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Ist der Hebammenkreißsaal ein Modell der Zukunft? Nach der berufspolitischen Einschätzung des Deutschen Hebammenverbands kann das Konzept die professionelle Rolle der Hebammen erweitern, die Eins-zu-eins-Betreuung flächendeckend verbreiten und für die Frauen die Wahlfreiheit des Geburtsorts verbessern.

Die Rolle der Hebamme im deutschen Gesundheitssystem ist sehr autonom angelegt. Ungewöhnlich autonom, wenn man betrachtet, dass hier meist den Ärzt:innen eine Position zukommt, die fast allen anderen medizinischen Fachberufen weisungsbefugt ist. Sie fungieren als Schnittstelle für fast alle wichtigen Gesundheitsleistungen, etwa bei Beratung und Einwilligung, An- und Verordnung von Medikamenten, Durchführung von medizinischen Untersuchungen.

Diese Tätigkeiten sind in Gesundheitssystemen anderer Länder auf die medizinischen Professionen verteilt. Und diese Berufe sind dort auch in klinischen Strukturen mit einem selbstverständlich hohen Handlungsspielraum ausgestattet. Dort verordnen Pflegende zum Beispiel wiederkehrende Rezepte, verabreichen Standardmedikation oder ordnen Behandlungen an.

Historisch gewachsene Rollenverteilung

Dass die Ärzt:innenrolle im deutschen Gesundheitssystem sehr zentral angelegt ist, hat unter anderem mit der fehlenden Akademisierung anderer medizinischer Fachberufe zu tun, die im europäischen Ausland Standard ist, und mit unserer Medizin­geschichte. Zum Beispiel in Dänemark, Norwegen und dem Vereinigten Königreich versorgen zunächst Hebammen die Schwangeren und Gebärenden. Die Frauen haben nicht von vorneherein eine ärztliche Einbindung oder Schwangerenvorsorge wie in Deutschland durch den sogenannten Facharztstandard, der sich aus unserer Krankenhausgesetzgebung ergibt.

Frage ich als Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbands (DHV) Menschen – übrigens auch Gesundheitspolitiker:innen – welche Tätigkeiten eine Hebamme ausführt, dann bekomme ich für die freiberuflichen Tätigkeiten sehr vielfältige und zumeist korrekte Antworten darauf.

Frage ich gezielt nach den Aufgaben der Hebamme in der Klinik, sieht das Bild anders aus. Denn die autonome Rolle der Hebamme bei der Betreuung von physiologischen Schwangerschaften, Wochenbettbetreuungen und Geburtsbegleitungen zu Hause bei der Frau oder im Geburtshaus ist gesellschaftlich bekannt und nachvollziehbar. Das sieht bei der klinischen Tätigkeit einer Hebamme ganz anders aus.

Die Hebamme in der Klinik

Das ist insoweit erstaunlich, als dass sich nur der Tätigkeitsort der Hebamme ändert. Im Grunde kann eine Hebamme sowohl klinisch als auch außerklinisch den gesamten Betreuungsbogen abbilden (siehe Abbildung 1). In der Klinik ist diese Position deutlich weniger sichtbar, weil hier viele Professionen an einem Ort zusammenwirken und das Krankenhausgesetz den Facharztstandard vorgibt. Das bedeutet, dass jederzeit die Versorgung durch einen Arzt oder eine Ärztin gewährleistet werden muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Ärzt:innen jederzeit in jeden Behandlungspfad eingebunden sein müssen. Es bedeutet nur, dass die Frau ganz bewusst und schriftlich zunächst auf den Facharztstandard verzichten muss, wenn sie sich für einen komplett hebammengeleiteten Prozess entscheidet.

Theoretisch ist es möglich, auch in der Klinik in einem herkömmlichen Kreißsaal eine ausschließlich hebammengeleitete Betreuung zu erleben. In der Praxis kommt dies allerdings selten vor, weil es nicht alltäglich gelebter Standard ist (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Hebammen können sowohl klinisch als auch außerklinisch den gesamten Betreuungsbogen anbieten.

Grafik: © Deutscher Hebammenverband

Hebammen leiten Geburten

Das Angebot der hebammengeleiteten Geburtshilfe wird außerklinisch selbstverständlich vorgehalten. Wir wissen, dass sich viele Frauen eine interventionsarme Geburt mit intensiver Begleitung und einer Infrastruktur im Hintergrund wünschen, die bei Bedarf zur Verfügung steht. Obwohl diese hebammengeleitete Betreuung in beiden Settings möglich ist, steht sie aktuell in den wenigsten Kliniken zur Verfügung. Und das, obwohl sich über 97 % der Schwangeren für eine Klinik als Geburtsort entscheiden.

Für Hebammen bedeutet dies ein Arbeitsfeld, das ihrer Ausbildung entspricht, sich auf originäre Hebammentätigkeiten fokussiert und diese möglicherweise sogar erweitert. In unserem Tätigkeitsportfolio ist der Hebammenkreißsaal deshalb ein wichtiger Baustein. Er ermöglicht außerdem ein Forschungsfeld, das sich auf die hebammengeleitete klinische Arbeit beschränkt. In diesem Feld stehen wir in Deutschland noch am Anfang.

Weiterhin ermöglicht die flächendeckende Implementierung von Hebammenkreißsälen eine Weiterentwicklung zu räumlich getrennten Abteilungen: einerseits der interprofessionelle Kreißsaal (IKS) und andererseits der Hebammenkreißsaal (HKS). Das ist ein Modell, das gerade für große Zentren eine attraktive Versorgungsoption aus Frauen- und aus Hebammensicht darstellt. Es bietet Möglichkeiten, in Arbeitsfeldern zu rotieren (HKS/IKS), aus Hebammensicht zu forschen und auch Leitungsfunktionen in dieser erweiterten klinischen Struktur zu besetzen und auszubauen.

Welche Entwicklungen gibt es?

Seit mehr als 20 Jahren existiert das Modell Hebammenkreißsaal auf Grundlage des Handbuchs Hebammenkreißsaal, entwickelt unter anderem von den ersten deutschen Hebammenwissenschaftlerinnen (Verbund Hebammenforschung, 2007). Im Jahr 2004 ist der erste Hebammenkreißsaal in Bremerhaven Reinkenheide an den Start gegangen. Bis 2015 gab es circa 15 Hebammenkreißsäle in Deutschland, das heißt, in diesen Jahren war es ruhig um dieses Modell – zu ruhig. Vermutlich, weil es gesundheits- und berufspolitisch nicht im Fokus stand.

Glücklicherweise hat die Verbreitung des Hebammenkreißsaals inzwischen deutlich mehr politisches Gewicht und Reichweite bekommen – durch den Ruf nach Wahlfreiheit des Geburtsorts, die Verabschiedung des Nationalen Gesundheitsziels »Gesundheit rund um die Geburt« 2019 (Bundesgesundheitsministerium, 2017), verstärkte hebammenpolitische Lobbyarbeit, die Umstrukturierung des Netzwerks Hebammenkreißsaal in den DHV, die Erarbeitung von Informationsmaterial (siehe Link) und das Zertifikat HKS+ als Kooperation zwischen Risikoauditierung und DHV.

Ausgehend von Nordrhein-Westfalen gab es in den letzten Jahren spezifische Förderung für die Implementierung beziehungsweise für bestehende Hebammenkreißsäle. Aktuell gibt es unterschiedlich ausgestattete Förderprogramme in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Baden-Württemberg. Mehrere andere Bundesländer stehen in den Startlöchern.

In den Ländern ist das Thema HKS relevant geworden, weil die Runden Tische Geburtshilfe, die sich zur Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels »Gesundheit rund um die Geburt« gebildet haben, den Hebammenkreißsaal teilweise als Schwerpunktthema gewählt haben. Die Umsetzung des HKS wird damit auf Länder- und Bundesebene in unterschiedlichen Gremien thematisiert und vollzogen. Derzeit sind circa 60 HKS im Netzwerk Hebammenkreißsaal des DHV organisiert, davon sind 5 zertifiziert.

Warum eine Zertifizierung?

Das Netzwerk Hebammenkreißsaal im DHV hat schon lange beklagt, dass der HKS keine verpflichtenden und verbindlichen Kriterien hat. Gerade Kolleginnen, die auf Basis des Handbuchs Hebammenkreißsaal die Kernkriterien wie Eins-zu-eins-Betreuung und zweimaligen Kontakt mit den interessierten Schwangeren in ihren Kliniken umsetzten, waren häufig frustriert darüber, wenn die Nachbarklinik sich ebenso Hebammenkreißsaal nennt, aber nicht mal einen Bruchteil des Konzepts umsetzt. Das Netzwerk Hebammenkreißsaal im DHV besteht seit mehr als 15 Jahren: Es ist ein Zusammenschluss der Hebammenkreißsäle in Deutschland, die nach den Kriterien des Netzwerks arbeiten. Deren Vertreterinnen treffen sich zweimal im Jahr, um die Zahlen aus den jeweiligen Häusern vorzustellen und vor allem, um gemeinsam inhaltlich zu arbeiten und Erfahrungen auszutauschen.

In diesem Rahmen sind der Kriterienkatalog Hebammenkreißsaal, die DHV-Website (siehe Link), der Vortrag »Hebammenkreißsaal – wie geht die Implementierung« und die organisatorische Weiterentwicklung des Konzepts erfolgt.

Die Hebammenkreißsäle im Netzwerk verpflichten sich, nach dem gemeinsamen Kriterienkatalog zu arbeiten, und fühlen sich an die Grundprinzipien des Konzepts und den Ein- und Ausschlusskatalog gebunden (DHV, 2024a, 19ff.). Der Kriterienkatalog wurde unter Berücksichtigung des Katalogs zur außerklinischen Geburtshilfe und aktueller Leitlinienempfehlungen erarbeitet. Er ermöglicht die medizinische Einschätzung, ob eine Frau für das Betreuungskonzept infrage kommt.

Daneben gibt es in Deutschland viele Kliniken, die sich Hebammenkreißsaal nennen und sich mit dem Begriff schmücken, aber nicht einmal diese drei Grundprinzipien einhalten, die vom Netzwerk als essenziell eingestuft werden:

  • Eins-zu-eins-Betreuung
  • Zwei Anmeldungskontakte der Schwangeren im HKS-Konzept
  • Hebammengeleiteter Behandlungspfad laut Projektplan (DHV, 2024a, 13ff.).

Es war immer klar, dass der DHV als Berufsverband mit seiner vorhandenen Infrastruktur eine Überprüfung oder Zertifizierung von Hebammenkreißsälen nicht durchführen kann. Dazu hätte es speziell geschultes Personal und ein Budget gebraucht. Die Idee, ein Zertifikat mit den geburtshilflichen Versicherern zu entwickeln und den Kriterienkatalog des Netzwerks Hebammenkreißsaal als integralen Bestandteil des gemeinsamen Prüfkatalogs zu verankern, löst das Problem der Überprüfung.

Im Moment bestehen für das HKS+-Zertifikat Kooperationen mit drei Versicherern, nämlich der Ecclesia, Funk und Releyens. Diese Kooperationen werden unter gleichlautenden Verträgen mit dem DHV auf Basis der Sponsoringrichtlinien und anderer innerverbandlicher Grundlagen geschlossen.

Die Rahmenbedingungen legt der DHV fest. Dazu gehört, dass das Zertifikat nach Auditierung drei Jahre gilt, dass es innerhalb des Gültigkeitszeitraums festgelegte Benchmarks zur Eigenauskunft und zur schriftlichen Auskunft an die Versicherer gibt, dass eine klinisch erfahrene Hebamme in den Auditierungsprozess eingebunden ist und dass es einen gemeinsam erarbeiteten Prüfkatalog in der Systematik des DHV und der jeweiligen Prüfgesellschaft gibt. So stellt der DHV sicher, dass die vereinbarten Prozesse und Prüfkataloge eingehalten werden. Aber die operative Umsetzung liegt bei der jeweils kooperierenden Prüfgesellschaft. Der DHV hat keinerlei finanzielle Interessen oder Ansprüche in diesem Zertifikatsprozess. Die anfallenden Kosten liegen rein auf Seiten der Auditierungsgesellschaften und sind mit diesen jeweils zu verhandeln (siehe Seite 18ff.). Es ist jederzeit möglich, nach den Rahmenbedingungen Kooperationspartner zu werden.

Das HKS+-Zertifikat dient damit als Garant für eine hohe Qualität und Sicherheit in der Versorgung von Schwangeren und Wöchnerinnen in Hebammenkreißsälen. Es sichert die Einhaltung strenger Standards des im Netzwerk entwickelten Kriterienkatalogs unter Berücksichtigung des klinischen Risikomanagements.

Es fördert damit die Patientensicherheit und die ganzheitliche Umsetzung des Versorgungsmodells. Die Patientinnensicherheit und die Kriterien HKS stehen im Fokus des Zertifikats und die klinischen Abläufe werden auf Patientinnen- und Prozesssicherheit überprüft.

Für die Geschäftsführung ist die Einführung des Zertifikats ein Vorteil im Hinblick auf die Versicherbarkeit der klinischen Geburtshilfe. Ein Versicherer ist daran interessiert, möglichst zuverlässige Prozesse zu versichern. Mit dem Zertifikat werden innerklinische Prozesse angeschaut und gegebenenfalls verbessert zur Gewährleistung bestmöglicher Patientinnensicherheit.

Das HKS+-Zertifikat macht das Konzept weniger angreifbar, denn die Sicherheit hebammengeleiteter Modelle wird trotz anderslautender Evidenzen in der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe zum Teil infrage gestellt. Mit einer risikoauditierten, hebammengeleiteten Geburtshilfe können Hebammenkreißsäle argumentativ gut dagegenhalten und sie haben die geburtshilflichen Versicherer auf ihrer Seite, deren Hauptinteresse bei der Patientinnensicherheit und der Versicherbarkeit der Geburtshilfe liegt.

Ein erfreulicher Anfang

Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verankert den Hebammenkreißsaal erstmals gesetzlich und beauftragt den G-BA mit der Entwicklung entsprechender Qualitätsrichtlinien (G-BA, 2024; DHV, 2024b).

In § 136a Absatz 7 SGB V heißt es:

»Der Gemeinsame Bundesausschuss legt bis zum 30. Juni 2025 in seinen Richtlinien nach § 136 Absatz 1 geeignete sektorbezogene Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der Versorgung in Kreißsälen fest, die von einem Krankenhaus betrieben und von einer in dem Krankenhaus angestellten Hebamme geleitet werden. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Berufsverbände der Hebammen und die Verbände der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene sind zu beteiligen.« (SGB V)

Gesetzesbegründung:

» Für hebammengeleitete Kreißsäle in Krankenhäusern bedarf es verbindlicher Vorgaben von Kriterien und Qualitätsanforderungen zur Sicherung der Qualität der Versorgung. Daher wird der Gemeinsame Bundesausschuss verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in seinen Richtlinien nach § 136 Absatz 1 geeignete sektorbezogene Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der Versorgung in solchen Kreißsälen festzulegen, die von einem Krankenhaus betrieben und von einer in dem Krankenhaus angestellten Hebamme geleitet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann sich dabei an bereits vorhandenen Vorarbeiten (wie von Hebammen und Ärzteschaft erarbeiteten Kriterienkatalogen oder Ergebnissen durchgeführter Forschungsvorhaben) orientieren.« (SGB V)

Der G-BA spielt eine zentrale Rolle bei der Erstellung von Qualitätsrichtlinien und regelt Belange der klinischen Geburtshilfe. Für den ambulanten Bereich und die Vorgaben für freiberufliche Hebammen hat er keine Regelungskompetenz. Nun wurde der G-BA durch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) beauftragt, eine eigene Richtlinie für hebammengeleitete Kreißsäle zu entwickeln. An die Einhaltung dieser Richtlinie sind Fördergelder von insgesamt 20 Mio. Euro geknüpft. Die G-BA Richtlinie soll festlegen, welche Kriterien ein hebammengeleiteter Kreißsaal erfüllen muss und damit, an welche Auflagen die Vergabe der Fördergelder geknüpft werden. Da es nicht in erster Linie um eine finanziell sanktionierende Richtlinie geht, sondern um Grundprinzipien zur Vergleichbarkeit der Häuser und um Verteilungskriterien schon bewilligter Fördergelder, besteht die Hoffnung, dass die AG zügig zu einem Ergebnis kommt. Geplant ist die Fertigstellung bis 30. Juni 2025.

Der G-BA wird in dieser Qualitätsrichtlinie folgende Punkte definieren:

  • Strukturelle Anforderungen an hebammengeleitete Kreißsäle. Diese könnten zum Beispiel nach den definierten Strukturmerkmalen des Netzwerks HKS erfolgen (DHV, 2024c).
  • Personelle Voraussetzungen, um das Grundprinzip der Eins-zu-eins-Betreuung und die Qualifikationsanforderungen im HKS zu gewährleisten
  • Qualitätsindikatoren analog zum QS-Verfahren Geburtshilfe (siehe Kasten).
  • Dokumentationspflichten und Evaluationsmaßnahmen.

Im Gesetz dazu heißt es, dass 20 Mio. Euro der für die Geburtshilfe bewilligten Fördergelder für bestehende Hebammenkreißsäle nach den Kriterien des G-BA zu vergeben sind. Diese gesetzliche Verankerung und Definition einheitlicher Struktur- und Qualitätsmerkmale durch den G-BA stellt einen wichtigen Meilenstein dar, der die flächendeckende Etablierung von Hebammenkreißsälen unterstützen kann. Für die Kliniken bedeutet die Qualitätsrichtlinie mehr Planungssicherheit durch die zweckgebundenen Fördermittel und hoffentlich einen größeren Anreiz, den Hebammenkreißsaal nach definierten Kriterien umzusetzen. Die finanzielle Förderung ermöglicht den Ausbau und die Aufrechterhaltung notwendiger Strukturen.

QS-Verfahren Geburtshilfe

Seit 2001 werden in dem bundeseinheitlichen Qualitätssicherungsverfahren (QS-Verfahren) alle Geburten in der Bundesrepublik erfasst, die in einem Krankenhaus stattgefunden haben. Verschiedene Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität vor, während und nach der Geburt werden mit Qualitätsindikatoren und Kennzahlen abgebildet. Sie beziehen sich auf die adäquate medizinische Versorgung sowohl der Mutter als auch des Kindes. Indikatoren und Kennzahlen der mütterlichen Versorgung zielen unter anderem auf die Vermeidung von Infektionen nach einer Kaiserschnittentbindung (ID 50045), von höhergradigen Dammrissen (ID 181800) wie auch von mütterlichen Sterbefällen (ID 331) ab.

Quelle: IQTIG

Die große Gefahr durch die Definition einer Qualitätsrichtlinie ist eine überbordende Bürokratie zum Nachweisverfahren des HKS und zur Erreichung der Kriterien, die dann nur dazu führt, dass die Fördermittel nicht abgerufen werden, weil der administrative Aufwand in keinem Verhältnis dazu steht. Insgesamt schafft diese Regelung zum ersten Mal einen bundeseinheitlichen Rahmen für dieses Versorgungsmodell.

Flächendeckende Eins-zu-eins-Betreuung

Das große berufspolitische Ziel des DHV, die Eins-zu-eins-Betreuung flächendeckend umzusetzen, ist praktisch ein Nebeneffekt der Implementierung von Hebammenkreißsälen. Wir fordern ein Verhältnis von 1:60 zwischen Hebammen im Vollzeit­äquivalent und jährlicher Geburtenzahlen in den Geburtskliniken (DHV, 2024d), um eine dauerhafte Verfügbarkeit des Betreuungskonzepts Hebammenkreißsaal zu ermöglichen. Das bedeutet gleichzeitig, dass diese Verfügbarkeit auch die Betreuungsquote im IKS maßgeblich hebt und für eine Eins-zu-eins-Betreuung in den meisten Fällen ausreicht.

Im Moment ist es so, dass die Gebärenden mit einem pathologischen Verlauf am intensivsten betreut werden. Das ergibt sich daraus, dass ein Notfall oder ein hoch pathologischer Verlauf es nicht zulassen, diesen Geburtsverlauf nicht intensiv zu überwachen. Die klinisch tätigen Hebammen werden die Erfahrung gemacht haben, dass bei einer Betreuungs­situation mit drei Frauen diejenige die intensivste Hebammenbegleitung erfährt, die den kompliziertesten und risikoreichsten Verlauf hat. Die Zweitgebärende mit einer unkomplizierten Geburt wird am wenigsten intensiv begleitet.

Jede Frau hat das Recht auf die Geburtsbetreuung durch eine Hebamme und die Intensität dieser Betreuung muss sich am Bedarf der Frau und nicht am medizinischen Risiko orientieren.

Die AWMF-Leitlinie »Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland« dient als solide Basis für die Modellrechnung, die sowohl die Eins-zu-eins-Betreuung und die ambulanten Tätigkeiten als auch die organisatorischen Erfordernisse der Personalausstattung berücksichtigt (AWMF, 2021). Das DHV-Personalbemessungsmodell (DHV, 2024d) sowie die leitlinienorientierte Personalbemessung nach der LOPH- Methode (DHV, 2023) kommen in etwa zum gleichen Verhältnis.

Gibt es genug Hebammen?

Die exakte Zahl der studierenden und der ausgebildeten Hebammen in Deutschland kennen wir nicht. Durch den hohen Organisationsgrad im DHV können wir trotzdem seriöse Schätzungen abgeben. Aktuell befragt der DHV die Hochschulstandorte nach ihren Studierendenzahlen. Im Schuljahr 2019/2020 befanden sich bundesweit 3.057 Schülerinnen und sechs Schüler auf dem Weg zum Hebammenberuf. Dagegen waren es 2009/2010 1.896 Schülerinnen (siehe Abbildung 2). Die Zahlen haben sich damit schon in diesem Zeitraum um 61 % erhöht (DHV, 2025).

Abbildung 2: In Deutschland steigen die Zahlen der Hebammenstudierenden.

Quelle: © DHV

Die Anzahl der Hebammen auf dem Arbeitsmarkt spricht eher für eine zügige flächendeckende Umsetzung von Hebammenkreißsälen. Der Gesetzgeber hat nach dem IGES-Gutachten auf die Personal­situation in den Kliniken mit einer drastischen und berechtigten Erhöhung der Ausbildungszahlen beziehungsweise der Hochschulstandorte reagiert. Personell ist eine flächendeckende HKS-Umsetzung absolut keine Utopie mehr!

Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Modell Hebammenkreißsaal eine enorme Erweiterung unserer professionellen Rolle und ein großes Forschungsfeld für die Hebammenwissenschaft bietet. Außerdem können Hebammenkreißsäle auch andere Qualifikationen oder Berufsbilder einbinden, zum Beispiel Hebammen mit Masterabschluss als Advanced Midwife Practitioner. Die Verbreitung des Hebammenkreißsaals passt in die Weiterentwicklung unseres Berufes, der durch die Akademisierung mehr Möglichkeiten gewinnt, zum Beispiel als Qualitäts- und Studienhebamme, die die Zufriedenheit der Paare mit dem geburtshilflichen Angebot und die Wirksamkeit geburtshilflicher Maßnahmen dauerhaft überprüft.

Dass das Berufsbild der Hebamme durch die flächendeckende Einführung des Hebammenkreißsaals vielfältiger wird, schafft eine Annäherung an die europäischen Standards. Aber zentral ist, dass die berufliche Zufriedenheit der Hebammen und der geburtshilflichen Teams durch die Arbeit im Konzept steigt und dass die Gebärenden eine Wahlmöglichkeit in der Betreuung klinischen Geburtshilfe bekommen. Der Hebammenkreißsaal ist ein entscheidendes Puzzlestück in der Umsetzung verschiedener berufspolitischer Ziele.

Zitiervorlage
Köbke, A. (2025). In der Hauptrolle: die Hebamme. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 77 (4), 10–16.
Literatur & Links

Link

Der Hebammenkreißsaal – Konzept, Implementierung, Strukturanforderungen, Organisation: https://hebammenverband.de/hebammenkreisssaal

Literatur

AWMF. (2021). Leitlinie »Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland«. Registernummer 087 – 001. https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/empfehlungen-fuer-die-strukturellen-voraussetzungen-der-perinatologischen-versorgung-in-deutschland

Bundesgesundheitsministerium. (2017). Nationales Gesundheitsziel – Gesundheit rund um die Geburt. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/nationales-gesundheitsziel-gesundheit-rund-um-die-geburt.html

DHV. (2023). Leitlinienorientierte Personalbemessung Hebammen LOPH-Methode. https://hebammenverband.de/wp-content/uploads/2025/02/Leitlinienorientierte-Personalbemessung-Hebammen_LOPH-Methode-Mai-2023.pdf

Deutscher Hebammenverband (DHV). (2024a). Projekt Implementierung eines Hebammenkreißsaals. https://hebammenverband.de/wp-content/uploads/2024/02/2022_06_Projektplan_HKS_mit-Kriterienkatalog_V2.pdf

DHV. (2024b). Meilenstein für die hebammengeleitete Geburtshilfe: Hebammenkreißsaal in der Krankenhausreform verankert. https://hebammenverband.de/krankenhausreform-20241017

DHV. (2024c). Strukturanforderungen an den Hebammenkreißsaal (HKS) als Standard für die hebammengeleitete Geburtshilfe in Deutschland. https://hebammenverband.de/wp-content/uploads/2024/04/HF_2024_05_DHV_Strukturanforderungen_HKS.pdf

DHV. (2024d). Hintergrundinformationen zur Umsetzbarkeit der Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen unter der Geburt. https://hebammenverband.de/wp-content/uploads/2024/05/2024_03_22-DHV-Hintergrundinformationen-1-zu-1-Betreuung.pdf

DHV. (2025). Entwicklung der Ausbildungszahlen von Hebammen von der Ausbildung an Hebammenschulen zum primärqualifizierenden Studiengang Hebammenwissenschaft an Hochschulen und Universitäten. https://hebammenverband.de/wp-content/uploads/2025/02/2025_02_12_Ausbildungszahlen-Hebammen.pdf

Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). (2024). Arbeitsauftrag aus dem KHVVG: G-BA berät Qualitätsanforderungen an hebammengeleitete Kreißsäle. https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1233/

Sozialgesetzbuch SGB V 2024. § 136a SGB V Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung in ausgewählten Bereichen. https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/136a.html

Verbund Hebammenforschung. (2007). Handbuch Hebammenkreißsaal. Von der Idee zur Umsetzung. Fachhochschule Osnabrück. https://www.hebammenforschung.de/fileadmin/HSOS/Homepages/Hebammenforschung/Handbuch_Hebammenkreisssaal.pdf

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