Warum das Feministische Frauen Gesundheits Zentrum »Vulvina« als Begriff für das gesamte weibliche Sexualorgan etablieren möchte.
Warum das Feministische Frauen Gesundheits Zentrum »Vulvina« als Begriff für das gesamte weibliche Sexualorgan etablieren möchte.
Schlagen Sie ein x-beliebiges Sexualkundebuch oder einen Sexratgeber auf und betrachten Sie die Abbildungen der weiblichen Sexualorgane. Was sehen Sie? Die Klitoris ist nur ein kleines Pünktchen. Es gibt eine lochartige Öffnung zur Vagina mit Jungfernhäutchen, große und kleine Schamlippen. Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke sind detailliert gezeichnet. Und jetzt zum Vergleich die männlichen Sexualorgane: Was findet sich hier nicht alles! Hoden, Nebenhoden, Hodensack, Vorhaut, Schwellkörper – genau gezeichnet und beschrieben, bei der Frau sieht es dagegen irgendwie leer aus. Dabei sind die Unterschiede nicht wahnsinnig groß. Im bahnbrechenden Buch »Frauenkörper – neu gesehen« von 1985 erkennt man es in der parallel gezeigten Seitenansicht deutlich: Fast alles findet sich bei beiden Geschlechtern wieder. Beide besitzen eine Vorhaut, einen Schaft, Schwellgewebe und eine Prostata. Nur weiß das leider fast niemand.
Für die US-amerikanische Originalausgabe dieses Buches »A New View on a Women’s Body« trugen Mitarbeiterinnen der Federation of Feminist Women’s Health Centers alle Erkenntnisse zusammen aus Wissenschaft, Forschung und auch aus Selbstbeobachtung und -Untersuchung und dem Austausch darüber mit anderen Frauen. Sie erstellten ein komplett neues Bild der Klitoris als komplexes sexuelles Organ. Es war viel größer als angenommen und bestand neben der Perle aus Schwellgewebe, Muskeln, Bändern, Drüsen, Nerven, Blutgefäßen und der Gebärmutter. Und sie zeigten deutlich den Unterschied zwischen der nicht erigierten und der erigierten Klitoris, ein kraftvolles Bild der weiblichen Potenz!
Neue Begriffe wurden notwendig, da viele Wörter zu medizinisch, zu vulgär, einfach zu fremd sind. Umgangssprachliche Wörter wie Muschi, Mumu, Möse oder Pussy werden sehr unterschiedlich bewertet und benutzt.
Manches ist nach männlichen Personen benannt, die es angeblich entdeckt haben, wie die Bartholinischen Drüsen oder der berühmte G-Punkt nach dem deutschen Arzt Ernst Gräfenberg. Andere Bezeichnungen sind schlichtweg falsch, wie das »Jungfernhäutchen«, das es so nicht gibt, da es sich nach dem ersten Sex nicht in Luft auflöst, sondern weiterhin als dehnbarer Kranz um die Vagina-Öffnung herum existiert. So ist auch der aktuelle Sprachgebrauch: (vaginaler) Kranz, Krone oder Korona. »Sprache bestimmt, wie wir denken«, erkannte die Schwedische Vereinigung für aufgeklärte Sexualerziehung und entschied, den ideologiebeladenen Begriff »Jungfernhäutchen« abzuschaffen und durch »vaginale Korona« zu ersetzten.
Der Begriff »Klitoris« für das gesamte weibliche Sexualorgan hat sich nicht durchgesetzt. Ein neuerer Vorschlag ist »Vulvina«, aus Vulva für das Äußere und Vagina für das Innere, für kleine Mädchen charmant als »Vulvi« zu benennen. Einfach mal ausprobieren! Oder, um mit der Erfinderin des Wortes, Ella Berlin, zu sprechen: »Endlich! So geht es mir und vielen anderen Frauen und Mädchen, die sich wie die Schneeköniginnen über das Wort Vulvina freuen. Ein Wort, welches das gesamte weibliche Genital beschreibt und definiert. Ein Wort, welches neutral ist und die Vulvina das sein lässt, was sie ist. Ein Wort, welches das Denken verändert und Spielraum für neues Handeln anbietet, denn das größte Sexualorgan ist nun mal das Gehirn.«
Vulvina löst schon mal das Problem der richtigen Benennung. Oft wird ja von der Vagina gesprochen, aber die Vulva ist gemeint.
Ganz eindeutig ist die Abkehr von der Scham. Viele sprechen von Venushaaren oder dem Venushügel. Frauen, denen es schwerfällt, von den »Venuslippen« zu sprechen, können tatsächlich einfach von den Lippen sprechen. Im Kontext ist es ja immer klar, von welchen Lippen wir reden. Die äußeren Lippen, auf denen die Haare wachsen, werden oft als »große« bezeichnet, was aber für viele Frauen einfach nicht stimmt, bei ihnen sind sie kleiner beziehungsweise die »kleinen« Lippen sind die sehr viel dominanteren. Deshalb besser »innen« und »außen« für mehr Klarheit.
Nicht nur »untenrum« gibt es Änderungswünsche. Statt von der »weiblichen Brust« zu sprechen, sagen wir Brüste oder Busen. Die Brustspitze – mit den doch eher unschönen Bezeichnungen Brustwarze oder Nippel – wird immer öfter als Mamille oder Mamilla bezeichnet.
Was nicht benannt ist, existiert nicht. Es braucht kraftvolle Bezeichnungen für die weiblichen Genitalien oder Teile derselben, die wir alltäglich benutzen können und wollen. Das Wissen um und die Benennung des Ortes weiblicher Lust, Potenz und weiblichen Begehrens stärkt Frauen. Sie können ihre sexuellen Fähigkeiten, ihr sexuelles Selbstbewusstsein und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern. Wir wünschen uns, dass diese Bezeichnungen überall auftauchen, in den Schulbüchern, in den Medien und in allen Köpfen. Und dass Frauen es sich nicht nehmen lassen, ihren Körper zu erkunden, zu benennen und sich ihrer Lust selbst zu ermächtigen.