Ein Baby sollte erfahren, dass die Welt ein Ort ist, an dem es Tag und Nacht gibt, die Eltern nahe sind und prompt zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Foto: © Strelciuc/stock.adobe.com

Das »Münchner Modell« für die häusliche Beratung junger Familien im Wochenbett zielt auf die Eltern-Kind-Interaktion: Wie lernen junge Eltern, das Verhalten ihres Kindes zu verstehen und zu beantworten? Konkrete, kindgerechte und altersgemäße Handlungsempfehlungen, basierend auf dem Ansatz der Eltern-Säuglings-Therapeutin Mechthild Papoušek, werden zum Rüstzeug der Beratenden. Dieses bindungs- und entwicklungsorientierte Konzept berücksichtigt die individuellen Bedürfnisse des Babys und der Eltern.

Die Krise, in der sich eine Familie mit einem unstillbar schreienden und schlecht schlafenden Baby befindet, ist sehr komplex und eine Herausforderung für die Beratenden (siehe Seite 20ff.). Die Eltern sind in diesen Situationen häufig überfordert, am Ende ihrer Kräfte und sehen sich oft gar nicht in der Lage, eine Ambulanz aufzusuchen. Gleichzeitig benötigen sie dringend Rat und zwar am besten bei ihnen zu Hause im gewohnten Umfeld, ohne Terminstress und ohne Anreise.

Das aufsuchende Konzept, also die Beratung im Hausbesuch ist in diesen Fällen ideal. Hebammen können dies in der Nachsorge übernehmen. Allerdings muss der erhebliche zeitliche Mehraufwand auch in der Abrechnung berücksichtigt werden. Dazu müssten für die Hebammen neue Abrechnungsmöglichkeiten geschaffen werden. Denn empathisches entlastendes Einordnen der Situation, kompetenter Rat, modellgebendes Beispiel und situatives Anleiten ist für die Eltern unschätzbar wertvoll, aber sehr zeitaufwendig und kann nicht einfach nebenbei erfolgen.

Geprägt durch meine Ausbildung in der integrativen Eltern-Säuglings-/Kleinkindberatung nach dem sogenannten Münchner Modell bei Prof. Dr. Mechthild Papoušek, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Entwicklungspsychologin und Eltern-Säuglings-Therapeutin, die die erste Münchner Schreibabyambulanz gründete, habe ich für meine Beratungspraxis zehn Bausteine festgelegt.

1. Entlastung für die Familie

Einerseits entlasten ausführliche Information über die frühkindliche Regulationsproblematik, die Unreife und die häufig selbstlimitierenden Reifungsschübe (siehe Seite 20ff.). Andererseits gibt es Entlastung durch gemeinsame konkrete Ressourcensuche innerhalb der Familie, im Freundeskreis oder durch ehrenamtliche Angebote, Vermittlung der »Frühen Hilfen« oder die Empfehlung einer Haushaltshilfe.

Wenn Beratung nicht ausreicht und Therapie notwendig wird, gibt es diese Möglichkeit in sozialpädiatrischen Zentren sowie in spezialisierten Schreibabyambulanzen.

2. Schlafprotokoll im Vorfeld

Die Eltern sollten einige Tage über 24 Stunden den Schlaf, die Mahlzeiten und Unruhe- sowie Schreiphasen protokollieren. Damit ergibt sich eine Beratungsgrundlage, auf der deutlich wird, was die Familie erlebt, wie die individuelle Situation des Babys ist und welche altersentsprechenden Veränderungen angestrebt werden können.

3. Altersentsprechendes Schlafverhalten

Ein Baby in den ersten Lebenswochen sollte erfahren, dass die Welt ein schöner Ort ist, an dem es Tag und Nacht gibt, die Eltern nahe sind und prompt zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Sie haben einen guten Plan und sorgen für Wohlgefühl und Sättigung, sie zeigen ihrem Kind den Weg zur Entspannung und erleichtern ihm damit den Übergang vom Wachzustand zum Schlaf.

Am Anfang überwiegt der polyphasische Schlaf. Dann entwickelt sich ein Tag-Nacht-Rhythmus: Das Baby schläft dann etwa vier Mal am Tag und hat Wachzeiten zwischen einer und zwei Stunden. Der Nachtschlaf beträgt rund zehn bis elf Stunden, der Tagschlaf in der Summe drei bis fünf Stunden über den Tag verteilt. Es gibt dabei eine große individuelle Spannbreite (Largo 2019) bis hin zu 14 bis 18 Stunden Gesamtschlaf in 24 Stunden.

4. Einschlafhilfen

Die wichtigste Einschlafhilfe ist, der Aufregung zuvorzukommen und frühzeitig schlafhinführende Maßnahmen einzuleiten. Das Tragen im Arm (in die Ellenbeuge geschnuffelt), das sanfte Bewegen, das Gehaltensein (wie im Bauch), die sanfte Stimme der Eltern und das ruhige Mitein­ander sind wohl die allgemein bekannten, aber manchmal in Vergessenheit geratenen Hilfen, denn sie fruchten nur beim ruhigen, aufnahmefähigen Kind.

Zappelige Kinder mit häufigem Moro-Reflex profitieren vom Pucken und sicheren Lagern (siehe Kasten).

Pucken
Sicher, gehalten, geborgen
In vielen Kulturen wird das enge Einwickeln von Neugeborenen und kleinen Säuglingen praktiziert. Das richtige und sichere Einwickeln mithilfe eines dünnen Tuchs, um Halt zu geben und das Baby zu beruhigen, ist erfahrungsgemäß bei dysregulierten Kindern eine große Hilfe. Insbesondere sehr unruhige, zappelnde Kinder mit ausgeprägtem Moro-Reflex profitieren vom Pucken in den ersten acht bis zwölf Wochen.

Allerdings gibt es auch zu diesem Thema kontroverse Meinungen und widersprüchliche Studien. Manche Kinderärzt:innen raten vom Pucken ab, wegen der Gefahr einer Hüftgelenksfehlstellung und erhöhtem Risiko für einen Plötzlichen Kindstod (SIDS) bei Bauchlage oder Überhitzung. Daher sollten die Eltern über die Vorteile und Risiken des Puckens aufgeklärt werden. Wichtig ist es, ihnen die Wickeltechnik genau zu zeigen. Sie können ihr gepucktes Kind tagsüber beobachten, damit Erfahrungen sammeln und dann selbst ein Gefühl dazu entwickeln, ob das Pucken ihrem Kind hilft. So gelangen die Eltern zu einer informierten Entscheidung, die zu ihrer Familie passt.

Vorteile des Puckens:

  • Das Baby fühlt sich gehalten, begrenzt und wohl, denn es ist vertraut mit der Enge des Mutterleibs.
  • Die Selbstregulation wird erleichtert. Es kann sich besser beruhigen und schreit weniger.
  • Es ist weniger den eigenen Lage-Instabilitäten und dem Moro-Reflex ausgesetzt.
  • Das Ein- und auch das Weiterschlafen gelingen leichter, der Schlaf ist ruhiger
  • Der Gesamtschlaf ist länger.

Risiken des Puckens:

  • Die SIDS-Gefahr ist erhöht, wenn das Kind in die Bauchlage gerät. Wichtig ist es, die Lage zu stabilisieren und die Rückenlage zu wählen.
  • Die SIDS-Gefahr ist auch durch Überhitzung oder eine unsichere Schlafumgebung erhöht.
  • Hüftfehlstellungen können begünstigt werden, wenn die Beine über längere Zeit mit gepuckt werden.
  • Durch eingeschränkte Möglichkeiten, den Kopf zu drehen, kann der Kopf abflachen.

Daher nicht pucken bei:

  • Fieber oder großer Hitze
  • bei Hüftgelenksproblematik beziehungsweise Spreizhose
  • unsicherer Schlafumgebung.

Wie wird also gepuckt?

  • Das Tuch wird in Rautenform auf den Wickeltisch gelegt.
  • Die obere Spitze wird nach unten eingeschlagen.
  • Das Baby wird auf das Tuch gelegt – Tuchkante auf Ohrenhöhe.
  • Die Arme sollten auf der Brust zum Liegen kommen.
  • Die rechte Seite der Decke wird über die Schultern gespannt und kommt auf der linken Körperseite unter dem Rücken zum Liegen.
  • Dann wird die linke Seite der Decke über den Körper gelegt und unter dem Rücken des Babys eingesteckt.
  • Die Beine sollen weitgehend frei bleiben, um die physiologische Sitz-Hock-Haltung zu ermöglichen.

Das Tragen im Tuch oder in einer Tragehilfe ist insbesondere beim unruhigen Kind das Mittel der Wahl. Wichtig wäre es, das Kind ins Tragetuch zu nehmen, bevor es schreit. Übrigens: Tragen können auch andere Familienmitglieder oder Freund:innen, nicht nur die Eltern.

Nach Etablieren des Stillens ist der Schnuller hilfreich, denn wenn das Baby verstanden hat, dass das Saugen am Schnuller mit Wohlgefühl verknüpft ist, kann es sich schon minimal selbst helfen, indem es am Schnuller saugt.

5. Einschlafroutine – Einschlafsprache

Friedliches Einschlafen geht nur mit Ruhe und Entspannung! Kleine Säuglinge können sich meist noch nicht alleine beruhigen, sie sind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Natürlich geht das Beruhigen am leichtesten beim Saugen. Das löst mehrere Probleme auf einmal: Das Baby wird satt, ruhig, zufrieden, es genießt die Nähe, fühlt sich wohl und kann sich dem Schlaf überlassen. Das ist auch völlig normal und gut so. Nur was tun, wenn das Baby nicht mehr beim Stillen oder Flaschegeben einschläft, weil es bereits satt ist, nicht satt wird, älter geworden ist, es beim Vater oder einer anderen nahen Bezugsperson einschlafen soll oder andere Gründe es vom Still-/Trinkschlaf abhalten? Wie geht denn überhaupt sonst Beruhigung?

Man kann sein Kind nur in die Entspannung locken und nicht in die Entspannung zwingen! Durch eine ruhige Einschlafroutine mit Singen und Wiegen kann das Kind schlafbereit werden. Die Eltern zeigen dem Baby den Weg zur Entspannung und lehren es, ruhig zu werden, locker- und loszulassen, sich dem Schlaf zu überlassen. Sie sind selbst leise, langsam und langweilig und versuchen diese Ruhe auf ihr Kind zu übertragen.

Dieses »Runterkuscheln« ist der Schlüssel für gutes Einschlafen. Es klingt banal, wird aber allzu oft unterschätzt und vergessen. Gerade beim ersten Tagschlaf ist es sinnvoll, das zu üben. Das Baby soll so von Anfang an erfahren: Einschlafen geht ganz leicht!

6. Abendroutine: Der Vorabendschlaf

Den bekannten abendlichen Schreistunden sollte man frühzeitig mit einem Schlafangebot zum Beispiel in der Trage begegnen. Manchmal gelingt es auch beim Stillen im Liegen, diesen Vorabendschlaf herzustellen. Eigentlich ist es egal, wie das Baby am Vorabend zum Schlafen kommt. Hauptsache es gelingt und das Baby kommt nochmal zur Ruhe. Dann folgt die letzte Wachzeit mit guter Laune, die letzte Mahlzeit macht optimalerweise satt und zufrieden und dann kann die Nacht beginnen.

7. Vorgehen in der Nacht

Nachts melden sich Kinder aus den verschiedensten Gründen. Es ist bei weitem nicht immer der Hunger, der die Babys umtreibt. Auch nachts gibt es das Zwischenerwachen bei Schlaftiefenveränderung und an dieser Stelle wäre es hilfreich, nicht automatisch das Baby an die Brust zu nehmen oder die Flasche anzubieten. Wenn beispielsweise die letzte Mahlzeit noch gar nicht lange her ist, kann nicht Hunger die Triebfeder sein. Eine Weiterschlafsprache wäre dann das Mittel der Wahl. Man kann häufig durch eine kleine Lageveränderung zum Weiterschlafen beitragen, nach dem Motto: »Bitte wenden«. Rhythmisches Popoklopfen, leise Stimme und beruhigendes Handauflegen können auch Wirkung zeigen. Bei Hunger wird natürlich gestillt, aber es zuerst anders zu versuchen, hat nachhaltige Effekte.

8. Nahrung

Eine ausführliche Stillberatung ist im Wochenbett häufig notwendig, da das in Geburtskliniken oft zu kurz kommt und das Tracking mit entsprechenden Apps die Mütter in falschen Sicherheiten wähnt. Denn die reine »Brustverweilzeit« ist kein Kriterium, dass das Kind auch satt geworden ist.

Eine sichere Gewichtszunahme sollte objektiviert werden, denn ein latent hungriges Kind ist schwer zufrieden zu stellen, muss andauernd von der Mutter getragen werden und will von Ablegen nichts wissen (siehe Seite 38ff.).

9. Was passiert in den Wachzeiten?

Der positive aufmerksame Wachzustand sollte genutzt werden. Das Spiel der kleinen Säuglinge ist das Gestik-Spiel. Die Eltern imitieren die Babylaute und üben sich im Augengruß und in der Ammensprache im Zwiegespräch. So entsteht »Wellness auf der Wickelablage«.

10. Exitstrategie

Zur Prävention des Schütteltraumas muss darüber aufgeklärt werden. Wenn die Eltern überfordert sind und sich der Situation nicht mehr gewachsen fühlen, sollte die Hebamme ein klares Handlungsschema empfehlen: »Das Baby kommt ins Bett und der verzweifelte Elternteil an die frische Luft!« Promptes Weglegen und Abstand nehmen können Kurzschlusshandlungen verhindern.

Was hilft der Familie wirklich?
  • Entwicklungsorientiert informieren
  • Sicher satt?
  • Schlafprotokoll – Befindlichkeiten sortieren
  • Der Aufregung zuvorkommen!
  • Altersgemäßes Schlafen, das heißt auf altersgemäße Wachzeiten achten. Eine Stunde wach genügt!
  • Handlingmaßnahmen zeigen: Beruhigen, Pucken, Lagern, Tragetuch/-hilfe …
  • Einschlafroutinen immer gleich gestalten: ruhig, leise, langsam, langweilig
  • Beim Zwischenerwachen die Schlafstimmung aufrechterhalten und zum Weiterschlafen motivieren –»Weiterschlafsprache«.
  • Kritische Phasen überbrücken, zum Beispiel Tragetuch am Abend. Wer schläft, schreit nicht!
  • Auszeiten für die Mutter ohne Kind
Zitiervorlage
Dotzauer, D. (2021). Beratungskonzept für Wochenbettbesuche: Wer schläft, schreit nicht. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (12), 28–31.
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