedt und eines in Flensburg dazu. »Wir haben die Anzahl damit verdoppelt, das ist super«, sagte Bertram. Dies zeige, wie groß der Bedarf bei den Frauen sei.

Quelle: dpa, 12.5.25 · DHZ