Die Indikation ist komplex
Die einzige Indikation zur vaginal-operativen Geburtsbeendigung ist die Verkürzung der Durchtrittsperiode im Falle eines kindlichen Notzustandes, in seltenen Fällen wegen mütterlicher Komplikationen. Früher wendete man eine »prophylaktische Zange« auch bei bestimmten Augenerkrankungen an. Episiotomien wurden zur Schonung des Beckenbodens oder zur Vermeidung höhergradiger Dammverletzungen geschnitten. Alle diese Indikationen gelten heute nach aktueller Datenlage als obsolet (Hard 2007; Carolli 2009). Auch andere Kontraindikationen zum Mitpressen werden heute kontrovers diskutiert, beispielsweise bei kardiopulmonalen Erkrankungen der Mutter.
Dennoch verlangt die verantwortungsvolle Indikationsstellung eine komplexe und höchst anspruchsvolle Abwägung. Denn wie immer in der Geburtshilfe müssen die Belastungen, die wir Mutter und Kind zumuten – und indirekt auch allen anderen anwesenden Personen – in einem gesunden Verhältnis zum erhofften Effekt stehen. Beide Seiten dieser Risiko-Nutzen-Abwägung sollten gleichberechtigt in die Überlegungen einbezogen werden. Das bedeutet: Einerseits müssen wir die tatsächliche Gefährdung des Kindes richtig einschätzen. Andererseits benötigen wir eine Vorstellung von den physikalischen Kraftwirkungen, die bei dem konkret vorliegenden geburtshilflichen Befund notwendig werden.
Das klingt auf den ersten Blick einfach und einleuchtend, stellt aber in der Praxis sehr oft eine Herausforderung dar.
Zum einen ist die Einschätzung der konkreten kindlichen Gefährdung nicht selten sehr unsicher, weil wir nur begrenzt auf kindliche Vitalparameter zugreifen können. Neben allgemeinen Zeichen wie grünes Fruchtwasser oder Geburtsgeschwulst stehen nur das CTG und die Mikroblutanalyse zur Verfügung, um den Zustand des Kindes zu beurteilen. Die Datenlage zur Sicherheit des CTG in der Durchtrittsperiode besagt, dass die im FIGO-Score verankerten Beurteilungskriterien in der Durchtrittsperiode nur begrenzt evident sind (Häuser 2018). Auch die Mikroblutanalyse steht in der Kritik, denn sie birgt die Gefahr falsch positiver Werte als Folge eines Settings, das der Geburtsphysiologie grob widerspricht (Rückenlage, Angsttrigger). So kommt es immer wieder vor, dass trotz scheinbar eindeutiger Indizien für einen kindlichen Notzustand bei einer vaginal-operativen Geburt ein völlig unauffälliges Kind entwickelt wird.
Zum anderen ist es nur begrenzt möglich, die für die assistierte Geburt notwendigen physikalischen Kräfte und die damit verbundenen Belastungen abzuschätzen, zumal eine Geburtsgeschwulst möglicherweise einen günstigeren Befund vortäuschen kann.
Indikationen zur vaginal-operativen Geburtsbeendigung
- destruktiver Geburtsstillstand oder stark protrahierte Durchtrittsperiode
- intrauterine Not des Kindes
- Abkürzung der Durchtrittsperiode bei mütterlicher Erschöpfung
- Kontraindikation zum Mitpressen
- Intrauteriner APGAR als Kriterium
Neben dieser objektiven Unsicherheit bei der Risiko-Nutzen-Abwägung für eine vaginal-operative Geburt gibt es ein weiteres Kriterium, das bei der Indikationsstellung zu beachten ist: Welche Ressourcen hat das Kind, um die Belastungen der Prozedur zu kompensieren? Hierbei geht es also nicht um die Einschätzung der aktuellen Gefährdung, sondern um die Frage, ob wir dem sowieso schon belasteten Kind zusätzlich eine operative Geburt zumuten können.
Für die Beurteilung dieser Frage eignet sich das Konzept des »intrauterinen APGAR« (Hildebrandt 2017). Damit wird versucht, die Ressourcen des Kindes und seinen aktuellen Zustand anhand allgemeiner Angaben einzuschätzen. Vereinfacht gesagt, beurteilen wir einerseits die Resilienz, mit dem das Kind in die Geburt hineingegangen ist: Ein Raucherkind wird geringere Reserven haben als das üppig entwickelte Kind einer unbelasteten Schwangeren. Zum anderen blicken wir auf den bisherigen Geburtsverlauf: Bei einer Geburtseinleitung bei unreifem Befund und anschließender Wehenstimulation sind andere Belastungen zu erwarten als bei einer harmonischen, interventionsfreien Geburtsdynamik.
Beide Aspekte werden nun zusammengeführt: Der Idealfall ist ein Kind mit guter Resilienz und ungestörtem Geburtsverlauf. Diesem Kind dürfen wir im Falle einer notwendigen Geburtsbeendigung stärkere Belastungen zumuten. Im Umkehrschluss müssen wir bei einem wenig resilienten Kind, das bei der bisherigen Geburt Schlimmes erlebt hat, jede zusätzliche Belastung besonders kritisch abwägen.
Verantwortungsvoller Indikationsalgorithmus
Diese Überlegungen laufen in einem Indikationsalgorithmus zusammen, der vor jeder Entscheidung zu einer vaginal-operativen Geburtsbeendigung aktiviert werden sollte:
Schritt 1: Grundindikation prüfen
Liegt eine destruktive Geburtssituation vor (mütterlich, kindlich), die eine sofortige Geburtsbeendigung notwendig macht?
wenn NEIN: → abwarten, Störfelder beseitigen
wenn JA: → Schritt 2: Voraussetzungen prüfen
Sind die Voraussetzungen für eine vaginal-operative Geburtsbeendigung gegeben?
- vollständig eröffneter Muttermund und eröffnete Fruchtblase
- Ausschluss Kopf-Becken-Missverhältnis und Stirn-/Gesichtslage
- kindlicher Kopf muss voll in das mütterliche Becken eingetreten sein (Leitstelle muss sich bei vHHL mindestens 2 cm unter der Interspinalebene befinden)
- ausreichende Analgesie (Periduralanästhesie, Pudendusanästhesie, Damminfiltration mit Lokalanästhetika)
- leere Harnblase.
wenn NEIN: → Sectio
wenn JA: → Schritt 3: Zumutbarkeit für das Kind prüfen
Ist eine vaginal-operative Geburtsbeendigung möglich, ohne das bereits belastete Kind zusätzlich zu belasten?
Diese Entscheidung dürfte bei in der Tiefe sichtbarem Kopf leichtfallen. Wenn sich die Leitstelle dagegen erst in Beckenmitte befindet, also erhebliche physikalische Kräfte zur Entwicklung des Kindes notwendig werden, dann muss diese Frage bei einem schwachen und/oder stark vorbelasteten Kind sehr sorgfältig abgewogen werden.
wenn NEIN: → Sectio
wenn JA:→ Schritt 4: Wahl der Methode
Welche der drei vaginal-operativen Methoden ist in dieser konkreten Situation angezeigt? Hier gelten folgende Entscheidungskriterien:
Faustregeln für die Methodenwahl:
- Köpfchen schneidet durch – nur ein straffer Scheidenausgang behindert Geburt des Kopfes → Episiotomie
- starke physikalische Zugkräfte müssen für die Entwicklung des Kindes aufgebracht werden, die eine Energieverteilung auf eine größere Angriffsfläche notwendig machen → Forzeps
- Rotationsbewegungen sind notwendig → Forzeps
- eine Führung der Leitstelle im Geburtsweg ist notwendig → VE
- das Zurückweichen des Köpfchens in der Wehenpause soll verhindert werden → VE
Korrekte Bestimmung des Höhenstandes
Entscheidend für die Beurteilung der zu erwartenden Zugkräfte auf das kindliche Köpfchen ist die Position des Durchtrittsplanums, also des größten Kopfumfangs. Es geht also nicht – wie oft angenommen – um die Tiefe der Leitstelle, die durch eine Geburtsgeschwulst nicht selten stark verfälscht ist.
Die Position des Durchtrittsplanums kann nicht durch eine vaginale Untersuchung direkt bestimmt werden. Sofern keine Geburtsgeschwulst die Messung verfälscht, kann man hilfsweise die Leitstelle verwenden und von ihrer Position 4 cm abziehen (siehe Kasten).