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Beim sogenannten »Flipped Learning« erarbeiten sich Studierende die Lerninhalte selbst. Die Umsetzung erfolgt anschließend am Einsatzort gemeinsam mit den Praxisanleitenden. Letztere sparen bei diesem »umgedrehten Unterricht« einen großen Teil der Präsentations- und Erklärzeit ein. Meist werden Lehrvideos/Tutorials oder Powerpoint-Dateien eingesetzt (siehe Kasten). Solche Filme können von Lernenden jederzeit angehalten und zurückgespult werden. Auftretende Fragen klären sie selbstständig durch Internet- oder Lehrbuchrecherchen.
Sobald du mir beschreiben kannst, wie es in der Simulation der Hebamme gelingt, mit der Situation umzugehen, werden wir ein vertiefendes Anleitungsgespräch führen.«
»Umgedreht« nennt sich diese Lernmethode, weil die Studierenden selbstständig aktiv werden und die Umsetzung unter Aufsicht der Anleitenden geschieht.
Praxisanleiterinnen produzieren ihre eigenen Videotutorials und stellen diese zur Verfügung. Dies spart Zeit, da diese Lehrfilme später weiterhin eingesetzt werden können. So propagieren einige Hochschulen Flipped Learning als neue Vorlesungsform für das 21. Jahrhundert (Handke et al. 2017). Dadurch werde neues Wissen leichter und mit »Entdeckergeist« aufgenommen und motivierend gespeichert (Roth & Ryba 2016).
Im Gegensatz zur gezielten Anleitung, bei der Praxisanleitende meist als Lernmotoren fungieren, werden beim Impulslernen die Studierenden angeregt, noch mehr selbst die Initiative zu ergreifen. Um ein bestimmtes Lernziel oder einen Kompetenzbereich zu erreichen, erhalten sie dafür einen spannenden Auftrag. Beispielsweise kann die qualitative Checkliste »Nahrungs- und Trinkverhalten« an den Tagen sinnvolle Lerntätigkeit ermöglichen, an denen Anleiter:innen schon bei Dienstbeginn wissen, dass es im Verlauf der Schicht arbeitsreich und hektisch werden könnte und sie wenig Zeit für gezielte Anleitungen haben. So beauftragt die Praxisanleiterin die Lernenden morgens zu Dienstbeginn mithilfe einer Beobachtungs-Checkliste mit der tagesaktuellen Essenverteilung und -Einsammlung bei den Müttern. Diese Ankündigung stellt für die Studierenden keine neue oder besondere Herausforderung dar, denn sie helfen fast täglich dabei mit. Interessant wird es für sie erst, wenn die Anleiterin sie bittet, bei der abschließenden Dienstübergabe zu berichten, welche Frauen schlecht oder unzureichend gegessen haben.
Sie können sich vorstellen, mit welcher Konzentration die Lernende ihre Frühstückstabletts verteilt – und wie aufmerksam sie diese wieder einsammelt? Ebenso übernimmt sie den Auftrag bei der Verteilung der Zwischenmahlzeiten und des Mittagessens und vergleicht ihre Beobachtungen mit dem Ergebnis des Frühstücks. Bei der Dienstübergabe berichtet sie detailliert, welche Beobachtungen gemacht wurden. Die »Anleitungsleistung« besteht somit in der zeitsparenden Auftragserteilung und Ergebnisprüfung.
Im Ausbildungsalltag ist die sogenannte »Ball-ins-Tor-Technik« empfehlenswert (Birkenbihl 2011). Die Studierenden sollen selbst erkennen, ob ihr Verhalten richtig ist. Im Fußball weiß die Spielerin bei jedem »11-Meter-Schuss« sofort nach dem Tritt, ob sie erfolgreich war. Sie braucht keine Praxisanleiterin, die ihr sagt, ob der Ball nun drin ist oder nicht. Sie weiß sogar, ob sie tendenziell mehr rechts oder links hätte schießen müssen. Damit kann sie autonom lernen und sich leichter orientieren.
Immer, wenn das Gehirn die Erfahrung macht, etwas verstanden zu haben, fühlen sich Studierende gut und bestätigt. Obwohl dieser Weg für die Studierenden anstrengender ist, als konventionell etwas erklärt zu bekommen, löst es Spaß aus, motiviert und wird intensiver im Gedächtnis verankert (Smolka 2016) . Wenn es uns gelingt, den Lernenden etwas an die Hand zu geben, damit sie selbst entscheiden können, ob ihr Verhalten »State of the Art« (nach aktuellem Stand der Hebammenwissenschaft) durchgeführt wurde, ist der gewünschte Effekt erreicht. Die quantitative Checkliste »Eintritt ins Zimmer« (siehe Kasten) bietet Lernenden während der ersten Einsätze gute Orientierung.
Jetzt kann die geplante Tätigkeit vorgenommen werden. Anschließend, vor Verlassen des Zimmers:
Der Einsatz dieser Checklisten sensibilisiert und trainiert intensiv die Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeit der Lernenden. »Die Neuen« sollen idealerweise an alles denken – können es aber (oftmals noch) nicht. Mit diesem Instrument lässt sich die eingeforderte »Umsicht« operationalisieren, also messbar machen.
Mithilfe der Checkliste evaluieren die Studierenden selbst, ob beispielsweise die richtige Reihenfolge und die Vollständigkeit der Maßnahmen erreicht wurde. Erinnert sei an die alte Praxisanleitungs-Erkenntnis: »Lernende beobachten beim Ausbildungsstart zumeist oberflächlich – wissen es aber (noch) nicht!«
Wochenthemen kombinieren Impulslernen mit autodidaktischem Lernen. Praxisanleitende übernehmen dabei die »Starter- oder Zünderfunktion«. Lernmotoren sind die Studierenden, die dabei mehrere Tage hintereinander Dienst haben sollten. Sie beschäftigen sich mit dem jeweiligen Thema autodidaktisch, sie bilden sich also durch Selbstunterricht.
Die anleitende Hebamme übergibt ihnen am ersten Tag eine Kopie des Arbeitsblatts »Wochenthema X«. An den folgenden drei, vier, fünf oder mehr Tagen erarbeiten sich die Studierenden das Thema eigenständig anhand ihrer Notizen aus dem Ausbildungsplan oder Hochschulunterricht mittels Apps, Hausstandards oder Lehrbuch. Am letzten Tag ist die Thematik abgeschlossen und die Studierenden zeigen in ihrer Performanz (hoffentlich) den Lernerfolg.
Großer (Zeit-)Vorteil ist, dass die Lernenden vorher von den Anleiter:innen keine Informationen benötigen. Praxisanleitende übergeben den schriftlichen Auftrag am jeweiligen Tag (dies dauert Sekunden und kann bei Abwesenheit der Anleiterin von Kolleg:innen übernommen werden) – und erst am Ende des letzten Tages präsentieren die Studierenden ihre Ergebnisse den Praxisanleitenden (Quernheim 2022).
Studierende trainieren beim Fun Learning durch Spiele, die in erster Linie nicht der Unterhaltung dienen. Diese Beschäftigung kann allein oder mit anderen durchgeführt werden. Im zerebralen Belohnungssystem sind Empfindungen von Befriedigung und Freude an die Ausschüttung Lust erzeugender Stoffe gebunden. Durch Ausschüttung des Neuromodulators Dopamin werden Belohnungen – beispielsweise Erste:r zu sein oder eine hohe Punktzahl zu erreichen – in Aussicht gestellt und dadurch unser Verhalten geformt. Wenn Studierende mit ihren Anleitenden herzhaft lachen, »lüftet es die beteiligten Hirne« und steigert die Lernerfolge.
Unter Gamification verstehen wir die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext. Das heißt: Spielinhalte, die unseren Lernenden aus anderen (PC-)Spielen oft vertraut sind – beispielsweise Erfahrungspunkte, Sieger- oder Rangliste bei typischem Wettbewerbsverhalten, Highscores oder virtuelle Güter – steigern die Motivation. Dies macht sich der Spieleerfinder zunutze und gestaltet innovative Lernspiele entsprechend. Forscher:innen um die US-amerikanische Pflegewissenschaftlerin Crystal Day-Black zeigen für die Pflegeberufe, dass diese Spiele die Lernergebnisse wirksam verbessern (Day-Black et al. 2015). Damit wird aktives Lernen umgesetzt. Die »digitale« Studierende kommt in Kontakt mit Engagement, Stimulation, Realismus und Unterhaltung. Im englischsprachigen Raum gibt es zahlreiche Applikationen für unterschiedlichste Berufssettings. Für die Gesundheitsberufe entstehen erste deutschsprachige Anwendungen.
Sogenannte Serious Games sind Spiele, die primär von pädagogischen Zielen geleitet werden (Reynolds, Hodge & Simpson 2017). Der Spielinhalt sollte für den beruflichen Ausbildungshintergrund relevant sein. Forscher:innen des Uniklinikums Freiburg entwickelten beispielsweise ein Computerspiel mit dem Namen Uro-Island. Ziel der Software ist es, Medizinstudierenden die Geheimnisse der Urinanalyse näherzubringen.
Am Ende der Unterrichtswoche schnitten die Spieler:innen besser ab als Kommiliton:innen, die seit Jahrzehnten mithilfe von schriftlichen Skripten und Lehrbüchern gelernt hatten (Boeker et al. 2013). Dagegen werden mit dem Spiel »Playing with Pinzette« innovative Lehrstrategien in der OP-Weiterbildung angestrebt (Paim & Goldmeier 2017). Das Spiel »Nursopardy« wird in der allgemeinen Pflege verwendet, um die Grundlagen über benötigte Pflege-Utensilien zu festigen und die Studierenden bei der Vorbereitung ihrer standardisierten Abschlussprüfung zu unterstützen. Niederländische Wissenschaftler:innen kamen in einer Studie zum Ergebnis: Wer spielt, lernt nicht nur schneller, sondern behält das Erlernte besser in Erinnerung (Luerwig 2016).
Sobald Praxisanleitende oder Lehrende im Ausbildungskontext solche Spiele vorstellen, dreht sich zuweilen das Gefälle. Dann sind manchmal die Lernenden die Spiele-Expertinnen, wobei sich nicht jede Anleitende in einer solchen umgekehrten Situation wohlfühlt. Pauschal muss vor Altersdiskriminierung gewarnt werden, denn es gibt viele innovative Praxisanleitende fortgeschrittenen Alters, die über umfangreiche digitale Kompetenzen verfügen oder sich in diesen von ihren Studierenden »fortbilden« lassen.
Quiz-Apps und Unterhaltungssendungen im Fernsehen machen es vor: Wissensgebiete lassen sich im Gegensatz zu sturem Auswendiglernen leichter und mit mehr Freude erschließen, wenn spielerische »Frage-Antwort-Situationen« geschaffen werden. Vielleicht gibt es innerhalb ihrer Regeln den »Publikumsjoker« (eine Person aus dem Team fragen), den »Telefonjoker« (Kommiliton:innen anrufen) oder den »50/50-Joker«? Probieren Sie dies an Ihrem Arbeitsplatz aus. Anleitende finden zum Teil kostenlose Apps im Netz, die sich mit eigenen Fachfragen recht einfach ausstatten lassen. Ebenso bieten die Materialien im Kasten »Links und Quellen« Anregungen, selbst Podcasts, Vodcasts oder Videotutorials zu erstellen.
>> https://www.med-docare.de/pflege-wiki/
Onlinekurse
>> https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=58169&mstn=7
>> https://wb-web.de/material/medien/lokale-lerngruppen-zu-moocs.html
Material
>> https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/sites/konstruktiv/Materialien/04_MOOCs_und_flexible_Curricula.pdf
Anregungen und Tipps Wiki selbst erstellen
>> https://praxistipps.chip.de/eigenes-wiki-erstellen-die-3-besten-anbieter_36727
>> https://tipps.computerbild.de/internet/websites/wiki-selbst-erstellen-748433.html
Anregungen Podcast selbst erstellen
>> https://www.podcastinsights.com/de/start-a-podcast/
>> https://podcastwonder.com/den-eigenen-podcast-starten/
Anregungen Video-Podcast (Vodcast) selbst erstellen
>> https://upload-magazin.de/819-grundlagen-dein-eigener-video-podcast/
>> https://www.grin.com/document/342820
Besonders für neue Lernende und Mitarbeitende eignen sich Orientierungsspiele. Dadurch gelingt es ihnen, sich leichter und schneller in der Einrichtung zu orientieren. Die Abbildung stellt schemenhaft den Grundriss einer Pflegestation vor. Diese Raumaufteilung könnte an die Verhältnisse von Kreißsaal und Ihren Arbeitsbereichen modifiziert werden.
In der Abbildung wurden die Räume mit Buchstaben gekennzeichnet. Nun erhält die Lernende eine Kopie mit Fotos von wichtigen Gerätschaften und Arbeitsutensilien, beispielsweise Bilder des Lagerortes von Ampullen, Infusionen oder des Ambubeutels. Diese Bilder sind nummeriert. Mit Hilfe des Plans orientieren sich Studierende leicht in ihrem neuen beruflichen Zuhause und sollen nun die Gerätschaften (Nummern) den jeweiligen Räumen (Buchstaben) zuordnen. Wenn es ihnen gelingt, finden sie das gesuchte Lösungswort.
Ähnliches lässt sich als »Schnitzeljagd« für ein größeres Klinikgelände oder Gebäude erstellen. Mit Witz und Spaß entdecken die Lernenden, wo die Cafeteria, das Labor, der OP und die Diagnostik sind. Gerne helfen Studierende höherer Semester bei der Erstellung solcher Spiele. Sie haben oftmals kreative und spannende Ideen.
Durch Anleitungen mittels spielerischem und entdeckendem Lernen investieren Sie sinnvoll und nachhaltig in Studierende, neue Mitarbeitende und Praktikant:innen. Allerdings: Wer mehr Zeit haben will, um die große Bandbreite des Hebammenberufs in der Praxis vorzuleben, sollte zunächst Zeit investieren. Die Angeleiteten können dadurch künftig Tätigkeiten in hoher Qualität übernehmen und entlasten das Team. Praxisanleitende sollten aus ihrer Einzelkämpferrolle heraustreten: Der Ausbildungsauftrag inklusive der Anleitung von Studierenden gehört zu den typischen Tätigkeiten aller Gesundheitsfachberufe. Fordern Sie darum von Ihren Kolleg:innen Unterstützung ein.
Klar, die ersten Ausarbeitungen dieser Art benötigen Zeit. Denn Checklisten, Wochenthemen und Spiele konzipieren sich nicht von allein. Hier kommt ein neuer Aspekt hinzu: Lernende, die diese Anleitungsform zum ersten Mal erleben, sind durch die motivierende Art oft so positiv beeindruckt, dass sie selbst Ideen zur Weiterentwicklung einbringen. Und wenn Sie dann mit ihnen überlegen, welche weiteren interessanten und lehrreichen Themen angeboten werden könnten, übernehmen die derzeitigen Studierenden oftmals die Initiative. Nutzen Sie diese!
Zwischenzeitlich wurden E-Learning-Module zur Qualifizierung und Fortbildung von Praxisanleitenden (www.Anleiten2Go.de) entwickelt. Aufgrund zwölfjähriger Erfahrung in der Weiterbildung von Praxisanleiter:innen in der Schweiz, kann der Autor weitere Lehrfilme für Hebammen zur Verfügung stellen. Weitere Anregungen zur Praxisanleitung können in der soeben erschienenen Neuauflage nachgelesen werden:
Quernheim G: Spielend anleiten und beraten. Praktische Pflegeausbildung kompetent gestalten.
Urban & Fischer in Elsevier. Amsterdam 2022. ISBN: 978–3–437– 26884–7
Boeker M et al.: Game-based e-learning is more effective than a conventional instructional method: PloS one 2013. 8(12): 82328
Day-Black C et al.: Gamification: An Innovative Teaching-Learning Strategy for the Digital Nursing Students in a Community Health Nursing Course. The ABNF journal. 2015. 26(4): 90–94
Gesellschaft für Informatik: Leitlinien Pflege 4.0 Handlungsempfehlungen für die Entwicklung und den Erwerb digitaler Kompetenzen in den Pflegeberufen. Berlin 2017
Handke J et al.: Vorlesung verkehrt, aber richtig. Philipps-Universität Marburg. www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2012b/invertedclassroom
Luerwig F: Leben im digitalen Zeitalter. Folge 3: Digitale Potenz. Psychologie Heute 2016. (5): 71–75
Paim C, Goldmeier S: Development of an Educational Game to Set Up Surgical Instruments on the Mayo Stand or Back Table: Applied Research in Production Technology, JMIR Serious Games 2017. 5 (1)
Quernheim G: Spielend anleiten und beraten. 6. A. Elsevier. München 2022
Reynolds A, Hodge P, Simpson A: Serious games for mental health. Journal of Psychiatric and Mental Health Nursing 2017. 183–184
Roth G, Ryba A: Coaching, Beratung und Gehirn. Klett-Cotta. Stuttgart 2016
Smolka D (Hrsg.): Schüler motivieren: Konzepte und Methoden für die Schulpraxis. Carl Link Verlag. Neuwied 2016