Ein Überblick über die Häufigkeit und Evidenz der vaginal-operativen Geburt, ihre Indikationen und möglichen Folgen.
Ein Überblick über die Häufigkeit und Evidenz der vaginal-operativen Geburt, ihre Indikationen und möglichen Folgen.
Abbildung 1: Sectioraten, VE und Forzeps in der klinischen Geburtshilfe in Deutschland 2017
In deutschen Kreißsälen wurden 2017 777.820 Kinder geboren. 30,5 % der Geburten fanden per Kaiserschnitt statt, eine Saugglocke kam bei 5,9 % der Geburten zum Einsatz, eine Geburtszange bei 0,3 %. Die Anzahl und Anteile der Sectiones, Vakuumextraktionen (VE) und Forzepsgeburten in den einzelnen Bundesländern sind extrem unterschiedlich und nicht mit medizinischen Faktoren erklärbar (siehe Abbildung 1).
Die durchschnittliche Rate an vaginal-operativen Geburten in Europa lag bei 7,2 %, mit einer großen Bandbreite von 15 % in Spanien und 3 % beispielsweise in Rumänien, Litauen oder Kroatien. Die Zahlen von 2015 zeigen, dass die Raten der vaginal-operativen Geburten nicht mit den Sectioraten korrelieren (siehe Abbildung 2).
Übergewicht und Adipositas führen eher zur Sectio als zur vaginal-operativen Geburt. Eine Studie mit 4.605 Erstgebärenden in Oslo zeigte, dass die Zahl der vaginal-operativen Geburten mit steigendem BMI abnimmt, während die Zahl der sekundären Sectiones deutlich steigt (Pettersen-Dahl 2018).
Die AWMF-Leitlinie zu vaginal-operativen Entbindungen (Registernummer 015–023, Klassifikation S1) vom 31. Mai 2012 war gültig bis 30. Mai 2017. Wie viele weitere geburtshilfliche Leitlinien ist sie in Überarbeitung. Dies war neben dem Alter der Leitlinie zudem deshalb nötig geworden, da bisher darin aufgeführte »Indikationen, Voraussetzungen und Kontraindikationen der vaginal-operativen Entbindung (…) auf klinischen Erfahrungen sowie auf Empfehlungen oder Leitlinien von Expertenkomitees« beruhten und nicht evidenzbasiert waren.
Quelle: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-023.html
Ein Vergleich der Geburtsergebnisse nach der Implementierung evidenzbasierter Leitlinien für das späte Schieben in der Austreibungsphase bei Frauen mit PDA zeigte Folgendes: Die Rate der vaginal-operativen Geburten mit Vakuum in der Gruppe der Frauen nach Implementierung des späten Mitschiebens (N=429) war signifikant niedriger als vorher (N=403, aOR 0,47 [0,29–0,75], P < 0,001). Dabei gab es keine Unterschiede bei den Fünf-Minuten-Apgar-Werten, schweren Geburtsverletzungen sowie der Episiotomie- oder Sectiorate.
Quelle: Sommerness SA et al.: Birth Outcomes After Implementing an Evidence-Based Guideline for Managing Delayed Pushing in Second Stage Labor in Women with Epidural Anesthesia. Research on Women’s Health 2018. RWH
Eine Kohortenstudie mit 1.528 Frauen untersuchte die mittelfristigen Auswirkungen von Geburten verschiedener Modi. Der Kaiserschnitt zeigte geringere Zahlen bei Stressinkontinenz, Drangblase und Prolaps der Beckenorgane als der Spontanpartus, während vaginal-operative Geburten vor allem mit häufigeren Analinkontinenzen und Organvorfällen einhergingen. Ein bestehenbleibender größerer Levatorspalt erhöhte das Risiko von Organvorfällen, unabhängig vom Geburtsmodus.
Quelle: Blomquist et al.: Association of delivery mode with pelvic floor disorders after childbirth. JAMA 2018. 320(23) 2438–2447
Eine Studie untersuchte die langfristigen Auswirkungen vaginaler und vaginal-operativer Geburten auf die Muskeln Levator ani und Sphincter ani. Dazu wurden in Neuseeland aktuelle translabiale und transperineale Befunde von 191 Frauen mehr als 20 Jahre nach ihren Geburten ausgewertet. Ihr Durchschnittsalter lag bei 50,8 Jahren, die durchschnittliche Kinderzahl lag bei 3.
29 Frauen (15,2 %) zeigten einen Levatorabriss und 24 Frauen (12,6 %) hatten signifikante Defekte am Sphincter ani. Am häufigsten waren die Levatorabrisse mit 21 % bei Forzepsgeburten zu finden im Gegensatz zu 11 % bei den spontanen Geburten. Aufgrund der kleinen Studiengruppe bedeutet dies jedoch keinen signifikanten Unterschied. Weitere Studien werden empfohlen, da Levatorabrisse und Sphinkterverletzungen zur Entstehung von Organsenkungen und Inkontinenzen beitragen können.
Quelle: Lin S et al.: Delivery mode, levator avulsion and obstetric anal sphincter injury: A cross-sectional study 20 years after childbirth. Australian and New Zealand Journal of Obstetrics and Gynaecology 2019
Eine vaginal-operative Geburt verändert nicht den Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs nach der Geburt. Frauen nach einer vaginal-operativen Geburt haben aber häufiger Orgasmus-Schwierigkeiten als Müttern nach einer Spontangeburt. Auch im Vergleich zu Frauen mit einem Kaiserschnitt haben sie häufiger sexuelle Probleme, wie erregt zu werden oder einen Orgasmus zu bekommen.
Quelle: Barbara G et al. : Impact of mode of delivery on female postpartum sexual functioning: spontaneous vaginal delivery and operative vaginal delivery vs cesarean section. The journal of sexual medicine 2016. 13(3) 393–401
Bei einer griechischen Fallkontrollstudie (N= 203 Kinder zwischen 0–14 Jahre) aus Daten der Greek National Registry for Childhood Hematological Malignancies and Solid tumors (NARECHEM-ST) zeigte sich, dass vaginal-operative Geburten mit einer höheren Inzidenz von Gehirntumoren einhergingen als Spontangeburten. Sectiones dagegen gingen mit einer niedrigeren Inzidenz einher.
Quelle: Georgakis MK et al.: Perinatal and early life risk factors for childhood brain tumors: Is instrument-assisted delivery associated with higher risk? Cancer epidemiology 2019. 59: 178–184
Versuchte und vollendete vaginal-operative Geburten aus Beckenmitte sind mit einer deutlich höheren Rate an schweren Geburtstraumata für Mutter und Kind verbunden als die sekundäre Sectio. Für eine Studie hierzu wurden die Daten von 10.901 Einlingsgeburten am Termin in British Columbia, Kanada, in den Jahren 2004 bis 2014 ausgewertet, bei denen eine vaginal-operative Entbindung versucht wurde (davon 5.057 wegen Dystokie, 5.844 wegen fetalem Dysstress). Dabei wurden 2.215 Geburten mit Forzepsversuchen und 1.223 Geburten mit Vakuumversuchen ausgewertet im Vergleich zu 2.119 Sectiones (bei 287 Geburten wurden mehrere Instrumente genutzt). Die Rate der schweren mütterlichen Morbidität und Mortalität, wie postpartale Blutungen, Schock, Sepsis oder Herzkreislaufkomplikationen, und der schweren kindlichen Morbidität und Mortalität, wie schwere Geburtsverletzungen, Krampfen, Tod, infolge dieses Eingriffes schwankte je nach Indikation und benutztem Instrument und war mit einem 2,8-fach bis 8,5-fach höheren Risiko verbunden im Vergleich zur Sectio. Postpartale Blutungen und schwere Dammverletzungen stellten bei beiden Instrumenten, vor allem aber beim Forzeps die mit Abstand am häufigsten Komplikationen für die Frau dar. Die Kinder erlitten vor allem Atemnotsyndrome und Traumata, wie intrakranielle Blutungen und schwere Verletzungen der Nerven, Knochen oder Organe. Noch schwerer waren die Folgen bei mehreren Versuchen instrumenteller Geburtsbeendigung.
Die AutorInnen äußern aufgrund der Ergebnisse Bedenken zu Überlegungen, die Sectiorate durch eine vermehrte Anwendung vaginal-operativer Geburten senken zu wollen, da dies insbesondere die Rate schweren Geburtstraumata bei Mutter und Kind sowie die Zahl der schweren Nachblutungen bei der Mutter erhöhen könnte.
Quelle: Muraca GM et al. : Perinatal and maternal morbidity and mortality among term singletons following midcavity operative vaginal delivery versus caesarean delivery. BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology 2018. 125(6) 693–702