Die ersten drei Monate haben es in sich – zwischen Schweigen über ein kleines wachsendes Wunder und dem Drang nach Austausch. Eine werdende Mutter denkt darüber nach, inwieweit sie „es“ wissen will. Doch was ist „es“?
Foto: © imagebroker / imago
Die ersten drei Monate haben es in sich – zwischen Schweigen über ein kleines wachsendes Wunder und dem Drang nach Austausch. Eine werdende Mutter denkt darüber nach, inwieweit sie „es“ wissen will. Doch was ist „es“?
Ich bin schwanger! Gespürt oder vermutet habe ich es ungefähr seit der Einnistung. Um diesen Zeitpunkt verspürte ich ein starkes Ziehen in der Leistengegend, mit dem ich meinen Frauenarzt aufsuchte. Vor dem Antritt zweier Dienstreisen nach Russland wollte ich sichergehen, dass alles in Ordnung ist und ich nicht im Ausland zu einem fremden Arzt müsste. Ich äußerte meine Vermutung schwanger zu sein, die durch einen Schwangerschaftstest nicht bestätigt wurde.
Diagnostik hin oder her, die Ahnung und das Bauchgefühl blieben. Bevor diese Ahnung endlich zur Gewissheit wurde, träumte ich von Babys – es war so, als riefe im Traum jemand in mir: „Du bist schwanger. Hallo, du bist schwanger!” Als ich kurz darauf bei minus 20 Grad in Sibirien und gleich danach im dicksten Schnee in Sankt Petersburg saß, sagte ich meinem Mann häufiger am Telefon, dass ich glaubte, schwanger zu sein. Wirklich überfällig mit meiner Regel war ich noch nicht, aber die Eigenschaften meines Muttermundes kamen mir sehr fremd vor. Ich kenne meinen Körper gut. So, wie sich da unten alles anfühlte, fühlte es sich sonst nie an – in keinem Stadium des Zyklus. Erst in diesem Zyklus hatten mein Mann und ich die Verhütung weggelassen. Zudem war ich in diesem Monat beruflich viel im Ausland unterwegs und kaum zu Hause, so dass mein Mann, bauchgefühlsmäßig zwar hoffnungsvoll, bei meiner Vermutung kopfmäßig jedoch abwinkte.
In der vierten Schwangerschaftswoche brachten erst ein Heimtest und dann der erneute Besuch beim Frauenarzt Klarheit. Die Träume von Babys hörten auf; die Stimmen wurden ja nun endlich gehört. Meine innere Unruhe wich einer wohligen Klarheit und dem Gefühl: „Ich hab es doch gewusst.” Unsere Freude war riesig. Nie hätten wir gedacht, dass es ohne langes „Trainingslager” klappen würde. Wir tagträumten von nun an vom Leben zu dritt, starteten in die Namenssuche und genossen es – nach anfänglichem Mitteilungsdrang, den wir unterdrückten – bis zum Ende der Drei-Monats-Frist ein kleines, wachsendes Geheimnis zu haben.
Die Bedeutung dieser Drei-Monats-Frist wurde mir in der siebten Schwangerschaftswoche erstmals richtig klar. Hinter „In den ersten drei Monaten kann noch so viel passieren” steht gar nicht „nur” das Fehlgeburtsrisiko, das „einem passieren” kann, sondern auch das Risiko, „zu früh” informierten Verwandten oder Freunden sagen zu müssen: „Wir waren schwanger, haben uns jedoch aufgrund einer möglichen Trisomie 21 gegen dieses neue Leben entschieden.” Ja, wer möchte das schon „unnötigerweise” in die Welt posaunen?
Wie kam ich zur Erkenntnis dieser zweiten Bedeutung? Mein Frauenarzt klärte mich über mein altersbedingtes Risiko (ich bin 34) für ein Kind mit Trisomie 21 und die entsprechenden Diagnostikverfahren auf, die innerhalb des ersten Schwangerschaftstrimesters angeboten werden. Er sagte, wir sollten darüber nachdenken – professioneller Weise mit dem Zusatz, dass diese Diagnostik nur Sinn mache, wenn man gegebenenfalls die Abtreibung als Option ansieht. Wenn diese nicht in Frage käme, bräuchte man auch den Test nicht machen. Man habe auch ein „Recht auf Nichtwissen”.
Unsere spontane Reaktion war, dass wir uns nicht vorstellen konnten, unser Kind abzutreiben, so dass die Diagnostik für uns nicht in Frage kam. Nun bin ich ein Mensch, der seine Entscheidungen gern fundiert. Bei eventuell später auftretenden Zweifeln kann ich mir selbst dann entgegensetzen: „Du hast dich für diesen Weg entschieden, weil erstens…, zweitens… .” So muss ich nicht immer wieder neu nach Gründen für bereits getroffene Entscheidungen suchen. Bezüglich der Pränataldiagnostik wollte ich wissen, warum ich mich dagegen entscheide. Damit begann das tiefe Verlangen nach Austausch. Dafür standen zunächst mein Mann und mein Frauenarzt zur Verfügung. Sonst wusste ja niemand von der Schwangerschaft!
Ich habe mal von einem afrikanischen Sprichwort gehört, das besagt: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.” Zwar ging es hier noch nicht um Kindererziehung, aber ich übertrug den Gedanken auf diese Situation. Mein Dorf war mit den beiden genannten Einwohnern sehr klein. Mein Frauenarzt wartete eher mit einer statistik-lastigen Beratung als mit psychosozialer Unterstützung auf. Ehrlich gesagt, war meine Frage an ihn auch statistik-lastig auslegbar – ich war am Anfang meiner Auseinandersetzung mit dem Thema noch zu unklar, um zu wissen, was für eine Frage ich stellen sollte. „Ich bin unsicher, ob ich die Diagnostik in Anspruch nehmen soll [abwartende Pause]. Wie viele Frauen nutzen denn die Pränataldiagnostik?”
Da mein Mann und ich uns gut über Dinge austauschen können, waren die Gespräche mit ihm hilfreich. „Was würde es bedeuten, wenn wir ein Kind mit einer Trisomie 21 bekommen?”, „Wie belastend ist es, heutzutage diese Diagnostikmöglichkeiten zu haben und damit solche Entscheidungen treffen zu müssen?”, „Was bedeutet die Frage moralisch oder philosophisch gesehen?”, „Was sind unsere Einstellungen zum Leben, zur Geburt oder Abtreibung eines Kindes?” Über all diese Fragen haben wir ausführlich gesprochen.
Mein Bedürfnis nach Austausch war aber damit nicht gesättigt. Irgendetwas fehlte. Ich hatte das Gefühl, nicht genug darüber nachgedacht zu haben und innerlich noch kein „erdbebensicheres” Argument zu haben. Kurz gesagt, ich fühlte mich mit der Frage überfordert und hätte mir gewünscht, dass es diese Form von Diagnostik gar nicht gibt. Langsam erweckte ich mit meiner Unruhe bei meinem Mann den Anschein, ich würde die Entscheidung an sich in Frage stellen wollen und nicht nur nach einer Fundierung suchen. Ich fühlte mich dadurch im weiteren Austausch mit ihm gehemmt, da ich dachte, dass er denken müsse, dass ich im Zweifel unser Kind abtreiben würde.
Mein Dorf musste dringend um weitere Einwohner erweitert werden. Ich stieß auf die Beratung zur Pränataldiagnostik des Geburtshauses in meiner Stadt und fand es toll, dass mein Thema als dringlich eingestuft wurde und ich sehr schnell einen Termin bekam. Am Vortag der Beratung weihte ich einen sehr guten Freund ein, mit dem ich schon häufiger über den Umgang mit Unsicherheit im Leben gesprochen hatte. Er hielt mir vor Augen, dass Trisomie 21 nur eine von vielen Unwägbarkeiten sei; ich würde mit der Diagnostik im günstigen Falle ja nur eine von Hunderten „Gefahren” ausschließen. Dies war ein Gedanke, der mir bei großer Unsicherheit im Leben schon häufiger beim „Loslassen” geholfen hatte.
Ich sprach dann mit einer Freundin, die vor kurzem ein Kind bekommen hatte. Austausch mit anderen „Betroffenen” soll ja helfen. Diese Freundin erzählte nun davon, wie sie jede Diagnostik mitgemacht habe. Sie sprach sogar vom Wunsch nach dem „transparenten Kind in der Schwangerschaft”, der sich in ihrer großen Angst begründete. Ich merkte, wie meine Entscheidung gegen die Diagnostik sich während dieses Gesprächs immer weiter festigte, weil ich mich mit dem, was sie sagte, emotional gar nicht identifizieren konnte.
Es war eine Wohltat in der Beratung durch die Hebamme einen „Raum zum lauten Denken” mit viel Zeit und Empathie zu bekommen. Sie verstand sofort, dass ich nach einer Fundierung für meine Entscheidung suchte. Wir bewegten zusammen verschiedene Gedanken und das Faktenwissen zur Pränataldiagnostik. Ich nannte meine Gedanken, die ich aus den Gesprächen mit meinem Mann und den beiden Freunden hatte, und es tat gut, weitere Gedanken und Aspekte zur Pränataldiagnostik zu hören. Nach dem Gespräch war immer noch klar, dass die Entscheidung individuell zu treffen ist und dass sie einem von niemandem abgenommen wird. Aber nachdem ich das Thema von verschiedenen Seiten betrachtet hatte, fühlte ich mich aufgeräumt und fähig, meine Entscheidung in die Tat umzusetzen.
Ich hatte nun meine Argumente, die ich gegebenenfalls gegen meine Zweifel setzen konnte. Mit mehr Klarheit fühlte ich mich gegenüber meinem Mann nicht mehr gehemmt, so dass wir uns nach der Beratung noch mal freier austauschen und dann dem Frauenarzt unsere gemeinsame Entscheidung verkünden konnten.
Und auch jetzt, im siebten Schwangerschaftsmonat, sind es die Argumente, die ich mit sicherer Stimme nennen kann, wenn mich zum Beispiel Freundinnen nach unserer Entscheidung fragen:
Bevor ich nun über die Gedanken zu Ja-Sagen, Liebe und Verantwortung in philosophische oder moralisch-ethische Sphären eintauche, schließe ich hier mit der Liste meiner Argumente, die einigermaßen in Worte fassbar sind. Ich denke, dass es wichtig ist, sich seine eigenen individuellen Gedanken dazu zu entwickeln, die man nicht nur denken, sondern auch fühlen kann. Der Raum hierfür sollte für jede Schwangere durch entsprechende Beratung möglich gemacht werden. Für eine solche Beratung finde ich Folgendes optimal:
Die Beratung sollte in einem persönlichen Gespräch über die Relevanz und Vorgehensweise der Pränataldiagnostik einschließlich möglicher Risiken, die Auftretenswahrscheinlichkeit der zu testenden Erkrankungen und das Recht auf Nichtwissen informieren. Neben dem Beleuchten dieser Aspekte sollte die Beratung die psychosozialen Aspekte betrachten, Raum für einen Gedankenaustausch und die Entscheidungsfindung bieten.
Die Beratung sollte sowohl für die Schwangere alleine als auch mit dem Partner oder einer vertrauten Person zugänglich sein. Auch für werdende Väter alleine wären entsprechende Beratungsmöglichkeiten sinnvoll.
Die beratende Person sollte explizit zu verstehen geben, dass es sich um eine individuelle und tiefgreifende Entscheidung handelt, für die sich die Schwangere die zur Verfügung stehende Zeit nehmen und in Austausch gehen sollte (gegebenenfalls mit dem Partner, Freunden, Familie, anderen Schwangeren – eventuell mit dem Verweis auf weitere Beratungsmöglichkeiten). Offenheit für die individuelle Entscheidung der Schwangeren/des Paares ist hierfür von großer Relevanz – dies gilt insbesondere für die Frauenärztin beziehungsweise den Frauenarzt, die/der die Diagnostik gegebenenfalls durchführen oder einleiten würde.
Auch Literaturtipps finde ich für Schwangere nützlich, die gern über Schwangerschaft lesen. Ich persönlich fand den Ratgeber „Bekommen wir ein gesundes Baby? Was Sie über pränatale Diagnostik wissen sollten” von Vivian Weigert sehr anschaulich und hilfreich.
Ich bedanke mich auf diesem Wege bei meinen „Dorfmitbewohnern” für den Austausch – insbesondere bei der Hebamme im Geburtshaus für die professionelle Beratung und bei meinem Mann für die sehr partnerschaftlichen Gespräche und das gemeinsame Finden von „Wegen im Lebensdschungel”. Wir sind nun fast im achten Monat und freuen uns auf die Kleine, der wir dann im Sommer den Weg in die Welt bahnen.