»Nicht alle Frauen brauchen ›High Tech‹ in der geburtshilflichen Versorgung, aber keine sollte auf ›High Touch‹ verzichten müssen.« Foto: © Thomas Reimer/stock.adobe.com

Nina Knape, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, reflektiert das Spannungsfeld zwischen Qualität und Ökonomie in der Geburtshilfe. Sie entwickelt Visionen für neue Versorgungsmodelle – auch im Rahmen des Studiengangs. Ihre Studierenden lässt sie von Anfang an daran teilhaben. 

Elisabeth Niederstucke: Sie sind Hebamme und Diplomkauffrau (FH). In den Bachelor- und Masterstudiengängen für Hebammen befassen Sie sich sowohl mit Betreuungskonzepten während der Geburt und innovativer Versorgungspraxis in der Pflege, wie auch mit gesundheitsökonomischen und betriebswirtschaftlichen Fragen. Wie ist der Zusammenhang zwischen den beiden Feldern?

Nina Knape: Nahezu alle Ressourcen, die wir nutzen, sind begrenzt vorhanden oder auch nur im begrenzten Umfang finanzierbar. Dieser Tatsache steht jedoch die kaum stillbare Fülle von Wünschen und Bedürfnissen der Menschen gegenüber. Ganz praktisch kann dies das neue Handy, eine Reise oder auch eine Be­hand­lung zur Förderung des Wohlbefin­dens oder der Gesundheit sein. Hier gibt es also zunächst ganz grundsätzlich ein Spannungsfeld zwischen begrenzten Ressourcen (Geld) und kaum begrenzbaren Bedürfnissen.

Auch geburtshilfliche Leistungen und unsere Hebammenarbeit stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Wirtschaftlich handeln bedeutet damit immer zunächst ein Abwägen, was mit begrenzten Mitteln gestaltet werden soll. Dies betrifft uns als Menschen in unserem Alltag und als Berufsgruppe, indem wir beschreiben, fordern und erforschen, welche Leistungen beziehungsweise Versorgungskonzepte für Frauen und ihre Familien notwendig sind, damit sie in einer bedeutenden Lebensphase gut betreut sind.

Diese Leistungen werden in den meisten Fällen über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Im Sozialgesetzbuch V (SGB V) ist geregelt, was unter welchen Voraussetzungen durch die Versichertengemeinschaft finanziert werden darf. Nach § 12 müssen »die Leistungen (…) ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.«

Was bedeutet das für Hebammen?

Dieser Paragraf ist auch für die Hebammenarbeit als handlungsleitend zu verstehen. Es geht darum, Geld in der gesundheitlichen Versorgung möglichst effizient einzusetzen und weder zu verschwenden, noch unnötige Dinge zu finanzieren. Dementsprechend ist für uns alle doch die Frage höchst interessant, wie wir diesem Anspruch gerecht werden können. Welche Versorgungs­modelle können in der Geburtshilfe Unter-, Über- und Fehlversorgung vermeiden und eine bedarfsgerechte Versorgung von Frauen und ihren Familien sicherstellen?

Auch der Hebammenberuf befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Ansprüchen und Notwendigkeiten einer qualitativ hochwertigen Betreuung und der Ökonomisierung. Wo liegen die Herausforderungen?

Wirtschaftliches Handeln ist per se nichts Schlechtes. Wir alle versuchen – auch in unserem Alltag – vieles im Leben möglichst ökonomisch, das heißt effizient durchzuführen. Aber wer vertritt welche Interessen im wirtschaftlichen Handeln? Und wie findet jede Interessensgruppe gleichwertig Gehör bei der Vertretung ihrer Interessen? Dies sind wichtige Fragen, um die Funktionsfähigkeit des Handelns und Wirtschaftens zu ermessen.

Hier ist das Gesundheitswesen schlussendlich kein funktionierender freier Markt, in dem ein freier Handel sinnvoll wäre. Der »Markt« Gesundheit weist einige Besonderheiten auf:

1. Wer ist wie gut über das Leistungsangebot informiert? Üblicherweise treffen auf dem Gesundheitsmarkt nicht gleichwertig informierte Anbieter:innen und Nachfrager:innen aufeinander. Es besteht eine Informationsasymmetrie.

2. Wer beauftragt die Gesundheitsleistung? Leistungsveranlasser:innen sind häufig nicht die Frauen, sondern die Gesundheitsprofessionen und Krankenhäuser, die aber wiederum das Geld mit der Leistung verdienen. Hebammen, Ärzt:innen und andere Gesundheitsprofessionen erklären den Frauen einerseits aus fachlicher Sicht die Sinnhaftigkeit einer Leistung und können diese teilweise auch verordnen – beispielsweise das Schreiben eines CTG. Darüber hinaus verdienen sie aber auch Geld mit der Leistungserbrin­gung. Natürlich kann die Frau frei entscheiden, ob sie diese Leistung in Anspruch nehmen möchte. Aber auch hier kommt wieder der erste Punkt zum Tragen – die Information­sasymmetrie zwischen Anbieter:in und Empfänger:in.

3. Wer bezahlt die Gesundheitsleistungen? Die Leistungs­empfänger:innen (hier die Frauen) sind in den wenigsten Fällen auch die direkten Kostenträger:innen, da die gesetzliche Krankenkasse und damit die Solidargemeinschaft in den meisten Fällen die Leistung bezahlt. Damit sind Preise nicht transparent. Preistransparenz gehört aber zu einem funktionierenden Markt dazu.

4. Wer verdient an der Leistungserbringung im Rahmen der Daseinsvorsorge? Gesundheit soll nach dem Willen unserer Gesellschaft zur so­genann­ten Daseinsvorsorge zählen, also staatlich für die Bürger:innen sichergestellt werden. Dies kann der Staat auch an privatwirtschaftliche Unternehmen abgeben. Allerdings ist sicherzustellen, dass der ordnungspolitische Rahmen so ausgestaltet ist, dass eine Versorgung im Sinne der Daseins­vorsorge gewährleistet ist. Ein Beispiel zu den Spannungs­­fel­­dern, die hierbei entstehen können: Einige große Krankenhaus­ket­ten haben die Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Das heißt, Menschen investieren ihr Geld in diese Krankenhäuser und möchten einen Gewinn erwirtschaften. Das bedeutet, sie sind an der sogenannten Leistungserstellung, der Versorgung, überhaupt nicht direkt beteiligt, verdienen aber dennoch Geld damit und sind auch in Entscheidungen eingebunden, wie sich Krankenhäuser strategisch aufstellen sollen im Sinne einer Gewinnmaximierung. Diese strategischen Ziele müssen nicht den Zielen einer auskömmlichen Daseinsvorsorge entsprechen.

Es gibt noch viele weitere Aspekte, aber zusammengefasst kann festgehal­ten werden: Der Gesundheitsmarkt ist kein frei funktionierender Markt, sondern ein sehr komplexer Austausch von Geld und Leistungen, wenn der Anspruch der Daseinsvorsorge erfüllt werden soll. Zudem besteht zurecht der Anspruch der einzelnen Mitglieder der Solidargemeinschaft, qualitativ hochwertig versorgt zu werden. Dies sind recht viele und auch widersprüchliche Anliegen an das Gesundheitssystem und das führt zu Spannungen.

Die Ökonomisierung wird zunehmend kritisch beurteilt. Das DRG-System wird einer hochwertigen Geburtshilfe nicht wirklich gerecht. Geburten benötigen eine intensive Begleitung – je konsequenter eine Eins-zu-eins-Betreuung etabliert ist, desto besser in der Regel das Outcome für Mutter und Kind. Doch die Bezahlung für die Geburt ist kein Anreiz für eine so intensive Begleitung.

Die Online-Petition von Change.org mit mehr als 1,6 Millionen Unterschriften forderte, die Hebammenstellen auf den Stationen aus dem Pflegebudget herauszunehmen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, welche Fehlanreize durch eine rein ökonomische Betrachtung von gesundheitlichen Themen entstehen können und zurecht bemängelt werden: Die Einführung der Fallpauschalen in den Jahren 2003/2004 hat nahezu alle klinischen Behandlungen unter immensen ökonomi­schen Druck gesetzt. Ziel war es, Kosten in den Kliniken zu senken und Anreize zu schaffen, die Behandlung effizienter zu gestalten. Das ist auch verständlich, wenn wir uns wieder vor Augen führen, dass Ressourcen begrenzt sind. Jedoch ist hierbei der Qualitätsaspekt nicht ausreichend berücksichtigt worden – insbesondere beim Personalbedarf. Mit Einsparung von Personalkosten konnten Gewinne optimiert werden.

Wenn Kostensenkungen im Einkauf von Material und Optimierungen der Behandlungsprozesse ausgereizt sind, können Einsparungen beim Personal eine sehr effektive Möglichkeit sein, um Kosten in einem personalintensiven Dienstleistungsunternehmen – was das Krankenhaus ist – einzusparen. Dieser Fehlanreiz im DRG-System fällt uns jetzt auf die Füße. Dieser »Kellertreppeneffekt« der letzten Jahrzehnte führt zu massiven Qualitätseinbußen in der Versorgung und einem Fachkräftemangel auf Grund der hohen Arbeitsbelastung durch immer mehr Patient:innen in immer kürzerer Zeit. Die Fallpauschalen sind nie mit einer grundsätzlichen Kopplung an Versorgungsstandards oder Personaluntergrenzen konzipiert worden. Weniger Personalkosten hieß einfach mehr Gewinn. Zudem werden die Fallpauschalen mit den bestehenden Personalkosten kalkuliert, also mit den Ist-Kosten der Vergangenheit und nicht mit geplanten Soll-Kosten, die aus Qualitätssicht notwendig wären. Hätten wir für Hebammen, Pflege und ärztliches Personal valide Instrumente zur Personalbemessung gehabt und anhand dieser den Personalbedarf vor der DRG-Einführung festgesetzt und refinanziert, wäre die Qualität in der Versorgung auch im Fallpauschalensystem jetzt deutlich besser.

So, wie es jetzt läuft, ist wohl immer noch die Sectio für die einzelne Klinik ökonomisch sinnvoller.

Die Aussage, dass sich nur ein Kaiserschnitt lohnen würde, ist mir zu undifferenziert. Ein Kaiserschnitt verursacht auch hohe Kosten, der Personal- und Materialeinsatz ist intensiv. Die DRG-Fallpauschale, die ein Krankenhaus für eine Geburt erhält, entspricht lediglich dem Umsatz. Erst nach Abzug der Kosten wird der Gewinn ersichtlich.

Primäre und sekundäre Sectiones werden nicht identisch vergütet. Für den geplanten Kaiserschnitt gibt es deutlich weniger Geld als für den ungeplanten. Festhalten lässt sich aber, dass ein primärer Kaiserschnitt deutlich planbarer und im Prozess zu optimieren ist im Vergleich zu einer Spontangeburt oder einem daraus folgenden ungeplanten Kaiserschnitt.

Das Hauptproblem ist nicht die Vergütung der Kaiserschnitte, sondern die Frage des Personalbedarfes und die Finanzierung des Bedarfes im Kreißsaal.

Haben wir etwas in der Hand, um das System zu verändern? Was braucht es politisch?

Hebammen fordern politisch immer wieder die Eins-zu-eins Betreuung. Dabei haben wir aktuell weder eine genaue Definition oder valide Instrumente, die diese Forderung konkretisieren und messbar machen. Daher benötigen wir Instrumen­te der Personalbedarfsermittlung im Kreißsaal, die die Spezifik der geburtshilflichen Betreuung berücksichtigen. Instrumente aus der Pflege helfen da wenig. Aber ähnlich wie in der Pflege, die nun voraussichtlich über die aktualisierte Gesetzgebung eine Personalbedarfs­- ermitt­­­lung durchsetzt, brauchen wir diese Instrumente auch für Hebammen. Die ermittelten Personalbedar­fe müssten dann verbindlich refinanziert werden. Daher haben Personalkosten nichts in einer Fallpauschale zu suchen. Ausreichend qualifiziertes Personal einzusetzen, muss Vorfahrt vor einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung haben.

Des Weiteren brauchen wir eine andere Planung der stationären und ambulanten Versorgung: Es bedarf einer Generalüberholung bei der Krankenhaus­pla­nung. Die Schließung von sehr kleinen geburtshilflichen Abteilungen im ländlichen Raum darf nicht ohne einen adäquaten Versorgungsersatz im ambulanten Setting gedacht werden.

Die Mauern zwischen ambulant und stationär müssen auch nach Meinung des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen durchlässiger werden – Bund und Land sollten hier integrativer denken, um die gesundheitliche Versorgung sicherzustellen.

Denn es kann nicht sein, dass es besser sein soll, keine Geburtshilfe vorzufinden, als eine kleine Geburtshilfe, die Frauen risikoselektiert wohnortnah versorgen kann. Hier müsste auch an Alternativen gedacht werden, wie interprofessionelle medizinische Versorgungszentren mit integrierten Hebammen­praxen, Geburtshäusern, gynäkologischen Praxen, ambulanten OP-Möglich- keiten oder Ähnliches.

Außerdem hat nicht nur der stationäre Bereich massive personelle Probleme. Wir haben im ländlichen Raum eine eklatante Unterversorgung mit Allgemein- und Fachmediziner:innen und häufig auch in der Hebammenversorgung. Last but not least geht es um das Vorhalten von Leistungen in der Notfallmedizin, Intensivmedizin, Pädiatrie und Geburtshilfe. Diese klassische Daseinsvorsorge muss gewährleistet sein und darf nicht Gegenstand der DRG-Finanzierung sein. Vorhaltekosten sind Kosten, die der Daseinsvorsorge zugerechnet werden sollten.

Wie vermitteln Sie diese Diskrepanz den Studierenden? Ist es nicht abschreckend, schon im Studium diese Fehler im System zu begreifen und nur schwer etwas ändern zu können?

Nun, die Studierenden bekommen von uns Lehrenden neben dem wichtigen praktischen Handwerkszeug vermittelt, dass der Hebammenberuf neben der originären Aufgabe, Frauen und Familien gut zu betreuen, auch anderes umfassen kann und sollte.

Es braucht in unserer Profession auch Menschen, die sich politisch engagieren, die sich einmischen, auf Verbandsebene, über die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft, lokalpolitisch oder auf Landes- oder Bundesebene. Wenn wir unsere Profession entwickeln wollen und qualitativ hochwertige Arbeit gesichert werden soll, benötigen wir Hebammen, die das Gesundheitssystem gut verstehen und wissen, wo der Hebel anzusetzen ist.

Wie kann Veränderung gelingen?

Über ein individuelles Beklagen der Umstände werden wir kaum weiter­kommen. Wir müssen die Interessen von Frauen und Familien in der gesund­heitlichen Versorgung immer wieder organisiert adressieren, auf Schwach­punkte aufmerksam machen und bei der Suche nach Lösungen mitarbeiten.

Auch wir Hebammen sollten daran mitarbeiten, dass das Geld der Versicherten und Steuerzahler:innen möglichst wirksam eingesetzt wird. Eine respektvolle Geburtshilfe mit einer guten Betreuung und der Bereitstellung nötiger personeller und sachlicher Ressourcen halte ich für wichtig und ist – wenn wir betriebswirtschaftlich sprechen wollen – sicherlich eine sehr gute Investition in unsere Zukunft.

Wir haben ja auch noch Überversor­gung. Viele Frauen bekommen unnötige Leistungen angeboten und werden nur unzureichend informiert, dass diese Leistungen keinen Mehrwert und wissenschaftlich keinen Wirksamkeitsnachweis haben. Das müssen wir auch in unserer eigenen Berufsgruppe kritisch diskutie­ren. Für welche Art von Versorgung wollen wir stehen?

Was sagen Sie den Studierenden?

Ich erkläre den Studierenden immer wieder, dass wir viele Errungenschaften in diesem Beruf nur durch einen hohen Organisationsgrad aller Beteiligten erzielen konnten. Hierzu zählen die Beibehaltung der Hinzuziehungspflicht, die Beteiligung an der Leitlinienarbeit oder auch die vollständige Akademisierung des Berufsstandes. Wir benötigen dringend den Nachwuchs, der hier weiterhin politisch aktiv ist und die Profession vertritt. Für eine erfolgreiche Vertretung benötigen Hebammen Wissen im Bereich der Gesundheitspolitik und -ökonomie. Der hohe Autonomiegrad unserer Profession ist kein Selbstläufer, auf dem wir uns ausruhen dürfen.

Wirkt sich der Druck zur Wirtschaftlichkeit während des Lernens auf die Entscheidungen und Priorisierungen der Studierenden aus? Können sie sich davon freimachen und idealistisch an ihren Beruf herangehen?

Wirtschaftliches Denken ist nicht immer schlecht und wir sollten Zuwendung und wirtschaftliches Handeln nicht gegeneinander ausspielen. Mir ist es wichtig, dass angehende Hebammen auch die wirtschaftliche Brille aufsetzen können, da sie sich – egal, ob angestellt oder freiberuflich – in einem Wirtschaftssystem befinden. Als Beispiel: Nur wenn ich weiß, in welchem zeitlichen Umfang ein Hausbesuch wirtschaftlich ist oder was meine realen Fahrtkosten sind, kann ich meinen Arbeitstag entsprechend strukturieren oder mich dafür einsetzen, dass sich an der Vergütung etwas ändern muss. Nur wenn ich verstehe, was es für ein Krankenhaus bedeutet, wenn Mindestverweildauern nicht eingehalten werden – und was dies auch für meine Personalbesetzung im Kreißsaal bedeutet, kann ich verstehen, warum das Krankenhaus Frauen dahingehend berät, dass diese mindestens eine Nacht bleiben sollen.

Die Wirtschaftswissenschaften sind im Studium nur ein kleinerer Teil und stehen nicht losgelöst von ethischen Themen oder der Professions­entwick­lung. So gesehen bin ich relativ entspannt, dass wir am Ende des Tages reflektierte Kolleg:innen zum Bachelor führen, die mit diesen Kenntnissen selbstermächtigt werden, ihr Berufsfeld zu gestalten.

Sie forschen auch zu Betreuungskonzepten während der Geburt. Gibt es Stellschrauben, mit denen sich Qualität und Ökonomie unter einen Hut bringen lassen?

Für mich sind alle Konzepte sinnvoll, die dazu dienen, dass Unter-, Fehl- und Überversorgung vermieden werden. Die britische Hebammenwissenschaftlerin Jane Sandall formulierte in einem Forschungsaufsatz: »Every woman needs a midwife, and some women need a doctor too.« Sie beschreibt damit einen Ansatz, der eine risikoadaptierte Versorgung präferiert. Die Hebamme sollte als Primärver­sor­gerin der Frauen und Familien betrach­tet werden, die bei Bedarf interprofessio­nell und vernetzt arbeitet. Nicht alle Frauen brauchen »High Tech« in der geburtshilflichen Versorgung, aber keine sollte auf »High Touch« verzichten müssen. Das alles fördert am Ende eine zugewandte professionelle Betreuung in der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit.

Konzepte für eine Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt wie beispielsweise der hebammengeleitete Kreißsaal oder noch besser Betreuungskonzepte, die eine kontinuierliche Versorgung über die gesamte Betreuungsphase sicherstellen, sind geeignet, um die Betreuungsqualität zu steigern, Interventionen zu senken und das positive Geburtserleben zu verbessern.

Wie sehen Sie die freiberufliche Hebammenarbeit in diesem Spagat zwischen Qualität und Ökonomie – und gerade auch die Hausgeburt? Gesamtgesellschaftlich und gesundheitspolitisch betrachtet, werden Familien hier langfristig gestärkt.

Hausgeburten sind zweifelsohne effektiv, wobei es immer eine Frage der Vergü­tungs­vereinbarungen mit den Krankenkassen ist, ob sie für die Volkswirtschaft und die Hausgeburtshebamme wirtschaftlich sind. Diese Vereinbarungen sind ja grund­sätzlich verhandelbar. Volkswirtschaftlich stellt sich daher die Frage: Was ist die Gesellschaft bereit, für diese Betreuungsarbeit zu bezahlen?

Frauen und Familien in dieser Lebensphase zu stärken und ihnen eine Wahlmöglichkeit für den Geburtsort zu geben, ist wichtig, da die Geburt biografisch ein kritisches Lebensereignis darstellt, aus dem Frauen und ihre Familien gestärkt oder auch geschwächt hervorgehen können. Eine Schwächung kann gesundheitliche Kosten für somatische, psychosomatische und psychische Leiden nach sich ziehen.

Für die außerklinische Geburtshilfe sprechen zudem niedrigere Interventionsraten. Beispielsweise wird durch eine höhere Rate an Spontangeburten bei Frauen mit vergleichbarem Risikoprofil auf diese Weise das Risiko für eine Re-Sectio gesenkt. Dies ist für die individuelle Gesundheit der Frau und ihrer Kinder wichtig, aber auch volkswirtschaftlich von Interesse.

Was ist mit den Beleggeburten? Sind große Belegteams, wie sie beispielsweise in Bayern zu finden sind, möglicherweise besser geeignet, eine gesunde Geburt und eine ausreichende Betreuung sicherzustellen?

Interessanterweise hat der Gesetzgeber bei den Beleggeburten eine viel weitreichendere Qualitätssicherung eingebaut als im Angestelltensystem. So dürfen Dienst-Beleghebammen maximal zwei Frauen parallel, Begleit-Beleghebammen nur eine Frau betreuen. Bei den angestellten Hebammen spielt ein Betreuungsschlüssel bislang keine Rolle.

Im Sinne von »Continuity of care« gelten Modelle als sinnvoll, die über die Sektorengrenzen hinausblicken und die Versorgung während der Lebensphase Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit mit einer Person oder einem kleinen Team von Bezugspersonen sicherstellen. Dies ist sowohl im Belegsystem als auch im Angestelltensystem denkbar, wenn die gesetzlichen Rahmen­bedingungen ausgestaltet werden und eine Öffnung von stationärem und ambulantem Sektor ermöglicht wird. Aktuell wäre ein solches Modell im Belegsystem am einfachsten organisierbar.

Wenn wir die Versorgung mehr von den Bedürfnissen der Frau aus denken, wäre die »Continuity of care« mit einer guten Arbeitsorganisation in einem kleinen Team von Hebammen denkbar und müsste nicht an der Kreißsaaltür aufhören. Aktuell bestimmt die Diskussion um Beleg- oder Angestelltensystem aber vorrangig die Frage der eigenen Arbeitsorganisation und Vergütung von Hebammen. Dabei gäbe es über das Beleghebammensystem ein großes Potenzial für eine kontinuierliche Betreuung während der gesamten Lebensphase.

Um zu Ihrer Frage zurück­zukommen: Ich glaube nicht, dass Beleger:innen per se eine bessere Geburtshilfe für die Frauen und ihre Familien anbieten. Sie sind jedoch dem aktuellen System nicht so ausgeliefert, das für angestellte Hebammen keine Personaluntergrenzen im Kreißsaal vorsieht und sie nicht vor Überlastung schützt. Man könnte auch kritisch argumentieren: Beleghebammen müssen – wie das Unternehmen Krankenhaus auch – wirtschaftlich handeln, da ihr Unternehmen davon abhängt. Das ist unter Umständen auch nicht immer im Sinne der Frauen und kann einen Interessenskonflikt darstellen.

Sowohl das Bachelorprogramm als auch das aktuelle Masterprogramm der HWG Ludwigshafen soll Hebammenstudie­rende auch für gesundheitsökono­mi­sche Fragen sensibilisieren, insbesondere, wenn sie mögliche­rweise langfristig in »interdisziplinären, übersektoralen Versorgungsmodellen« arbeiten möchten. Wie bereiten Sie die Studierenden auf diese Aufgabengebiete vor?

Uns ist es ein Anliegen, dass Hebammen das System verstehen, in dem sie arbei­ten. Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist hochkomplex. Daher ist es meiner Meinung nach unverzichtbar, dass Hebammen im Bachelor die Finanzierung des Systems verstehen. Spätestens im Master sollten sie sich mit gesundheitsökonomischen Themen und auch der Frage von Leadership vertraut machen, also der Fähigkeit, Organisationen oder auch kleinere Teams für gemeinsame Ziele zu begeistern und dabei Verantwortung in der Leitung zu übernehmen.

Zudem ist vernetztes Denken wichtig für die Zusammenarbeit mit anderen Professionen. Wir versuchen im Curriculum des Bachelors beispielsweise, die außerklinische Arbeit mit allen Facetten möglichst gleichwertig neben den klinischen Inhalten zu verankern, damit der ambulante Sektor – also die Freiberuflichkeit – mit seine Arbeitsmodellen und Notwendigkeiten in der Vernetzung mit anderen Berufsgruppen fortwährend präsent ist.

Neben den Pädagoginnen, die allesamt Hebammen sind und das Kernstück unseres Studiengangs darstellen, sind wir aktuell vier Hebammenwissenschaft­ler­-in­nen, die mit drei Frauenärztinnen und einer Sozialpädagogin zu­sammenarbei­ten. Wir sind hier sehr eng interdisziplinär und auf Augenhöhe zusammen tätig. Wir wollen, dass Frauen und Familien von den zukünftigen Hebammen interprofessionell vernetzt gut betreut werden und dass kritische Diskurse zwischen den Berufs­grup­­pen möglich sind.

Unser Team aus Lehrenden ist hoffentlich auch eine Art »Role Model« für die Studierenden, dass Interdisziplinarität gelingen kann und wir voneinander profitieren. Unsere ärztliche Professorin für Geburtshilfe und Mutter-Kind-Gesundheit Dr. Barbara Filsinger bringt beispielsweise ihre Expertise im Handling von spontanen Beckenendlagengeburten oder Geminigeburten mit ein. Sie vermittelt Studierenden zudem, welche Kriterien sie im Austausch mit außerklinisch arbeitenden Hebammen nutzt, um den Wunsch der Gebärenden nach einer außerklinischen Geburt zu unterstützen. Daneben möchten wir den internationalen Austausch fördern, um Einblicke in alternative Versor­gungskonzepte aus dem Ausland zu er­mög­lichen. Hier bringt sich unsere hebam­menwissenschaftliche Kollegin Pro­fes­sorin Michaela Michel-Schuldt mit ihrer hohen Expertise ein und baut Kontakte auf.

Inwieweit sollten Hebammen überhaupt ökonomische Grundbegriffe kennen?

So weit, dass sie in der Lage sind, ein Unternehmen grundlegend zu führen und Entscheidungen der Unternehmens­führ­ung auch wirtschaftlich abzuwägen. Wenn ich weiß, ob sich eine Leistung lohnt oder warum sie sich nicht lohnt, kann ich mich auch berufspolitisch für notwendige Änderungen einsetzen. Wissen ist eine Quelle für Wandel und Diskurs … die sollten wir uns niemals nehmen lassen.

Haben Sie abschließend einen Wunsch an unser geburtshilfliches System, mal fernab von ökonomischen Gesichtspunkten?

Ich wünsche mir eine große Generalüberholung der geburtshilflichen Versorgung unter Einbeziehung der Frauen. Das wünsche ich mir aber eigentlich für die gesamte gesundheitliche Versorgung.

Es besorgt mich sehr zu sehen, wie die Gesundheitsprofessionen zunehmend frustriert die Versorgungsbereiche verlassen. Die Politik reagiert darauf eher mit Deprofessionalisierung, anstatt über Anspruch und hohe Qualität und damit einhergehend gute Bezahlung die beruflichen Perspektiven attraktiver zu gestalten.

Ich wünsche uns allen, dass die Gesellschaft und die Politik davor nicht die Augen verschließen oder nur im Kleinen versuchen, diese großen Probleme zu reformieren. Gesundheit wird immer als Wachstumsmarkt und schlussendlich als eines der wichtigsten Güter benannt. Warum priorisiert eine Gesellschaft nicht diesen Werterhalt?

Danke für Ihre visionären Gedanken, Frau Prof. Knape!

Zitiervorlage
Niederstucke, E. (2023). Interview mit Nina Knape: »Wissen ist eine Quelle für Wandel«. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (1), 9–13.
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