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Der «neue Vater«, der sich um seine Kinder kümmert, ist in den Medien häufig anzutreffen. In Wirklichkeit scheint es mit der gleichberechtigten Rollenaufteilung nicht zu klappen – Frauen übernehmen nach wie vor den Löwenanteil bei Kindererziehung und Haushalt. Was bringt ein Vater aus evolutionsbiologischer Sicht mit, was fordern Gesellschaft und Wirtschaft?

Zumindest für das Tierreich sieht das Klischee ja so aus: Die Väter profilieren sich bei der Zeugung, die Mutter dagegen bei der Pflege des Nachwuchses. Ganz grob trifft dieses Klischee auch zu. Allerdings eben nicht immer. Bei etwa 10 % der Vogel-Arten und bei immerhin 3 % der Säugetiere spielen auch die Väter eine direkte, mit-versorgende Rolle bei der Aufzucht des Nachwuchses (Renz-Polster, 2022). Bei ein paar wenigen Tierarten, wie etwa bei den Marmosett-Affen, sind die Väter in der direkten Pflege sogar führend. Bei vielen Arten, in denen Väter bei der Aufzucht mitmachen, sind zusätzlich noch andere Gruppenmitglieder in die Versorgung der Kleinen eingespannt, etwa bei den Wölfen oder bei den Elefanten – nur durch ein solches Gemeinschaftswerk kann bei diesen Arten der Nachwuchs alles bekommen, was er für seine Entwicklung benötigt. Diese Gruppe der »kooperativen Brüter« wird vom Menschen angeführt – sein Nachwuchs ist stärker auf Mit-Verpfleger:innen angewiesen als der jeder anderen Art.

Das kooperative Erziehungsmodell

Woran liegt das? Der Mensch hat im gesamten Tierreich den »aufwendigsten« Nachwuchs. Verglichen mit anderen Säugetieren wird ihm im Grunde ein glorifizierter Fetus geboren – ganze drei Viertel seines Gehirnwachstums muss das neu geborene Menschlein noch außerhalb des Mutterleibs abwickeln. Diese »physiologische Unreife« hat einen guten Grund: Nie und nimmer würde nämlich das XXL-Gehirn, auf das wir Menschen unsere ganze Lebenshoffnung setzen, durch das XXS-Becken passen, auf das wir als Zweibeiner beschränkt sind. Beim Menschen schmerzt deshalb nicht nur die Geburt, sondern auch die Pflege: Während ein Fohlen gleich nach der Geburt losrennt, kann ein Menschenjunges noch nicht einmal aus eigener Kraft den Kopf heben, es bleibt noch viele Monate ein echter Pflegefall. Und es kann sich nicht einmal selbst festhalten wie etwa ein Schimpansenjunges, nein – es nimmt immer zwei Hände in Beschlag, ob zum Tragen, zum Stillen, zum Beruhigen.

Damit nicht genug: Längst bevor der kleine Mensch für sich selbst sorgen kann, rundet sich garantiert wieder der Bauch der Mutter – auch das ein evolutionärer Sonderweg der menschlichen Art. Schimpansen, Gorillas und Co. sind da »klüger«: Sie sorgen für ein Kind so lange, bis es selbst für sich sorgen kann – dann kommt das nächste. Und apropos »für sich selbst sorgen«: Auch dafür braucht das Menschenjunge länger als der Nachwuchs jeder anderen Art – ein ganzes Viertel seines Lebens nämlich. Das Grund-Axiom der menschlichen Art lautet deshalb: Kinder können nur gedeihen, wenn möglichst viele Helfer:innen mitziehen (Renz-Polster, 2022).

Die Rolle der Väter

Und welche Rolle spielen dabei die Väter? Da fallen aus Sicht der evolutionären Verhaltensforschung vor allem zwei Dinge auf:

Erstens hat ihr Engagement (wie das der anderen Helfer:innen auch) zwei Seiten. Es kann direkt sein (also Hands-on am Kind) oder indirekt (etwa, indem der Unterhalt der Mutter oder des Kindes mit getragen, erleichtert oder unterstützt wird). Tatsächlich tragen Väter in vielen Gesellschaften unabhängig von ihrer direkten Nähe zum Kind zur Entwicklung ihrer Kinder bei, und sei es »nur« durch Schutz, materielle Mitversorgung, Transfer von Status und anderem sozialen Kapital, oder generell durch die Stärkung des sozialen Gefüges rund um das Kind. Die Statistiken sind eindeutig: Kindern mit Vätern geht es im Schnitt besser, auch dort wo die Väter den Kindern nicht unbedingt die Windeln wechseln.

Zweitens ist die Hilfe der Väter sehr variabel, und zwar sowohl ihr direkter als auch ihr indirekter Beitrag – das gilt selbst für die »ursprünglichen« Kulturen, die vom Jagen und Sammeln leben. So sind bei den Aka im Kongo die Väter an immerhin 22 % der direkten Interaktionen mit dem Säugling beteiligt. Bei den Agta auf den Philippinen dagegen nur 4 %. Wie viel Väter sich »direkt« einbringen, hat zum einen mit der Art des »Broterwerbs« zu tun. Großwildjagd in kargen Regionen etwa bedeutet für einen Vater oft viele Tage Abwesenheit vom Camp. Zum anderen spielt aber auch das Geschlecht der Kinder und deren Entwicklungsstand eine Rolle. So spielen etwa Väter bei den Kung in der Kalahari nur relativ wenig mit Säuglingen (übrigens gleich viel mit Mädchen und Jungen), verbringen aber später viel Zeit mit den (männlichen) Jugendlichen, wenn diese sich der Jagdgruppe anschließen.

Welches Arrangement besser ist, die direkte oder die indirekte Unterstützung der Kinder, kommt auf die Umstände an. Einen gut gestimmten, kompetenten Vater um sich zu haben ist natürlich ein Plus. Aber wie ist es mit einem weniger zugeneigten Vaterexemplar? Denken wir einmal an die Nachkriegszeit zurück. Vielleicht war damals der entscheidende Beitrag der teilweise schwer traumatisieren und zudem oft extrem autoritär aufgeladenen Väter der, dass sie sich bald schon an die Wirtschaftswunderfront verabschiedet haben.

Von Vätern und Flegeln

Und noch ein Einfluss auf die direkte Pflegeleistung des Vaters wäre zu nennen: Männern stehen bei der Versorgung ihres Nachwuchses mehr Optionen offen als Frauen. Frauen nämlich können in ihrem Leben nur wenige Male ein Kind bekommen – da liegt es nahe, so viel in dessen Versorgung zu stecken wie nur möglich. Tatsächlich lassen Mütter ihre Kinder nur in Extremsituationen im Stich (wie etwa bei psychischer Erkrankung oder sozialer Deprivation). Anders sieht das bei den Männern aus – ihnen steht neben der »Qualitäts«- auch eine Quantitäts-Strategie offen, die dann so aussieht: es mit dem Pflegebeitrag nicht so genau nehmen und stattdessen mehr Kinder zeugen (Evolutionsbiolog:innen bezeichnen letzteres als cad-Strategie und stellen diese der dad-Strategie gegenüber – cad heißt in etwa Flegel oder Lümmel). Das heißt: Die einen sind sorgende Väter, die anderen sorgen sich mehr um sich selbst und ihre neuen Eroberungen.

Tatsächlich neigen Männer abhängig von ihrer Persönlichkeit, ihren sozialen Ressourcen und insbesondere ihrer Beziehung zur Mutter eher zu der einen oder anderen Strategie. Die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert fasst es in ihrem Buch »Auf die Väter kommt es an« so zusammen: »Wir sehen ein Drittel aktive Väter, ein Drittel passive, die wirklich nur das Nötigste machen, und dann eben Väter, die so in der Mitte liegen, sich einbringen, aber am Wochenende auch mal gern ihre Ruhe haben.« Der beste Vorhersehefaktor für das Engagement des Vaters ist dabei nach wie vor, wie glücklich er sich in der Partnerschaft fühlt. Eine wunderbare Synthese der dad und cad- Strategien ist übrigens in manchen Gebieten Mittel- und Südamerikas zu beobachten: Dort wird angenommen, dass ein Kind aus dem Samen all der Männer entsteht, mit denen die Mutter während der Schwangerschaft Verkehr hatte – diese sozusagen per Beischlaf motivierten »sozialen Väter« unterstützen das Kind dann tatsächlich auf seinem Entwicklungsweg.

Für viele Rollen gerüstet

Fassen wir kurz zusammen: Die Mutter hat wenig Wahlmöglichkeiten, ob sie eine Mutterschaft übernimmt, Väter aber durchaus. Trotzdem sind Männer bei der kooperativ brütenden Art Homo sapiens für das Gedeihen der Kinder elementar wichtig. Biologisch sind sie für fast alle Versorgungstätigkeiten gerüstet. Nicht einmal das Testosteron taugt da als Ausrede – wenn Männer nämlich mit einer werdenden Mutter zusammenleben, fällt ihr Testosteronspiegel prompt um etwa ein Drittel ab. Zudem steigt ihr Oxytocinspiegel an, sobald sie sich selbst um ein Baby kümmern. Männer haben vielleicht nicht immer die gleichen Startbedingungen, was die Entwicklung von Fürsorglichkeit angeht, aber sie haben das gleiche Potenzial. Die Natur meint es gut mit den Vätern!

Tatsächlich kann die Begegnungsformel in etwa so beschrieben werden: Je mehr Nähe und Verantwortung Väter im Alltag übernehmen, desto fürsorglicher werden sie. Schon für die Jäger-Sammlergruppe konnte der Ethnologe Barry Hewlett am Beispiel der Aka zeigen, dass es die direkte Fürsorge ist, die Väter zu fürsorglichen Vätern werden lässt. Er beschreibt, dass die Väter in der Jagdsaison bei langen Märschen ihre kleinen Kinder tragen, und dabei eine enge Beziehung entwickeln. Sein Kollege Michael Lamb, Psychologe an der University of Cambridge, geht sogar so weit, dass er die Rolle, die Vater und Mutter jeweils spielen, für viel einflussreicher hält als das Geschlecht. So übernimmt ein Vater, der hauptsächlich für die Betreuung des Kindes verantwortlich ist, auch das traditionell eher »mütterliche« Verhaltensmuster, also einen von Empathie geleiteten, eher tröstenden Erziehungsstil. Das dem Kind eher entferntere andere Elternteil zeigt dann eher den spielerischen, körperlicheren »väterlichen Stil« – unabhängig vom Geschlecht. Wissenschaftler:innen konnten auch zeigen, dass die Fähigkeit, das eigene Baby an seinem Schreien zu erkennen – traditionell als mütterliche Kompetenz verstanden – nicht vom Geschlecht der Eltern abhängt. Sondern davon, wie viel Zeit sie mit dem Nachwuchs verbringen. Die »mütterlichen Instinkte« haben wohl so wenig ein Geschlecht wie die Seele nach Ansicht der Philosophen der Aufklärung eines hat.

Anders ausgedrückt: Männer sind »disponiert«, ihren Nachwuchs gut und feinfühlig zu versorgen. Diese Disposition ist womöglich nicht ganz so zwingend wie die der Mutter und von Mann zu Mann vielleicht stärker variabel als von Frau zu Frau. Zudem haben Väter einen gewissen Startnachteil – auch sie bauen in der Schwangerschaft eine Bindung zum Kind auf, aber möglicherweise sind die Gelegenheiten dazu für die Mütter doch intensiver.

Ob sie das dann auch tun – ob sie ihre Disposition zur direkten Versorgung des Kindes also nutzen, hängt von mehreren Dingen ab. Etwa vom herrschenden kulturellen Leitbild und damit vom herrschenden Menschenbild: Was ist ein Mann? Was ist eine Frau? Noch vor wenigen Generationen galt ein Kinderwagen-schiebender Mann als ein »testosteronverarmtes Mangelwesen«. Vergleicht man Lebenswege der letzten Generationen, so fällt tatsächlich ein Muster auf: Je gleichwürdiger die Beziehungen zwischen Mann und Frau, desto eher nehmen Männer auch eine direkte Beziehung zu ihren Kindern auf.

Im kulturellen Sturm

Hier und heute nutzen die Väter die Breite ihrer »Vaterschafts-Optionen« voll und ganz aus. Weil gerade in den sozialen Medien die positiven Leitbilder dominieren, geht manchmal unter, welch langer Weg noch vor uns liegt. Das zeigen die Statistiken (Landschaftsverband Rheinland, 2020). Schon mit der Rollenaufteilung scheint es nicht so richtig klappen zu wollen – Frauen übernehmen nach wie vor den Löwenanteil der Haushaltspflichten. Unmittelbar mit den Kindern verbringen die Mütter sogar fünfmal mehr Zeit als die Väter. Auch treten die Männer im Schnitt am Arbeitsplatz nicht etwa kürzer, wenn sie kleine Kinder haben, sondern arbeiten länger und machen mehr Überstunden (übrigens finden Mütter das mehrheitlich in Ordnung).

Aber es darf nicht vergessen werden: So sehr die neue Beziehungskultur zwischen Vater, Mutter und Kind Realität in vielen Familien ist – der Megatrend in den Familien heißt weiterhin Belastung und Fragmentierung. In allen Befragungen sinkt die Zufriedenheit mit der Beziehung kräftig ab, sobald das erste Kind geboren ist. Pro Jahr werden in Deutschland viele Kinder zu Trennungskindern. Die meisten Eltern trennen sich, wenn die Kinder etwa zwei bis vier Jahre alt sind. Offenbar schweißen Menschenkinder ihre Eltern also nicht unbedingt zusammen. Und das liegt weiterhin an unserem uralten Dilemma: Menschenkinder brauchen mehr »Helfer am Nest« als in einer Kernfamilie verfügbar sind. Viele Familien sind deshalb überlastet – und zerbrechen gerade deshalb oft an ihrem eigentlichen evolutionären »Geschäftszweck«, nämlich für ihrem Nachwuchs zu sorgen.

Wir sollten deshalb auch die Diskussion um die Väter wieder näher an die Originaltöne aus der Familien-Szene bringen. Denn weder stimmt das putzige Klischee, dass ein Vater allein schon deshalb ein Supervater ist, weil er seine Vätermonate nimmt. Noch stimmt das Klischee des seine vielen Rollen wunderbar ausfüllenden Mannes. Im Gegenteil – in den Familien herrschen echte Konflikte. Für den Vater, für die Mutter und für das Kind.

Bei der Bestandsaufnahme der Familie 2.0 fallen vor allem zwei Konfliktfelder auf, die jede:r kennen sollte, der oder die mit jungen Familien arbeitet und mit ihnen nach Wegen suchen will, auf denen sich die Beteiligten wirklich »neu« begegnen können. Sie beeinflussen mit, wie unterstützend der Vater etwa in Bezug auf das Stillen sein kann oder wie er konkret für psychische Entlastung insbesondere am Lebensanfang sorgen kann.

Das Romantik-Dilemma

Nach der Folklore ist das Leben in der Familie ganz einfach: Man sorgt als Paar gut füreinander und man sorgt gemeinsam gut für das Kind. In Wirklichkeit aber treten dabei erhebliche Konflikte und Spannungen auf. Sie erklären, warum gerade junge Paare mit Kindern nicht selten in Partnerschaftskrisen stürzen. Tatsächlich nämlich gründen sich Familien nach dem westlichen Beziehungsmodell auf einen Stoff, der von Natur aus flüchtig ist, nämlich auf die romantische Liebe. Die Geburt eines Kindes verhält sich zu diesem Modell wie der Reißnagel zum Luftballon – ein Kind ist weder das richtige Rezept für romantische Erfüllung noch für die Erfahrung von Selbstwirksamkeit (und für die Selbstbespiegelung schon gar nicht). Im Gegenteil: Das jetzt Eltern gewordene Paar erwartet zunächst einmal eher eine narzisstische und romantische Kränkung. Letztere betrifft vor allem den Vater – für ihn kann es sehr wohl eine Belastung sein, dass die Partnerin nun in einen weiteren Menschen »verliebt« ist und darin Erfüllung findet – zumal die ganzen bisher zur Liebesbeziehung gehörenden Rituale und Bestärkungen, vom regelmäßigen Sex bis zur gemeinsam verbrachten Zeit, jetzt Mangelware sind.

So entstehen Teufelskreise: Vielleicht zieht sich der Mann (womöglich entgegen seiner Wünsche oder Ideale) stärker auf seine indirekte Versorgerrolle zurück, zum Beispiel weil er so seinem eigenen Bild von väterlicher Tüchtigkeit am ehesten entsprechen kann. Er macht Überstunden, baut an seiner Karriere oder an einem Haus. Oder er sucht romantische Erfüllung außerhalb der Beziehung – dass das so selten nicht ist, zeigt die Scheidungsstatistik, nach der gerade junge Familien stark von Trennungen betroffen sind.

Oder aber es gelingt dem Paar die »Verdreianglung« (Triangulierung) aufzuheben. Etwa indem der Vater Schritt für Schritt eine für ihn »belohnende« Beziehung und Bindung zum Kind entwickelt. Oder indem das Paar eine gemeinsame Lebensvision entwickelt, die sich zusammen mit dem Baby verfolgen lässt (etwa eine Schweizer Alm betreiben oder das Familiengeld nutzen und mit dem Baby auf Reisen gehen). In einem geteilten Alltag sind auch gemeinsame Belohnungen enthalten.

Gerne wird empfohlen, dass sich das Paar Hilfe organisiert, um als Paar zu überleben. Der gemeinsame Kinoabend kann ja tatsächlich Brücken bauen und vielleicht sogar die eine oder andere Partnerschaft retten. Übertreiben aber sollte man die Erste Hilfe auch wieder nicht – ein Paar, das nur bei »wegorganisiertem« Kind wirklich miteinander glücklich sein kann, hat es im echten Familienleben langfristig schwer.

Andere Paare begegnen dem »Dreiecks-Problem«, indem sie das Dreieck zu einem Vieleck werden lassen, etwa indem sie sich mit Großeltern, Freunden, anderen Eltern oder gar in Lebensgemeinschaften zusammentun, wo sich allein durch die vielfältigere Aufteilung der Belastung eine Rollenentlastung ergibt. Und immer gilt: Kein Weg kann für alle der richtige sein, aber jede Familie hat mit dem Problem zu tun und muss das Dreiecks-Dilemma irgendwie bei den Hörnern packen.

Nie gut genug

Das zweite Dilemma rund um das Bild vom »neuen Vater« ist das: Er wird den Ansprüchen nie genügen. Seit sich in den hoch produktiven Gesellschaften die Zuschreibung der Geschlechterrollen lockert, hat sowohl die Mutter als auch der Vater mit dem Alleskönner-Dilemma zu kämpfen – und das ist tückisch. Da steht nicht weniger an als die Quadratur des Kreises: Man muss sozialen und beruflichen Erfolg haben, ein guter Partner sein und gleichzeitig ein guter Vater (oder eine gute Mutter). Und gleichzeitig auch noch jung, frisch und attraktiv bleiben. Ein Mann sollte gleichzeitig ein echt »weiblicher Typ« sein (wenn er dabei auch noch gut verdient: auch nicht schlecht), die Frau dagegen auch »ihren Mann stehen«. Was wie eine emanzipative Befreiung aussieht, schafft im Alltag oft genug eine Diktatur: Wie soll ein Mensch dieses extrem überlastete (Selbst-)Bild von Mann oder Frau je ausfüllen? Wer alles von sich und seinem Partner erwartet, kann nur verlieren – dabei wäre mancher Vater vielleicht ein besserer Vater, wenn er sich mehr auf seine indirekte Rolle besänne, ein anderer dagegen dadurch, dass er im Haushalt mehr Dampf macht.

Dazu kommen moralische Vorstellungen der Gesellschaft. Früher war es die arbeitende Mutter, der das Rabenmutter-Stigma angeheftet wurde. Heute muss sich eine Mutter oft den Vorwurf anhören, sie sei ja wohl von vorgestern, wenn sie nach einem Jahr »Babypause« nicht wieder erwerbstätig ist und ihr Kind weiter zu Hause betreut. Es ist auffällig, dass heute eine Frau ausgerechnet dann als »emanzipiert« gilt, wenn sie genau die Rolle einnimmt, die die Wirtschaft gerade braucht.

Besonders schwierig wird die Situation dadurch, dass dem neuen Rollenmodell in den meisten gesellschaftlichen Bereichen ein längst nicht mehr passendes Arbeitsmodell entgegensteht, das insbesondere durch wenig Flexibilität in den Arbeitszeiten und der Unmöglichkeit einer Kinderbetreuung am Arbeitsplatz gekennzeichnet ist. Natürlich sind Vätermonate wichtig. Aber was aus Sicht eines kooperativen Brüters vor allem gebraucht wird, ist mehr Zeit gerade in den ersten Lebensmonaten, wo hier und heute das Versorgungsnetz in den Familien ja besonders dünn ist. Gerade jetzt, wo die Kinder ihre »physiologische Unreife« aufholen müssen und ihre emotionale Regulation im entspannten Wechselspiel mit ihren Bindungspersonen erlernen müssen – gerade jetzt braucht es die Väter. Gerade jetzt braucht es die Möglichkeit, dass beide Eltern mit anpacken können.

Das frühkindliche Lernen, von dem so viel die Rede ist, die Förderung der kindlichen Entwicklung, läuft nun einmal über nichts anderes als über Beziehungen. Und die brauchen Raum, Ruhe und Freiheit von Stress. Da ist es ein schwacher Trost, dass der Vater vielleicht in einem Jahr seine Vater-Monate nehmen kann. Wichtiger wäre es, wenn er seine Vaterzeit auf die ganze, besonders stressige Anfangszeit verteilen könnte.

Es gibt kein Rezept

Damit zurück zum Vater. Ja, es gibt ihn, den »neuen Vater«, aber wie die neue Frau auch steht er gewaltig unter Druck. Welchen Weg er für sich als Vater sieht, ob er sich in einem »neuen« oder eher »alten« Muster einbringt, hängt viel mit seiner Sozialisation zusammen, mit seinem Menschenbild und seinen eigenen Beziehungserfahrungen. Auf jeden Fall ist seine Art der Vaterschaft eine persönliche, eigene Sache – sie ist seine Sache als Mann und keine Sache für den Rezeptblock der Gesellschaft.

Eine andere Sache aber ist der gesellschaftliche Rahmen, in dem sich Vaterschaft und Vaterschaftsideale entfalten können. Und da sind die Gesellschaft und die Wirtschaft in der Pflicht. Die Wirtschaft redet ohne Unterlass von Familienförderung, von den sinkenden Kinderzahlen (hinter denen sie die ausbleibenden Facharbeiterbewerbungen der Zukunft sieht). Aber dann, bitte schön, gilt es auch die Bedingungen zu schaffen, dass Familien gut für ihre Kinder sorgen können. Der Ruf nach Krippen ist zu billig, am Lebensanfang ist das kein Ausweg. Es muss Flexibilität her, Zeit für die Väter, damit sie das tun können, was ihre evolutionäre Aufgabe schon immer war: ihren Kindern und Partnerinnen den Rücken zu stärken.

Wenn die Gesellschaft es nicht schafft, von ihrer Wirtschaft mehr Freiheit für die Väter zu bekommen, dann wird das Experiment des »neuen Vaters« nämlich irgendwann sowieso beendet. Und zwar mangels Teilnehmer: Es wird einfach immer weniger Familien geben, die unter diesen Bedingungen Kinder bekommen. Nicht, weil sie das nicht wollen, sondern weil sie das – wir sind bei Homo sapiens und nicht beim Pferd – nicht können.

Zitiervorlage
Renz-Polster, H. (2023). Die Rolle des Vaters aus evolutionsbiologischer Sicht: Wozu braucht es Väter? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (10), 64–70.
Literatur
Ahnert, L. (2022). Auf die Väter kommt es an. Ullstein Hardcover.

Landschaftsverband Rheinland. (2020). Neue Väter – Gibt es sie? Selbstverständnis und Bedürfnisse von Vätern im öffentlichen Dienst. https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/derlvr/dokumente_247/Franzke_Neue_Vaeter_Gibt_es_sie_2020.pdf

Renz-Polster, H. (2022). Kinder verstehen. Komplett überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe 2022. Kösel.

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