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Wie es sich anfühlt, wenn eine junge Mutter von Angst und Erschöpfung überwältigt wird, wie sie in einer tiefen Wochenbettdepression versinkt und den Ernst ihrer Lage selbst erst erkennt, als sie kurz vor einer Psychose steht.

Niemand durfte dieses Kind anfassen. Auf keinen Fall durfte jemand mit ungewaschenen Händen in die Nähe des Babys kommen. Und am besten wäre es, wenn niemand unsere Wohnung betreten würde. Allein der Gedanke war unaushaltbar. Wir lebten wochenlang in Isolation.

Vor Angst erstarrt

Nach einer Fehlgeburt war ich nach langer Wartezeit endlich erneut schwanger. Nach dem Bangen, ob ich länger als zwölf Wochen schwanger bleiben könnte, folgten seltsame Beschwerden, die sich als Frühgeburtsbestrebungen erwiesen. Ich spürte leichte Kontraktionen und die Ärztin diagnostizierte einen leicht verkürzten Muttermund, so dass ich viele Monate liegend verbringen musste. Das ungeborene Baby sollte noch lange wachsen und ich wollte alles tun, um ihm das zu ermöglichen.

Die Angst, auch dieses Kind frühzeitig zu verlieren, bestand seit dem Schwangerschaftstest. So beschnitt ich meine Lebensqualität über jegliches normale Maß hinaus: erlaubte mir nur Toilettengänge und kurzes Aufstehen, um Essen zuzubereiten. Die meiste Zeit schaute ich Serien oder Filme und beschäftigte mich auf der Couch.

Vereinzelt besuchte mich eine Hebamme oder ich fuhr zur Beckenbodenstärkung in eine Physiotherapiepraxis. Es fühlte sich an, als wäre ich auf eine einsame Insel verbannt worden, auf der jede Bewegung sorgfältig abgewogen werden musste. Die Hebamme versuchte mir Mut zuzusprechen, ging aber weniger auf meinen gesundheitlichen Zustand und die Isolation ein. Wegen der vergangenen Fehlgeburt besuchte ich einige Male eine Psychotherapeutin, die sich auf unerfüllte Kinderwünsche spezialisiert hatte. Da ich nun schwanger war, passte sie ihre Sitzungen auf die aktuelle Situation an. Die Behandlung schlug jedoch nicht wie gewünscht an – dennoch vereinbarte ich weitere Gesprächstermine.

Dem Kind zuliebe keine Psychopharmaka

Schon im Verlauf der Schwangerschaft bemerkte ich neue, ungesunde Verhaltensmuster. Ich vermied ungeschältes Obst und kochte jedes Gemüse ab. Außerdem achtete ich vermehrt auf Hygiene, putzte sehr viel und desinfizierte mir die Hände, wann immer es möglich war. Ich war die meiste Zeit allein, und lebte in einer Wolke aus Angst um das Kind in meinem Bauch und zählte die Tage bis zum errechneten Geburtstermin.

Dankbar für jedes Ultraschallbild und jede scheinbare Sicherheit, dass es dem Kind gut ging, besuchte ich fast jede Woche die Gynäkologin. Sie ist ausgebildete Psychotherapeutin und dadurch sensibilisiert, auf psychische Probleme zu achten. Da sie aufgrund der aktuellen Schilderungen und der vergangenen Erfahrungen Handlungsbedarf sah, überwies sie mich gegen Ende der Schwangerschaft an eine Psychiaterin. Ich erhielt ein Rezept und die Empfehlung, sofort mit der Medikation zu beginnen. Niedrig dosiert würde diese keinen Schaden beim Ungeborenen verursachen. Da durch die hormonellen Veränderungen nach der Geburt mit noch größeren Problemen zu rechnen war, wurde ich auf die dringliche Notwendigkeit der Medikation hingewiesen. Die Zeit nach der Geburt lag jedoch außerhalb meiner Vorstellungskraft und die Angst, dem ungeborenen Kind zu schaden, überwog, so dass ich davon absah. In meiner Vorstellung gab es nur die Schwierigkeit, das Kind auszutragen. Ich hatte keine Angst oder Respekt vor dem, was danach kommen würde, obwohl die Psychotherapeutin versuchte, mich darauf vorzubereiten. Der Gedanke, in der Schwangerschaft ein Medikament einzunehmen, verunsicherte mich zu stark, als dass ich ein Risiko eingehen wollte.

Meinem Körper konnte ich durch die Erfahrungen der letzten Monate nicht mehr vertrauen und so entschied ich mich gegen die geplante Geburt im Geburtshaus. Stattdessen stimmte ich aus Angst und Kraftlosigkeit einer Einleitung zu. Ich hatte weder das Vertrauen, dass das Kind selbst entscheiden würde, wann es auf die Welt kommen wollte, noch, dass mein Körper in der Lage sein würde, eine gesunde Geburt im Geburtshaus zu vollbringen. Die Geburt wurde im Krankenhaus durch Cytotec eingeleitet, dauerte nicht lange, aber fühlte sich schrecklich und überwältigend an.

Unkontrollierte Furcht vor Krankheiten

Als unser Baby dann auf die Welt kam, hatte es Anpassungsschwierigkeiten. Schon nach wenigen Stunden begann es zu husten und hatte Schwierigkeiten beim Atmen. Die Ärzt:innen diagnostizierten erhöhte Entzündungswerte. Es wurde in ein Überwachungsbett außerhalb meines Zimmers gelegt, um seine Vitalparameter zu kontrollieren. Die Trennung und die Sorge um das Baby erschütterten mich erneut.

Nach zwei Tagen durften wir wieder gemeinsam in einem Zimmer schlafen und auch am Tag Zeit miteinander verbringen, aber sein Gesundheitszustand erschien mir von nun an fragil, was dazu führte, dass ich meinen Sohn mit aller Kraft beschützen wollte. Die zuvor verordneten Psychopharmaka lehnte ich erneut ab. Die Gefahr, dass etwas in die Muttermilch übergehen konnte, bestand zwar nicht, aber das schien meiner Vernunft nicht mehr zugänglich. Die Angst, das neu gewonnene Glück wieder zu verlieren, prägte jede meiner Entscheidungen, jede meiner Handlungen. Ich hatte kein Gefühl mehr dafür, wie weit entfernt ich von psychischer Gesundheit war.

Die Herausforderungen setzten sich fort, als wir das Krankenhaus verließen. Die Freude, mit einem gesunden Baby nach Hause zu kommen, wurde überschattet von der Last, die das Stillen und die tägliche Fürsorge mit sich brachten. Ich hatte nicht genug Kraft, allein aufzustehen oder unser Baby zu tragen. In der zweiten Woche nach der Geburt konnte ich das Bett langsam wieder verlassen, aber trotzdem war alles so anstrengend, dass ich viel Zeit liegend verbrachte.

Der Gedanke an das Abstillen wurde zur fixen Idee, getrieben von der verzweifelten Sehnsucht nach Schlaf und Erholung. Es stellte sich weiterhin kein normales Leben in unserer neuen Familie ein. Alles war für mich darauf ausgerichtet, den Tag und die Nacht zu überstehen und endlich mehr Kraft zu entwickeln. Es kam mir gelegen, dass die Temperaturen nicht darauf ausgelegt waren, viel Zeit im Freien zu verbringen. Der Winter war in diesem Jahr besonders kalt, so dass die Hebamme uns bat, in den ersten Wochen nicht nach draußen zu gehen, um die Lungen des Babys noch etwas zu schonen.

Verließen wir nach einigen Wochen das Haus und die Füße meines Sohnes wirkten kalt, brach für mich eine Welt zusammen. Ich war mir sicher, dass er sich erkältet hatte. Jede Erkältung schien für dieses Baby gefährlich. Freunde und Verwandte mussten Abstand halten und sich nach dem Betreten der Wohnungen die Hände waschen. Hinzu kamen Sorgen, dass er sich mit gefährlichen Bakterien oder Viren infizieren könnte. Die Gedanken kreisten, spitzten sich zu. Grundlage war vor allem meine tiefe Erschöpfung. Ich hatte keine Kraft mehr für etwas, das über ein gesundes Kind hinausging.

Auch das Essen bereitete mir Angst. Würde ich mich mit etwas anstecken, krank werden, würde ich noch erschöpfter werden? Also aß ich kaum noch und wenn, bereitete ich es selbst zu, um die scheinbare Kontrolle nicht zu verlieren. Als mein Partner mir ein Essen zubereitete, lehnte ich es ab und erklärte ihm, dass ich es nicht essen konnte. Bei allem Verständnis wurde er in diesen Momenten stutzig und wütend.

Verdacht auf Wochenbettdepression

Jede Woche entzündete sich nun auch noch meine Brust durch das Stillen und ich versuchte, die Kontrolle darüber zu behalten. Vor der Geburt hatte ich mich nicht mit dem Stillen auseinandergesetzt, wusste wenig über die damit verbundenen Anstrengungen und hatte noch nie von einem Milchstau gehört. Meine Milchproduktion war durch die Erschöpfung dereguliert. Ein Wecker klingelte alle drei Stunden in der Nacht, um das Baby zu stillen, das eigentlich nicht darum bat. Aber die Brust durfte nicht zu voll werden, also weckte ich das friedlich schlafende Baby, bevor es mich wecken konnte, um einen Milchstau zu verhindern. Ich hatte ein eigenes System entwickelt, um dem vorzubeugen. Zwischen den Stillmahlzeiten konnte ich jedoch nicht mehr einschlafen. Der Druck hielt mich wach. Irgendwann konnte ich innerhalb von drei Tagen nur ein paar Stunden schlafen und döste bereits im Sitzen auf dem Stuhl ein. In meinem Kopf schien es logisch, dass ich abstillen musste, um wieder schlafen zu können und um diese Verantwortung, die Ernährung eines Babys, abgeben zu können.

Die Hebammen unterstützten mich jedoch kaum in diesem Vorhaben. Es schien für sie nicht die bevorzugte Lösung des Problems zu sein. Stattdessen brachten sie mir eines Morgens zum Hausbesuch einen Fragebogen mit, um herauszufinden, ob ich an einer Wochenbettdepression erkrankt war.

Ich fühlte mich nicht traurig. Deshalb konnte ich das nicht glauben. Auch mein Mann konnte es nicht glauben. Der Test bestätigte es jedoch. Dem Ergebnis des Tests waren, so wie mein Mann und ich uns erinnern, aber keine wirklichen Hinweise oder Empfehlungen gefolgt.

Eine Depression war für mich ein Zustand, in dem es Menschen nicht möglich war, Freude zu empfinden. Außerdem kennzeichnete ihn eine starke Antriebslosigkeit. All das konnte ich bei mir nicht feststellen. Ich wollte Dinge erleben, hatte nur körperlich nicht die Kraft. Dieser Zustand war jedoch erklärbar für mich, da ich sehr lange liegen musste und eine anstrengende Geburt erlebt hatte. Eine Hebamme, die eine Ausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) absolviert hatte, besuchte uns jeden Tag und kümmerte sich um meine Erschöpfung und uns als neue Familie. Ich bekam vor allem Akupunktur. Schlafen konnte ich dennoch nicht. Dem Baby ging es fortwährend gut, es entwickelte sich altersgemäß, aber ich gewann das Vertrauen in seine Gesundheit nicht zurück.

Ausweglose Erschöpfung

Mein Mann hatte sich die ersten vier Wochen nach der Geburt frei genommen, obwohl es in unserem Freundeskreis üblich war, dass Väter nur zwei Wochen zu Hause blieben. Vier Wochen fühlten sich für uns sinnvoller an als zwei, das war jedoch unabhängig von der Situation. Von Tag zu Tag wurde jedoch klarer, dass ich noch nicht genug Kraft hatte, mich allein um unser Baby zu kümmern. Diese Erkenntnis verstärkte mein Gefühl der Hilflosigkeit zusätzlich. Nach der Geburt konsultierte ich meine Psychotherapeutin, die ich ursprünglich wegen der vergangenen Fehlgeburt aufgesucht hatte. Allerdings lehnte sie eine weitere Behandlung ab, da ich ihrem Rat nicht folgen wollte, eine Tagesklinik zu besuchen. Sie schätzte meinen psychischen Zustand scheinbar als so schlecht ein, dass sie die Verantwortung nicht mehr übernehmen wollte.

Ich sah mich jedoch nicht dazu in der Lage, acht Stunden am Tag außerhalb des Bettes in einer Klinik zu verbringen. Auch die Zielsetzung der Klinik, die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken sowie die Stillbeziehung zu verbessern, widerstrebte mir, was dazu führte, dass ich der Therapeutin nicht mehr vertraute. Sie hatte meinen körperlichen Zustand nicht bemerkt und keine individuelle Lösung finden können. Dennoch war es ein schwerer Schlag, die Psychotherapeutin zu verlieren, da ich auf Unterstützung gehofft hatte.

Eines Abends saß ich weinend mit meiner Zahnbürste auf dem Badezimmerteppich. Ich hatte keine Kraft mehr, die Zahnbürste zu halten. Das Gefühl, dass ich es allein nicht mehr schaffen konnte, überwältigte mich. In meiner Verzweiflung bat ich meinen Mann, gemeinsam nach Hilfe zu suchen.

Wir entschieden uns, einen befreundeten Psychologen anzurufen und schilderten ihm die Situation. Auch er vermutete eine Wochenbettdepression, wie die Hebammen. Diese Ausweglosigkeit war für mich völlig neu, und es fühlte sich an, als würde es nie wieder besser werden.

Krankheitseinsicht und endlich Hilfe

Am nächsten Tag telefonierte ich mit einem Psychiater, der auch Gynäkologe und sehr erfahren im Umgang mit psychisch belasteten Schwangeren und Wöchnerinnen ist. Er betonte mehrmals, dass die Einnahme des Präparats keine nachteiligen Auswirkungen auf das Baby haben würde. Mit ehrlicher Besorgnis warnte er mich vor der Gefahr einer Psychose, wenn ich weiterhin nicht ausreichend schlafen würde, und verschrieb mir ein starkes Schlafmittel. In diesem Moment erkannte ich, dass sich etwas verändert hatte. Mir wurde der Ernst der Lage bewusst und die Einnahme von Psychopharmaka schien unvermeidlich.

Die Erschöpfung hatte meine Fähigkeit, weitere Ängste zu entwickeln, überwältigt, und ich folgte dem Rat meines Arztes. Die Bedrohlichkeit der Situation schien mir bewusst gewesen zu sein. Dass ich erschöpft war, konnten alle Familienmitglieder und Freund:innen nur allzu gut verstehen. Sie erklärten sich damit jedoch alle Verhaltensweisen und alle Ängste.

Ich nahm geringe Mengen des Schlafmittels, schlief wieder und die Wirkung des verschriebenen Antidepressivums entfaltete sich nach wenigen Wochen. Morgens spürte ich noch einen starken Überhang vom Medikament. Ich merkte allerdings auch, dass mein Kopf von Tag zu Tag mehr Ruhe fand und die Angst sich legte.

Dennoch war ich körperlich lange nicht in der Lage, das Haus längere Zeit zu verlassen. Es dauerte noch sehr lange, bis ich mich vollständig erholen konnte. Die Geburt arbeitete ich mit meiner Gynäkologin in verschiedenen Psychotherapie-Sitzungen auf und die körperlichen Beschwerden wurden fachärztlich begleitet. Bis ich wieder Vertrauen in meinen Körper zurückgewinnen konnte, dauerte es einige Jahre.

Es war ein großes Glück, dass ich mich in Dresden befand, einem Ort mit einem Netzwerk, das sich um Schwangere und Wöchnerinnen mit psychischen Problemen kümmerte. Hier arbeiten Stillberaterinnen, Psycholog:innen und Ärzt:innen Hand in Hand. Sie kooperieren außerdem mit (Tages-)Kliniken.

Auch in der folgenden Schwangerschaft betreute mich ein Netzwerk aus Gynäkologin, Psychiater, Psychologin, Hebamme, und Physiotherapeutin. Engmaschige Kontrolltermine bei Hebamme, Psychiater und Gynäkologin sowie eine fortwährende Pharmakotherapie führten glücklicherweise dazu, dass sowohl die Schwangerschaft als auch das Wochenbett psychisch gesund verliefen. Nach der zweiten Geburt nahm sich mein Mann fünf Monate Elternzeit, um gemeinsam Kraft zu sammeln und als Familie zusammenzuwachsen.


Hinweis: Die Autorin wünscht sich, anonym zu bleiben. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.


Zitiervorlage
Anonym (2024). Von Verzweiflung getrieben. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (5), 42–45.
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