In einem Film der Serie „W wie Wissen” der ARD vom 17. März 2013 zum damals neuen nichtinvasiven Bluttest, der unter dem Namen Praenatest vermarktet wird, wird eine hochschwangere Frau gefragt, was sie von dieser Möglichkeit hält. „Ja, wenn der Test wirklich hält, was er verspricht, dann ist er einer Punktion vorzuziehen. Ein kleiner Pieks und man weiß Bescheid, das fände ich natürlich besser als die furchterregende Nadel in den Bauch. Das ist natürlich unangenehmer. Man hat natürlich auch mehr Angst und es ist mehr Risiko. Von daher wäre natürlich so ein Bluttest eine prima Sache.”
Seit August 2012 ist in Deutschland der Praenatest, einer der neuen nichtinvasiven Pränatalen Tests (NIPT), auf dem Markt und mittlerweile auch noch einige andere. Derzeit werden die Tests für ein Screening auf Trisomien eingesetzt, doch es ist heute schon möglich, mittels dieser Verfahren das gesamte Genom pränatal zu entschlüsseln. Seit Einführung der Tests sinken die Preise stetig, einige private Krankenkassen bieten bereits die Kostenübernahme an.
Paradigmenwechsel
Die anfänglichen Einschränkungen – sowohl vom Hersteller als auch von Seiten der Pränataldiagnostik (PND), den Test nur für eine begrenzte Gruppe von Frauen mit „hohem Risiko” und nach Durchführung eines Ersttrimesterscreenings anzubieten – erscheinen im Nachhinein eher als Marktstrategien. Auch der Diskurs zum Bluttest auf dem vergangenen Perinatalkongress 2013 in Berlin hat gezeigt, dass mit der Einführung ein Paradigmenwechsel in der PND verbunden ist:
- Aus medizinischer Sicht gilt der Test mit seiner hohen Sensitivität bereits jetzt als die beste nichtinvasive Untersuchung.
- Entsprechend war es Konsens der anwesenden ÄrztInnen, dass es unter diesen Umständen folgerichtig sei, sich von der ursprünglichen Strategie zu entfernen, denn es sei unlogisch, den besseren Test später anzubieten; als Konsequenz sollten alle Frauen über den Bluttest aufgeklärt werden und wenn eine Frau ihn wünscht, sollte er als erstes vor anderer Diagnostik durchgeführt werden.
- Auch Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Tests im Vergleich zu anderen pränataldiagnostischen Methoden waren Aspekte in den Diskussionen, die ethische Dimension war kein Thema.
Deutlich wurde auf dem Perinatalkongress auch, welches Potenzial der Test hat und welche Dynamiken und Fragen mit ihm verbunden sind:
- Wie lange wird es dauern, bis er sich als selbstverständliches Angebot innerhalb der Schwangerenvorsorge etabliert hat und von den Krankenkassen finanziert wird?
- Wofür und in welchem Umfang werden die neuen Verfahren dann genutzt werden?
- Wie ist es etwa mit Abweichungen in der Zahl der Geschlechtschromosomen wie Klinefelder-Syndrom (XXY) oder Turner-Syndrom (X0)?
- Wie ist es mit genetischen Informationen, die zwar keinen Krankheitswert haben, jedoch mit „unerwünschten” Eigenschaften verbunden sind?
- Was bedeutet die Information über die genetische Konstellation des Ungeborenen für Dritte – für die nicht betroffenen Eltern oder andere Familienmitglieder beispielsweise über das Brustkrebsgen oder andere spät ausbrechende Krankheiten?
- Was bedeutet das routinemäßige Vorabchecken, Wählen oder Verwerfen eines Kindes für die Ethik der Elternschaft – für unsere gesamte Gesellschaft?
- Wird es eines Tages als unverantwortlich erscheinen, sich überhaupt auf eine Zeugung ohne weitere Kontrolle einzulassen?
- Und wie können Eltern in Bezug auf alle diese Entscheidungen adäquat beraten werden?
Zum Wohle der Gesellschaft?
Viele dieser Aspekte sind auch mit den bisherigen Diskussionen um die PND verbunden. Was ist nun wirklich neu an den Bluttests? Die NIPT sind eine Weiterentwicklung der PND und sie eröffnen eine neue Dimension:
- Die Niedrigschwelligkeit des Tests: Es ist „nur ein kleiner Pieks”.
- Für die Frauen: die Option, genetische Informationen zu kennen, ohne das Risiko einer Fehlgeburt einzugehen.
- Das Analysespektrum: Es kann problemlos ausgedehnt werden auf Aspekte, die nichts mit Krankheit oder Behinderung zu tun haben.
- Wahloptionen: Neue Aspekte, die zu testen sind, beispielsweise das Risiko für Adipositas oder Brustkrebs, können einfach integriert werden.
- Die Selektionsproblematik: Die NIPT eignen sich für ein massenhaftes Screening.
- Die Ergebnisse des Sreenings: Sie können weitere Personen betreffen.
- Die gesellschaftlichen Folgen: Sie sind kaum absehbar.
Die NIPT sind eine weitere Entwicklung auf dem Gebiet der wunscherfüllenden Medizin: Dabei erscheint die Optimierung des Menschen nicht nur als Möglichkeit, sondern zunehmend als Pflicht – die Verbesserung der Gene zum Wohle der Gemeinschaft (Public Health Genetics).
Alle mit der Pränataldiagnostik verbundenen ethischen Probleme verschärfen sich durch die neuen Methoden – allerdings erscheinen sie viel subtiler. Der Banalität einer Blutprobe steht ein kaum fassbares Potenzial gegenüber, das wiederum gesellschaftlich kaum zu regeln ist. Die neuen Tests kommen als Medizinprodukte im Gendiagnostikgesetz (GenDG) direkt nicht vor, deshalb findet sich Hilflosigkeit auf Seiten der Gesetzgebung. Der Nationale Ethikrat wiederum konnte sich 2013 in seiner Stellungnahme nicht auf ein einheitliches Votum einigen. Hier, wie auch in der gesellschaftlichen Diskussion spiegelt sich die Wertepluralität unserer Gesellschaft. Vorgeburtliche Untersuchungen sind ein Fokus gesellschaftlicher Themen. Sie werden leidenschaftlich diskutiert, weil hier zentrale Werte zur Disposition stehen. Im Kontext der Bluttests verschärft sich diese Wertediskussion. Drei Aspekte stehen im Zentrum:
- die Frage der Autonomie
- die Frage nach dem Leid
- die Frage nach dem Menschenbild.
Welche Autonomie?
Autonomie hat einen hohen Stellenwert in unserer Medizinkultur. Entsprechend wird auch im Kontext von vorgeburtlichen Untersuchungen immer wieder betont, dass Frauen und Eltern eine autonome Entscheidung treffen können sollten.
Aber wie autonom sind die Frauen tatsächlich? Werden sie nicht von Beginn der Schwangerenvorsorge an durch die PND in eine Auseinandersetzung geführt, in der Risiko und Absicherung dominieren und vorgeburtliche Untersuchungen als Prävention und Prophylaxe erscheinen – als eine Chance, die man nutzen sollte? Wir wissen aus Studien (BZgA 2006), dass PND – auch gegen besseres Wissen – so erlebt und verkauft wird.
Wir wissen auch, dass eine solche Haltung der Logik des Angebots entspricht.
Der Soziologe Günter Feuerstein spricht hier von einem „angebotsinduzierten Nachfrageverhalten” (Feuerstein 2013). Die Bedürfnisse der potenziellen Abnehmer führen erst dann zu einer Nachfrage, wenn sie auf ein Angebot treffen, das diese Bedürfnisse überhaupt erst einmal weckt. Die Aufnahme der PND in den Leistungskatalog der Krankenkassen führte zu einer Normalisierung des Angebots und signalisiert damit gesellschaftliche Akzeptanz, wenn nicht gar gesellschaftliche Gewolltheit. Dazu kommt noch, dass PND als Vorsorge verstanden wird.
Ein „angebotsinduziertes Nachfrageverhalten” spiegelt sich in den Haltungen der Eltern. Interessant ist hier eine Studie des Sonderpädagogen Wolfgang Lenhard zur Akzeptanz des Bluttest bei Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung – mit beeindruckenden Ergebnissen (Lenhard 2006).
Grundsätzlich finde sich, so Lenhard, eine ablehnende Haltung gegenüber der Förderung von Forschung, die darauf abzielt, die Zahl lebend geborener Kinder mit Behinderung zu verringern. Die Mehrheit der Eltern war der Meinung, dass stattdessen die Forschung über Therapien bestehender Behinderungen verstärkt gefördert werden sollte. Andererseits würde die Mehrheit der Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung die neuen nichtinvasiven Untersuchungen in der Schwangerschaft selbst in Anspruch nehmen. Ebenso klar war die Mehrheit dafür, dass der Bluttest allen Schwangeren zur Verfügung stehen sollte. Deutlich wird hier, dass die Eltern unterscheiden. Auf der einen Seite findet sich eine kritische Haltung zu einer gesellschaftlichen Problematik. Auf der anderen Seite steht der Wunsch, für sich selbst alle Optionen zu haben. Dass die Zahl der mit Down-Syndrom geborenen Kinder in Ländern wie Frankreich und Dänemark nach der Einführung eines kostenlosen Screeningangebots für alle schwangeren Frauen drastisch sank, spiegelt diese Einstellung.
Das Gekonnte ist das Gesollte, sagt der Sozialphilosoph Günter Anders (1956) in Bezug auf die Einführung von Technologien, die zur Verfügung stehen.
Die Körperhistorikerin Barbara Duden sagt Ähnliches mit dem Blick auf die Frauen: „Frauen sollen wollen, was sie sollen” (Duden 1997). Denn das Wissen, das zwischen Arzt und Patientin verhandelt wird, ist kein „neutrales Wissen”, sondern Expertenwissen in einem ganz bestimmten Deutungsrahmen. Im Falle des Bluttests geht es hier nicht mehr um das Wohl des Patienten – wenn wir das Kind als Patienten ansehen, sondern um gesellschaftliche Ansprüche und Normen.
Der französische Philosoph und Soziologie Michel Foucault spricht von der Biomacht und der Biopolitik (Foucault 1977). Biopolitik verschiebe die medizinische Ethik. Der „mündige Bürger” solle Verantwortung übernehmen im Umgang mit seinen Risikofaktoren. Zwar werde auf der einen Seite die Autonomie betont, auf der anderen Seite aber auch die Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Aus dem Selbstbestimmungsrecht werde eine Selbstbestimmungspflicht; aus dem Informationsrecht die Informationspflicht. Heute solle der rationale Gesundheitsbürger vorausschauend und unternehmerisch mit seinen genetischen Risiken umgehen. Das Recht auf Information werde zur Pflicht der Risikominimierung – das alles unter dem Postulat der Autonomie.
Entsprechend verschiebt sich auch die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung. Wenn es für ein Kind nicht zumutbar erscheine, geboren zu werden, so die Ethikerin Hille Haker (2011), müssten Eltern nicht mehr begründen, warum es gerechtfertigt sei, eine Schwangerschaft abzubrechen, sondern sie müssten begründen, warum sie das nicht tun!
Auf diesem Hintergrund erscheint die Vorstellung von Autonomie illusionär. Wirkliche Autonomie, so Feuerstein „… bedeutet auch Freiheit von äußeren Zwängen und von der Beeinflussung durch Dritte oder durch Sanktionsmechanismen, die in die jeweils gegebenen Verhältnisse eingeschrieben sind. Dazu gehört das Wissen um das gesellschaftlich erwünschtes Verhalten ebenso wie Diskriminierungsängste und die Antizipation sozialer Konsequenzen” (Feuerstein 2013). Dies gilt nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Arzt.
Leid und Leidvermeidung
Die Themen Leid und Leidvermeidung sind unmittelbar mit dem Diskurs über Pränataldiagnostik verknüpft. Im Mittelpunkt des defizitorientierten Denkens und der Screenings steht das Down-Syndrom als ein zu vermeidbares Leid, welches das Glück der Eltern bedrohen könnte.
Um wessen Leid geht es hier eigentlich? Geht es tatsächlich um das Leid von Menschen mit Down-Syndrom oder ihrer Eltern? Menschen mit Down-Syndrom fühlen sich nicht behindert, sie werden jedoch vielfach behindert. Ebenso wie ihre Eltern, die sich Sorgen machen über die Zukunft ihrer Kinder und zu wenig Unterstützung bekommen, um den besonderen Bedürfnissen ihrer Familie gerecht zu werden. Es geht nicht darum zu moralisieren, Eltern von Kindern mit einem Down-Syndrom zu Helden zu machen und diejenigen, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entschlossen haben, moralisch abzuwerten. Vielmehr muss jedoch festgestellt werden, dass ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom nicht ein schreckliches Schicksal ist, sondern dass die Tatsache, ob es gelingt, ebenso wie bei jedem anderen Kind, von vielen Faktoren abhängt. Es ist eine große Herausforderung und sie ist anders als die anderer Eltern. Ganz entscheidend für das Gelingen ist dabei – wie bei allen Eltern – die umgebende Gemeinschaft. Sie kann eine unglaubliche Ressource sein oder Quelle für Verletzungen. Beeindruckt hat mich eine Frau, die in der 37. Schwangerschaftswoche zu mir in die Beratung kam. Kurz vorher wurden bei ihrem Kind im Ultraschall Zeichen festgestellt, die auf ein Down-Syndrom hinwiesen. Die Amniozentese, die ihr zu diesem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft noch vorgeschlagen wurde, um den Befund zu verifizieren, hat diese Frau abgelehnt. Im Gespräch mit ihr war ich beeindruckt von ihrer ruhigen und kraftvollen Ausstrahlung und davon, wie sehr sie bei sich und bei ihrem Kind war. Sie habe eine wunderbare Partnerschaft, sagte sie, und eine sehr intensive Beziehung zu ihrem ungeborenen Kind. Nicht die Diagnose war ihr Problem, sondern die Art und Weise, wie ihre Freundinnen darauf reagierten. Sie hatte sich einer Freundin anvertraut und musste einige Tage später, als sie wiederum eine andere Freundin anrief, feststellen, dass diese bereits von dem Befund wusste. Dieser Vertrauensbruch hatte sie sehr verletzt und ihr gezeigt, wie schwer es für ihre Freundinnen war, diese Diagnose auszuhalten.
Und wenn wir tatsächlich davon ausgingen, dass das Leben mit einem Kind mit einem Down-Syndrom auch mit Leid behaftet ist – so wie das Leben mit anderen Kindern auch – dann ist es doch die Frage, ob nicht die Idee eines Lebens ohne Leid eine Illusion ist? Ist das überhaupt erstrebenswert? In einer der letzten Ausgaben der Zeit (2014) wurde über eine sehr seltene Genmutation berichtet, die mit absoluter Schmerzfreiheit verbunden ist. Diese Menschen können keinen Schmerz wahrnehmen und sie sind hochgefährdet, weil sie sich ständig stark verletzen, was zu schweren Behinderungen führt. Eine stimmige Metapher für den Irrtum der Idee von Leidfreiheit.
Die Frage nach dem Menschenbild
Mehr als alle anderen Methoden stellen die neuen Verfahren der Pränataldiagnostik unser Menschenbild auf den Prüfstand und konfrontieren uns mit der Frage: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?”, oder: „Who shall survive?”, wie es Jacob Levy Moreno ausdrückt. Als Psychiater und Soziologe hat er das Psychodrama und die Soziometrie begründet und sich sein Leben lang mit den Beziehungen der Menschen in Gruppen und den Prozessen der Heilung durch die Gruppe beschäftigt. Für Moreno ist es die Vielfalt der Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Stärken und Schwächen, die eine starke Gruppe und Gesellschaft braucht. Nur wenn alle diese unterschiedlichen Eigenarten vertreten sind, so seine Theorie, entfaltet das Gesamte seine Potenziale.
Die Frage ist, ob wir es uns als Gesellschaft leisten können, die scheinbar Schwachen auszusortieren. Gibt es nicht Botschaften, die uns nur die Menschen mit Down-Syndrom vermitteln können? Ist nicht die Inklusion gerade von Menschen mit Down-Syndrom eine notwendige Herausforderung für unsere Gesellschaft? Bedeutet sie nicht einen Zuwachs an Werten, an Menschlichkeit – eine gesellschaftliche Ressource, die uns bereichert und die wir dringend brauchen?
In seiner Vision einer therapeutischen Gemeinschaft entwirft Moreno eine Weltordnung, „… die jedem Menschen ungeachtet seiner Intelligenz, Rasse, Religion oder ideologischen Gebundenheit die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Spontaneität und Kreativität gibt, die Möglichkeit zu leben oder die gleichen Rechte zu genießen” (1996: 391). Ein wichtiges Element ist dabei die Verbindung von Autonomie und gegenseitiger Hilfe beziehungsweise die Verbindung von Freiheit und Abhängigkeit. Gegenseitige Hilfe stärkt die Individualität des Einzelnen und die Solidarität der Gemeinschaft. Mit anderen Worten: Wir brauchen das Andere, das „Nicht-Perfekte”, um uns vollständig zu fühlen. Genauso brauchen wir die Vielfalt der menschlichen Gefühle – zu denen auch Schmerz und Leid gehört. Wir brauchen die Vielfalt des menschlichen Seins, um als menschliche Wertegemeinschaft zu überleben.
Deutschland ist der Behindertenrechtkonvention der Vereinten Nationen von 2006 beigetreten. Inklusion ist der leitende Wert des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Umsetzung steht in diesem Programm. Nach einem Rechtsgutachten der Bundesvereinigung Lebenshilfe widerspricht der Bluttest der UN-Behindertenrechtskonvention (BVKM 2012).
Besondere Verantwortung
Die Berufsgruppen im Kontext von Reproduktion befinden sich an der Schnittstelle von Machtverhältnissen. In der ethischen Diskussion über neue Technologien haben sie eine besondere Aufgabe. Denn sie haben viel Wissen und Erfahrungen mit Leid im Zusammenhang mit Reproduktion und Reproduktionstechnologien – ein großer Teil davon ist in weiten Kreisen der Gesellschaft völlig unbekannt. Wir erleben die große Freude der Eltern, aber auch Verzweiflung, Scham, Schuld und Verstörungen. Wir wissen, welche Herausforderung es ist, verantwortlich mit den Technologien umzugehen.
Jeder Arzt, der zu PND aufklärt und berät, macht nicht nur eine medizinische Aufklärung, sondern er führt mit den Eltern ein Gespräch über Entscheidungen mit weit reichenden ethischen Dimensionen. Das Gespräch über PND sollte nicht geführt werden, ohne diese Dimensionen zu bedenken und die Verantwortung, die damit verbunden ist. Es ist ethisch und gesellschaftlich unverantwortlich, dass hier nicht mehr auf Qualität geachtet wird. Qualitätssicherung wird heute auf so vielen Gebieten betrieben, jeder kleinste Vorgang im klinischen Alltag soll heute im Handbuch erfasst und qualitätsgesichert durchgeführt werden. Für schwierige, komplexe und ethisch äußerst prekäre Angelegenheiten – bis hin zum Fetozid – scheint das nicht zu gelten.
Im Kontext des GenDG forderte der Gesetzgeber eine Qualifizierung der ÄrztInnen für die genetische Beratung. Was dabei herauskam, ist eine Farce: ein Multiple-Choice-Test, der online durchgeführt werden kann. Ein fahrlässiger Umgang mit ethischen Herausforderungen und Bedürfnissen von Eltern. Hier müsste dringend mehr Qualität entstehen und sie sollte von den ÄrztInnen selbst eingefordert werden. Dies würde aus ethischer Sicht ein Stück Verantwortungsübernahme bedeuten.
Im Kontext von Pränataldiagnostik sind ÄrztInnen die ersten und oft einzigen professionellen AnsprechpartnerInnen. Ihr Wort hat einen ganz hohen Stellenwert. In dieser Beziehung geschieht Initiation und frühe Prägung in der Schwangerschaft, was die Entscheidung der Eltern wesentlich beeinflusst. Ein Gespräch über PND, das auch ethische Standards erfüllt, braucht eine spezielle Ausbildung und muss unter anderem im Rollenspiel geübt werden.
Wir brauchen keine Reparaturethik, sondern eine „kreative Zukunftsgestaltung nach ethischen Kriterien und Maßstäben, die jenseits von Technologie und Machbarkeit liegen”, sagt die Gynäkologin und Medizinethikerin Barbara Meier (2000: 52). Wir sind aufgerufen, uns immer wieder zu fragen, welche Werte wir anlegen, und uns nicht abzufinden mit der Dynamik technologischer Problemlösungsstrategien, die uns scheinbar hilflos zu überwältigen drohen. Es geht darum, dass gerade wir als Expertinnen uns einbringen in die gesellschaftliche Diskussion und die Werte mitbestimmen oder wie Meier es sagt: „Ethischer Widerstand heißt, die Welt zu unserer Welt zu machen” (Meier 2000: 52). Ich wünsche mir, dass wir nicht aufhören, darüber gemeinsam nachzudenken!