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Vitaminmangel kann zu bleibenden Schäden führen, wie in Zeiten von Mangelernährung – beispielsweise in der Nachkriegszeit – immer wieder deutlich wurde. Doch ab wann muss man von einer mangelhaften Versorgung ausgehen? Die Ernährungsfachgesellschaften von Deutschland, Österreich und der Schweiz geben mit den D-A-CH-Empfehlungen hilfreiche Orientierungswerte. Dennoch bleibt der Blick auf die individuelle Lebenssituation entscheidend.

Menschen brauchen Vitamine, weil diese neben Mineralstoffen, Spurenelementen, Proteinen und bestimmten Fettsäuren wichtig sind für das Wachstum und die Entwicklung des Körpergewebes. Darüber hinaus erfüllen Vitamine unverzichtbare Funktionen für den Stoffwechsel und dessen Regulation. Sie können aber nicht im menschlichen Körper aus anderen Nahrungsbestandteilen hergestellt werden. Deshalb müssen sie in ausreichender Menge mit der Nahrung aufgenommen werden und gelten als lebensnotwendig.

Die Bedeutung einzelner Vitamine wurde bekannt, als man entdeckt hat, dass eine Unterversorgung spezifische Mangelerkrankungen hervorruft. So führt beispielsweise ein Vitamin-D-Mangel im fortgeschrittenen Stadium unter anderem zu Rachitis/Osteomalazie, Nebenschilddrüsenüberfunktion und Tetanie (Schek 2009).

Es gibt 13 verschiedene Vitamine, vier davon sind fettlöslich: Vitamin A (Retinoide), Vitamin D (Cholecalciferol und Ergocalciferol), Vitamin E (Tocopherole) und Vitamin K (Phyllochinon, Menachinon und andere).

Alle acht B-Vitamine und Vitamin C sind wasserlöslich. Zu den B-Vitaminen gehören Vitamin B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin) B3 (Niacin), B6 (Pyridoxin), B12 (Cobalamin), Folsäure, Biotin (Vitamin H) und Panthotensäure (Biesalski & Grimm 2011).

Versorgung über die Nahrung

In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen über die Nahrung durch das große und vielfältige Lebensmittelangebot möglich. Dennoch gibt es in allen Gesellschaftsschichten Bevölkerungsgruppen, die bezüglich der Vitaminversorgung als gefährdet gelten. Dazu gehören Personen, deren Nahrungsauswahl und/oder Absorption von Nährstoffen im Darm durch Erkrankungen stark beeinträchtigt ist. Das gilt zum Beispiel bei Alkoholismus, Magersucht, Zöliakie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zustand nach operativen Eingriffen am Magen-Darm-Kanal (beispielsweise zur Gewichtsreduktion) sowie bei Demenz­erkrankungen und anderen Alterserkrankungen, die mit Kau- und Schluckstörungen verbunden sind (Schauder & Ollenschläger 2003).

Darüber hinaus kann aus einer ex­trem einseitigen Ernährungsweise eine Unterversorgung mit Vitaminen resultieren. Gründe für eine stark eingeschränkte Lebensmittelauswahl liegen beispielsweise in einem – kulturell- oder suchtbedingten – übermäßigen Konsum von Produkten mit hohem Kalorien- und geringem Vitamingehalt, wie Süßigkeiten, Kuchen, Snacks und Fastfood.

Manchmal sind auch tatsächlich oder vermeintlich vorliegende Allergien gegen eine große Anzahl von Nuss-, Obst- und Gemüsesorten der Grund für eine vitaminarme Ernährung. In diesem Zusammenhang ist eine gesicherte, ärztliche Diagnose sehr wichtig, damit nicht jahrelang unnötigerweise viele gesunde Lebensmittel vom Speiseplan gestrichen werden.

Oft wird nicht daran gedacht, dass auch Medikamente die Verfügbarkeit von Vitaminen im Körper einschränken können. Vitaminmangelerscheinungen können bei langfristiger Einnahme von Methotrexat (bei Krebs- und rheumatischen Erkrankungen), Acetylsalicylsäure (bei Kopfschmerzen), Antibiotika, Antidepressiva, Cholestyramin (bei Fettstoffwechselstörungen) oder hormonellen Verhütungsmitteln auftreten (Schek 2009).

Schließlich spielt auch das Ausmaß der Sonnenlichtexposition speziell für die Vitamin-D-Versorgung eine wichtige und vielfach unterschätzte Rolle (siehe Tabelle 1).

Besonderheiten?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE), die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), die Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE) und die Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SVE) geben seit 2000 gemeinsame Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr in verschiedenen Altersgruppen heraus, die sogenannten D-A-CH Referenzwerte. Dazu gehören auch besondere Zufuhrempfehlungen für Schwangere und Stillende. Ein im Vergleich zu den gleichaltrigen, nicht schwangeren Frauen erhöhter Bedarf ist demnach erst ab dem vierten Schwangerschaftsmonat gegeben. Folsäure soll allerdings schon vor der Schwangerschaft – spätestens ab vier Wochen prä conceptionem – supplementiert werden, da dieses Vitamin für die Organbildung in den ersten Schwangerschaftswochen benötigt wird und von einer allgemein schlechten Versorgungslage ausgegangen werden muss (Koletzko et al. 2012).

Für Vitamin K, Vitamin C, Biotin und Pantothensäure liegt in der Schwangerschaft nach heutigen Erkenntnissen kein erhöhter Bedarf vor. Bei den anderen Vitaminen geht man von einer Bedarfserhöhung von 8 bis 58 Prozent ab dem zweiten Trimenon aus (siehe Tabelle 2). Bei den Zufuhrempfehlungen der Fachgesellschaften handelt es sich um experimentell ermittelte Durchschnittsbedarfe. Der tatsächliche Bedarf kann, je nach den individuellen Lebensbedingungen (Bewegung, Krankheiten, Stress), schwanken. Deshalb enthalten die Mengenangaben für die empfehlenswerte, tägliche Zufuhr einen Sicherheitszuschlag von 20 bis 60 Prozent. Zubereitungsverluste sind in den Empfehlungen ebenfalls berücksichtigt (DGE 2012).

Da der Körper Vitamine auch speichern kann, müssen die Werte für die empfohlene Zufuhr nicht jeden Tag erreicht werden. Körpervorräte an Vitamin A, D, E und B12 können bei vorher guter Versorgung über Monate bis Jahre aus der Leber freigesetzt werden. Die körpereigenen Vorräte für Vitamin K und die wasserlöslichen Vitamine (ausgenommen Vitamin B12) reichen allerdings maximal einige Wochen (Schek 2009).

Tabelle 1 (Quellen: Schauder, P.; Ollenschläger, G.: Ernährungsmedizin. München, Jena (2003). Schek, A.: Ernährungslehre Kompakt. Sulzbach im Taunus (2009). Biesalski, H. K.; Grimm, P.: Taschenatlas der Ernährung. Stuttgart (2011))

Ausreichend versorgt?

Einen ersten Hinweis auf die Nährstoffversorgung liefert der allgemeine Gesundheitszustand einer Schwangeren. Unspezifische Symptome, wie Infektanfälligkeit, Hautprobleme, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Blässe, Verdauungsstörungen und depressive Verstimmungen können auch durch einen Vitaminmangel (mit-)verursacht sein.

Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Unterversorgung kann die Zugehörigkeit zu einer der genannten Risikogruppen sein, wie zum Beispiel bei einem Vorliegen von Darmerkrankungen, Allergien, Essstörungen oder dauerhafter Medikamenteneinnahme. Außerdem entwickeln auch sehr junge Schwangere, Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften und Frauen mit schnell aufeinander folgenden Geburten aufgrund des erhöhten Bedarfs mit größerer Wahrschein- P

lichkeit einen Mangel an verschiedenen Vitaminen. Daneben gibt es auch noch spezifische Risikogruppen für den Mangel an einzelnen Vitaminen (siehe Tabelle 1).

Die Angaben in Tabelle 2 geben einen Überblick über die Mengen an einzelnen Lebensmitteln, die bei einer „Durchschnittsschwangeren” den Vitaminbedarf decken können. Unter anderem zeigt diese Tabelle, dass nicht nur Obst und Gemüse, sondern alle Lebensmittelgruppen zur Vitaminversorgung beitragen. Das Lebensmittel mit dem höchsten Vitamingehalt ist Leber (beispielsweise vom Rind, Schwein oder Geflügel), da sie – genau wie beim Menschen – der Speicherort für die meisten Vitamine ist. Leber kann Schwangeren als Vitaminlieferant dennoch nicht empfohlen werden, da der Gehalt an Vitamin A in einer normalen Portion häufig den Bedarf um ein Vielfaches überschreitet und die Gefahr einer Überdosierung und damit einhergehenden Fruchtschädigung besteht.

Wenn eine oder mehrere Lebensmittelgruppen gar nicht oder nur sehr selten in der täglichen Ernährung vorkommen – wie beispielsweise bei Veganerinnen –, kann durch eine professionelle Ernährungsanamnese geklärt werden, ob trotzdem zu erwarten ist, dass alle essenziellen Nährstoffe in ausreichender Menge über die Nahrung aufgenommen werden. Zu diesem Zweck wird in der Regel ein ein- bis zweiwöchiges Ernährungsprotokoll angefertigt und softwaregestützt ausgewertet (Lückerath & Müller 2011).

Der sicherste Weg, einen latenten oder subklinischen Mangel – der oft schon mit unspezifischen Symptomen einhergeht – aufzudecken, ist die Erfassung des Vita­minstatus anhand von Plasma-, Serum- oder Erythrozytenkonzentrationen. Teilweise kann auch die Ausscheidung von Vitaminabbauprodukten (Metaboliten) im Urin zur Beurteilung der Versorgung herangezogen werden. Spezifische Mangelsymptome für einzelne Vitamine sind in Tabelle 1 aufgeführt. Sie treten allerdings in der Regel erst im Stadium des klinischen (manifesten) Mangels auf. Im Spätstadium des klinischen Mangels bleiben diese Symptome dann oft sogar dauerhaft bestehen; beispielsweise können aus einem schweren Vitamin B12-Mangel der Mutter in der Schwangerschaft und Stillzeit irreversible Entwicklungsstörungen des Kindes resultieren.

Wann Vitamine supplementieren?

Für eine adäquate Vitaminversorgung muss nicht auf ökologisch produziertes Obst und Gemüse zurückgegriffen werden. Der Vitamingehalt hängt vor allem von den klimatischen Anbaubedingungen, den Lagerungsbedingungen, der Lagerdauer und von der Sorte ab, aber nicht in erster Linie davon, ob es sich um konventionelle oder Bioprodukte handelt. Ökologisch erzeugte Produkte haben allerdings unter anderem den Vorteil, dass der durchschnittliche Gehalt an Schadstoffen geringer ist. Ovo-Lacto-Vegetarierinnen (pflanzliche Ernährung inklusive Eier und Milch, Verzicht auf Fleisch und Fisch) sind in der Regel gut, häufig sogar besser mit Vitaminen versorgt als Nicht-Vegetarierinnen.

Zu den kritischen Vitaminen in der Schwangerschaft gehören Vitamin D und Folsäure, bei Veganerinnen (rein pflanzliche Ernährung ohne Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig) auch das Vitamin B12.

Vitamin D

Vitamin D spielt eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel und sorgt in Kombination mit Calcium und den beiden Hormonen Calcitonin und Parathormon für ein gesundes Knochenwachstum und die Gesunderhaltung des Skeletts. Gleichzeitig ist Vitamin D auch für die Funktion der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die Übertragung von Nervenimpulsen, die Aktivierung der T-Helfer-Zellen im Immunsystem und für die Krebsabwehr von Bedeutung (Schauder et al. 2003 S. 89 f.). Beim Embryo beziehungsweise Fötus ist Vitamin D wichtig für die Entwicklung des Zentralen Nervensystems, des Skeletts, der Lunge und des Immunsystems. Auch wenn die Forschungslage auf diesem Gebiet noch nicht als gesichert betrachtet werden kann, gibt es doch Hinweise darauf, dass ein Vitamin-D-Mangel in der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Präeklampsie (Dror & Lindsay 2010), Frühgeburtlichkeit (Dror & Lindsay 2010), Sectiones (Scholl et al. 2012) und postpartale Depressionen (Cassidy-Bushrow et al. 2012) einhergeht.

Insbesondere in Kombination mit Milchkonsum trägt Vitamin D zu einer Gewichtszunahme des Kindes im Mutterleib bei. Ein Glas Milch pro Tag erhöht das Geburtsgewicht im Schnitt um 41 Gramm. Pro täglich zusätzlich aufgenommenem Mikrogramm Vitamin D steigt das Geburtsgewicht um elf Gramm (Mannion et al. 2006).

Im Durchschnitt werden etwa 90 Prozent des Vitamin-D-Bedarfs durch die Bildung der aktiven Vitamin-D-Form aus einer Vorstufe (7-Dehydrocholesterol) in der Haut durch die UV-B Strahlung des Sonnenlichts gedeckt. Die Zufuhrempfehlung für Schwangere über die Nahrung bei fehlender Sonnenlichtexposition ist erhöht worden: Sie liegt seit 2012 nicht mehr bei 10, sondern bei 20 Mikrogramm Vitamin D pro Tag (DGE 2012).

Gute Nahrungsquellen für Vitamin D sind vor allem fettreiche Fische wie Hering, Lachs oder Makrele. Daneben tragen auch Butter, Margarine, Eier und Milch zur Vitamin-D-Versorgung bei. Allerdings kann eine orale Aufnahme von 20 Mikrogramm pro Tag ohne Supplementation kaum erreicht werden, es sei denn man verzehrt jeden Tag etwa 100 Gramm fettreichen Seefisch. Die Versorgung mit Vitamin D ausschließlich über pflanzliche Nahrung ist kaum möglich, da nur Pilze und Avocados Vitamin D in nennenswerter Menge enthalten – jeweils 2 bis 5 Mikrogramm pro 100 Gramm.

Veganerinnen nehmen dadurch nur wenig Vitamin D mit der Nahrung auf. Aber vor allem Frauen, die sich nicht ausreichend im Freien aufhalten, riskieren eine Unterversorgung. Gefährdet sind insbesondere Migrantinnen mit dunkler Hautfarbe (da bei dunkler Hautfarbe eine geringere Vitamin-D-Produktion in der Haut stattfindet) und Frauen, die auch im Sommer große Teile des Körpers mit Kleidung bedecken (ein Teil der Musliminnen). Auch die ausnahmslose Benutzung von Sonnenschutzcremes mit hohem Lichtschutzfaktor und die Einnahme von Antiepileptika beeinträchtigen die Vitamin-D-Versorgung.

Eine gute Vitamin-D-Versorgung in den Wintermonaten stellt für viele Schwangere unter den heutigen Lebensbedingungen eine Herausforderung dar. Im Zweifelsfall sollte der Status überprüft und eine Supplementierung erwogen werden. Bei einer Zugabe von Vitamin D über Nahrungsergänzungsmittel muss allerdings beachtet werden, dass maximal 100 Mikrogramm Vitamin D pro Tag aufgenommen werden sollten. Bei einer höheren Zufuhr über einen längeren Zeitraum können unerwünschte Nebenwirkungen wie Nierensteine oder Nierenverkalkungen auftreten.

Tabelle 2: Referenzwerte für die Vitaminzufuhr für Frauen im Alter zwischen 15 und 51 Jahren und für Schwangere (D-A-CH Referenzwerte der DGE, ÖGE, SGE/SVE 2013)

Folsäure

Die Wirkformen der Folsäure sind als Coenzyme unter anderem an der Umwandlung von Aminosäuren und der Synthese von DNA und RNA beteiligt. Folsäure spielt eine zentrale Rolle bei der Zellteilung. Symptome eines Folsäuremangels sind beispielsweise Entzündungen im Mund, Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfall (bedingt durch Schleimhautveränderungen) sowie Reizbarkeit, Appetitmangel und Konzentrationsstörungen. Bei langfristiger Unterversorgung entwickelt sich eine makrozytäre Anämie, zudem ist das Risiko für Arteriosklerose– und damit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – sowie für Demenzerkrankungen erhöht.

Ein Folsäuremangel in der Schwangerschaft kann zu fetalen Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekten (Spina bifida) und Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sowie Fehlbildungen der Harnwege und des Herzens führen. Eine ausreichende Folsäureversorgung ist für eine gesunde Organentwicklung des Embryos in den ersten Schwangerschaftswochen unverzichtbar, aber nur etwa ein Siebtel aller Frauen im gebärfähigen Alter verfügen über einen optimalen Folsäurestatus (Max Rubner Institut 2008).

Folsäure ist vor allem in grünem Blattgemüse, wie Feldsalat und Spinat (folium, lateinisch: „das Blatt”) und Früchten, wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren und Orangen enthalten.

Aus Untersuchungen an Skelettfunden der Vorläuferformen des Homo sapiens weiß man inzwischen, dass grüne Blätter von Bäumen und Sträuchern, Wildkräuter und Gräser im Verlauf der Menschheitsgeschichte zu den wesentlichen (und folsäurereichen) Nahrungsquellen gehörten. Auch das Fleisch erlegter Wildtiere war durch natürliches Pflanzenfutter anders zusammengesetzt als das Fleisch aus der heutigen landwirtschaftlichen Produktion (Sponheimer et al. 2013). Die genetische Ausstattung des heutigen Menschen scheint immer noch auf diese vergleichsweise energieärmere sowie vitamin-, mineralstoff- und ballaststoffreiche Kost ausgerichtet zu sein. Das ist unter anderem daran erkennbar, dass Menschen, die wenig Fleisch, Wurst, Zucker und Fertigprodukte, aber viel Gemüse und Obst sowie eher Fisch statt Fleisch verzehren, weniger Zivilisationskrankheiten entwickeln und eine durchschnittlich längere Lebenserwartung haben (Orlich et al. 2013). Viel (Blatt-)Gemüse und Obst zu essen, entspricht somit immer noch dem „genetischen Programm” des Menschen, aber nicht mehr der üblichen Ernährungsweise – auch der meisten Schwangeren.

Um die für die präkonzeptionelle Phase und den Beginn der Schwangerschaft empfohlene Folsäurezufuhr von 550 Mikrogramm pro Tag zu erreichen, wäre der Verzehr von etwa 700 Gramm Spinat oder 180 Gramm weißen Bohnen oder 500 Gramm Brokkoli oder 900 Gramm Erdbeeren notwendig. Durch die Kombination verschiedener Folsäurelieferanten kann man der Zufuhrempfehlung nahe kommen. Aber die Nationale Verzehrstudie II (NVS II) der DGE aus dem Jahr 2012 konnte zeigen, dass die mittlere Folsäureaufnahme von Frauen im gebärfähigen Alter in Deutschland zwischen 153 Mikrogramm pro Tag (15- bis 18-Jährige) und 185 Mikrogramm pro Tag (51- bis 85-Jährige) (DGE 2012) liegt. Die empfohlene Zufuhr für Erwachsene in diesen Altersgruppen liegt bei 300 Mikrogramm pro Tag.

Mit einer Folsäuresupplementation in der empfohlenen Höhe von 400 Mikrogramm pro Tag spätestens ab vier Wochen vor der Empfängnis bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels (DGE 2013) erreichen die meisten Frauen die für diesen Zeitraum empfohlene Folsäureaufnahme von 550 Mikrogramm pro Tag. Auch wenn dadurch das Risiko für Neuralrohrdefekte und andere Fehlbildungen nicht völlig ausgeschaltet werden kann, so ergibt sich dadurch eine erhebliche und einfach durchzuführende Risikoreduktion. Die Gesamtzufuhr von Folsäure sollte 1.000 Mikrogramm pro Tag nicht überschreiten.

Tabelle 3: Lebensmittelgruppen als Vitaminlieferanten

Vitamin B12 (Cobalamine)

Vitamin B12 ist wichtig für die Zellteilung, Blutbildung und das Nervensystem und hat somit ähnliche Funktionen wie Folsäure. Ein Vitamin B12-Mangel kann zu einer perniziösen Anämie und diversen neurologischen Schäden führen. Als Symptome der Anämie treten Müdigkeit, Tachykardie, Blässe und Schwindel auf. Zu den neurologischen Symptomen gehören Taubheitsgefühle und Kribbeln in Händen und Füßen. Bei Säuglingen und Kindern führt ein Vitamin B12-Mangel zu schweren Entwicklungsstörungen.

Vitamin B12 kann nur in Anwesenheit des Intrinsic Factor aufgenommen werden, der von den Belegzellen des Magens gebildet wird. Der Intrinsic Factor (ein spezielles Glykoprotein) bildet zusammen mit Vitamin B12 einen Komplex. Durch die Bindung an den Intrinsic Factor wird Vitamin B12 vor der Zersetzung durch Verdauungsenzyme geschützt. Dementsprechend kann es durch eine chronische Magenschleimhautentzündung (Gastritis) oder durch andere Erkrankungen, die mit einem Mangel an Intrinsic Factor einhergehen, zu einem Vitamin B12-Mangel kommen. Auch bei Morbus Crohn ist die Versorgung mit Vitamin B12 gefährdet, da die Aufnahme des Vitamin B12-Intrinsic Factor-Komplexes im Ileum erfolgt.

Der D-A-CH-Referenzwert für Schwangere liegt bei 3,5 Mikrogramm pro Tag. Diese Empfehlung kann beispielsweise durch zwei Eier oder 100 Gramm Rindfleisch (Muskel) beziehungsweise 50 Gramm Hering erreicht werden. Das in Fleisch, Fisch, Milch oder Eiern enthaltene Vitamin B12 entstammt Mikroorganismen in der Darmflora von Tieren. Es wird in Muskeln, Leber und anderen Organen der Tiere gespeichert. Auch im menschlichen Darm lebende Mikroorganismen produzieren Vitamin B12. Allerdings geschieht dies ausschließlich im Colon, wo eine Resorption nicht stattfinden kann. Eine Selbstversorgung ist somit nicht möglich. Über eine rein pflanzliche (vegane) Ernährung lässt sich der Vitamin B12-Bedarf ebenfalls nicht decken. Entgegen weit verbreiteter Meinung enthält milchsäurevergorenes Gemüse wie beispielsweise Sauerkraut allenfalls Spuren von Vitamin B12. Die Versorgung kann auch nicht über den Verzehr von ungewaschenem, durch Mikroorganismen verunreinigtem Gemüse gewährleistet werden. Bei einem Umstieg auf eine vegane Ernährung reichen die Reserven an Vitamin B12 unter Umständen noch mehrere Monate bis Jahre. Ein völliger Verzicht auf Lebensmittel tierischer Herkunft birgt bei Schwangeren – ähnlich wie ein Folsäuremangel – ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen der Kinder, beispielsweise auch für Neuralrohrdefekte. Daher sollten Veganerinnen auf jeden Fall Vitamin B12 in der Schwangerschaft supplementieren.

Checkliste
Fragen für eine erste Einschätzung der Nährstoffversorgung (bezogen auf alle wichtigen Nährstoffe):

  • Werden täglich Milch und Milchprodukte verzehrt?
  • Wie sieht es mit dem Obst- und Gemüsekonsum aus? (Stichwort: Fünf am Tag)
  • Werden täglich pflanzliche Öle verwendet und gelegentlich Nüsse oder Mandeln gegessen?
  • Kommen täglich Vollkornprodukte und Kartoffeln, Reis oder Nudeln als Kohlenhy­dratlieferanten zum Einsatz?
  • Wird jodiertes Speisesalz verwendet und gibt es zwei Fischmahlzeiten pro Woche? (davon eine Portion fettreicher Meeresfisch wie Hering, Lachs oder Makrele)
  • Kommen Fleisch (beziehungsweise Fleisch-
  • produkte) und Eier in der Ernährung vor?
  • Wird der Flüssigkeitsbedarf über Wasser, Säfte, Früchte- und Kräutertees gedeckt?
  • Wird täglich im Mittel eine halbe bis eine Stunde im Freien verbracht?

Multivitaminpräparate?

Man kann einen guten Ernährungszustand durch die Einnahme von Vitaminpräparaten nicht verbessern. Wer nicht zu einer Risikogruppe gehört und sich ausgewogen ernährt, wird auch in der Schwangerschaft mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Vitaminmangel entwickeln.

Wer auf der anderen Seite durch Krankheiten oder eine ungünstige kulturelle Prägung täglich eine schlechte Auswahl trifft, wird die daraus entstehenden gesundheitlichen Nachteile nicht vollständig durch Nährstoffsupplemente ausgleichen können. Obst, Gemüse, Nüsse und Vollkornprodukte liefern dem Körper neben Vitaminen und Mineralstoffen auch eine Vielzahl von sekundären Pflanzenstoffen – natürlichen Farb-, Geschmacks- und Aromastoffen mit vielfältigen positiven Wirkungen – und Ballaststoffen, die für die Darmflora und die Darmperistaltik bedeutsam sind.

Einzelne Vitamine oder auch Kombipräparate können in der Schwangerschaft kurzfristig zum Einsatz kommen, wenn ein Vitaminmangel nachgewiesen ist oder ein begründeter Verdacht auf eine Unterversorgung mit Vitaminen besteht. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass die empfohlene Tagesdosis für die einzelnen Vitamine nicht überschritten wird. Eine langfristige Einnahme von Vitaminpräparaten scheint auf Dauer eher mit gesundheitlichen Nachteilen als mit Vorteilen verbunden zu sein (Bjelakovic et al. 2007).


Hinweis: Zu diesem Artikel finden Sie auf der E-Learning-Plattform des Deutschen Hebammenverbandes (www.hebammen-fortbildung.de) einen Fragenkatalog, mit dem Sie Ihr Wissen prüfen und nach bestandenem Test Fortbildungspunkte sammeln können.


Zitiervorlage
Borrmann B: Folsäure und andere Vitamine: Genügt eine gute Ernährung? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (8): 32–37
Literatur
Bjelakovic, G.; Nikolova, D.; Gluud, L.L.; Simonetti, R.G.; Gluud, C.: Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention: systematic review and meta-analysis. JAMA. 297(8), 842–57 (2007)

DGE – Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Maßnahmen zur Verbesserung der Folatversorgung in Deutschland. DGE http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=670 [abgerufen am 2.7.2013] (2008)

DGE – Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr.

http://www.dge.de/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=3 [abgerufen am 20.5.2013]

Koletzko, B.; Bauer, C.-P.; Bung, P. et al.: Ernährung in der Schwangerschaft. Handlungsempfehlungen des Netzwerks „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie” Ernährung im Fokus. aid http://www.gesundinsleben.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/Dokumente/Downloads/Medien/handlungsempfehlungen_schwangerschaft_vollversion.pdf (2012)

Lückerath, E.; Müller, S.-D.: Diätetitk und Ernährungsberatung. Stuttgart (2011)

Mannion, C.; Gray-Donald, K.; Koski, K.: Association of low intake of milk and vitamin D during pregnancy with decreased birth weight. CMAJ, 174(9): 1273–1277 (2006)

Max Rubner Institut: Nationale Verzehrstudie II, Ergebnisbericht. Karlsruhe: Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (2008)

Orlich, M.J.; Singh P.N.; Sabate M.D. et al.: Vegetarian Dietary Patterns and Mortality in Adventist Health Study 2. JAMA Intern Med ONLINE FIRST doi: 10.1001/jamainternmed.2013.6473 (2013)

Pawlak R.; Parrott S.J.; Raj S.; Cullum-Dugan D.; Lucus D.: How prevalent is vitamin B(12) deficiency among vegetarians? Nutr Rev. Feb; 71(2):110–7 (2013)

Schauder, P.; Ollenschläger, G.: Ernährungsmedizin. Prävention und Therapie. München (2003)

Schek, A.: Ernährungslehre kompakt: Kompendium der Ernährungslehre für Studierende der Ernährungswissenschaft, Medizin und Naturwissenschaften und zur Ausbildung von Ernährungsfachkräften. Umschau Zeitschriften Verlag. Gießen (2008)

Sponheimer, M.; Alemseged, Z.; Cerling, T.E. et al.: Isotopic evidence of early hominin diets. PNAS Vol. 110, No 26 10513–10518 (2013)

Wuertz, C.; Gilbert, P.; Baier, W.; Kunz, C.: Cross-sectional study of factors that influence the 25-hydroxyvitamin D status in pregnant women and in cord blood in Germany. British Journal of Nutrition May 23:1-8. [Epub ahead of print] (2013)

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