Die Hebamme trat am 11. Mai 2017 um 7 Uhr den Dienst im Kreißsaal des örtlichen Krankenhauses an. Zu diesem Zeitpunkt saß eine Frau im Kreißbett, ihr wurde eine PDA gelegt, die Hebamme aus der Nachtschicht leitete gerade die kindlichen Herztöne ab. Um 7.25 Uhr erfolgte die Übergabe der Wehenden.
Um 7.35 Uhr und um 8.10 Uhr führte die Hebamme bei der Frau jeweils eine vaginale Untersuchung durch, die einen Muttermundbefund von 4 cm beziehungsweise 7 cm ergab. Zudem ließ sich am Kind eine große Kopfgeschwulst ertasten. Dabei ging die Hebamme ihrer üblichen Routine folgend vor. Die Patientin ließ sich nur schwer untersuchen. Ab 9.05 Uhr stand die Patientin zusätzlich unter ärztlicher Betreuung, um 9.33 Uhr brachte sie einen lebensfrischen Jungen zur Welt.
»Hilflos ausgeliefert?«
Nach der Geburt behauptete die junge Mutter, die Hebamme habe die beiden vaginalen Untersuchungen gegen ihren Willen durchgeführt. Zudem habe die Hebamme versucht, bei den Untersuchungen den Muttermund manuell zu erweitern. Die Frau behauptete weiter, die Hebamme habe die Aufforderungen, die Untersuchungen nicht durchzuführen, bewusst ignoriert. Die Untersuchungen seien für sie extrem schmerzhaft gewesen. Angesichts ihrer unterlegenen Rolle als Gebärende habe sie den Kreißsaal nicht verlassen können und sei der Hebamme praktisch hilflos ausgeliefert gewesen. Dass die Durchführung der vaginalen Untersuchungen medizinisch geboten gewesen sei, spiele in diesem Zusammenhang für sie keine Rolle.
Die Frau erhob wenige Monate nach der Geburt ihres Kindes Klage vor dem Amtsgericht und verlangte von der Hebamme die Zahlung von 1.000 Euro Schmerzensgeld. In der mündlichen Verhandlung befragt, gab sie an, die Hebamme habe ihr regelrecht den Muttermund aufgerissen. Unter Tränen habe sie die Hebamme angeschrien, mit der Untersuchung aufzuhören. Ihr Ehemann gab als Zeuge zu Protokoll, die Hebamme habe bei der vaginalen Untersuchung Blutgerinnsel herausgeholt, ihre Handschuhe sofort eingerollt und weggeworfen. Demgegenüber berichtete die Hebamme von korrekt durchgeführten vaginalen Untersuchungen. Sie räumte ein, gegenüber der Patientin gegebenenfalls auch in einem strengeren Ton gesagt zu haben, dass sie bei der Geburt mitmachen und dabei auch an das Kind denken solle. Sie wies den Vorwurf, bei den Untersuchungen grob oder gar gewaltvoll vorgegangen zu sein, entschieden zurück. Sie meinte auch, dass der Handschuh bei der zweiten Untersuchung Blutspuren gezeigt habe, was ganz normal sei, wenn der Muttermund weit geöffnet sei.
Das Amtsgericht hat nach der mündlichen Verhandlung ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. In diesem gelangte der Gutachter unter anderem zu dem Ergebnis, dass die geburtshilfliche Realität häufig ein »direktives Eingreifen« von Hebamme und/oder Arzt erfordere. Ein Fehlverhalten der Hebamme konnte der Gutachter nicht feststellen.
Schwierige Beweislage
Am Ende verneinte das Amtsgericht im Urteil vom 3. Mai 2019 einen Anspruch der Frau auf Zahlung von Schmerzensgeld und wies die Klage gegen die Hebamme ab. Das Gericht konnte sich in der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen, dass die vaginalen Untersuchungen durch die Hebamme ohne Einwilligung der Wehenden durchgeführt worden waren. So wies das Gericht darauf hin, dass die Gebärende die zweite vaginale Untersuchung faktisch und ohne Gegenwehr geduldet habe. Wenn die Durchführung der vaginalen Untersuchungen nicht dem Willen der Frau entsprochen hätte, hätte sie jedenfalls vor der zweiten Untersuchung die Möglichkeit gehabt, diese sicher zu verhindern. Aus dem Urteil wörtlich: »Es ist in keiner Weise schlüssig oder nachvollziehbar, weshalb also, wäre die Sachverhaltsschilderung der Klägerseite korrekt, es überhaupt zur zweiten Behandlung [gemeint: vaginale Untersuchung] gekommen ist.« Das Urteil ist rechtskräftig.
Ausblick
Das Urteil zeigt einmal mehr die schwierige Situation, in denen eine Hebammen im Kreißsaal häufig steckt: Einerseits muss sie den Willen der Frau beachten, andererseits sind deren Wünsche manchmal nicht zielführend. Auf keinen Fall sollte sich die Hebamme in einer solchen Situation über den Willen der Frau hinwegsetzen, sondern mit ihr den Konsens suchen. Denn bereits die Durchführung einer vaginalen Untersuchung gegen den Willen der Frau ist grundsätzlich geeignet, Schmerzensgeldansprüche auszulösen, und zwar auch dann, wenn die Untersuchung indiziert war und lege artis durchgeführt wurde.