Wenn geflüchtete Frauen nach Deutschland kommen – wie hier in Berlin – sind sie noch lange nicht wirklich „angekommen“, vor allem, wenn sie schwanger sind und professioneller Hilfe durch Hebammen und ÄrztInnen bedürfen. Foto: © imago/Eibner Europa
Farrah weint Freudentränen, als sie das Herz des Babys in ihrem Bauch zum ersten Mal schlagen hört. Müde und ausgelaugt von der langen Flucht war die 23-jährige Afghanin, die in Wahrheit anders heißt, in der 18. Schwangerschaftswoche in die Sprechstunde des Women‘s Health Teams gekommen. Sie hatte große Angst, ob ihr Kind überhaupt noch lebt. Und dann: endlich eine gute Nachricht!
Schon bei unserer Ankunft in der improvisierten Ambulanz in einer der Zentralen Hamburger Erstaufnahmestellen drängten sich die Frauen in den engen Gängen. Eine unserer Sprechstunden halten wir Hebammen und Gynäkologinnen in einem umgebauten Bürogebäude ab, in dem derzeit 500 geflüchtete Menschen leben.
Durch Spenden konnten wir für jede unserer fünf Unterkünfte ein Dopton anschaffen. So können wir Farrah und den vielen anderen Frauen zeigen, dass es dem Kind in ihrem Bauch gut geht. Bei Farrah machen wir eine Vorsorgeuntersuchung, legen einen Mutterpass an und geben ihr Vitamine. Durch eine Dolmetscherin lassen wir ihr übersetzen, dass sie in einer Woche wieder in unsere Sprechstunde kommen soll. Dann wollen wir ihre Blutergebnisse in den Mutterpass eintragen und noch einmal nach dem Baby schauen.
Die Frauen kommen mit den unterschiedlichsten Problemen: Mitunter sind es Kleinigkeiten, oft aber auch sehr brisante Themen, denn ihre Flucht war lang und die medizinische Versorgung und die hygienischen Umstände völlig unzureichend.
Das Women’s Health Team besteht aktuell aus 40 Hamburger Hebammen und Gynäkologinnen – 19 Hebammen, 9 Fachärztinnen und 13 Assistenzärztinnen für Gynäkologie, die sich zusammengeschlossen haben, um die medizinische Versorgung von geflüchteten Frauen in Hamburg zu verbessern.
Als im August 2015 1.200 Flüchtlinge in den Hamburger Messehallen untergebracht wurden, war das Engagement in der Bevölkerung groß. Eine Kleiderkammer wurde gegründet, Grillfeste veranstaltet, Sprachkurse organisiert und die Initiative „Refugees Welcome – Karoviertel” ins Leben gerufen.
Auf einer Infoveranstaltung dieser Initiative trafen sich einige Mitglieder unserer Gruppe zum ersten Mal. Wir wollten uns fachlich einbringen und Frauen und Kinder mit gynäkologischer und Hebammenbetreuung direkt vor Ort versorgen. Für die Hebammenbegleitung und gynäkologische Betreuung werden aktuell von staatlicher Seite keine Ressourcen zur Verfügung gestellt.
Anfang September hielten wir unsere erste Sprechstunde im sogenannten „Frauenzelt” ab – in einem kleinen Zelt, das mitten in der riesigen Messehalle einen Rückzugsort für Frauen bot. Unser Equipment brachten wir selbst mit. Wir fragten bei Apotheken und Babyausstattern wegen Produkt- und Medikamentenspenden an und organisierten über die Kleiderkammer eine Untersuchungsliege, um in dem Zelt ein provisorisches Sprechzimmer einzurichten. Der Bedarf war groß, denn es waren viele schwangere Frauen unter den Flüchtlingen. Nach und nach wuchs unser Team, wir arbeiteten mit ehrenamtlichen Dolmetscherinnen zusammen und trafen uns dreimal wöchentlich zu einer Sprechstunde.
Im Vergleich zu unserem Arbeitsalltag kamen bei den Sprechstunden viele neue Herausforderungen auf uns zu: Wir mussten uns erst einmal mit den kulturellen Unterschieden auseinandersetzen und lernten nach und nach immer mehr dazu. So kamen beispielsweise Frauen mit Kinderwunsch zu uns, denn einige dachten, dass sie durch ein in Deutschland geborenes Kind bessere Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht hätten, was aber nicht der Fall ist. Dies erklären wir den Frauen, und auch, dass ihr Körper eventuell durch die kräftezehrende Flucht noch nicht bereit für eine Schwangerschaft ist.
Unter den Schwangeren waren aber auch viele Frauen, die ungewollt während der Flucht schwanger geworden waren. Es fehlt an Aufklärung und Verhütungsmitteln und die Dunkelziffer von sexueller Gewalt während der Flucht ist hoch.
So betreuten wir in den ersten Wochen unserer Arbeit auch Frauen mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch. Hier war uns die enge Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen Familienplanungszentrum eine große Hilfe.
Als Ende September die Messehallen als Flüchtlingsunterkunft geschlossen und alle BewohnerInnen auf andere Unterkünfte verteilt wurden, hatte sich unser Projekt bereits so weit etabliert, dass die Betreiber einiger Unterkünfte, wie zum Beispiel die Johanniter und das Deutsche Rote Kreuz, auf uns zu kamen und uns baten, die Sprechstunden in ihren Einrichtungen weiterzuführen. Da glücklicherweise zur gleichen Zeit viele Kolleginnen von unserem Projekt erfuhren und sich uns anschlossen, war dies möglich. Von diesem Startpunkt aus wuchs unsere Zusammenarbeit.
In der Regel finden die Sprechstunden einmal wöchentlich statt. Die Unterkünfte sind meist leerstehende Baumärkte oder Bürogebäude, in denen jeweils zwischen 200 und 1.000 BewohnerInnen untergebracht sind. Sie schlafen zumeist in Doppelstockbetten. Oft befinden sich die sanitären Einrichtungen, also mobile Toiletten und Duschcontainer, vor der Unterkunft.
Vor Ort haben wir jeweils ein Behandlungszimmer, das mit den nötigsten Medikamenten und einem Dopton ausgestattet ist und uns die Möglichkeit bietet, Blutentnahmen durchzuführen. Mittlerweile hat sich unsere Arbeitssituation schon sehr verbessert. Allerdings stehen wir auch immer wieder vor großen organisatorischen Hürden. Müssen wir etwa Frauen zu niedergelassenen FachärztInnen für weiterführende Untersuchungen oder Ultraschall überweisen, ist es mitunter sehr schwierig, einen Termin zu bekommen. Darum haben wir niedergelassene Gynäkologinnen in der Nähe der Unterkünfte kontaktiert, ihnen unser Projekt vorgestellt und sie gefragt, unter welchen Voraussetzungen sie bereit wären, kurzfristig Termine für die Frauen zu vergeben. Viele von ihnen nannten uns dann Tage, an denen sie bereit sind, länger in ihrer Praxis zu bleiben. Teilweise bekommen die Flüchtlinge Termine in den Praxen unserer niedergelassenen Teammitglieder, von der räumlichen Entfernung zur Unterkunft ist es aber nicht immer möglich, diese wahrzunehmen.
Da zu Beginn nur wenige der Flüchtlinge in einer zentralen Erstaufnahmestelle eine Gesundheitskarte besitzen, müssen sie jedes Mal für den betreffenden Tag von den SozialarbeiterInnen einen 24-Stunden Behandlungsschein ausgestellt bekommen. Es wäre wünschenswert, dass solche Behandlungsscheine auch für die Untersuchungen oder Behandlungen im Team ausgestellt würden, doch bislang gibt es dazu noch keine Zusicherung, zumal die Finanzierung insgesamt noch nicht geklärt ist.
Eine Dolmetscherin, die meist von den BetreiberInnen der Unterkunft organisiert wird, muss die Frau beim Arztbesuch begleiten, da die wenigsten Frauen ausreichend Englisch sprechen. Außerdem muss den Frauen genau erklärt werden, wie sie die ÄrztInnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln pünktlich erreichen können. Das sind viele Punkte, die störanfällig sind und bei denen wir auch immer wieder Rückschläge einstecken müssen. Auch kann man oft nicht auf bewährte Behandlungsformen wie zum Beispiel Osteopathie oder kleine Tipps wie ein warmes Bad zurückgreifen, weil das für die Frauen nicht umsetzbar ist. Positiv ist jedoch, dass wir zunehmend bemerken, wie die Frauen sich uns gegenüber immer mehr öffnen und uns als Ansprechpartnerinnen ihres Vertrauens sehen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wir ein reines Frauenteam und kontinuierlich einmal wöchentlich vor Ort sind.
Foto: © Das Erste/Tagesthemen
Die Ärztin Mirjam Wagner im Gespräch mit einer Übersetzerin aus dem Women´s Health Team-Projekt
In der Regel dauert eine Sprechstunde rund zwei Stunden und wird immer von mindestens einer Hebamme und einer Gynäkologin durchgeführt. Es hat sich jedoch auch bewährt, zu dritt oder viert vor Ort zu sein, da der Andrang oft gewaltig ist und wir natürlich unsere Arbeit dokumentieren müssen. Zwei Team-Mitglieder sind jeweils Ansprechpartnerinnen für die einzelnen Unterkünfte, sowohl für das ganze Team als auch für die Betreiber der Unterkunft, wenn es zu Fragen oder Problemen kommt, wie zum Beispiel die Änderungen der Sprechzeiten, Materialnachbestellungen oder die Organisation von Facharztterminen.
Die hygienischen Bedingungen sind ein großes Problem für die Frauen. So begegnen uns in den Sprechstunden häufig Frauen mit Obstipation, Hämorrhoiden, Harnwegsinfekten und vaginalen Infektionen. Neben Schamgefühl und Abneigung vermeiden viele aufgrund der winterlichen Kälte lieber das Trinken, als zu häufig die sanitären Anlagen – Dixie-Toiletten und Großraumduschen – zu benutzen. Auch die teils einseitige Ernährung stellt ein Problem dar. Gerade für Schwangere mit Hyperemesis gravidarum ist eine vielseitige vitaminreiche Kost bekanntlich wichtig. Da die Frauen aus hygienischen Gründen kein Essen in die Schlafsäle mitnehmen dürfen, haben sie kaum eine Möglichkeit, Zwischenmahlzeiten zu essen. Sie haben zumeist kein Geld, um sich ausgewogene Nahrungsmitteln zu kaufen, da sich die Auszahlung ihres „Taschengeldes” nach Asylbewerberleistungsgesetz oft verzögert.
Mittlerweile haben einige Frauen, die wir während des Großteils ihrer Schwangerschaft begleitet haben, ihre Kinder zur Welt gebracht. Oft gelang das in den Krankenhäusern, in denen unsere Hebammen und Gynäkologinnen arbeiten und in denen sie die Frauen bei der Geburt begleiten konnten. Nun betreuen wir die Mütter mit ihren Neugeborenen im Wochenbett, das trotz der besonderen Umstände meist unkompliziert verläuft. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass fast alle Frauen stillen, was gerade in Anbetracht der hygienischen Umstände sehr positiv ist. Das gibt nicht nur ihnen, sondern auch uns ein gutes Gefühl.
Wir werden weitermachen, bis sich funktionierende Strukturen entwickelt haben. Unser Wunsch ist es, dass die Frauen langfristig in die normale Regelversorgung des Gesundheitssystems eingegliedert werden. Bis diese Versorgungslücke geschlossen ist, versuchen wir unser Bestes zu tun.
Es gibt zwar noch weitere Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg, die durch Hebammen betreut werden, aber leider auch noch viele, die bisher kein Angebot zur Hebammen- und gynäkologischen Betreuung zur Verfügung haben. Leider ist es uns bislang untersagt, in staatlich geführten Unterkünften zu arbeiten. Von offizieller Seite heißt es, es sollen keine Parallelstrukturen geschaffen werden und die aktuellen Ressourcen sind angeblich erschöpft. Hierfür planen wir in Zusammenarbeit mit den Johannitern ein mobiles Angebot. Es ist geplant, einen alten Rettungswagen umzufunktionieren und mit Medikamenten und Geräten auszustatten. So können wir mehr Menschen erreichen und wir werden auch die Möglichkeit haben, eine erweiterte Diagnostik mit Ultraschall und gegebenenfalls CTG anzubieten.
Viele Frauen warten seit Monaten auf einen Termin bei einer niedergelassenen Gynäkologin. Der Wunsch der Schwangeren, einmal eine Ultraschalluntersuchung zu bekommen und ihr Kind zu sehen, ist aufgrund der psychischen Situation der Geflüchteten sehr gut nachvollziehbar. Des Weiteren versorgen wir ja nicht nur Schwangere, sondern mehrheitlich Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen, bei denen uns ohne Ultraschalldiagnostik oft die Hände gebunden sind.
Die Zahl unserer Freiwilligen wächst stetig und wir freuen uns über jede Unterstützung. Langfristig muss natürlich überdacht werden, ob eine solch wichtige Arbeit von examinierten Fachkräften auf ehrenamtlicher Basis gestemmt werden sollte. Es gibt vereinzelt Hebammen, die auf Honorarbasis in Unterkünften arbeiten, die Stellen dafür reichen jedoch lange nicht aus. Gynäkologinnen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, sind uns keine bekannt. In der aktuellen Situation steht das für uns jedoch nicht im Vordergrund, da die Hilfe jetzt gebraucht wird und keine bürokratischen Hürden im Weg stehen sollen.
Ob Hebamme, Gynäkologin, Menschen mit Kenntnissen in Farsi, Arabisch, Kurdisch und anderen Sprachen oder interessierte HelferInnen mit innovativen Ideen: Kontakt ist erwünscht unter www.wht-hh.org oder per E-Mail an mitmachen@frauengesundheitsteam.de. Auch Spenden sind willkommen. Zweckgebundene Spenden nimmt der Spielplatzverein Bartelsstraße und Schulterblatt (BaSchu e.V.) entgegen.
Konto: IBAN: DE50 2007 0024 0320 8329 00 BIC: DEUTDEDBHAM Verwendungszweck: Women‘s Health Team